Der Büchereulen-Adventskalender 2011

  • 1. Dezember 2011 von Eskalina



    Ich habe lange überlegt, was ich in diesem Jahr für den Adventskalender schreiben soll, doch wie so oft wenn es auf Weihnachten zu geht, rast die Zeit und ich gerate in Stress – und bei dem Wörtchen „Stress“ fiel mir ein, dass ich vor ein paar Jahren sehr viel Zeit hatte, mir zum Thema „Weihnachten“ Gedanken zu machen und sie auch aufgeschrieben habe. Ich hoffe ihr verzeiht mir, dass nun keine lustige Kurzgeschichte kommt, sondern ein kleiner nachdenklicher Rückblick...

    Bald ist Weihnachten und dieses Mal ist es so ganz anders als in all den Jahren zuvor. Ich brauche nicht zu hetzen, muss nicht aus plärrenden Lautsprechern im Supermarkt die ihrer Höhen und Tiefen beraubte weihnachtliche verkaufsfördernde Musik ertragen, werfe nicht hastig irgendwelche Dinge in den Einkaufswagen, von denen ich meine, sie würden in irgendeiner Weise mit diesem Fest zusammen gehören - Keine Gedanken, was ich wem schenken möchte, keine Überlegungen, bei wem wir welchen Tag zum Essen eingeladen sind.


    Bald ist Weihnachten und zum ersten Mal in meinem Leben erkenne ich, dass man dieses Fest auch ganz anders erleben kann. Als Kind habe ich diese Zeit genossen, habe an jedem Morgen meinen Adventskalender geöffnet, um nachzusehen welches Bild, welche Leckerei dahinter auf mich wartete. Die vielen Lichter, die ich oft und immer wieder ansah, der Duft von frischgebackenen Keksen, der noch lange in den Räumen schwebte, nachdem wir schon erschöpft vom Teig ausstechen, kneten und naschen in den Betten lagen. Die Aufregung, die mich damals regelmäßig vor dem heiligen Abend so stark befiel, dass ich nicht einschlafen konnte, und die besondere Stimmung, wenn wir dann das Weihnachtszimmer betreten durften - Der Wunsch, es noch einmal so zu erleben hat sich in mir festgesetzt und blieb in all den Jahren, in denen ich als Erwachsene die Adventszeit erlebte, als kleine Sehnsucht in meinem Herzen. Eine Sehnsucht nach diesem festlichen, warmen und geborgenen Gefühl, gemischt mit Aufregung und Freude.


    Je älter ich wurde, desto weniger Zeit hatte ich, um die stille Zeit zu genießen. Jedes Jahr nahm ich mir vor, die vier Wochen vor dem Fest selbst zu einer Festlichkeit zu machen. Wann habe ich es geschafft, in eine Decke gekuschelt ein gutes Buch zu lesen, Weihnachtsmusik zu hören oder dem flackernden Kerzenlicht zuzusehen? Wann habe ich zum letzten Mal dieses warme und fast feierliche Gefühl in mir verspürt, das für mich damals Weihnachten ausmachte?
    So viele angestrengte Versuche es herbeizuzaubern und doch bin ich scheinbar immer nur die falschen Wege gegangen. Ich habe im ganzen Haus Kerzen angezündet, Kekse auf die Schnelle gebacken, Tannenzweige in eine Vase gesteckt, und schließlich bin ich mit vollem Terminkalender von einer "Besinnlichkeit" zur nächsten gehetzt, aber nichts konnte mir das geben, was ich mir insgeheim wünschte. War es vielleicht doch nur eine schöne Erinnerung, die im Laufe der Jahre immer unwirklicher und schöner geworden war?


    Bald ist Weihnachten und in diesem Jahr verspüre ich sie plötzlich, die feierliche Stimmung und die innere Ruhe. Sie ist gekommen, seit ich im Krankenhaus liege und nur den Blick aus dem Fenster habe - Auf Lichter, die abends angehen, auf weihnachtlich geschmückte Geschäfte und einen winzigen Weihnachtsmarkt, auf dem sich zwei kleine bunte Karussells drehen, Glühweinverkäufer mit warmen Handschuhen ihre dicken Keramikbecher mit dem dampfenden Getränk an frierende Menschen überreichen und kleine Kinder vor einem Weihnachtsmann stehen und ihm ehrfürchtig zuhören. Es ist schon fast zu kitschig und doch ist es auch irgendwie schön.


    Die Stille im Zimmer, die erzwungene Bewegungslosigkeit, die ungewohnte Zuschauerrolle, all das hat mich zur Ruhe kommen lassen. Jeden Abend warte ich, dass die Menschen die Weihnachtslichter in ihren Fenstern anmachen und ich habe alle Zeit der Welt, mich an ihnen zu erfreuen.


    Bald ist Weihnachten und es war die Krankheit, die mich zum Anhalten gezwungen hat, und mit ihr kommt nun endlich der Blick auf das Wesentliche zurück, lässt in mir Freude aufkommen über das Licht einer einzigen Kerze, das Lachen eines Kindes und zeigt mir, dass es nicht viel Aufwand braucht, und ich die ganzen Jahre mit all den Einkäufen und immer in Eile, vergeblich versucht habe, das zu erleben, was mir jetzt so mühelos gelingt.


    Es ist etwas ganz besonderes, an solch einem Ort die Weihnachtszeit zu erleben und noch nie habe ich sie so intensiv erlebt wie in diesem Jahr, als alles so anders, so unerwartet anders kam, dass ich dankbar bin, noch am Leben zu sein. Ich denke kaum noch an die Erkrankung zurück, in meinem Gedächtnis wird mir die Erinnerung an diese Zeit immer nur bedeuten, dass ich „mein Weihnachten“ wieder gefunden habe.

  • 2. Dezember 2011 von Dori



    Weihnachten aus 30 cm Höhe


    Jedes Jahr um diese Zeit geht es hier drunter und drüber. Sie fangen an, heimlich Dinge zu verstecken, überall Lichterketten und Tannenzweige aufzuhängen, Plätzchen zu backen…


    Von wem ich rede? Von meiner Familie natürlich. Meine Versorger, diejenigen, die täglich meinen Napf füllen, mein Klo reinigen und mir von Zeit zu Zeit seltsame Spitznamen geben, wie „Runter da!“ oder „Lass das!“.
    Natürlich freue ich mich immer darüber, wenn sie extra um mich zu bespaßen diese hübschen bunten Kugeln an das Gestrüpp hängen, das sie einmal im Jahr im Wohnzimmer aufstellen. Ich verstehe auch gar nicht, warum sie sich dann so aufregen, wenn ich, um an mein Spielzeug zu kommen, diesen Baum hinaufklettere und die Kugeln herunterwerfe. Sonderlich hochwertig sind die eh nicht – gehen ja sofort kaputt!
    Naja, wenigstens darf ich mit dem Papier spielen, während sie ihre Geschenke einpacken. Glaube ich zumindest.


    In der Hierarchie direkt unter mir steht Paul. Er arbeitet in einer Computerfirma, wo er anderen Menschen dabei helfen muss, von ihnen verursachte Probleme wieder zu lösen. Nebenbei besitzt er so ein tolles neues Telefon. Aber es scheint einen Fabrikationsfehler zu haben – der Bildschirm ist viel zu groß und es hat gar keine Tasten! Paul ist verheiratet mit Sabine. Sabine ist Kindergärtnerin und sehr lieb. Sie kann nur ziemlich gemein werden, wenn ich versuche, ihr eines ihrer Wollknäuel zu klauen. Die Tochter der beiden heißt Clara und ist zurzeit anscheinend in einer sehr schwierigen Phase – zumindest sagt Sabine das immer. Clara kommt nach Hause, verschwindet in ihrem Zimmer, wirft die Tür zu und telefoniert stundenlang mit ihren Freundinnen. Sie scheint aber immernoch ein wenig an ihrer Kindheit zu hängen. Das weiß ich, weil ich unter ihrem Bett ganz viele Luftballons gefunden habe. Das Nesthäkchen der Familie, Timmy, ist gerade zehn Jahre alt geworden. Wenn ich nicht ständig seinem Fußball ausweichen müsste, könnte ich ihn direkt mögen.


    Nun ja, inzwischen brennen an diesem eigenartigen Kranz, der so stachlig ist, so viele Kerzen, wie ich Krallen an den Hinterpfoten habe (zählen ist was für Menschen!). Im Ofen ist ein stattliches Federvieh und alle haben sich besonders hübsch gemacht. Sabine ist ganz nervös. Sie hat den ganzen Tag in der Küche gestanden und das Futter für die Menschen vorbereitet, während die Kinder und Paul auch am Baum die Lichter anzünden und die ersten verpackten Geschenke unter ihn legen. Ich zupfe und kaue ein wenig am Geschenkband herum, bevor mich Timmy bemerkt, in die Küche trägt und mir ein wenig von diesem papierartigen, wie Gewölle aussehenden Zeug, das sie „Leckerlis“ nennen, in meinen Napf gibt. Wenn ich das so sehe, hätte ich viel mehr Lust auf das Geflügeltier im Ofen…


    Was machen Sabine und Paul denn da? Sie tuscheln leise und Paul hält etwas Großes, Quadratisches in der Hand, das mit einem Tuch bedeckt ist. Darunter raschelt es leise. Was das wohl sein mag? Sie bringen es ins Wohnzimmer und Paul stellt es vorsichtig unter den Baum. Das muss ich mir später einmal genauer ansehen…


    Jetzt sind inzwischen ein paar Stunden vergangen. Es ist dunkel geworden, draußen schüttet irgendjemand dieses weiße Zeug vom Himmel, das so verführerisch weich aussieht, aber schreeecklich kalt an die Pfoten ist, und die Familie sitzt am Tisch und verzehrt den großen gebackenen Vogel. War ja klar, dass sie mir nichts abgeben würden, hmpf. Aber so ist für mich wenigstens endlich die Gelegenheit gekommen, einmal nachzusehen, was das für ein seltsames Ding war, das Paul und Sabine vorhin hereingetragen haben. Auf Samtpfoten (hihi, wo nur dieses Sprichwort herkommt?) schleiche ich zum Baum und zupfe das Tuch weg.
    Oh, wie schön, sie haben doch an mich gedacht! Essen in einer Gitterkonserve! Eine kleine Maus zieht ihre Bahnen durch den Käfig, doch entkommen kann sie mir nicht. Ich angle mit meiner Pfote zwischen den Stäben hindurch, bis ich sie zu packen bekomme.
    Hmmmmm, so zartes Fleisch! Während ich mich, meine Verdauung begünstigend, auf dem Rücken herumrolle, fällt ein kleines Stück Papier zu Boden, das wohl am Tuch befestigt war. Schade, dass ich die seltsamen Zeichen darauf nicht lesen kann: „F-Ü-R T-I-M-M-Y…“

  • 3. Dezember 2011 von Iszla



    Überraschungen im Advent


    Der 1. Advent
    Gerade noch rechtzeitig hielt er inne. Sein Fuß schwebte sekundenlang über dem zart wirkenden Adventsgeschenk mit der brennenden Kerze, ehe er ihn zurück auf die Türschwelle seiner Wohnung setzte.
    Eher unwillig bückte er sich, um eine kleine Grußkarte aufzuheben.
    „Ich wünsche Ihnen einen schönen ersten Advent und eine besinnliche Weihnachtszeit. Liebe Grüße, Ihre Nachbarin.“
    Er schnaubte verächtlich. Advent! Weihnachtszeit! Scheußlich.
    Natürlich konnte seine Nachbarin nicht wissen, dass er sich ab Mitte November noch weniger vor der Tür herumtrieb als das ganze Jahr über, schließlich lebte sie erst seit zwei Monaten in dieser trostlosen Stadt. Aber sie brauchte ihm, einem gewissermaßen Wildfremden, keine Adventsgeschenke vor die Tür stellen, noch dazu unerwünschte.
    Als er ihr am nächsten Morgen auf dem Weg zur Mülltonne begegnete, brummte er wie immer sein „Tach!“, verlor aber kein Wort über das Gesteck und die Grußkarte. Und ihren irritierten Gesichtsausdruck übersah er einfach. Sicherlich glaubte sie, dass er in der weißen Plastiktüte diesen unnützen Kram entsorgte. Sollte sie doch.


    Der 6. Dezember
    Allmählich schien er schusselig zu werden. Warum sonst hatte er heute Morgen bei dem unvermeidlichen Einkauf in dieser betont heiteren Jahreszeit die Milch vergessen?
    Ächzend bückte er sich nach seinen Stiefeln, richtete sich wieder auf und ließ sich auf dem Stuhl in seinem Flur nieder, um sie anzuziehen. Mit sechzig Jahren war man einfach nicht mehr der Jüngste.
    Verwundert hielt er inne, als er in seinem rechten Stiefel nicht weit kam. Er zog ihn wieder aus, schüttelte ihn kräftig aus – und holte tief Luft. Schokoladentäfelchen, Nüsse und Bonbons purzelten auf den Fußboden. Er griff nach seinem linken Stiefel – kleine Mandarinen und Gummibärchentüten.
    Dazu ein kleines Kärtchen: „Mit einem lieben Gruß vom Nikolaus und Ihrer Nachbarin.“
    Ja, war die denn noch zu retten? Erst brannte sie mit ihrer Kerze bald das Haus nieder, nun stopfte sie ihm ungesundes Zeug in die Stiefel! Hatte die keine Freunde oder Familie, die sie mit diesem widerlichen Weihnachtszeug belästigen konnte?
    Entrüstet schob er die Süßigkeiten mit dem Fuß zur Seite, schlüpfte endlich in seine Stiefel und erhob sich. Er brauchte jetzt seine Milch. Und ein schönes, kühles Bier. Hier, allein, in seiner Wohnung, in der es Weihnachten schlicht nicht gab. So!


    Der 10. Dezember
    „Guten Morgen!“
    Mist. Ertappt.
    „Tach!“, knurrte er zurück. Er hatte nicht vor, stehen zu bleiben. Aber ausgerechnet jetzt bekam er seine verdammte Wohnungstür nicht aufgeschlossen.
    Seine Nachbarin räusperte sich dezent. „Ähm … Ich habe hier eine Kleinigkeit für Sie.“
    Ja, das hatte er gesehen.
    „Es ist nur ein kleiner Weihnachtsstern, aber ich hoffe, Sie haben trotzdem ein schönes Plätzchen für ihn übrig“, fuhr sie fort.
    „Nein“, brummte er. Warum konnte er den Schlüssel nicht drehen?
    Sie zögerte. „Ich wollte Sie außerdem noch etwas fragen … Ich bin über die Feiertage allein in der Stadt – und ich glaube, Sie haben auch noch nichts vor, oder? Möchten Sie vielleicht mit mir gemeinsam einige schöne Stunden verbringen?“
    Nun stutzte er. Er runzelte die Stirn und warf ihr über die Schulter einen finsteren Blick zu.
    „Ich – ich meine, ich würde uns etwas zu essen machen, und dann könnten wir einfach etwas plaudern. Also, nicht – äh – nur plaudern, meine ich.“ Ihre Wangen waren feuerrot angelaufen.
    Nur plaudern. Insgeheim atmete er auf. Sicher, sie war nur halb so alt wie er und auch nicht gerade hässlich, aber er hatte tatsächlich überlegt, ob sie etwa – egal.
    „Nein. Keine Zeit“, knurrte er erneut.
    Sie holte noch einmal tief Luft, schien es sich aber anders zu überlegen. „Schade“, murmelte sie dann. „Ich stelle den Weihnachtsstern hier hin, ja? Dann können Sie sich überlegen, ob Sie ihn haben möchten.“
    Vorsichtig stellte sie den Topf mit dem Grünzeug neben seine Fußmatte. Gleich darauf schloss ihre Wohnungstür sich hinter ihr.
    Schnaufend betrachtete er seinen Wohnungsschlüssel, um den Topf nicht ansehen zu müssen. Nein – den Garagenschlüssel. Kein Wunder, dass er seine Tür nicht öffnen konnte.
    Mit Schwung knallte er die Tür schließlich hinter sich zu. Ein Mal öffnete er sie dann doch noch – konnte ein Weihnachtsstern im kalten Hausflur überleben? Nachdenklich kratzte er sich am Kopf und brachte den Topf in die Küche. Morgen würde er ihn seiner Nachbarin zurückgeben.


    Der 18. Dezember
    Auch das noch. Es schneite. Seit Stunden rieselten dicke Flocken auf dieses graue Fleckchen Erde hinab.
    Er ahnte, wie er die frühen Abendstunden verbringen würde. Die Schneeschaufel hatte ja auch viel zu lange unbenutzt herumgestanden.
    Seufzend blickte er auf die Straße hinunter. Gerade kam seine Nachbarin von der Arbeit zurück. Ihren Schal um den Kopf geschlungen stapfte sie mit gesenktem Blick auf das Haus zu.
    Eigentlich könnte er ihr schnell den Weihnachtsstern zurückgeben. Aber er saß gerade so bequem bei seinem Kaffee.
    Und schließlich hatte es ja noch Zeit. Immerhin blühte das Grünzeug noch.


    Der 21. Dezember
    Schon wieder! Dieses Mal konnte er nicht verhindern, dass zumindest einige Plätzchen unter seinem Fuß zerbröselten. Warum legte sie dieses Zeug eigentlich immer auf seine Fußmatte?
    Schnaubend hob er die kleine Plastiktüte auf und beäugte die Kokosmakronen im Innern. Niemand konnte sie so gut backen wie seine Frau – auch nicht seine Nachbarin.
    Er warf einen Blick in die beigelegte Weihnachtskarte.
    „Ich wünsche Ihnen friedliche Festtage und ein wundervolles neues Jahr. Vielleicht sieht man sich zwischendurch ja einmal kurz. Liebe Grüße, Ihre Nachbarin.“
    Ja, ja. Geräuschvoll öffnete er die Tüte und knabberte vorsichtig an einer Makrone. Eigentlich nicht schlecht. Wenn seine Nachbarin auch nervte – backen konnte sie doch. Lange nicht so gut wie seine Frau, aber gut genug.
    Kauend knallte er seine Wohnungstür hinter sich zu. Was hatte er vor der Tür eigentlich gewollt? Waren es die Schritte gewesen, die ihn aus seinem Nickerchen vor dem Fernseher aufgeschreckt hatten?


    Heiligabend
    Bedrückt stellte sie die Schüssel mit dem Kartoffelsalat auf den Esstisch, ehe sie sich daran niederließ und ihr kleines Bäumchen betrachtete.
    So viele Kilometer von ihren Eltern entfernt und so einsam in dieser großen Stadt. Warum war sie nur hierher gezogen? Konnte ein Job diese Einsamkeit wert sein?
    Seufzend schaufelte sie etwas Kartoffelsalat auf ihren Teller. Im nächsten Augenblick hob sie verwundert den Kopf. Wer klingelte denn um diese Uhrzeit am Heiligabend bei ihr?
    Irritiert erhob sie sich, strich sich über die Haare und ging zur Tür.
    „Oh – äh – hallo.“ Zu mehr Worten fühlte sie sich nicht fähig.
    Er räusperte sich. „Hallo. Ähm …“ Er wirkte ähnlich hilflos wie sie. „Äh … Das ist für Sie.“ Etwas ungelenk überreichte er ihr einen kleinen Blumenstrauß und eine Flasche Rotwein. „Ich, äh, ich wollte mich bei Ihnen – bedanken. Wegen der Plätzchen und so, Sie wissen schon. Sehr aufmerksam, ja.“
    „Danke“, antwortete sie perplex.
    „Ja.“ Er holte tief Luft. „Und ich wollte mich entschuldigen. Weil ich so unfreundlich war. Und … ich wollte Sie fragen, ob – ob Sie vielleicht doch noch etwas Zeit mit einem griesgrämigen alten Mann verbringen wollen, der über Weihnachten nie etwas vorhat, weil er Weihnachten nicht mag. Nicht mehr.“
    „Nicht mehr?“ Sie hatte ihre Fassung zurück gewonnen, bat ihn herein, führte ihn in ihr Wohnzimmer und holte aus der Küche noch ein zweites Gedeck. Die Flasche Wein reichte sie ihm zum Entkorken zurück.
    „Erzählen Sie mir, warum Sie Weihnachten nicht mehr mögen?“, erkundigte sie sich, während er zwei Weingläser füllte.
    „Das ist eine lange Geschichte“, murmelte er.
    „Ich denke, wir haben Zeit.“ Sie lächelte ihn vorsichtig an, das er ebenso zaghaft erwiderte.
    „Nun ja. Warum nicht.“
    Leise klirrten die Gläser aneinander, und es schien, als würde ihr Klingen den Abend noch lange begleiten.

  • 4. Dezember 2011 von Paradise Lost



    Die Freuden der Weihnacht


    Bernhard liebte Weihnachten. Und er liebte die Adventszeit. Es war ihm egal, dass bereits im August die ersten Weihnachtsdekorationen in verschiedenen Kaufhäusern auftauchten und er störte sich auch nicht an Schokoweihnachtsmännern in den Supermarktregalen ab September. Trubel und Menschengedränge auf dem Weihnachtsmarkt, na und? Das gehörte doch schließlich dazu! Schon von Berufs wegen. Häufig hörte er die Grantler und Motzer im Vorbeigehen schimpfen, dass das "früher doch noch ganz anders war", "viel feierlicher", "nicht so ein Konsumfest!". Es stimmte schon, der Einzelhandel in Deutschland rieb sich jedes Jahr zu Weihnachten die Hände. Die Menschen versuchten sich gegenseitig mit ihren Luxus-Geschenken zu übertrumpfen: Bluray-Spieler, HD-Fernseher, modernste Handys, MP3-Spieler, Notebooks und was nicht noch alles. In einer Zeit, in der die Liebe der Familienmitglieder an dem Geld gemessen wurde, das sie für die Geschenke ausgaben, durfte man sich nicht lumpen lassen. Das Problem hatte Bernhard nicht. Seine Ex würde von ihm ganz bestimmt nichts zu Weihnachten bekommen, und das drückte nicht mal ansatzweise seine "Liebe" für sie aus.


    Er spazierte durch die nächtlichen Straßen der Vorstadt. Wunderschön, wie die Häuser beleuchtet waren. In manchen Gegenden schienen regelrechte Wettkämpfe entbrannt zu sein, eine Art lumineszentes Wettrüsten. Umweltschonend war es nicht und stromsparend auch nicht. Aber Bernhard fand es schön. Gerade jetzt, wo doch tatsächlich mal Schnee gefallen war, wirkte das alles so stimmungsvoll, dass er versucht war ein Weihnachtslied von Bing Crosby zu pfeifen. Er beherrschte sich jedoch. Es war schon spät, niemand außer ihm war mehr unterwegs, schon gar nicht zu Fuß. Bernhard blieb vor einem großen Haus stehen. Auch hier gab es Weihnachtsbeleuchtung, wenn auch bei weitem nicht so üppig wie bei manchen anderen. Eine Fensterfront war mit einer Lichterkette geschmückt, an zwei anderen Fenstern hingen beleuchtete Holzsterne. Sie erhellten die Nacht. Genauso wie an jedem Tag der letzten Woche. Um punkt 17 Uhr ging das Licht an, um punkt 23 Uhr ging es aus. Eine Zeitschaltuhr, da war Bernhard sich inzwischen ganz sicher. Ansonsten wirkte das Haus nämlich still und verlassen. Bestimmt so ein paar Winterflüchtlinge, die es nicht vertragen konnten, wenn die Temperaturen unter 15 Grad fielen. Irgendwo in der Karibik wurde unterm Palmenbaum dann Weihnachten gefeiert. Für Bernhard wäre das nichts. Sonne, Hitze und Weihnachten. Das passte doch überhaupt nicht! Er schüttelte missbilligend den Kopf. Langsam umrundete er den Gartenzaun und stellte seine großen Tüten ab, in denen jeder Passant sicherlich Weihnachtseinkäufe erkannt hätte.


    Etwa eine viertel Stunde später, die Zeitschaltuhr hatte ihr Werk getan, hatte Bernhard in seine Berufskleidung gewechselt. Unbemerkt hatte er sich in den Garten des Hauses geschlichen. Nun begann er vorsichtig seinen Aufstieg an der Fassade. Er war nicht mehr der Allerjüngste. Früher war das schon schneller gegangen, stellte er fest, als er einen Moment schnaufend innehielt. Aber er hatte es ja gleich geschafft. Die Brüstung des Balkons ragte nur noch eineinhalb Meter über ihm auf, als er unter sich plötzlich Stimmen hörte.
    "Du, Karl-Heinz?" "Was ist denn Georg?" "Schau mal da hoch, hängt da nicht einer?"
    Bernhard erstarrte und versuchte eins zu werden mit der Fassade unter ihm. Aus dem Augenwinkel sah er, dass an der Ecke zur Seitenstraße ein Polizeiauto parkte. So ein verdammtes Pech! Wo kamen die denn plötzlich her? Warum waren die nicht zu Hause bei ihren Familien und genossen die schöne Zeit? Polizisten waren wirklich ein sehr unfeierliches Pack. Der Strahl einer Taschenlampe wurde genau auf Bernhard gerichtet. Er spürte wie seine Muskeln anfingen zu zittern, aber er durfte es sich nicht anmerken lassen und hielt eisern fest. Einige Sekunden herrschte Stille, dann ertönte wieder die zweite Stimme. "Ach, das ist doch bloß einer von diesen dämlichen Kletter-Weihnachtsmännern. Ich werde nie begreifen, wie die Leute sich sowas hässliches ans Haus hängen können." Der andere Polizist lachte. "Naja, die finden das wohl besonders kreativ. Jetzt wo schon jedes zweite Haus so ein Ding hat."


    Bernhard lauschte mit angehaltenem Atem und hörte, wie sich die Schritte im Schnee langsam entfernten. Er ließ die Luft vorsichtig wieder ausströmen. Als er auch das Geräusch des startenden und davonfahrenden Wagens gehört hatte, traute er sich endlich, die letzten Klimmzüge bis zum Balkon hinauf zu tun und wuchtete sich ächzend über die Brüstung. Wieder auf festem Boden, wischte er sich erst einmal den Schweiß von der Stirn und den Schnee von seinem Weihnachtsmannanzug. Der hatte ihn gerettet, wie schon des Öfteren. Die Verbreitung der Kletter-Weihnachtsmänner war das Beste, was ihm in seiner gesamten Karriere passiert war.
    Bernhard liebte Weihnachten.

  • 5. Dezember 2011 von Idgie



    Geschenkehatz


    Der morgendliche Blick in den Kalender sorgt für spontane Schnappatmung. Ach du Scheiße. Schon wieder so weit? Anfang Dezember - in drei Wochen ist Heilig Abend!!!! Och nee und schon wieder hab ich das ganze Jahr verstreichen lassen, ohne die Lieben, die ich jedes Jahr mit Geschenken beglücke, darüber zu informieren, dass ich eben dazu keine Lust mehr habe.
    Mist, jetzt ist es zu spät für den Vorschlag. Dann sind alle gleich beleidigt und denken, sie hätten was falsches ausgesucht. Ok, haben sie meistens auch, aber ich habe mein Pokerface ziemlich gut im Griff und kann überzeugend rumlügen, wie toll sie meinen Geschmack getroffen haben. Trotzdem, Weihnachten sind immer alle so dünnhäutig und so zwanghaft auf Harmonie programmiert, dass ich mich nicht traue, ihnen genau dann den Vorschlag zu machen, diesen Geschenketerror zu beenden.


    Es wird also auch dieses Jahr wieder auf ein Last-Minute-Shophopping hinauslaufen. Mich tröstet auch gar nicht, dass ich mit vielen Leidensgenossen auf der Zielgeraden durch weihnachtlich geschmückte Fußgängerzonen irre, immer auf der Hatz nach passenden Geschenken; inklusive visuellem und auditivem Xmas-Overkill. Ich will nach Hawaii. Ganz schnell oder alternativ auf die Osterinseln, denn wahrscheinlich kann man Anfang Dezember auch in Honolulu dem Kommerzwahnsinn nicht entfliehen. Dabei fand ich Weihnachten früher eigentlich immer ganz toll - wenn nur das mit den Geschenken nicht wäre.


    Mitten in mein Vollbad im Selbstmitleid klingelt das Telefon. Meine beste Freundin Claudia will wissen, was ich heute so vorhabe. Spontan beschließe ich, sie als Einkaufsberaterin zu engagieren. Sie nölt ein bisschen rum, lässt sich aber mit dem Versprechen auf einen Videoabend mit Glühwein bestechen. Als ich sie mit meinem Polo abhole, quengelt sie noch lustlos: „Ich kann nicht kreativ denken, wenn ich friere. Hättest ja wenigstens schon mal das Mösenstövchen anmachen können.“ Grinsend schalte ich die Sitzheizung ein und fahre in Richtung Innenstadt, während sie sich umständlich anschnallt.


    Am Eingang des Weihnachtsmarktes werden wir mit Last Christmas zwangsbeschallt. OMG gibt‘s denn hier keine Gnade? An der nächsten Ecke kommt uns ein Weihnachtsmann entgegen, der nicht nur aussieht, wie Dirk Bach, sondern auch so klingt. Der Medizinball auf zwei Beinen hält uns eine scheppernde Sammelbüchse vor die Nase und setzt zu einem Vortrag über das Missverhältnis zwischen Wohlstandsgesellschaft und hungernden Kindern in Afrika an. Der hat mir grade noch gefehlt! Schnell ziehe ich Claudia vor die Auslage des nächsten Standes. Leider ist das Weihnachtsmarktangebot total ungeeignet für passende Geschenke und so beschließen wir, uns bis zum Elektronik-Konsumtempel am anderen Ende des Weihnachstmarktes durchzukämpfen.


    Als erstes ist die Elektro-Kleingeräteabteilung dran. Was schenke ich meiner Mutter? Die klagt immer über die trockene Raumluft im Winter. Einen Zimmerbrunnen vielleicht? Die Beschreibung ist vielversprechend: Ein leichtes Plätschern, gepaart mit edlem Design oder etwas Nebel bringt ein weiteres Higlight in die eigenen vier Wände. Schön scheußlich. Vermutlich animiert das ständige Plätschern nur die Katze dazu, auf den Wohnzimmerteppich zu pinkeln. Egal, ich behalte den pagodenförmigen Alptraum im Hinterkopf.
    Weiter in die Gadget-Ecke. Der USB-Yoda, der auf Bewegung reagiert und in unvergleichlicher Yoda-Grammatik den Schreibtisch mit seinem grünen Lichtschwert verteidigt, entzückt mich. Den könnte ich meinem Bruder Jan schenken, der auf solchen Technikkram bestimmt abfährt. Auch auf die Gefahr hin, dass seine Putzfrau einen Herzkaspar kriegt, wenn der Yoda sie beim Schreibtisch abstauben erwischt und sie mit einem markigen: „A disturbance in the force there is. Retreat!“ erschreckt.
    Ersatzweise kann ich ihm ja auch den Wurfwecker in Form eines Baseballs schenken. Ein Traum für jeden Morgenmuffel, der seinen Frust über frühes Aufstehen an diesem Wecker auslassen kann, denn der gibt erst Ruhe, wenn man ihn an die nächste Wand oder auf den Boden wirft. Claudia gibt zu bedenken, dass er das Teil sofort ausprobiert, und dabei die Tannenbaumspitze abrasieren könnte.
    Für meinen Vater finde ich nach kurzem Suchen einen Grillgürtel im Handwerkerlook mit Grillbesteck und ein BBQ Branding Tool. Das war einfach. Bleibt noch mein großer Bruder. Der ist 30 und hat scheinbar ein Wohnrecht auf Lebenszeit im Hotel Mama. Schade, dass es keinen Crashkurs Überleben in der ersten eigenen Wohnung an der Volkshochschule gibt. Claudia grinst: „Schenk ihm doch so ein Starter Kit aus Wischmop, Putzeimer und Badreiniger.“ Eine brillante Idee; ich bin jetzt schon gespannt, was er dazu sagt. Nach kurzem Überlegen erstehe ich noch den Zimmerbrunnen und den Yoda und bin ziemlich zufrieden mit der Ausbeute.


    „Ob die mich dieses Jahr wohl von allein fragen, ob wir zukünftig auf Geschenke verzichten wollen?“ frage ich Claudia, während wir uns am nächsten Stand einen Glühwein genehmigen.

  • 6. Dezember 2011 von Voltaire



    Das Aufsatzheft


    Es war einer dieser typischen Novembertage. Grau, feuchtkalt und leicht dunstig. Da ich das Büro heute früher verlassen hatte, lag es auf der Hand – weil ich Bewegung brauchte - auf dem Alsterwanderweg nach Hause zu gehen, denn so konnte ich den Nachhauseweg mit einem Spaziergang verbinden; ich musste einfach mal raus, raus aus der stickigen Büroluft. Unterwegs traf ich nur sehr wenige Menschen, so dass ich mit mir und meinen Gedanken allein war.
    Nachdem ich so etwa dreißig Minuten in einem flotten Tempo marschiert war, sah ich in einiger Entfernung einen leuchtenden blauen Punkt. Als ich näher kam, erkannte ich, dass es sich um ein blaues Heft handelte, genauer gesagt um ein blaues Schulheft.


    Normalerweise hätte ich mich nicht weiter um dieses Heft gekümmert, aber irgendwas trieb mich dazu das Heft aufzuheben. Ich blätterte es schnell durch und stellte fest, dass es ungefähr bis zur Hälfte beschrieben war. Was mich bewog das Heft einzustecken, kann ich jetzt nicht mehr sagen, aber es schien mir in diesem Moment einfach falsch, das Heft fortzuwerfen.


    Zuhause angekommen, machte ich mir erst einmal einen wärmenden Tee, setzte mich in meinen Lesesessel, griff zu dem Buch, welches auf dem kleinen Tischchen neben dem Sessel lag; Schnitzlers „Traumnovelle“ und wollte gerade beginnen zu lesen, als ich mich an das Schulheft erinnerte.
    Langsam blätterte ich es durch – irgendetwas war merkwürdig an diesem Heft, nur wusste ich nicht was.


    Ich begann zu lesen. Schon der erste Satz zog mich in seinen Bann:


    „Dieses sind sehr private Aufzeichnungen; aus irgendeinem Grunde haben Sie nun dieses Heft in der Hand. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie nicht weiterlesen würden; bitte vernichten Sie das Heft oder bringen es dahin zurück wo Sie es gefunden haben.“


    Dieser Satz machte mich neugierig. Von der Bitte, doch nicht weiterzulesen, fühlte ich mich kaum angesprochen.
    Also las ich weiter.


    „Für U.
    Der 24. Dezember
    Nun ist er wieder da, der schlimmste Tag des Jahres, der Tag an dem ich etwas verlor, was mir wichtiger war als alles andere.
    Es ist dieser Tag, den ich zusammen mit einigen Flaschen Rotwein verbringen werde, auch wenn ich genau weiß, dass sie mir doch wieder nicht helfen werden.
    Es ist der Tag an dem die Erinnerung zur Qual wird.


    Nun sitze ich hier an meinem Schreibtisch und versuche nach all den Jahren verstehen zu können, versuche das aufzuschreiben was war und weiß doch genau, dass egal was ich auch mache, die Erinnerung bleiben wird, sie wird so präsent sein wie jeden Tag und sie wird dann am 24. Dezember zu ganz großer Form auflaufen – denn das ist ihr ganz besonderer Tag im Jahr, der Tag, an dem es ihr besondere Freude macht mich zu quälen.


    Alles begann am 4. März 1971. Wir gingen nicht in dieselbe Klasse und kannten uns nur vom Sehen. Ich hatte mich nie getraut dich anzusprechen, denn ich hatte zwar eine große Klappe – war aber trotzdem ausgesprochen schüchtern und hinter dieser großen Klappe konnte sich meine Schüchternheit immer gut verstecken. Nur wenn ich mit einem Mädchen allein war, dann war jedes Versteck zu klein.
    Am 4. März hatten wir mündliche Abiturprüfung. Deutsch. Literatur. Wir saßen nebeneinander, da die Prüfungsgruppen immer aus allen Klassen zusammengesetzt wurden.
    Du wurdest nach der Hamburgischen Dramaturgie von Lessing befragt. Irgendwie gelang es mir, dir immer vorzusagen ohne dass die Prüfungskommission es bemerkte. Ein dankbarer Blick war in diesem Moment der schönste Lohn den ich bekommen konnte.
    Nachdem alles überstanden war, die Ergebnisse verkündet waren, da lächeltest du mich an und meintest, dass wir uns ja wohl auf der Abifete am Abend treffen würden. Eigentlich hatte ich gar keine Lust auf diese Fete, aber nach deiner Aufforderung änderte ich meine Meinung um hundert Prozent.


    Ach ja – ich stelle mir jetzt gerade vor, du schaust mir über die Schulter während ich das hier schreibe; kann es sein, dass ich deinen Atem an meiner Wange spüre?


    Von der Abifete selbst habe ich nicht viel mitbekommen. Wir saßen fast die ganze Zeit in einer Ecke, rauchten und unterhielten uns. Wir waren uns so nahe, wie ich noch nie einem Menschen nahe war.
    Und dann erzähltest du mir, dass ich dir schon länger aufgefallen sei – jetzt nicht wegen meiner irren langen Haare; dir gefiel die Art und Weise wie ich mich verhielt, wie ich auftrat.


    Und seit diesem Abend waren wir zusammen. Wir wurden fast eins. Jeder suchte die Nähe des anderen.
    Wir lebten mit aller Intensität die uns zur Verfügung stand. Eines Tages schauten wir „Love Story“ im Kino. An diesem Abend warst du sehr nachdenklich und sagtest, dass das Leben durch nichts besiegt werden könne, es gehe seinen Weg mit aller Konsequenz und ließe sich durch nichts beirren. Leben sei eben auch Verlust und Trauer.


    Und dann kam der Herbst 1973. Wir hatten uns über unsere Zukunft bisher wenige Gedanken gemacht, unsere Zukunft waren wir – so dachten wir wenigstens. Es war der Herbst als sich die ersten Zeichen deiner Krankheit bemerkbar machten. Du wurdest schneller müde, sahst blass aus und verlorst an Gewicht.
    Wir versuchten beide deinen Zustand zu ignorieren, hatten Angst vor der Wahrheit. Aber dann mussten wir doch einen Arzt aufsuchen, es ging einfach nicht mehr.
    Er wies dich noch am selben Tag ins Krankenhaus ein.


    Im Krankenhaus machte man unzählige Tests mit dir, versuchte dich zu beruhigen und schob alles auf ein wohl längerfristiges Unwohlsein. Die Blicke der Ärzte aber sprachen eine andere Sprache. Eine junge Ärztin nahm mich eines Tages beiseite und sagte mir, dass keine Hoffnung mehr bestünde. Sie dürfe mir das zwar nicht sagen, aber sie meinte, dass es nicht richtig wäre wenn man uns falsche Hoffnung mache.
    Ich habe dir von diesem Gespräch nicht erzählt.


    Du wurdest immer schwächer und dein Lächeln verriet mir, dass du genau wusstest wie es um dich stand.
    Jede freie Minute saß ich an deinem Bett. Ich wollte keine Minute mit dir versäumen. Jeder Augenblick mit dir wurde zu einer echten Kostbarkeit. Ich schlief kaum noch und konnte manchmal die Augen vor Müdigkeit nicht mehr offenhalten.


    Es war der Abend des 24. Dezember - Heiligabend; ich hielt deine Hand, als du mit leiser Stimme zu mir sagtest:
    „Ich habe dich mehr geliebt als alles andere. Und wenn ich jetzt von dir gehe, dann verspreche ich dir, dass wir uns wiedersehen werden. Ich werde immer bei dir sein. Immer. Versprich mir, dass du nicht um mich weinst. Nichts kann uns jemals trennen. Hab Vertrauen.“


    Sie bat mich das Radio einzuschalten. Und kaum hatte ich eingeschaltet, spielten sie „unser“ Lied: The Great Pretender von den Platters.


    Als das Lied zu Ende war bin ich eingenickt; es ging einfach nicht mehr. Irgendwann hatte auch ich meiner Müdigkeit nichts mehr entgegenzusetzen.
    Aber ich hatte höchstens eine halbe Stunde geschlafen.
    Als ich erwachte und dich anschaute, da wusste ich, dass du gegangen warst.


    Während ich dieses hier schreibe mussten schon wieder zwei Flaschen Rotwein dran glauben. Aber auch sie mindern den Schmerz nicht, auch sie helfen mir nicht, endlich loslassen zu können.
    Auch sie beantworten meine Fragen nicht.
    Warum hast du mich allein gelassen? Wieso ist auch nach so vielen Jahren immer noch dieser unerträgliche Schmerz da? Die Intensität des Schmerzes hatte dabei nie abgenommen.
    Und wann sehen wir uns wieder? Du hast es versprochen, dass wir uns wiedersehen.“


    Ich klappte das Schulheft zu. Irgendwie fühlte ich mich wie ein Eindringling, aber ich hatte kein schlechtes Gewissen; ich konnte sogar den Schmerz des unbekannten Schreibers nachfühlen. Aber da war noch ein anderes Gefühl.


    Es war der 24. Dezember 2010. Schon früh am Morgen hatte ich die restlichen Einkäufe erledigt, ich mache sie immer auf den letzten Drücker, weil ich eigentlich so gar nichts mit Weihnachten am Hut habe und mir die Vorweihnachtszeit mit all ihrer Hektik ziemlich auf den Geist geht. Aber was macht man nicht alles um nicht irgendwo anzuecken.
    Ich schaute mich in meiner Wohnung um und stellte fest, dass heute wohl der Staubsauger noch zu seinem weihnachtlichen Einsatz kommen müsste. Aber eigentlich müsste ich auch dringend mal wieder meinen Schreibtisch aufräumen. Die Berge auf ihm türmten sich schon in beachtlicher Höhe.


    Ich schaute noch ein wenig gedankenverloren auf die Papierberge, als einer von ihnen ins Rutschen kam und auf dem Boden ein neues Chaos anrichtete. Leise fluchend ging ich in die Knie und begann damit das heruntergefallene Papier aufzusammeln.
    Doch dann stutzte ich.
    Obenauf lag ein blaues Schulheft. Ich hatte es völlig vergessen. Und wieder war es da, dieses merkwürdige Gefühl. Irgendetwas war mit diesem Heft. Aber nur was?


    Ich schlug das Heft auf und da wurde mir klar, was mir bisher – aus welchen Gründen auch immer – entgangen war. Die Handschrift in dem Heft war ohne Zweifel meine Handschrift. Wie vor den Kopf geschlagen, begann ich erneut zu lesen.
    Und dann zweifelte ich an meinem Verstand.
    Am Ende des Berichtes war etwas in einer anderen Handschrift hinzugefügt worden, eine Handschrift die ich auch nach fast 40 Jahren überall erkannt hätte. Und dieser Zusatz war bei meinem ersten Durchlesen unter Garantie noch nicht dagewesen.
    Der Zusatz lautete:
    „Ich liebe dich.“


    Es wurde ein rotweinloser Heiligabend.

  • 7. Dezember 2011 von Mairedh



    Annikas Weihnachtsgeschichte


    Patrick beobachtete, wie seine kleine Tochter Laura sich ins Bett kuschelte. Mit ihrem Plüsch-Rentier im Arm knautschte sie die Bettdecke zurecht. Schließlich seufzte sie und meinte: „Jetzt darfst du anfangen, Papa.“
    Daraufhin machte er es sich neben Laura gemütlich. „Was möchte meine kleine Maus denn heute hören?“
    „Eine Weihnachtsgeschichte!“, jubelte Laura.
    Patrick überlegte und begann dann zu erzählen …


    Im Weihnachtsland wurde es immer kälter, bald würde es anfangen zu schneien. Ein Blick auf den Kalender zeigte, dass es nur noch siebzehn Tage bis Weihnachten waren. Die Vorbereitungen für das große Fest waren in vollem Gange und die Spielzeugwerkstatt war rund um die Uhr in Betrieb.
    In der Ecke, in der die fertigen Spielzeuge gelagert wurden, bewegte sich etwas. Zwischen all den Puppen, Bären und Eisenbahnen tauchte plötzlich ein kleines Geweih auf.
    Neugierig schaute das kleine Rentier Flöckchen sich bei den Spielzeugen um, bis es plötzlich mit seinem Geweih in einem Mobile hängen blieb.
    Quiekend und quietschend versuchte Flöckchen sich aus dem Fadenwirrwarr zu befreien, aber erst, als ihm einige Weihnachtswichtel zu Hilfe eilten, gelang es ihnen, Rentier und Mobile voneinander zu trennen, ohne jemanden zu verletzen oder etwas zu zerstören.


    Oberwichtel Mützel stupste Flöckchen mahnend gegen die Nase. „Wie oft habe ich dir schon gesagt, dass du hier nichts zu suchen hast? Und vor allem sollst du dich nicht bei dem Spielzeug herumtreiben. Es ist schon das dritte Mal diese Woche, dass du dich irgendwo verhedderst. Wenn du schon unbedingt hier in der Werkstatt sein willst, dann bleib gefälligst neben meinem Schreibtisch sitzen und rühr dich nicht vom Fleck, verstanden?“
    Beleidigt streckte Flöckchen ihm die Zunge heraus, marschierte hocherhobenen Hauptes zu Mützels Schreibtisch und ließ sich geräuschvoll daneben nieder. Um seinen Unmut kund zu tun, stieß er auch noch – ganz aus Versehen– den Papierkorb um.
    Mützel verdrehte die Augen. Dieses Rentier trieb ihn eines Tages noch einmal in den Wahnsinn. Aber er musste wieder an die Arbeit. Er hoffte, dass Flöckchen lange genug mit Schmollen beschäftigt war, um keinen weiteren Unsinn anzustellen.
    Mützel machte seinen Rundgang durch die Werkstatt, kontrollierte die Arbeiten der Wichtel, gab hin und wieder Tipps zur Verbesserung und erklärte neue Baupläne.
    Nachdem er sich davon überzeugt hatte, dass alles in Ordnung war, nahm Mützel wieder an seinem Schreibtisch Platz. Ein Blick nach rechts verriet ihm, dass das beleidigte Rentier inmitten der Papierkugeln lag und schlief.
    „Dann kann ich wenigstens in Ruhe den nächsten Wunsch bearbeiten“, dachte sich Mützel und machte sich ans Werk.


    „Lieber Weihnachtsmann! Ich weiß, ich bin spät dran. Aber ich hoffe, du kannst mir meinen Wunsch noch erfüllen. Es ist auch nur ein Wunsch. Ich möchte gerne ein Plüsch-Rentier haben, aber es soll aussehen wie ein echtes Rentier, und es soll laufen können. Meinst du, deine Wichtel bekommen es noch rechtzeitig fertig? Deine Laura“


    „Warum schicke ich der jungen Dame nicht gleich ein richtiges Rentier? Wäre viel einfacher. Meine Güte. Können die Kinder sich nicht einmal etwas wünschen, das nicht so ausgefallen ist?“
    Das Rentier sollte laufen können, also rief Mützel einige Technikerwichtel zu sich. Gemeinsam legten sie einen Plan zurecht, wie der Wunsch am einfachsten und schnellsten zu erfüllen war.


    Siebzehn Tage später waren alle Wünsche fertig gestellt, eingepackt und bereit zur Verteilung. Der außergewöhnliche Wunsch der kleinen Laura wurde gerade hereingebracht. Es war das letzte Geschenk, das noch verpackt werden musste.
    Mützel wollte gerade höchstpersönlich dafür sorgen, dass das kleine Rentier gut verstaut wurde, als jemand seinen Namen rief.
    „Oberwichtel Mützel, ich störe Sie wirklich nur sehr ungern. Aber wir haben ein Problem mit den Geschenken. Könnten Sie bitte kurz in die Scheune kommen?“, fragte ein junger Wichtel, der für den Schlitten zuständig war.
    „Ich bin schon unterwegs“, meinte Mützel und verließ die Werkstatt.


    Nur einen Moment später blickte ein kleines, neugieriges Rentier durch die Tür. Die Werkstatt war leer. Schade eigentlich.
    Aber dann erblickte Flöckchen noch ein anderes Rentier im Raum. Es kam ihm nicht bekannt vor. Gespannt ging er darauf zu und besah es sich von allen Seiten. Merkwürdig, es reagierte ja gar nicht. Flöckchen stupste es vorsichtig an und sprang dann quietschend zurück. Das andere Rentier lief los!
    „Doofes Rentier“, dachte sich Flöckchen und wollte sich nach einem anderen Spielgefährten umsehen, als er Oberwichtel Mützels Stimme hörte.
    Wenn Mützel ihn schon wieder hier erwischte, würde es mächtigen Ärger geben. Schnell sprang Flöckchen in den Karton, der direkt hinter ihm stand, und kauerte sich zusammen. Er verhielt sich ganz still, schließlich wollte er nicht entdeckt werden.


    Mützel betrat wieder die Werkstatt. Das Problem war gelöst und er konnte sich erneut an seine Arbeit machen. Ein Blick in den Karton verriet ihm, dass das Rentier schon darin lag. Also verschloss er den Karton, wickelte eine Schleife darum und brachte ihn zum Schlitten.
    Alles war verstaut – die Bescherung konnte beginnen.


    Bei Laura unter dem Weihnachtsbaum wurden am frühen Abend Weihnachtslieder gesungen. Immer wieder blickte sie auf das große Päckchen, bis ihre Eltern ihr die Erlaubnis gaben, ihre Geschenke zu öffnen.
    Voller Freude riss sie die Verpackung auseinander und erblickte ein kleines Rentier, das sie mit großen Augen anschaute. Laura jubelte und fiel ihren Eltern um den Hals. Und schon im nächsten Moment drückte sie das Rentier an sich.
    Das Rentier allerdings fand diese feste Umarmung überhaupt nicht angenehm. Verängstigt blickte Flöckchen sich um. Wo war er nur gelandet? Durch die leichten Schaukelbewegungen, die der Karton gemacht hatte, war er schnell eingeschlafen und erst hier wieder aufgewacht.


    Plötzlich brach das Jubeln und Lachen ab und bis auf Flöckchen bewegte sich niemand mehr. Es machte einige Mal „Plopp“ und fünf Wichtel aus der Werkstatt tauchten im Wohnzimmer auf. Auch Oberwichtel Mützel war dabei.
    „Bin ich froh, dass wir dich gefunden haben, Flöckchen. Na, komm her, Kleiner!“ Mützel breitete die Arme aus und Flöckchen strampelte sich schnell aus der Umarmung frei. Er rannte zu Mützel, zog allerdings etwas Lametta hinter sich her, was alle Wichtel befürchten ließ, dass der Baum gleich umstürzen würde.
    Aber alles ging gut und so konnten sie behutsam das Plüsch-Rentier in den Armen des Mädchens platzieren. Nach weiteren „Plopps“ verschwanden Flöckchen und die Wichtel wieder ins Weihnachtsland und die Zeit in Lauras Wohnzimmer lief normal weiter, als sei nichts geschehen.


    Flöckchen hatte bei diesem Ausflug etwas gelernt – ab sofort betrat er die Spielzeugwerkstatt nur noch, wenn Mützel ihn dazu aufforderte. Und von Kartons jeglicher Art und Größe hielt er sich ganz und gar fern. Wer wusste schon, wo er das nächste Mal landen würde?


    Patrick erhob sich vorsichtig vom Bett seiner Tochter. Bei seinen letzten Worten war sie eingeschlafen. Er deckte Laura ordentlich zu, gab ihr einen Gute-Nacht-Kuss und wollte gerade das Licht ausschalten, als er sah, wie ihr Plüsch-Rentier ihm zuwinkte.
    Nein, das musste er sich eingebildet haben. So etwas war schließlich nicht möglich.
    Oder?

  • 8. Dezember 2011 von Lotta



    Türkischer Winter


    Sue hat immer gesagt, sie bleibe nicht hier. Das hat sie gesagt, als die Tage kürzer wurden und wir zusammen froren in der Raucherecke der Berufsschule und sie ihren Körper an meinen drängte und alles ganz nah war: ihre klumpige Wimperntusche und ihre Sommersprossen und ihre Augen, grün und groß. Und ich noch dachte: zusammen frieren, das ist das Beste, was mir jemals passieren wird. Mir war noch nicht viel passiert, damals.


    Wenn die Tage kürzer werden, denke ich an Sue. Erst denke ich Wimperntusche, dann denke ich Wimpernschlag und dann denke ich daran, wie ich ihren schmalen, weißen Körper herausschälte aus diesem Wulst aus Winterkleidung, wie wir uns liebten zum ersten Mal und für einen kurzen Augenblick alles möglich war. Ich denke daran, wie ich mein Gesicht vergrub im Weich ihres Schneeflockenkörpers und nicht hören wollte auf ihr eindringliches Flüstern: Ich bleibe nicht hier. Und wie dann ihr Bauch immer weiter wuchs und so rund wurde wie die Welt.


    Wenn es draußen schneit, denke ich an Sue. Sue, die es hasste, zu frieren und die sich ärgerte, wenn der Schnee sich in ihren Wimperntuscheklumpen verfing. Die nie mit mir einen Tannenbaum ausgesucht hat. Die Türkisch lernte, weil es dort weniger Ausnahmen gibt und die auf ihrer Zunge fremde Laute balancierte, die ich nicht verstand. Die sich an die Ägäis träumte und mir erzählte: „Sue bedeutet auf Türkisch Wasser“. „Das ist trotzdem kein türkischer Name“, sagte ich und ärgerte mich über meinen Ärger. Und Sue schwieg und vertiefte sich in ihre Vokabeln und sprach kein Wort über ihren Bauch, der so rund war wie die Welt, die sie vielleicht nie sehen würde.


    Als ich den Tannenbaum aussuche, denke ich nicht an Sue. Ich habe Mitleid mit den kleinen und mickrigen Tannen. Ich habe Schwierigkeiten, den Kinderwagen zu manövrieren durch dieses Dickicht aus Weiß und Grün. Das Baby gurgelt. Es ist sehr klein. Ich denke, dass es viel zu klein ist und versuche, ihm ein Milupa-Gläschen nach dem anderen einzuflößen. Ich denke, dass seine Winterkleidung vielleicht mehr wiegt als das Baby selbst. Wenn sein Gurgeln zum Schluchzen wird, wippe ich den Kinderwagen hin und her. Es kann nicht „Mama“ sagen und nicht „Sue“, aber wenn es weint, dann scheint es mir, als wäre Vorwurf in seiner Stimme, als trüge allein ich die Schuld an seinem Elend.


    Wenn die Tage so kurz sind wie heute und der Schnee in dicken Flocken vom Himmel fällt, stelle ich mir vor, das Baby und ich würden ein Flugzeug nehmen, bis in die Türkei. An der Ägäis würden wir entlang reisen und in allen türkischen Dörfern in allen türkischen Straßencafés nach Sue fragen. Ich würde ein Glas Wasser nach dem anderen trinken, bis sie vor mir stände, den Frühling in den grünen Augen und im roten Haar den Herbst. Und ich würde sie fragen, ob sie noch weiß, wie wir in der Berufsschule Händchen hielten und ich mich spiegelte in ihren großen, runden Augen und die Sommersprossen auf ihrer Nase tanzten wie Schneeflocken. Ob sie noch weiß, wie es war, als alles ganz nah war. Mit keinem Wort würde ich ihren Bauch erwähnen, der immer weiter wuchs und so weiß und glatt war wie ein Mond vor einem Himmel, der immer dunkler wird.


    Natürlich sind wir nicht gereist, das Baby und ich. Wir haben unseren Tannenbaum ausgesucht, der sehr klein und sehr mickrig ist. Das Baby gurgelt und verschmäht Milupa-Gläschen und ich schmücke den Baum mit Schneekugeln, die im Licht der Kerzen glitzern. Ich denke daran, wie ich Sues weißen Körper aus diesem Wulst aus Winterkleidung herausschälte und daran, wie sie später neben mir lag, zitternd und rastlos wie ein unerfüllter Wunsch.


    Ich sage zu meinem Baby, das Berfin heißt, dass alles gut wird. Denn wir haben es doch von Anfang an gewusst. Mama hat immer gesagt, sie bleibe nicht hier.

  • 9. Dezember 2011 von polli



    Fröhliche Weihnacht


    Alle Jahre wieder warten wir aufs Weihnachtsfest, backen Plätzchen, kaufen Geschenke, stellen Engelchen und Kerzen auf. Wunderbar soll es werden, mindestens.


    Das hatte sich auch die Familie Rabe vorgenommen. Mama, Papa und Lea saßen am Esstisch, der kleine Jan spielte auf der Krabbeldecke mit seinen Autos. Mama und Papa malten sich das Fest in den schönsten Farben aus. Sie hatten längst die Großeltern eingeladen und die Uroma, auch die Schwägerin mit ihrem neuen Mann und den erwachsenen Söhnen. Papa faltete den Brief der Uroma auseinander und las daraus vor: „... viele Grüße an mein Urenkelkind Lea. Ich freue mich sehr über eure Ankündigung, dass sie ein kleines Weihnachtskonzert geben wird.“
    „Hausmusik wird heutzutage viel zu selten gespielt. Familien sollten sich mehr auf Tradition besinnen. Lieder singen, Musizieren, üben, das kommt heutzutage einfach zu kurz“, sagte Papa.
    „Bei uns ist das Gottseidank anders“, sagte Mama. „Wir haben schließlich unsere Lea.“
    Lea sagte nichts.
    „Welche Lieder willst du denn vorspielen?“
    Stille.
    „O Tannenbaum spielst du doch so gern. Und Schneeflöckchen, Weißröckchen.“
    Stille.
    „Alle werden sich sehr freuen, wenn du am Weihnachtsbaum stehst und auf der Flöte spielst,“ sagte Mama. „Schatz, schlag uns doch einfach ein paar Lieder vor.“
    Lea schwieg weiter.
    „Liebes, du willst doch auch, dass es ein schönes Fest wird. Du bist doch schon groß und vernünftig!“
    „Nö“, sagte das Mädchen und verzog sich unter den Esstisch.
    Ratlos sahen sich Mama und Papa an. Streng durchgreifen? Liebevolle Geduld? Überreden?
    „Schatz,“ sagte Mama laut, „du willst Uromi doch nicht traurig machen! Welche Lieder möchtest du ihr denn gern vorspielen?“
    Stille.
    „Wenigstens drei kleine Lieder, bitte. Ihr Kinderlein kommet, das kennt schon der Jan.“
    Lea streckte ihrem kleinen Bruder die Zunge heraus und murmelte etwas, das ziemlich genau wie das Wort klang, das mit A anfängt und mit -och aufhört. Ich meine jetzt nicht Aschermittwoch.
    Die Eltern verständigten sich mit Blicken. Konsequent sein, nichts durchgehen lassen.
    „Jetzt ist gleich Schluss!“, sagte der Vater. „Du setzt dich sofort auf deinen Platz und wir geben dir eine letzte Chance, sonst - “
    Lea wartete gespannt.
    Als das Warten langweilig wurde, erhob sich Mama mit einem Seufzen. „Wir reden morgen weiter. Die Mama ist jetzt traurig. Es liegt an dir, dass es ein schönes Weihnachtsfest wird, ganz allein an dir.“
    Lea knabberte an ihren Fingernägeln. Das machte sie immer, wenn sie nicht weiter wusste. Auch in der Flötenstunde. Von den Kindern in ihrer Gruppe waren die Zwillinge am schlimmsten. Ihre Blockflöten quietschten bei jedem Ton, weil die beiden drauflos pusteten, bis die Ohren schmerzten.
    Die Lieder klangen auf der Flöte überhaupt nicht so, wie man sie singen musste. Nicht einmal, wenn sie zu Hause übte. Immer klangen die hohen Töne quiekig. Mit Mama konnte sie darüber nicht reden. Sie lobte Lea jedes Mal, wenn sie nach den Hausaufgaben ihre Lieder spielte, und hörte anscheinend gar nicht, wenn die Töne schief klangen. Sie bemerkte noch nicht einmal, dass ihre Tochter manchmal absichtlich ein f wegließ und statt dessen ein fis in „Lasst uns froh und munter sein“ hineinmogelte.
    Vorspielen. Auf der doofen Quiekflöte. Doof, doof, doof.


    In den Weihnachtsmärchen erscheint, wenn alles hoffnungslos verfahren ist, ein rettender Engel. So war es hier zum Glück auch. Natürlich war es kein richtiger Engel, sondern der Opa, der am nächsten Tag bei Familie Rabe auftauchte. Und wie immer ließ er sich von Lea und Jan zuerst ins Kinderzimmer ziehen und er musste versprechen, gaaaanz lange zu bleiben.
    Er setzte sich auf den Spielteppich und musterte seine Enkelin, die heute irgendwie schweigsamer war als sonst.
    „Alles ok?“, fragte er vorsichtig.
    Lea runzelte die Stirn.
    „Verstehe“, sagte er. Dann stand er auf, nahm Jan an die Hand und brachte ihn in die Küche.
    „Ich brauche ein bisschen Zeit für Lea allein“, sagte er zu Mama und Papa.
    Mama seufzte. „Sie ist so schwierig, seit sie im dritten Schuljahr ist, so störrisch. Wenn ich nur wüsste, was wir dagegen tun können.“
    „Du lässt zu viel durchgehen, hast zu viel Verständnis. Jeden Tag eine Stunde üben, fertig. Am Weihnachtstag wird vorgespielt. O du Fröhliche, Herbei o ihr Gläubigen, Tochter Zion. Klare Ansage, so muss Erziehung aussehen“, sagte Papa.
    Opa verließ die Küche.


    Im Kinderzimmer nahm er seinen Platz auf dem Spielteppich ein und widmete sich Jans Holztraktor. Die Räder quietschten, das musste er bei Gelegenheit in Ordnung bringen. Lea hielt sich die Ohren zu. „Quiek, quiek“, sagte sie zornig.
    „Nervig?“, fragte Opa.
    „Ja, alles. Total!“ Und dann begann Lea zu erzählen. Von den doofen Quiekflöten. Und den Zwillingen. Und den dummen Weihnachtsliedern.
    „Hast du denn überhaupt Lust, welche vorzuspielen?“, fragte Opa.
    „Nein!“, rief Lea. „Total nicht!“
    „Dann ist ja alles klar“, sagte Opa.
    „Eben nicht. Wenn ich nicht vorspiele, sind alle traurig und es ist meine Schuld, dass es dieses Mal ein blödes Weihnachtsfest wird. Und wenn ich vorspiele, halten sich alle die Ohren zu, weil es sich so quietschig anhört. Außer Mama. Die findet immer nur toll, was ich spiele.“
    „Hm“, sagte Opa.
    Das war ein gutes Zeichen. Wenn Opa „hm“ sagte, dachte er nach und ein paar Minuten später hatte er dann eine tolle Idee.


    So war es dieses Mal auch. Ich verrate jetzt nicht, was Opa und Lea miteinander besprachen. Durch die Kinderzimmertür hörte man die beiden nach einer Weile lachen und leise ein paar Lieder summen. „Rocking around the christmas tree“ war dabei und „Let it snow“, aber Mama, die im Flur stand und horchte, kannte sich mit den Liedern nicht so aus und deshalb wusste sie nicht, was das alles zu bedeuten hatte. Immerhin hatten Opa und Lea gute Laune.
    Als Opa später ohne Lea in die Küche kam und Jan mit Schwung auf seine Schultern setzte, fragte Mama nach. „Hast du mit dem Kind gesprochen?“
    „Habe ich.“
    „Und?“
    „Wart's ab.“
    Opa konnte unausstehlich verschwiegen sein.
    „Habt ihr auch über die Weihnachtslieder gesprochen?“
    Mama konnte unausstehlich neugierig sein.
    „Auch. Wart's ab. - Ach ja, schick mir Lea mal in den nächsten Tagen vorbei. Wir haben etwas zu erledigen.“
    Vermutlich eine neue Bastelaktion im Hobbykeller. Mama fragte nicht weiter. Sie lächelte ein wenig, als sie an Lea dachte. Die beiden waren einander ähnlich, sie liebten Musik und summten stundenlang Ohrwürmer vor sich hin. Vielleicht wurde es doch noch ein schönes Weihnachtsfest.


    Jeden Dienstag und Freitag ging Lea nun direkt nach der Schule zu ihren Großeltern. Sie aß dort zu Mittag, erledigte ihre Hausaufgaben und verschwand dann in Opas Hobbykeller. Anfangs wollte Mama beim Abholen wissen: „Na, was habt ihr denn Schönes gemacht?“
    Lea, Opa und Oma antworteten jedesmal das Gleiche: „Och, nichts Besonderes.“
    An den anderen Tagen übte Lea ohne Aufforderung auf der Blockflöte, las ein wenig und wenn sie Lust hatte, spielte sie sogar ohne gleich auszurasten mit Jan. Mama und Papa nickten sich zu. Alles in Ordnung.


    Vom Heiligabend gibt es nichts Außergewöhnliches zu berichten. Aber am ersten Weihnachtstag war Familie Rabe sehr beschäftigt und sehr nervös. Das Festmahl für den Abend zubereiten, die Weihnachtsbäckerei für die Kaffeetafel am Nachmittag, die Wohnung aufräumen, schnell noch putzen, damit verbrachten Papa und Mama eine Menge Zeit und darüber wurden sie ganz hektisch. Lea und Jan verzogen sich ins Kinderzimmer. Dann trafen die Gäste ein. Alle Omas und Opas, die Uroma und die anderen Gäste. Lea ließ die Begrüßung über sich ergehen. Jan schrie. Er mochte keine fremden Leute. Mama nahm ihn auf den Arm, Papa bat den Besuch ins Wohnzimmer. Das Kaffeetrinken und Weihnachtstortenessen begann. Opa zwinkerte Lea zu. Sie zwang sich, ein Stück ihrer Lieblingstorte zu essen. Mama hatte sie mit kleinen Schoko-Rentieren verziert, die so aussahen wie Rudolph the rednosed reindeer. Dieses Lied hatte sie im Englischunterricht gelernt und summte es nun mit vollem Mund. Papa warf ihr einen strengen Blick zu. Noch wenige Minuten.


    Als niemand mehr eine weitere Tasse Kaffee oder ein weiteres Kuchenstück mehr wollte, erhob sich Papa. „Meine Lieben“, sagte er, „es ist schön, dass wir alle hier versammelt sind. Später ist genügend Zeit für Gespräche, aber nun möchte ich um Ruhe bitten. Lea lernt, wie ihr sicher wisst, seit einiger Zeit Blockflöte. Sie wird uns ein paar Weihnachtslieder vorspielen. Kind, hol bitte dein Instrument.“
    Lea rührte sich nicht.
    „Hörst du? Du sollst BITTE deine Flöte holen.“
    Die Verwandten waren still geworden. Lea blieb sitzen und sah Opa an. Der lächelte ihr aufmunternd zu, dann stand er auf.
    „Wenn ich mich kurz einmischen darf ...“
    „Jetzt nicht!“, rief Papa streng. „Sie soll endlich ihre Flöte holen.“
    Lea ließ Opa nicht aus den Augen. Er lächelte immer noch, dann sagte er:
    „Bevor wir Zeugen einer unweihnachtlichen Auseinandersetzung werden, darf ich euch eine Überraschung ankündigen. Lea und ich werden gemeinsam Weihnachtslieder vortragen und wenn ihr Lust habt, dürft ihr mitsingen! Mein Mädchen, bist du bereit?“
    Ja, Lea war bereit. Sie sprang auf, warf beinahe ihren Stuhl um und nahm ihren Platz an Opas Seite ein. Er lachte und sagte: „Verehrtes Publikum, ich hole eben unsere Instrumente von nebenan und dann beginnt unsere Weihnachtsshow. Applaus bitte!“
    Jetzt konnte nichts mehr schiefgehen. Alle klatschten, sogar Papa. Opa kam herein, er hatte ein rotes Nikolausgewand an und eine Kapuze auf dem Kopf. In der Hand hatte er zwei Ukulelen, eine dunkle für sich und die andere in rosa. Lea hatte sie selbst in Opas Hobbykeller bemalt. „C-Dur“, flüsterte er, „und wenn ich nicke, wechselst du zu F-Dur. Wenn ich zur anderen Seite nicke, nimmst du G-Dur. Ok?“
    Ja, ok. Sie sangen „Am Weihnachtsbaume die Lichter brennen“ und „Schneeflöckchen, Weißröckchen“ und dann noch ganz viele andere Lieder. Die Saiten der Ukulelen waren neu, sie klangen genau so, wie sie klingen mussten, hell und rein. „Wunderschön“, sagte die Uroma gerührt. „Spielt bitte noch mehr!“
    „Ja, bitte!“, rief Mama, und dann riefen alle: „Zugabe, Zugabe!“ Es war wie im Fernsehen. Nein, viel besser. Bei „Stille Nacht“ sang sogar Mama ein wenig schief mit. Es klang so, als ob sie anstatt f absichtlich ein fis hineinmogelte.


    Ach ja, wie viele verschiedene Lieder kommen eigentlich in meiner Geschichte vor?

  • 10. Dezember 2011 von Glass



    Geschenke


    „Bis später dann“, rief Mama, während sie nach draußen ging, „Tschüss“, sagte Papa und ließ die Tür hinter sich zufallen. Für einen kurzen Augenblick war alles still. Dann begannen Nina und Theo wild durcheinander zu reden.
    „Lass uns erstmal auf dem Dachboden gucken.“
    „Quatsch, da waren die Geschenke letztes Jahr, sie haben sie noch nie zwei Jahre hintereinander am gleichen Ort versteckt.“
    „Ok, dann im Vorratskeller, da waren sie vorletztes Jahr.“
    „Vielleicht haben sie sich aber auch was ganz Neues ausgedacht...wo die Geschenke noch nie waren.“
    „Und wo sollte das deiner Meinung nach sein?“
    Martha, die nichts gesagt, sondern nur von ihrem älteren Bruder zu ihrer großen Schwester geblickt hatte, während sie diskutierten, wandte sich nun ab und lief schnurstracks zu der kleinen Kommode im Flur, auf der das Telefon stand, öffnete beide Türen, und begann, darin herumzuwühlen.
    „Martha, was machst du da?“, fragte Nina.
    „Vielleicht sind die Geschenke ja hier drin“, sagte Martha, „zumindest mein Handy.“
    „Du bekommst doch sowieso kein Handy“, stichelte Theo, „Papa hat gesagt, du bist zu klein, außerdem wäre das total unfair, ich hab meins letztes Jahr bekommen, da war ich 12. Du bist erst acht!“
    „Na und“, gab Martha zurück, „Mama hat selbst gesagt, alle Kinder kriegen jetzt schon früher Handys, also ich vielleicht auch.“
    „Blödsinn“, meinte Theo, aber Nina zuckte nur mit den Schultern. Sie konnte sich auch nicht vorstellen, dass Martha ein Handy kriegen würde, aber das spielte jetzt keine Rolle „Ich glaube nicht, dass in dem Schrank was drin ist, das wäre viel zu offensichtlich“, sagte sie. „Wir sollten uns aufteilen: Theo, du suchst im Keller, und ich gehe mit Nina auf den Dachboden. Da gibt es noch ein paar Ecken, wo die Geschenke noch nie waren. Und in den beiden unaufgeräumten Kammern im dritten Stock sollten wir auch mal nachsehen.“
    Also liefen sie los: Theo schwang sich auf das Treppengeländer und rutschte die Kellertreppe hinab, Nina und Martha stiegen die Treppen zum Dachboden hinauf, der im vierten Stock des Hauses lag. Es war schon dunkel, draußen schuhute eine Eule und im Licht der Straßenlaternen konnte man die Schneeflocken fallen sehen. Seit drei Tagen schneite es fast ununterbrochen. Nina hoffte, dass es weiße Weihnachten geben würde. Eine Woche war es noch bis dahin. Und was für sie wohl unter dem Weihnachtsbaum liegen würde? Sie hatte sich gewünscht, im nächsten Sommer eine Sprachreise mit Anna, ihrer besten Freundin, machen zu dürfen, aber ihre Eltern waren sich nicht sicher gewesen, ob sie mit 16 Jahren alt genug waren, ohne Erwachsene zu reisen...aber wer weiß, dachte Nina, vielleicht würden sie gleich irgendwo einen Gutschein für eine Reise zwischen all dem Gerümpel, was sich in dem großen Haus angesammelt hatte, finden. In den letzten Jahren, war es ihr und ihren Geschwistern fast immer gelungen, die Geschenke vor Weihnachten zu entdecken – und kein einziges Mal hatten es ihre Eltern bisher mitbekommen. Darin, am Weihnachtsabend trotzdem ein überraschtes Gesicht zu machen, waren sie inzwischen geübt.
    Martha war vor Nina die Treppe hochgerannt und schob jetzt die Tür zum Dachboden auf. Ein muffiger Geruch schlug ihnen entgegen, und es war kalt. Sie hatten Hausschuhe an, trotzdem fröstelten sie. „Guck mal in dem alten Schrank da drüben“, sagte Nina, „da waren die Geschenke zwar letztes Jahr, aber man kann ja nie wissen.“ Sie selbst ging zur anderen Ecke des großen Raumes. Hier standen jede Menge Kisten, die hauptsächlich alte Bücher und ausrangiertes Spielzeug enthielten. Nina öffnete nach und nach alle Kisten, sah ein paar Bücher an, fand einen ihrer alten Teddys, der ziemlich gammlig roch und gab die Kisten schließlich auf. Sie ging weiter, in der Ecke standen noch mehr Schränke. Martha summte und als Nina einen Blick zu ihr warf, sah sie, dass ihre kleine Schwester in ihrem Schrank eine kaputte Puppe entdeckt hatte, mit der sie jetzt spielte.
    Auf der Treppe hörte sie Fußgetrappel und Theo betrat den Dachboden. „Unten war nix“, sagte er keuchend.
    „Hast du echt überall nachgeschaut?“, fragte Nina. Sie konnte sich das, in Anbetracht des großen Kellers und der kurzen Zeit, kaum vorstellen.
    „Jaaah“, sagte Theo und rollte mit den Augen. „Der Keller ist doch viel übersichtlicher als das hier oben.“ Damit ging er zu einem der Schränke und machte sich dort auf die Suche.
    Nina nahm sich den Schrank neben dem Theos vor. Sie konnte sich daran erinnern, dass er letztes Jahr voll gestopft gewesen war mit alten Klamotten ihrer Mutter, aber da Mama vor ein paar Monaten erzählt hatte, dass sie die Kleider zur Kleiderspende geben wollte, könnte der Schrank jetzt ein guter Ort zur Aufbewahrung der Weihnachtsgeschenke sein. Als Nina ihn öffnete, bekam sie jedoch außer ein paar Staubfusseln nichts zu sehen.
    Sie wollte den Schrank gerade schließen, als Theo, der sich von seinem Schrank abgewandt hatte und nun hinter ihr stand, sagte: „Stopp mal.“ Er trat näher an den Schrank heran, und wackelte sacht an der Rückwand des unteren Fachs. Auch Nina sah nun, dass sie eine andere Farbe hatte als die restlichen Rückwände, sie war heller und sah bei näherem Betrachten nicht mal aus wie Holz, die Oberfläche wirkte eher wie aus Papier. Theo wackelte nochmal, und die Wand krachte herunter. Er ging um den Schrank herum, steckte seine Hand hinter ihn, und zog die heruntergefallene Wand hervor.
    Sie war recheckig und flach, einen Meter lang und einen halben Meter breit. Braunes Papier umhüllte sie. „Lass es uns auspacken“, sagte Nina.
    Die beiden ließen sich auf den Boden sinken und Theo entfernte behutsam das Papier, das mit braunen Schnüren befestigt war. Martha ließ im anderen Teil des Raumes von ihrer Puppe ab und kam zu den Geschwistern. Sie quetschte sich auf Ninas Schoß und sah gespannt zu, während Theo mehrere Schichten braunen Papiers entfernte. Ein Rahmen und die Rückseite eines Bildes kamen schließlich zum Vorschein. Theo drehte es um.
    Sie blickten auf ein Gemälde. Ein Schloss war darauf zu sehen, dessen viele kleinen und großen Zinnen und Türmchen unter dem vollen Mond gut zu erkennen waren. Aus den meisten Fenstern drang Licht und das Schloss erstrahlte in einem festlichen Glanz: an den Mauern und Fenstern, am Geländer der Treppe, die zu einem großen Tor hinaufführte, über dem Tor und entlang des Weges zum Tor, sahen sie Tannenzweige, kleinere und größere Bäume, geschmückt mit bunten Kugeln, Lametta und goldenen Sternen. Ein sanftes Schimmern umhüllte die gesamte Szene denn kleine Lichter – Kerzen, so schien es - leuchteten an den Bäumen und an dem Tannenschmuck.
    „Wow“, flüsterte Martha, „das sieht aus wie im Märchen.“ Auch Nina und Theo saßen erstaunt und wie gebannt vor dem Bild und betrachteten es schweigend. Je länger sie das Bild betrachteten, desto mehr Kleinigkeiten, die sie vorher übersehen hatten, fielen ihnen auf. In den Fenstern sah Theo Kerzen brennen, durch eines ließ sich sogar eine prächtig gedeckte Weihnachtstafel erkennen. In einem anderen sah Martha einen Weihnachtsbaum, unter dem Geschenke lagen. Auf einem der Bäume draußen erkannte Nina eine Eule, deren glänzende Augen die Betrachter des Bildes ins Visier nahmen.
    Martha krabbelte nun vom Schoß ihrer Schwester, kroch näher an das Bild heran, bis sie mit der Nase fast die Leinwand berührte. Sie streckte die Hand aus und –
    Theo und Nina schnappten nach Luft, Theo sprang auf. „Martha“, rief er, „Martha?“ Er hob das Bild hoch, schaute darunter und legte es wieder hin. „Was ist passiert?“, fragte er und starrte Nina an.
    „Keine Ahnung“, antwortete Nina. Sie atmete durch. Sie könnte jetzt auch aufspringen und Martha hinter den Schränken suchen, durchs ganze Haus laufen, aber im Grund hatten sie beide gesehen was passiert war. „Martha hat das Gemälde angefasst und dann war sie weg“, flüsterte sie.
    „Ich hab es gerade auch angefasst“, sagte Theo.
    „Nur am Rahmen. Nicht dort wo die Farbe ist.“ Theo und Nina schauten sich an. Sie ließen ihre Blicke auf das Gemälde senken. „Sieh mal“, flüsterte Nina, „da, auf der Treppe.“ Theo ließ seinen Blick zum Schlosseingang wandern und sah, was Nina meinte. Eine kleine Gestalt, die vorher noch nicht da gewesen war, lief die Treppe zum Schloss hinauf. Obwohl sie sie nur von hinten sahen, bestand kein Zweifel daran: Es war Martha.
    „Was machen wir jetzt?“, fragte Theo und suchte den Blick seiner Schwester. Nina grinste. „Na, was denkst du wohl.“ Sie streckte die Hand aus, bis sie ganz dicht über dem Bild schwebte. Theo tat es ihr gleich. „Bei drei“, sagte Nina. „Eins. Zwei. DREI.“
    Ihnen wurde kurz Schwarz vor Augen. Nach einigen Momenten erkannten sie Umrisse, dann gewöhnten sich ihre Augen an die veränderten Lichtverhältnisse und sie sahen den erleuchteten Pfad vor sich, der zum Schloss führte. Ihre Blicke fielen auf die Schlosstreppe, doch von Martha war nichts zu sehen.
    „Meinst du...“, fragte Theo. „Ja“, sagte Nina, „bestimmt ist sie reingegangen. Du hast doch gehört, was sie gesagt hat. Wie im Märchen...das will sie sich bestimmt nicht entgehen lassen.“
    Sie gingen auf das Schloss zu, blickten immer wieder nach links und rechts, um den prachtvollen Weihnachtsschmuck zu begutachten, der jetzt, aus der Nähe, noch viel besser zu erkennen war. Nicht nur Weihnachtskugeln und Sterne hingen an dem Baum, sondern auch kleine Engel, hölzerne Pferdchen und bunte, glitzernde Bänder. Trotzdem liefen sie zügig voran, die Treppe hinauf und schlüpften durch das halb geöffnete Schlosstor in das Schloss hinein.
    „Wow“, sagte Theo. Sie blickten in eine Halle, groß wie eine Kirche. Ein roter Teppich erstreckte sich über die gesamte Fläche des Raumes und in der Mitte stand ein riesiger Weihnachtsbaum. Berge von Geschenken lagen um ihn herum und davor, eines von den Geschenken in der Hand und dabei, es auszupacken, saß Martha.

  • Nina hörte über sich ein Geräusch und blickte nach oben. Eine Eule – dass muss die sein, die wir auf dem Bild gesehen haben, schoss es Nina durch den Kopf - flog durch das Tor, schwebte elegant durch den Raum und ließ sich auf einem der Äste des gewaltigen Weihnachtsbaumes, die so dick waren, dass er ihr Gewicht mühelos tragen konnte, nieder. Theo und Nina gingen auf den Weihnachtsbaum zu, und erst, als sie nur noch ein paar Meter vor ihr entfernt waren, bemerkte Martha die Geschwister.
    „Guckt mal“, rief sie aufgeregt und ohne nur ein wenig überrascht davon zu sein, die beiden zu sehen. Sie hielt triumphierend etwas in die Luft. „Ein Handy!“
    „Nah wunderbar“, sagte Nina. Sie blickte sich neugierig um, starrte zu der Eule hinauf und dann auf die Masse der Geschenke. Auch Theo hatte nun eines davon ausgepackt und fand darin seinen Weihnachtswunsch, ein neues Computerspiel. Schließlich ließ auch Nina sich auf den Boden fallen und griff sich das Geschenk, das ihr am nächsten lag. Es war ein Umschlag, und schon bevor sie ihn aufriss, ahnte Nina, was sie darin finden würde: einen Gutschein für eine Sprachreise in England, drei Wochen lang, im nächsten Sommer. Nina sah sich um, blickte ihre Geschwister an, die nun weitere Geschenke auspackten und offenbar in jedem etwas fanden, worüber sie sich freuten. Nina tat es ihnen gleich, nahm noch ein Paket und fand darin neue Inline-Skates. – Ihre alten waren im Sommer kaputt gegangen. Im nächsten Päckchen steckte eine goldene Kette, die sie vor ein paar Wochen in einem Schaufenster entdeckt hatte, die aber zu teuer gewesen war, um sie zu kaufen. Danach fand sie die neuste CD ihrer Lieblingsband. Nina packte ein Geschenk nach dem anderen aus. In manchen befanden sich Dinge, an die sie schon oft gedacht und die sie sich seit langem gewünscht hatte, bei anderen war sie freudig überrascht, weil sie das, was sie darin entdeckte, irgendwann einmal gesehen, es schön gefunden, aber wieder vergessen hatte. Sie vergaß die Zeit, wie auch ihre Geschwister, und alle drei befreiten Geschenk um Geschenk von ihren bunten Verpackungen, ohne das der Berg der Päckchen kleiner wurde.
    Irgendwann hörten sie neben sich ein Rascheln und blickten auf. Die Eule war auf einem der weiter unten hängenden Äste gelandet. Sie schuhute leise. „Na, macht es Spaß?“, fragte sie. Keines der Kinder war wirklich überrascht – sie waren schließlich vor kurzem erst in ein Bild gestürzt und sahen jetzt all ihre Wünsche erfüllt, wie konnte eine sprechende Eule sie da schockieren? – doch sie blickten nur widerstrebend auf von ihren neu gewonnenen Schätzen, und all den Geschenken, die noch darauf warteten, ausgepackt zu werden. „Kommt mit“, sagte die Eule leise“, ich muss euch etwas zeigen.
    Sie spürten den Widerwillen, als sie aufstanden und der Eule folgten, doch gleichzeitig konnten sie nicht anders. Es war, als würde eine Anziehung wie von einem Magneten von der Eule ausgehen und so folgten sie ihr, weg von den Geschenken, durch den großen Raum bis zu einer großen Tür am hinteren Ende der Halle. Sie stand offen und die Eule flog ihnen voran hindurch.
    „`ne Bibliothek?“, entfuhr es Theo, als sie den Raum betraten, der ebenso groß war, wie der vorherige. Enttäuschung lag in seiner Stimme. Dafür hatte er die Geschenke verlassen müssen? Auch Nina konnte bei dem Anblicken tausender Bücher, die sich in hohen Regalen im ganzen Raum bis zur Decke stapelten, nicht recht freuen. Martha sah aus, als wüsste sie gar nicht, wie sie hergekommen war, sie blickte sich verwirrt um.
    „Schade, dass es euch nicht gefällt“, schuhute die Eule, die vor ihnen in einem Fach des nächstgelegenen Regals gelandet war, „andere Leute, die ich hierherbringe, sind begeistert.“
    „Die müssen ziemlich komisch sein“, murrte Theo und zog skeptisch eines der Bücher aus dem Regal.
    „Nun ja“, meinte die Eule, „andere Leute mögen eben Bücher.“ Sie schien einen kurzen Moment zu überlegen, ob sie weitersprechen sollte, hielt zögernd den Kopf etwas schräg und fuhr schließlich fort, „sogar so sehr, dass sie sich in Internetforen treffen, um darüber zu reden.“
    Theo starrte sie verständnislos an und Nina konnte das gut nachvollziehen. „Was sollen wir denn hier überhaupt? Zwischen all den Büchern?“, fragte sie geradeheraus.
    Die Eule seufzte leise. „Na gut, dann eben keine Bücher. Ich dachte ja nur, meine Sammlung würde euch vielleicht gefallen. Aber eigentlich hätte ich es ja wissen müssen. Als ihr eure Geschenke ausgepackt habt, war schließlich kein einziges Buch darunter.“
    Als die Kinder sie immernoch anstarrten ohne etwas zu sagen, sprach die Eule weiter: „Ich besitze Weisheit. Nicht nur weil ich lese...sondern auch, weil das sozusagen eine Eigenschaft meiner Art ist.“ Bei diesen Worten schien sie ihnen zuzuzwinkern, beinahe verschmitzt schaute sie die Geschwister an.
    „Und...nun willst du uns was beibringen oder wie? Mit diesen Büchern?“, fragte Theo, dessen schlimmste Albträume wahr zu werden schienen. Martha sagte immernoch nichts, stand nur herum und warf ab und zu einen sehnsüchtigen Blick durch die Tür zu dem Weihnachtsbaum und dem Geschenkeberg darunter.
    „Nein, nein“, sagte die Eule, „diese Bücher sind eigentlich nur eine Spielerei von mir, ich kann bloß immer nicht anders, als sie den Leuten zu zeigen, und wirklich, manche freuen sich über sie ebensosehr wie über die Geschenke unter dem Baum.“
    „Immer?“, fragte Nina, „wie oft kommen denn Leute hierher?“
    „Nun“, sagte die Eule, „in letzter Zeit nicht sehr oft. Aber was ist schon Zeit – für mich vergeht sie anders als für euch. Und ich habe ja meine Bücher, mir wird hier nicht langweilig.“
    „Und all diese Leute finden Geschenke, die ihnen gefallen, unter diesem Baum?“, fragte Theo stirnrunzelnd.
    „Ja, alle“, antwortete die Eule, „und alle sind ganz unglücklich, wenn ich sie zwinge, den Baum zu verlassen.“
    „Na klar, die Geschenke sind schon ziemlich cool“, antwortete Nina, und warf jetzt auch einen Blick zurück in den Nachbarraum.
    „Warum zwingst du die Leute, von dem Baum wegzugehen“, fragte Theo.
    „Nun“, sagte die Eule, „manche Leute müssen nicht gezwungen werden, ihnen wird irgendwann langweilig. Aber das sind die wenigsten. Die anderen...muss ich an etwas erinnern.“
    „An was denn?“, fragte Nina.
    Die Eule schien zu lächeln. „Warum seid ihr hier?“, fragte sie. Nina kam diese Frage seltsam vor. So philosophisch irgendwie. Was hatte diese Eule im Sinn?
    „Naja...Martha ist in dieses Bild gefallen“, sagte Theo langsam, „und wir konnten ja nicht nichts machen. Wir mussten doch nachsehen, ob es ihr gut geht.“
    Er sah zu Martha hinüber, die dem Gespräch jetzt aufmerksamer folgte und die zwischen ihren Geschwistern hin und herblickte.
    „Ja genau“, pflichtete Nina ihrem Bruder bei.
    „Und du, Martha, warum bist du hier?“, fragte die Eule. Martha überlegte kurz. Dann schien ihr etwas einzufallen. „Ich fand dieses Bild so toll“, sagte sie „weil ich daran dachte, wie schön das wäre, dort mit Mama und Papa und Nina und Theo Weihnachten zu feiern, in diesem Schloss. Deswegen wollte ich ganz nah ran an das Bild, um mir das noch besser vorstellen zu können.“
    Nun war Nina sich sicher, dass die Eule lächelte, was sehr merkwürdig aussah, fast so wie bei der Grinsekatze in „Alice im Wunderland.“
    „Also“, sagte sie, „willst du uns damit sagen, dass wir ja gar nicht wegen der Geschenke hier sind? Sondern wegen...“
    „Der Familie“, sagte Theo und rollte die Augen.
    Jetzt begann die Eule freudig herumzuhüpfen. „Vollkommen richtig“, rief sie ausgelassen.
    Theo schien nicht beeindruckt. „Klar ist die Familie wichtig, aber das heißt ja nicht, dass man seine Geschenke nicht genießen kann“, sagte er trotzig, „und was soll das überhaupt, du schleifst Leute in ein altes Bild, um ihnen eine Lektion zu erteilen darüber, wozu Weihnachten gut ist?“
    Die Eule hatte aufgehört rumzuhüpfen und sah Theo aufmerksam an. „Du gefällst mir“, sagte sie dann schmunzelnd, „kein Wunder, dass du es warst, der das Bild gefunden hat. Aber dein Einwand ändert nichts daran, dass manche Menschen daran erinnert werden müssen, was Priorität hat. Und ja, dazu dient dieses kleine Abenteuer in meinem Bild.“
    Theo gingen noch tausend Fragen durch den Kopf: Wie das funktionierte, dass Leute in einem Bild landen konnten, welche Leute vorher schon bei der Eule gewesen waren, und ob das Bild schon immer auf ihrem Dachboden gewesen war. Doch Nina, die ein schlechtes Gewissen hatte bei dem Gedanken, wie sehr sie sich auf die Geschenke gestürzt hatte, wie sie die Zeit vergessen hatte und keinen Gedanken daran verschwendet, wie sie zurückkamen zu ihren Eltern, zu Oma und Opa, zu Anna und all den Menschen die ihr wichtig waren, kam ihm zuvor: „Wie kommen wir jetzt wieder hier weg?“
    Die Eule lächelte. „Ganz einfach“, sagte sie, „ihr müsst es euch einfach nur wünschen. Eure Familie und euer zu Hause muss wichtiger werden als dieser ganze Plunder unter dem Weihnachtsbaum.“
    Die Geschwister sahen sich an. Nina dachte an ihr Zimmer zu Hause, ihr kuschliges Bett, fernsehen mit Mama und Papa, vor allem spät abends, wenn ihre Geschwister schon im Bett waren...Theo fiel ein, dass Papa und er geplant hatten, nächste Woche Ski fahren zu gehen...und Martha erinnerte sich an den Plätzchenduft, der seit dem Anfang der Adventszeit das Haus durchströmte und an Mama, der sie schon ein paar mal hatte helfen dürfen beim Backen und die versprochen hatte, dass sie morgen zusammen Marthas Lieblingsplätzchen machen würden.
    Im nächsten Augenblick sahen die drei sich verwirrt um. Sie standen wieder auf dem Dachboden ihres Hauses. Alles sah genauso aus wie in dem Moment, als sie es verlassen hatte, nur das Bild mit dem Schloss und der Eule fehlte. Reste des braunen Papiers und der Schnüre, die es zusammengehalten hatten, lagen noch herum „Abgefahren“, flüsterte Theo. Martha lächelte und kuschelte sich an Nina, die erleichtert aufatmete beim Anblick der vertrauten Umgebung. „Lasst uns runtergehen“, sagte sie.
    Während sie die Treppe hinabstiegen, hörten sie, wie der Schlüssel im Schloss der Haustür herumgedreht wurde. „Wir sind wieder zu Hause“, rief Papa. Die Kinder hüpften fröhlich die letzten Stufen herunter und Martha warf sich in Mamas Arme, während Nina und Theo Papa anlächelten. „Was ist denn mit euch los“, fragte der, „habt ihr eure Geschenke dieses Jahr etwa früher gefunden als sonst?“
    Halb überrascht, halb belustigt drehte Mama sich zu Papa um. „Ich dachte, wir tun wie immer so, als wüssten wir nichts.“ Papa zuckte die Achseln und grinste, während Theo, Martha und Nina sich entsetzt anstarrten. „Alles könnt ihr ja nicht gefunden haben, wir haben ein paar Sachen noch nicht gekauft“, sagte er schmunzelnd, „gibt’s noch unerfüllte Wünsche?“
    „Eine Büchereule!“, sagte Martha prompt, während Theo und Nina sich von ihrer Überraschung erholten.
    Stirnrunzelnd fragte Mama: „Was ist eine Büchereule?“
    Martha überlegte kurz, dann antwortete sie: „Eine Büchereule...die mag Bücher und ist nett und schlau...“
    “Aber auch ein wenig besserwisserisch und belehrend“, warf Theo ein, der seine Sprache wiedergefunden hatte.
    „Auf jeden Fall kann man viel von ihr lernen“, schloss Nina grinsend.
    „Na dann“, sagte Papa lachend und etwas verwirrt, „ich glaube, ihr müsst uns ein bisschen mehr von dieser Büchereule erzählen, damit wir eine auftreiben können.“ Er sah die Kinder erwartungsvoll an, doch mit einem kurzen Blickwechsel schlossen die drei die stillschweigende Übereinkunft, die Geschichte lieber für sich zu behalten.
    „Nur so eine Sache, die wir im Internet entdeckt haben“, sagte Nina schnell, „so ein Bücherforum.“
    „Ja“, sagte Theo, „da treffen sich Leute, die Bücher mögen, und das heißt dann eben Büchereule.“ Martha nickte zustimmend.
    Die drei grinsten sich an, während Mama und Papa die Schultern zuckten und im Wohnzimmer verschwanden. Es ist gut so, dachte Nina. Erwachsene müssen ja schließlich nicht alles wissen.

  • 11. Dezember 2011 von Nikana



    Anne


    Ich konnte fliegen! Einfach so, ohne Hilfsmittel. Mit weit ausgebreiteten Armen schwebte ich durch die Lüfte, sog die frische Luft in die Lungen und schaute auf die schneebedeckten Täler hinab. Dass ich nur mit einem dünnen Hemdchen bekleidet war, störte mich nicht weiter. Ich fror nicht. Übermütig flog ich einen Looping, ließ mich anschließend ein Stück fallen um kurz darauf kraftvoll in die Höhe zu schießen. Etwas hartes stoppte meinen Höhenflug. Es krachte laut, und ich schloss instinktiv die Augen. Als ich sie wieder öffnete, sah ich ein paar schwarze Stiefel vor mir. Jemand fluchte laut, und ich merkte, dass ich mit dem Kopf irgendetwas durchbrochen hatte und nun bis zu den Schultern feststeckte. Ich schaute nach oben und sah nichts als eine rote Wand, von der das Schimpfen ausgehen zu schien. "Ist denn das die Möglichkeit? Da fliegt man friedlich dahin, um den Kindern der Welt eine Freude zu machen, und wird auf einmal mit Kanonenkugeln beschossen!" "Ich bin keine Kanonenkugel," antwortete ich "und ich stecke hier fest!" Die Wand bewegte sich. Als nächstes sah ich einen langen weißen Bart, dann eine große Nase und schließlich die schwarzen Augen: Das musste der Weihnachtsmann sein!


    Der Weihnachtsmann musterte mich kritisch. "Wie um alles in der Welt kommst du hier her?" Ich überlegte. "Ich weiß es nicht. Ich konnte fliegen, und auf einmal steckte ich hier fest!" Der Weihnachtsmann schüttelte den Kopf, murmelte etwas über die Jugend von heute und packte mich an meinen Schultern. Er begann heftig zu ziehen, und mit einem Mal war ich frei. Der Schlitten kam durch die Bewegung ins Schlingern, aber der Weihnachtsmann hatte alles im Griff. "Rudolf, halten!" rief er, und die Rentiere glichen das Schlingern gekonnt aus. "Rudolf gibt es wirklich? Den mit der roten Nase?", fragte ich erstaunt. Das Rentier hatte mich gehört, es drehte seinen Kopf in meine Richtung und zwinkerte mir zu. "Natürlich gibt es den, was dachtest du denn?", brummte der Weihnachtsmann. "So, jetzt erkläre mir mal, warum du in meiner Nacht herumfliegst und meinen wunderschönen Schlitten ruinierst!" "Ich weiß es nicht." Der Weihnachtsmann seufzte. "Wo wohnst du? Ich bringe dich nach Hause." So sehr ich auch nachdachte, ich konnte mich nicht erinnern. "Ich kann mich nicht erinnern," sagte ich deshalb. Der Weihnachtsmann stöhnte lauft auf. "Und was mache ich jetzt mit dir?"


    Während der Weihnachtsmann mit einer großen Sorgenfalte auf der Stirn nachdachte, schaute ich mich um. Der Schlitten war riesig und voller Geschenke, große und kleine, bunt verpackte und auch solche, die einfach in Zeitungspapier eingeschlagen waren. "Ich dachte immer, solche Schlitten gäbe es nur in Disney-Filmen," murmelte ich. "Hey! Das habe ich gehört!" Der Weihnachtsmann sah sauer aus. "Tschuldigung, war nicht böse gemeint! Für wen sind denn die vielen Geschenke? Darf ich dir beim Verteilen helfen?" Ich konnte dem Weihnachtsmann ansehen, dass ihm das gar nicht recht war. "Mir wird wohl nichts anderes übrig bleiben. Aber wehe, du stellst noch mehr an! Dann gebe ich dein Geschenk Rudolf!" "Für mich ist auch ein Geschenk dabei?" Ich war ganz aufgeregt, damit hätte ich nicht gerechnet. "Natürlich," brummte der Weihnachtsmann. "Welches ist es denn?" Ich sprang vom Sitz auf und kletterte auf den Geschenkeberg. "Ich möchte es jetzt haben!" "Ja bist du denn des Wahnsinns? Setz dich wieder hin, Kind, bevor du den Schlitten zum Abstürzen bringst!" Tatsächlich schwankte der Schlitten wieder gefährlich, Rudolf und die anderen Rentiere konnten ihn nur mit Mühe halten. "Tut mir leid," sagte ich kleinlaut und setzte mich wieder auf meinen Platz. "Es ist nur, ich hätte dieses Jahr nicht mit einem Geschenk gerechnet!" "Aber warum denn nicht?" "Seit dem Sommer ist alles anders," antwortete ich leise. Der Weihnachtsmann schaute mir prüfend in die Augen. Ich spürte, dass er Bescheid wusste. Wortlos beugte er sich nach hinten und fing an zu wühlen. "Das hier ist deins," sagte er schließlich und drückte mir ein Paket in der Hand. Es war mit rotem Glanzpapier umwickelt, genau die Sorte, die ich am liebsten mochte, und mit einer riesigen Schleife verziert. "Das ist meins?" Ich konnte mein Glück kaum fassen. Vorsichtig stellte ich das Paket auf der Bank neben mir ab und umarmte den Weihnachtsmann, während mir die Freudentränen über das Gesicht liefen.



    Melanie
    Ich zündete eine Duftkerze auf Annes Nachttisch an, wie jeden Abend im Advent. Eigentlich war das im Krankenhaus nicht erwünscht, aber die Schwestern drückten beide Augen zu. Anne liebte den Zimtduft des Advents. Markus schaute mir zu. "Glaubst du, sie weiß, dass es Weihnachten ist?" "Ich bin mir sicher!" Ich schaute zu meiner Tochter, deren Augen sich unter den geschlossenen Lidern schnell bewegten. Annes Mundwinkel zuckten. "Schau doch, sie lächelt! Was sie wohl träumt?"

  • 12. Dezember 2011 von beowulf



    Weihnachten wird unterm Baum entschieden


    Ngoma Ka'unte war neu in diesem Land. Seine Heimat musste er verlassen, weil er ein Mann des Wortes gewesen war, ein Journalist, der Worte geschrieben hatte, die den Machthabern nicht gefielen. Seine Familie hatten sie umgebracht, ihn selbst gefoltert und so war er nun hier, ein Mann des Wortes in einer Welt in der ihm die Worte fehlten. Er besuchte eine Schule um sich die Sprache seiner neuen Welt zu eigen zu machen, was ihm schier unmöglich schien. In seiner Heimat hatte er die Sprache der ehemaligen Eroberer studiert und kannte das Zitat des amerikanischen Schriftstellers, dass die Menschen um ihn herum eine tote Sprache sprächen, da die Sprache seiner alten Feinde nach drei Tagen beherrschbar sei, die der Eroberer der Nachbarländer zu erlernen 30 Tage und die Sprache seiner neuen Heimat dreißig Jahre erfordern würde, aber er mühte sich.


    Er hatte schon begriffen, dass der Gott dieser Menschen Geld hieß und man sich damit schöne Sachen kaufen konnte. Der Haupttempel des Gottes hieß Börse, und irgendwie waren alle in Sorge wie es dem Gott ginge - sein Gesundheitszustand wurde täglich veröffentlicht, das nannte man DAX. Das hatte er ja alles schon begriffen, aber was da überall auf den Plakaten in der ganzen Stadt stand und was er mühsam mit seinem Wörterbuch entziffert hatte, das verstand er nicht. Weihnachten wird unter dem Baum entschieden. Weihnachten musste ein Wettbewerb sein, vielleicht ein Sport? In seiner alten Heimat hatte er davon gehört, dass man hier mit Sport viel Anteile des hiesigen Gottes erwerben könne und er war ja Jugendmeister im Zehnkampf gewesen. Vielleicht könne er an diesem Wettbewerb teilnehmen?


    Er hatte auch was von einem Weihnachtsbaum gehört, das musste das Sportgerät sein, den Weihnachten wird unterm Baum entschieden, das musste der Bezug zum Baum sein, eine andere Möglichkeit sah er nicht. Er ging also mit seinem Wörterbuch in ein Sportgeschäft und fragte nach einem Weihnachtsbaum und was der koste. Aber er wurde nicht verstanden, niemand wollte ihm eine Erklärung geben zu diesem Wettkampf, der da unterm Baum entschieden werde. Ein Verkäufer meinte zu ihm, er solle zum Weihnachtsmarkt gehen. Was war das schon wieder? Ein Markt in seiner Heimat war ein großer Platz, auf dem die Menschen ihre Waren tauschen konnten. War das hier die Sportarena?


    Er fand den Weihnachtsmarkt, das erste was ihm auffiel war der starke Geruch, viele verschiedene Gerüche genauer gesagt. Süß, pfeffrig, schwer. Aber wie ein Wettkampf sah hier nichts aus - irgendwie waren alle Menschen am Essen, Wurst und sahnegetränkte Waffeln, in großen Kesseln wurde irgendwie Kraftnahrung produziert, flüssiger Zucker mit Mandeln, mit Schokolade überzogene Bananen, dazu riesige Pfannen mit Sauerkraut und gegrilltem Fleisch. Davon mußte man doch entsetzliche Bauchschmerzen bekommen? Das konnte doch mit einem Wettbewerb nichts zu tun haben?


    Tausende Menschen drängten sich dort, seltsam, sonst hatten es in diesem Lande immer alle eilig und rannten zielstrebig in der Gegend herum, hier hatte der größte Teil offenbar Zeit, stand herum mit Bechern eines würzig riechenden Getränkes und bildeten Grüppchen, die anderen einfach im Wege standen, alles wirkte so untypisch, unorganisiert, locker, irgendwie nicht zu seinem Bild von den Leuten dieses Landes passend.
    Er sah auch viele Stände in denen Dinge aus Holz verkauft wurden, Dinge deren Bedeutung er nicht verstand, da standen Worte wie Pyramiden, Räuchermandl, Schwibbogen, Engel und viele Tierdarstellungen. Das einzige, was in seinem Wörterbuch zu finden war, waren alte ägyptische Pharaonengräber als Erklärung für Pyramiden, aber wo waren hier Gräber? Waren die Tiere und Figuren Grabbeigaben?


    Besonders gefielen ihm aber die vielen Kerzen, die gaben ein wärmeres Licht als die kalten Neonröhren der Leuchtreklamen an den Banken und Geschäften. So bewegte er sich durch das Gewühl der Menschen, der ruhigen und entspannten und der hektischen als er plötzlich in der Mitte des Platzes auf einen Baum stieß, einen wirklich großen Baum. Solche großen Bäume hatte er in diesem Land noch nicht gesehen und dieser war gar prächtig geschmückt. Lauter bunte Glaskugeln hingen daran und solche Figuren, wie sie an den Ständen verkauft wurden und Kerzen, aber die waren elektrisch. Er kam aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Er wandte sich an einen der Herumstehenden "Weihnachtsbaum?" fragte er auf den geschmückten Baum zeigend. "Ja, das ist unser Weihnachtsbaum, schwarzer Mann" lachte der Gefragte. " Die Krippe ist auf der anderen Seite." Die Worte hat er zwar verstanden, aber ihre Bedeutung war ihm unklar. Krippe war etwas, woraus die Tiere ihr Futter bekommen, aber was das hier mit all den essenden Menschen zu tun hatte oder was für eine Entscheidung den unter dem Baum passieren sollte, das machte ihn ratlos und verwirrt.


    Er ging aber erstmal um den Baum herum, denn so hatte er den Mann verstanden. Dort war ein großes Gatter aufgebaut und darin war ein Esel angebunden, eine Kuh und einige Schafe und Ziegen lagen im Stroh. Auch ein Kamel stand da regungslos und betrachte interessiert die Menschen, die es ihrerseits begafften. Die standen alle wie er außerhalb des Gatters, darin standen nicht etwa weitere Menschen, sondern Figuren aus Holz. Lebensgroße Figuren, die mit bunten Gewändern bekleidet waren. Die waren ganz seltsam anzusehen. Die Kleidung die diese Figuren trugen passten gar nicht in dieses Land in dem er jetzt lebte. Das sah eher der Bekleidung der Menschen ähnlich, die nördlich von seiner Heimat ihren Flüchtlingstreck durch die Wüste begleitet hatten. Aber eine von den Figuren, die war so dunkel und schwarz wie er - in prächtige Gewänder gehüllt, aber mit eindeutig schwarzer Hautfarbe dargestellt. So prächtige Gewänder trugen dunkelhäutige Menschen hier eigentlich nicht, die gehörten überwiegend zu den Armen, aber vielleicht hatte das ganze ja mit dem Geld zu tun und da würde man Armut nicht darstellen wollen? Aber dann sah er im Hintergrund einen offenen Stall, darin standen zwei Figuren, eine Frau und ein Mann neben einer Krippe in der ein Kind lag. Der Künstler hatte sich viel Mühe gegeben, das Baby natürlich darzustellen, wenn er auch überlegte, dass Säuglinge kurz nach der Geburt doch noch gar nicht so fröhlich lachten? Dieses Baby jedenfalls strahlte eine Herzlichkeit und Lebensfreude aus, der man die Liebe ansah, die der Schnitzer in seine Arbeit gelegt hatte. Diese Figuren stellten doch wohl arme Leute dar, denn wer hatte schon sein Kind in einer Krippe liegen, wenn er sich ein Bett leisten könnte? Aber eine glückliche Familie offensichtlich und wenn er sich umsah, konnte er glückliche Kinderaugen sehen, die sich an den Tieren und den Figurendarstellungen freuten. Aber es war ihm immer noch nicht klar, was den dieser Wettkampf Weihnachten sein solle, der da unter dem Baum entschieden werden würde.



    Er fühlte sich unsicher und entschied sich einfach jemand zu fragen. "Entschuldigen, was ist Weihnachten? Was ist Entscheidung?" wandte er sich an eine junge Frau, die ihn mit ihrem kleinen Kind neben ihm stand. "Das ist schwierig zu erklären", meinte die Frau. "Am besten gehen Sie da vorne in die Kirche, da wird in einer halben Stunde das Weihnachtsoratorium aufgeführt, da hören Sie mal zu ". Er bedankte sich freundlich und machte sich auf den Weg zu einem großen, anscheinend schon recht altem Gebäude, hoch, mit einem Turm und riesigen bunten Fenstern. Davor stand schon eine Menge Leute und warteten darauf dass sich die Türen öffnen würden. Mit seinem roten Ausweis, den er von der Stadt bekommen hatte, durfte er ohne zu bezahlen hinein. Da drin saßen Hunderte von Menschen auf einfachen Holzbänken und warteten auf irgendetwas, würde etwas passieren, das seine Frage beantworten würde?


    Er sah sich in der hohen Halle um, alles war festlich geschmückt, ähnlich wie draußen der Baum. Aber hier war kein Gatter mit Tieren und Figuren, vorne im Raum standen an Säulen links und rechts ein Baum, aber darunter war nichts. Dazwischen war ein großes Podium mit vielen Stühlen. Weihnachtsoratorium muß ein Konzert sein dachte er, das sind Notenständer. Musik, das sollte ihm etwas erklären? Die Leute klatschten in die Hände als die Musiker und ein Chor eintraten und das Klatschen steigerte sich als der Dirigent erschien. Und dann - dann begann diese Musik, dieses Jubilieren, dieses Jauchzen mit dem Pauken, er verlor sich in den Tönen, im Klang der Musik und der Stimmen. Was die Sänger für einen Text sangen, verstehen konnte er es nicht. Nein, das war falsch. Er verstand es nicht mit den Ohren und dem Verstand, aber mit dem Herzen und dem Bauch, da schwebte er auf den Noten unter dem hohen Hallendach und noch lange nachdem der Schlußbeifall verklungen war und alle anderen Besucher längst gegangen waren saß er auf seinem Platz auf der Holzbank und träumte den Tönen hinterher.


    Plötzlich schreckte er auf, als ihn ein Mann ansprach. Ein Mann so dunkelbraun wie er, fragte ihn etwas. Als er nicht sofort antwortete wiederholte der Mann seine Frage auf Englisch. Er fragte wo er herkäme und was er hier noch mache. Er konzentrierte sich und sie fanden heraus, dass ihr alte Heimat dieselbe war und sie unterhielten sich in der warmen, klingenden Sprache dieses so fernen Landes, in das sie beide nie würden zurückkehren können und das sie doch immer in sich trugen, wohin sie auch das Schicksal verschlug. Er erklärte seinem Landsmann seine Suche, die Suche nach dem Weihnachten, das unter dem Baum entschieden werde und ob er dort zu dem Gott dieses Landes, dem Geld kommen könne. Sein Landsmann nahm in mit in die Mitte des Raumes und zeigte ihm eine Holzfigur, ein gemarterter Mensch, der an einem Holzkreuz hin, mit Nägeln fixiert, mit einer Wunde an der Seite und einer Krone aus Dornen. Das, so sagte er ihm ist derselbe, wie draußen das fröhliche Kind, das du in der Krippe gesehen hast, so wie dort draussen hat es begonnen und so wie hier drinnen hat es geendet. Das hier ist der Gott dieser Menschen, nicht das Geld, das hast du missverstanden, weil sie heute alle dem Geld hinterherlaufen. Dies hier ist ihr Tempel, eine Kirche.



    Sein Landsmann erzählte und erzählte und erzählte Geschichten von diesem Mann, den er Jesus Christus, Sohn Gottes, Fürst des Friedens, Weltenherrscher nannte. Er hörte von dem Wunder von Weihnachten und dem Versprechen, das davon ausging für alle Welt, auch für die Seine, die so zerrissen war und unklar. Das Versprechen für eine Zukunft, die er nicht kannte und nicht träumte. Er verstand und verstand nicht, er erkannte, dass dies ein Gott sein könnte, der ihm gefallen könnte, seine Wunden in der Seele heilen, ihm Trost geben und ihn auffangen würde. Ein Gott für den solche Gebäude errichtet wurden, für den solche Töne geschrieben und gesungen wurden, solche Kunstwerke geschaffen.


    Als er nach Stunden hinausging, nicht ohne sich vorher verabredet zu haben für weitere Gespräche über das was er heute gehört und erlebt hatte, hinaus auf den längst leeren Platz, die Lichter aus, die Tiere verschlossen im Stall, allein vor dem riesigen Baum, da aber verstand er die Menschen in diesem Land immer noch nicht. Warum hatten sie diesen mildtätigen und gütigen Gott verlassen und beteten jetzt das Geld an? Was sollte dieses „Weihnachten wird unter dem Baum entschieden“ bedeuten?


    Er konnte und wollte es nicht verstehen. Für ihn aber war es klar, er hatte sich unter dem Baum entschieden, sich dazu entschieden sich weiter zu interessieren für dieses kleine Kind in der Krippe, das dieser geschundene Mann werden würde, dem er sich nahe fühlte mit seinen eigenen Verletzungen und Wunden.

  • 13. Dezember 2011 von Gummibärchen



    Die Weihnachtstour


    "BITTE WAS?" Serkan sah Laura mit großen Augen an. "Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder?" fragte er leicht entsetzt. Laura ließ sich auf seine Couch plumsen und sah ihn müde an. "Serkan, bitte! Es ist doch nur ein einziger Tag! Tu' mir den Gefallen." Sobald sie den Satz zu Ende sprach, bemerkte sie, wie Serkan etwas Kleines in ihre Richtung warf. Sie griff danach und sah, dass sie eine Schraube in der Hand hielt. "Was soll'n das?" fragte sie verwirrt und er grinste sie an: "'Ne Schraube. Könnste brauchen. Bei dir ist nämlich eine locker."
    "Hahaha" gab Laura wütend zurück und verdrehte die Augen. Ihr bester Freund konnte manchmal echt unerträglich sein. Sie seufzte und blickte von der Seite zu ihm. "Brauchst gar nicht so zu gucken, Lala, ich werd's nicht machen. Und wenn du dich hier auf den Kopf stellst."
    Laura spürte, wie ihre Enttäuschung wuchs. Sie fühlte sich von ihm im Stich gelassen. Sie sah ihn ein letztes Mal flehend an. "Bitte" flüsterte sie leise, doch sie erntete wieder nur ein verneinendes Kopfschütteln. "Such dir einen anderen Deppen für den Job!"


    Laura sprang von der Couch auf und schritt Richtung Tür. "Wo willst du hin?" hörte sie ihn fragen, drehte sich aber nicht um. "Lala, hey, bleib stehen, was ist?" Er fasste sie an der Schulter und drehte sie zu sich: "Warum willst du auf einmal gehen?" Laura wusste nicht, ob sie lachen oder weinen soll. War ihm wirklich vollkommen entgangen, wie bescheuert sein Verhalten war?
    "Warum ich gehen will? Weil du kein Freund bist, sondern ein egoistischer Idiot, auf den man sich nicht verlassen kann! Darum will ich gehen. Und jetzt lass mich los, ich muss mir einen anderen Deppen für den Job suchen!" Sie stieß ihn zur Seite und griff nach ihren Stiefeln. Sie merkte, wie sie zitterte und gegen ihre Tränen ankämpfte. "Lala,..." Serkan streckte seinen Arm nach ihr aus und trotz ihrer Wut und Enttäuschung ließ sie sich zu ihm ziehen. Er drückte ihren Kopf an seine Brust und pustete ihr in die Haare. "Tut mir leid...okay, Kleines, ich mach's. Ist zwar etwas ungewöhnlich, dass gerade ich als Moslem diese Aufgabe übernehmen soll, aber ich kann dich ja wohl kaum hängen lassen." Laura blickte in seine Augen, trocknete ihre Tränen und lächelte ihn an: "Danke."


    "Meine Güte, das ist ja kaum auszuhalten" schmipfte Serkan, nachdem er die Weihnachtsmann-Mütze auszog. "Ich schwitz mich hier zu Tode, Lala, ehrlich." Laura lachte nur und zog ihn weiter. "Komm schon, wir haben es eilig." Sie hatten gerade die zweite ihrer vier "Weihnachtstour"-Stationen hinter sich und mussten schleunigst weiter. Serkan, der sich von Laura dazu überreden ließ, den Weihnachtsmann zu spielen, hatte jetzt schon genug. Er war schweißgebadet und genervt, während Laura in ihrem Engelchen-Kostüm gut gelaunt die Straße entlang lief und ihn hinterher zog. "Ich frag mich wirklich, warum wir das eigentlich machen. Das eben war ja echt ein Desaster!" motzte Serkan weiter und versuchte, das Bild von den eingebildeten Geschäftsmännern zu verdrängen. Bereits am Mittag angetrunken, haben diese Affen gar nichts mehr von seiner Weihnachtsmann-Ansprache mitbekommen und einfach nur Laura begafft und anzufassen versucht. Was das genau mit Verbreitung des Weihnachtsgefühls zu tun hatte, war Serkan schleierhaft. Laura überlegte indessen, schon mal eine Strichliste mit seinem heutigen Lieblingssatz "Warum machen wir den Mist eigentlich?" anzulegen, als sie die dritte Station erreichten. Ein Altenheim, in dem sie die alten Menschen etwas auf Weihnachten einstimmen sollten.


    Serkan hielt Laura die Tür auf. Sie waren noch nicht mal drin, da lief schon eine gestresst aussehende Frau auf sie zu. "Sie sind zu spät", fauchte sie statt einer Begrüßung und Serkan dachte nur, dass ihr rot angelaufener Kopf farbig wunderbar zu seinem Weihnachtsmann-Kostüm passte. Er hörte, wie Laura und die Frau diskutierten, da beide unterschiedliche Uhrzeiten für vereinbart hielten. Serkan schüttelte verständnislos den Kopf. Er wäre liebsten auf der Stelle wieder geganen, doch er hatte Laura versprochen, ihr zu helfen. So brachte er seine Ansprache hinter sich, während Laura den Engel spielte und den älteren Herrschaften ihr schönstes Lächeln schenkte. Danach sangen sie noch ein paar Weihnachtslieder, verteilten Geschenke und obwohl sie noch ein bisschen Programm eingeplant hatten, wurden sie gebeten zu gehen, es sei ja schließlich schon spät, die älteren Menschen brauchen ihre Ruhe.
    "Undankbares Weib, die alten Leute fanden uns toll, die waren sicher nicht müde. SIE hatte keine Lust mehr." Laura merkte, wie wütend Serkan war und sah auf die Uhr. "Rausgeschmissen hat die uns, dabei hätten die Alten gern noch was Schönes gehört und gesehen. Blöde Nuss" schimpfte er weiter. Laura steckte ihm ein Weihnachtsplätzchen in den Mund und forderte ihn auf, endlich die Klappe zu halten. Serkan mampfte das Plätzchen runter, schimpfte aber weiter. "Ehrlich, den ganzen Tag frag ich mich, was das soll. Ist doch alles Schwachsinn. Von wegen, Weihnachten und Besinnlichkeit undsoweiter. Ich muss da was falsch verstanden haben. Kannst du mir bitte sagen, warum wir den Mist hier machen?"


    Laura drehte sich zu ihm um. "Serkan, nur noch die eine Station. Ein Kindergarten, komm schon. Streng dich an, sei ein netter Weihnachtsmann und der Engel wird dir auf ewig dankbar sein." Serkan wurde ruhiger und nahm aus Lauras Tüte noch ein Plätzchen. "Ist okay, lass es uns hinter uns bringen", sagte er und betätigte die Klingel an der Kindergartentür.
    "Hallo, kommen Sie rein" wurden sie freundlich von einer der beiden Erzieherinnen empfangen und in einen Saal voller Kinder geführt. Innerhalb weniger Sekunden versammelten sich die Kinder um sie und überhäuften sie mit Fragen und Geschenkwünschen. Die Erzieherinnen sorgten mit viel Geduld für Ruhe und die beiden legten los. Serkan hielt seine Weihnachtsmann-Ansprache und Laura sang mit den Kindern ein paar Weihnachtslieder. All die kleinen Bengel saßen ganz brav auf ihren Plätzchen, hörten gebannt zu und sangen fröhlich mit. Endlich hatten Laura und Serkan das Gefühl, ein bisschen Weihnachtsstimmung zu versprühen. Auch das Verteilen der Geschenke machte Spaß, denn die Kinder freuten sich über jedes Geschenk, egal, wie klein es war.
    Auf einmal fand sich Serkan am Boden sitzend, die kleine Maja auf seinem Schoß. "Und, was hast du dir zu Weihnachten gewünscht?" fragte er mit seiner Weihnachtsmann-Stimme. "Eigentlich ein gesundes Bein...", fing Maja zögernd an. Erst da sah Serkan, dass sie statt dem linken Bein nur eine Prothese trug. "Aber Mama sagte, die sind wohl dieses Jahr alle." Sie zuckte mit den Schultern. "Gab wohl zu viele andere Kinder, die das Gleiche wollten", scherzte Maja, die sich mit ihrer Situation längst abgefunden zu haben schien.
    "Ach ja, das hat die Mama gesagt?" fragte Serkan und fühlte sich aufgrund der Frage irgendwie dumm. Er merkte aber, dass ihm gerade nichts Besseres einfiel, da er damit beschäftigt war, den Kloß in seinem Hals runterzuschlucken. "Ja, vielleicht nächstes Jahr. Ich hab mir einfach was anderes gewünscht", zwitscherte Maja und zwickte Serkan leicht in die Wange. "Ich hab gesagt, dann will ich dieses Jahr wenigstens auf dem Schoß vom Weihnachtsmann sitzen." Sie lächelte ihn an und ihre Kinderaugen leuchteten. Serkan stupste mit seinem Finger Majas Nase an und lächelte zurück. "Freut mich, dass ich dir diesen Wunsch erfüllen konnte". Er sah Laura an, die unweit von ihm stand und konnte auf einmal verstehen, warum sie jedes Jahr das Engel-Kostüm anzog und die Weihnachtstour mitmachte.


    "Und, kannst du noch atmen?" zog Laura Serkan auf, als sich die Kindergarten-Tür hinter ihnen schloss. "Die haben dich ja ganz schön in die Mangel genommen, die Kids. Hoffe, es war alles nicht so schlimm. Danke nochmal, Serkan." Sie sah ihn an. Er schien abwesend zu sein.
    "Hey, Erde an Serkan, hörst du mir zu?" boxte sie ihn in die Seite. "Was ist, wo warst du mit deinen Gedanken?"
    "Lala..." fing er etwas schüchtern an und zögerte. "Ja?" "Ich...meinst du, ich darf nächstes Jahr wieder den Weihnachtsmann spielen?"

  • 14. Dezember 2011 von Sina



    Lächle und sei froh



    Heilig Abend – dieser Begriff hing schon seit Wochen wie ein Damoklesschwert über mir.
    Und heute ist der Tag unweigerlich gekommen.
    11.15 Uhr. Jetzt blieben mir noch genau fünfzehn Minuten, meinen Mann samt unserer Zwillinge aus den Betten ins Auto zu verfrachten, um auf die Minute pünktlich in der Höhle des Drachen anzukommen, die von meiner Schwiegermutter bewohnt wird. Natürlich durfte man ihre klinisch reine Wohnung nicht als Höhle bezeichnen, allerdings konnte Mama Hilde durchaus Feuer spucken, wenn ihr Sohn nicht samt der Ohseidihrgroßgeworden-ichseheeuchsoselten-Enkelchen um Punkt zwölf Uhr zu Würstchen und Kartoffelsalat bei ihr am Tisch saß. Und dieses Feuer wäre definitiv stark genug, das Testament zu verbrennen, in dem sie ihren Sohn als Alleinerben eingesetzt hatte. Ja, ich bin so ehrlich zuzugeben, dass ich den Tag herbeisehne, an dem wir endlich unserer 65qm-Wohnung zugunsten ihres 180qm-Palastes aufgeben können, aber natürlich wünsche ich meiner Schwiegermutter nicht den Tod – zumindest nicht heute. An Heilig Abend ist es so schwer an diensthabende Ärzte und Bestatter zu kommen. Ich will mit diesem Schwiegerdrachen nicht auch noch nach seinem Tod Ärger haben.
    Aber noch ist es nicht zu spät. Weder für sie, noch für mich.
    Dreizehn Minuten. Aus Erfahrung familienlogistisch machbar. Ich lächelte und war froh, denn es könnte schlimmer kommen.
    Zielsicher warf ich meinem Mann einen nassen Waschlappen ins Gesicht. „Los jetzt du Murmeltier, du hast noch zwölf Minuten!“
    Schlaftrunken tauchte er aus dem Kopfkissen auf und warf mir den Waschlappen zurück. „Was machst du denn für einen Stress?“
    „Drache. Reicht das als Stichwort?“
    „Ach du Scheiße, ist heute schon Heilig Abend?“
    „Ja, du Witzbold. Kommt immer völlig unvorhersehbar jedes Jahr am 24.12. Da weise ich dich seit Wochen jeden Tag drauf hin.“
    „Oh Gott, ich habe das neue Bügeleisen für meine Mutter noch nicht eingepackt!“
    „Das wird sie verkraften, wenn du ihr noch drei Hemden von mir mitbringst und sagst, dass sie einfach am besten bügeln kann.“ Ich lächelte und war froh, denn es könnte schlimmer kommen. „Mein Geschenk musst du auch nicht einpacken“, schmunzelte ich. „Ich bin dir gar nicht böse, wenn die Bescherung schneller vorbeigeht.“
    „Ich weiß, keine Minute länger als notwendig bei meiner Mutter. Ich kann dich ja verstehen, mein Schatz.“
    „Dann schmeiß dich jetzt bitte in Anzug und Fliege, rasier dich und pack die Schwarzwälder Kirschtorte ins Auto. Du hast noch zehn Minuten.“
    Bei den Zwillingen half nur eine klare Ansage in Richtung des Stockbettes: „In zehn Minuten startet das Raumschiff zu Oma. Wenn ihr den Start verpasst, gibt es keine Geschenke.“
    Im oberen Stockbett verschwand der Lockenkopf meines Sohnes unter der Bettdecke und ich hörte ein dumpfes Gemurmel. „Kann der Weihnachtsmann die Geschenke nicht hierher liefern?“
    „Warum fahren wir jetzt schon zu Oma?“, kam ein dünnes Stimmchen aus dem unteren Bett hervor. Ich könnte meine Tochter so gut verstehen, aber es half ja nichts.
    „Ich verspreche euch, wir bleiben keine Minute zu lang und wenn ihr jetzt gleich pünktlich beim Auto seid, gibt es für jeden einen Schokoweihnachtsmann, den ihr noch vor dem Essen naschen dürft.“
    Noch acht Minuten. Ein schmatzender Aufschlag nebenan in der Küche. Danach ein Fluch meines Mannes, der so gar nicht zu Heilig Abend passte.
    Ich zog meinen Kindern die Bettdecken weg, zeigte mit mahnendem Zeigefinger auf den Stuhl, wo ich die festliche Kleidung für die beiden hingelegt hatte und danach war Eile geboten, in der Küche nach dem Rechten zu sehen.
    Dort kam jede Hilfe zu spät. Meine in stundenlanger Geduldsarbeit aufgetaute Schwarzwälder Kirschtorte hatte sich vom Fußboden aus gleichmäßig in der ganzen Küche verteilt, mittendrin mein Mann in seinem Weihnachtsanzug mit Sahne dekoriert. Eine Stimme sprach aus dem Chaos zu mir, lächle und sei froh, denn es könnte schlimmer kommen.
    „Keine Zeit zum Aufwischen! Wir müssen los! Deiner Mutter sagst du, dass sie sowieso den besten Kuchen der Welt macht. Und ihre Torte reicht völlig aus, um satt zu werden. Ich will mich weder überfressen, noch …“
    „Noch eine Minute zu lang am Kaffeetisch sitzen, ich weiß, mein Schatz.“
    „Startklar“, tönte es wie aus einem Mund aus dem Kinderzimmer und keine Sekunde später standen Luke Skywalker und Prinzessin Leia in ihren Faschingskostümen vor mir.
    Ich lächelte und war froh, denn es könnte schlimmer kommen.
    Immerhin fuhren wir auf die Minute nach Plan los, auch wenn das leuchtend rote Tanksymbol im Armaturenbrett nicht zum Plan gehörte.
    „Wird schon reichen“, sagte mein Mann, für den ein Glas immer halb voll und nicht halb leer war.
    Überflüssig zu erwähnen, dass ich lächelte und froh war, als wir nur einen Kilometer von der Höhle des Drachen entfernt mit leerem Tank stehen blieben.
    Aber da Weihnachten die Zeit der Wunder ist, standen wir tatsächlich um Punkt fünf vor zwölf vor dem Haus meiner Schwiegermutter. Mein Mann im gesprenkelten Anzug, zu dem die Hüttenhausschuhe eigentlich gar nicht schlecht aussahen, die Zwillinge mit schokoladenverschmierten Mündern und ich mit Bügeleisen im schmucklosen Karton anstelle der Torte unterm Arm. Noch keuchend von der der kleinen Joggingrunde drückte ich auf den Klingelknopf. Wir stellten uns wie die Orgelpfeifen in Position und stimmten das obligatorische „Oh Tannenbaum“ an, das wir mangels Textsicherheit bei der dritten Strophe angelangt nur noch summten.
    Ich lächelte und war froh, denn es könnte schlimmer kommen.
    Und es kam schlimmer.
    Die Tür ging auf und meine Schwiegermutter stand im giftgrünen Bademantel und gelben Lockenwicklern im Haar vor uns. Während sich mein perplexer Gesichtsausdruck hielt, brach die Miene meines Schwiegerdrachens zu einem strahlenden Lächeln auf „Das ist ja, als ob heute schon Heilig Abend wäre. Halleluja, was für eine gelungene Überraschung! Kommt doch herein! Ihr könnt gerne bis morgen bleiben.“

  • 15. Dezember 2011 von Delano



    Die Weihnachtswölfe


    Leise fluchte Dora, schon seit vielen Jahren war nicht mehr so viel Schnee gefallen. Die Winter waren milder geworden, doch von Zeit zu Zeit zeigten sie sich in all ihrer eisigen Pracht. So schön der Anblick und der frische Hauch der kalten Luft sich auch anfühlte, so beschwerlich war auch ihr Weg durch den tiefen Schnee, nachdem sie den Wald verlassen hatte. Vorsichtig schaute sie sich um, es war zwar Nacht, aber fern aller Siedlungen genügte ihr das Licht einer sternenklaren Winternacht, das die vor ihr liegenden Wiesen in ein sanftes Licht hüllte. Einen Moment nur blieb sie stehen, ein Moment der ihr die Kälte durch den Mantel kriechen und sie erschaudern ließ.


    Ein paar Schritte, nur ein paar Schritte, dann wäre wieder alles gut.


    Dora legte ihre Handflächen aufeinander, die erste halbe Stunde hatten ihre Finger geschmerzt und sich schon bald darauf taub angefühlt, doch inzwischen fühlte sie vor allem die Wärme ihres Lebens bis in die Fingerspitzen. Eine Wärme die gegen die Kälte der Winternacht ankämpfte. Ein Blick auf die Schneefläche zeigte ihr, dass sie nicht allein hier draußen war, eine Wolfsspur lag vor ihr, die genau in die Richtung ihres Weges zu führen schien. Das Mädchen überprüfte noch einmal den Inhalt ihrer Manteltasche und setzte ihren Weg über die offene Fläche fort, Schritt für Schritt sank sie in den tiefen Schnee als sie wieder einmal einen Graben durchqueren musste, in dem der Schnee sich gesammelt hatte.


    Interessiert beobachtete sie auch die Wolfsspur vor ihr, die sich auf einmal aufzuteilen schien und sich dann wieder zu einer einzigen Spur vereinte. Sie lächelte und dachte einen Moment lang an ihre Familie und wie jedes Wesen dieser Tage die Gesellschaft Anderer zu suchen schien. Mit der Zeit waren andere Spuren im Schnee zu sehen, kleinere Abdrücke von Hufen, welche den Pfad der Wölfe immer wieder kreuzten und weitere Aufgabelungen der Wolfsspur folgten. Die Spuren mussten frisch sein, hatten die Winde doch die letzten Tage den Schnee aus den Baumkronen und Erhebungen in die tiefer gelegenen Senken geweht.


    Kurz darauf führten die Wolfsspuren zu einer Böschung eines kleinen Baches, vor dem die sie sich aufteilten. Deutlich war zu erkennen, dass die Hufe eines größeren Tieres die Eisfläche durchbrochen hatten und die Schneefläche zu beiden Seiten des Baches aufgewühlt wurde. Was auch immer die Wölfe gejagt hatten, es war bis zum Bach gekommen und wurde von den Wölfen unterhalb der Böschung entlang getrieben. Aufgeregt betrachtete Dora die Spuren des Kampfes und folgte dem Verlauf des Baches. Da, Blut! Ein Zeichen, dass die Jäger ihre Beute verletzt hatten. Nach einigen Windungen des Bachufers fand das Mädchen dann auch die Hirschkuh, die von den Wölfen gehetzt wurde und aus dem Bach nicht mehr entkommen konnte. Sie blickte sich um, denn von den Wölfen war außer den Abdrücken im Schnee nichts zu erkennen. Langsam näherte sie sich und betrachtete das erlegte Tier. Dora beugte sich nieder und legte ihre Finger auf das erschrockene Gesicht des Tieres, als ein Knacken auf der Böschung ihre Aufmerksamkeit wieder auf ihre Umgebung lenkte.


    Inzwischen hatten sich fünf Wölfe auf der Böschung rund um sie niedergelassen. Sie blickte sich um und ein weiterer sechster Wolf näherte sich ihr von hinten, der größer als die fünf Anderen schien. Das Mädchen griff völlig ruhig in ihre Manteltasche und zog ein Messer heraus, drehte sich und hielt es das Raubtier, die Klingenspitze in der einen, den Griff in der anderen Hand.


    „Ich bin bereit“, flüsterte sie.


    Der große Wolf blickte kurz zu ihr und senkte seinen Kopf in einer unterwürfigen Geste. Er wartete bis Dora mit einer Hand über seinen Nacken gefahren war und lies sich nieder. Sie wand sich wieder um zur Hirschkuh. Ein wenig bestaunte sie den Erfolg der Wölfe, doch wäre es ohne den Schnee und die Falle des Grabens den Jägern nicht möglich gewesen ihre Beute einzuholen. Nicht nur sie, auch zwei der kleineren Wölfe hatten sich nun wieder herangeschlichen und schienen sich darüber zu streiten wer auf einem der Hufe herumkauen dufte.


    Dora lachte und die beiden Wölfe zuckten zurück. „Psst, es ist genug für uns alle da. Die Menschen feiern heute das Weihnachtsfest und wir in ein paar Stunden unseren Vollmond, da sollten auch wir nicht streiten. Wenn wir uns mit dem Zerlegen beeilen, sind wir wieder in unserer Höhle, bevor der Tag anbricht.“

  • 16. Dezember 2011 von Johanna



    Der 2. Advent


    Es war der 2. Advent – frühmorgens – fast noch mitten in der Nacht. Zumindest für mich.


    Juliana und ich hatten den Tag mit etwas Spannendem verplant. Morgens holte ich sie ab, wir luden uns kurz bei der Oma ein, uns zu stärken, bevor wir losziehen wollten. Ich erzählte ihr, daß ich abends noch eine Geschichte schreiben muß
    „Oh ja“ rief sie ganz begeistert „mach doch eine Piratengeschichte!“


    „Hmm, im Prinzip ja eine gute Idee, nur hat sie einen Haken. Das habe ich letztes Jahr doch schon gemacht.“


    „Ok“, ein verschmitztes Lächeln Julianas. „Ich hab eine Idee: Dann schreib doch von den Wikingern und von Schiffen, die auf dem Meer miteinander kämpfen und dann kommt Jesus und rettet alle“.
    Jou, man merkt es deutlich, es läßt sich nicht verleugnen, daß eine eindeutige Verwandtschaft zwischen uns besteht. Diese Leidenschaft für Piraten, Wikinger und Segelschiffe kommt mir doch irgendwie sehr bekannt vor Das mit Jesus war mir allerdings neu.


    Ok, so neu nun auch wieder nicht, da ich bereits seit einigen Wochen alle möglichen Fragen über ihn beantworten muß. Und das ich, die nun nicht gerade die große Expertin auf religiösem Gebiet ist.
    Aber ich denke, ich habe mich da ganz gut geschlagen und ein paar Grundkenntnisse kann ich dann ja doch aufweisen.


    Zumindest schien es ihrer Begeisterung keinen Abbruch zu tun, da sie in den letzten Tagen immer, wenn wir durch die weihnachtlichen Straßen liefen und an den dekorierten Schaufenstern vorbeikamen, in denen sich eine Krippe befand, stehen blieb - guckte und ein begeisterter Schrei erklang – der wirklich alle dazu brachte, sich umzudrehen und uns anzustarren – „Guck mal Johanna, da ist Jesus“
    Ich scheine also nicht allzu viel falsch gemacht zu haben mit meinen Erklärungen.


    Wo waren wir stehengeblieben?
    Ach ja – am 2 Advent. An dem wir beide etwas Aufregendes vorhatten.
    Ich, die der vorweihnachtlichen Zeit seit einigen Jahren doch leicht skeptisch gegenübersteht und ihr möglichst aus dem Wege gehe – und sie, die die Vorweihnachtszeit gerade erst beginnt, bewußt wahrzunehmen und zu entdecken.
    Wir beide hatten nun etwas sehr Weihnachtliches vor: Wir wollten in die Kirche und dort das Weihnachtsoratorium von Bach anhören.


    Konzipiert extra für Kinder ab 4 Jahren – aber auch größere Kinder waren zu meinem Glück durchaus willkommen. Juliana war schon sehr aufgeregt, da sie so etwas nicht kannte und auch noch nie in einer Kirche war. Kurz bevor wir losgingen, mußte ich ihr die Geschichte der Geburt Jesu noch einmal in Kurzform erzählen. Auch wenn sie sie mittlerweile auswendig kennt – darin, daß ich ihr Geschichten erzählen muß, kennt sie keine Gnade.


    Als wir ankamen, mußten wir im Vorraum noch warten, da sie drinnen noch probten und wir durften bereits einiges hören. Sie fragte mich, wieso die Musik so laut sei.
    Ich versuchte ihr dann zu erklären, daß die Musik in einem so großen Raum wie einer Kirche viel mehr Platz hat, sich auszubreiten und schöner klingt als in einem kleinen Zimmerchen. Das jedenfalls hat sie wohl ganz gut verstanden und akzeptiert.
    Wie hätte ich es einer 4,8 Jährigen auch anders erklären können, noch dazu, wo Physik immer eines der von mir geflissentlich ignorierten Fächer in der Schule war?


    Sie sah sich schon einmal interessiert um. Es riecht ja auch immer ein wenig besonders in einer Kirche - erst recht in einer mittelalterlichen aus dem 13. Jahrhundert - Nicht nach Weihrauch, es handelt sich um eine evangelische Kirche – aber eben besonders, anders als an anderen Orten.
    Endlich – ziemlich kalt war es ja mittlerweile im Vorraum – verstummten die Proben. Wir durften an den Ort des Geschehens.
    Als wir reinkamen, bin ich mit ihr sehr langsam nach vorne gegangen an den Reihen entlang bis kurz vor den Altar. Ganz langsam, so wie man es immer in den Filmen sieht, wenn Leute heiraten.
    Da ich selber bisher nie das Vergnügen hatte– so es denn eins ist? - kirchlich zu heiraten, konnte ich so zumindest einmal das andächtige Voranschreiten nachempfinden.
    Juliana staunte und sah sich überall um, Sie meinte dann:"Das sieht hier ja ganz anders aus als in anderen Häusern – aber ich mag das"


    Da wir viel zu früh dort waren, bin ich dann erst einmal ein wenig mit ihr durch die Kirche gegangen, nahm sie hoch auf den Arm, weil es da dann doch ein wenig übersichtlicher für sie war und habe ihr alles gezeigt. Bei einem Totenschädel, der an einer Wand neben einem der Fenster als Relief eingearbeitet war, meinte sie dann gleich: "Guck mal Johanna, hier waren auch mal Piraten …"


    Ich sollte ihr definitiv weniger Piratengeschichten erzählen, glaube ich – aber da wir nun mal beide diese Leidenschaft teilen, befanden wir uns sofort wieder mitten im Geschehen – beim Angriff böser Piraten auf die Kirche – wir beide mit gezückten Degen heldenhaft vor dem Portal wartend – die Gemeinde verteidigend mit unseren Fechtkünsten.
    Letztendlich die Piraten überwältigend und es geschafft habend, den Kapitän zu überzeugen, sich taufen zu lassen und fortan das Entern und Überfallen zu unterlassen.
    Ausgang für unsere Phantasie war der wunderschöne Taufengel, der in der Kirche an der Decke hängt und nur für Taufen hinuntergelassen wird. So sollte er dann für Juliana zum Einsatz kommen, die natürlich die Taufe eigenhändig durchführte und ich kam so dann doch noch zu meinen Piraten.


    Dann war es soweit – das Orchester und die Solisten hielten Einzug. Der Erzähler – ein dargestellter Hirte – begrüßte die Kinder.
    Und sie haben es sehr schön gemacht. Der "Hirte" – auch äußerlich so angezogen - ein Stoffschaf hatte er mit dabei, das die Kinder alle interessiert ansahen - erzählte immer ein wenig.
    Dann setzte das Orchester ein und spielte das Weihnachtsoratorium von Bach. Aber immer nur in kleinen Dosen.
    Dann erklärte der Hirte wieder. Ganz besonders geschickt hat er auch die verschiedenen Orchesterinstrumente eingeführt.
    Erläuterte, welches Instrument welche Töne erklingen läßt, fragte die Kinder, welches das königliche Instrument sein könnte, jenes, das zu Ehren des neu geboren Königs erklingen solle.
    Die Musiker standen jeweils auf und spielten kurz kleine Soli auf ihren Instrumenten um sie den Kindern nahezubringen.
    Und die Szene, wo die Engel den Hirten erscheinen und die kleinen und die großen Hirten dann losgehen, wurde wunderbar erläutert.
    Er erklärte die Musik so, daß die helleren Töne die kleinen Hirten und die tieferen Töne die großen Hirten auf ihrem Weg zu Jesus seien.
    Wirklich wunderschön gemacht und auch sehr spannend erzählt und die Musik Bachs wurde so den Kindern sehr schön nahe gebracht.
    Und Juliana saß dort – auf meinem Schoß gekuschelt, da es dort halt gemütlicher ist als auf den harten Kirchenbänken –und lauschte dem erzählenden Hirten sehr gebannt.
    Ich sage ja, wer es versteht, ihr Geschichten zu erzählen, den läßt sie nicht mehr los.
    Und ganz besonders froh bin ich, daß sie wohl nicht nur meine Leidenschaft für Piraten zu teilen scheint, sondern auch Geschmack an klassischer Musik gefunden hat.
    Ein schöner vorweihnachtlicher Adventssonntag für zwei Entdeckerinnen der weihnachtlichen Stimmung.


    Naja und meine armer le rouge, der bereits schon so heldenhaft seiner Gefangenschaft entkommen war und bereits seit 10 Tagen im gestohlenen Beiboot auf dem weiten Meer trieb, wird nun halt doch noch ein Jahr dort zubringen müssen, bis er das ersehnte Segel eines Schiffes erblicken darf, das ich ihm zugedacht hatte.


    Aber ein derart charmanter Pirat mit Sinn für Humor wird es mir gewiss verzeihen.

  • 17. Dezember 2011 von hef



    Sparmaßnahmen


    >>Spinnen die denn dieses Jahr alle?<<, fuhr sich der Weihnachtsmann durch den Bart, und glich die Bestellungen mit dem Warenbestand ab.


    >>Flachfernseher, nichts als diese blöden breiten Dinger<<, murrte er. >>Schwer wie Blei und nehmen nur Frachtkapazitäten weg. Sind Tapeten so teuer geworden, dass einer dieser Dinger den Maler erspart? Oder sind inzwischen die Optiker ausgestorben und alle fasst blind? Ich verstehe die Welt nicht mehr. Was waren das noch für Zeiten von LEGO, PLAYMOBIL, BARBIE. Da brachte ich jedes Jahr einen neuen Satz. Hübsch verpackt und handlich. Die Beschenkten freuten sich und warteten fieberhaft auf’s nächste Jahr. Dann kamen diese GAMEBOYS und LAPTOPS, CD UND DVDs. Das war auch nicht schlecht zu transportieren. Aber das?<<


    Der Weihnachtsmann grunzte missmutig und hob den Kopf gen Himmel.
    >>Christkind! So geht das nicht. Ich brauche Hilfe. Wir haben jedes Jahr weniger Personal und ein immer größeres Frachtaufkommen. Meinen Knecht hast du letztes Jahr in den Vorruhestand geschickt. Also, was mache ich jetzt mit den ganzen Bestellungen? Kannst du mir nicht wenigsten eine klitzekleine Heerschar deiner Engel senden? Ist doch nur für ein paar Tage.<< Er setzte sich auf eine Kiste mit Holzspielzeug, das nach Afrika gehen sollte.


    >>Tut mir leid, Weihnachtsmann. Wir haben momentan selbst einen Notstand<<, kam es aus dem OFF. >>Meine Heerscharen sind im Augenblick in Afghanistan, am Horn von Afrika, in Griechenland, Portugal, Irland, Island, Frankreich und Italien im Einsatz. Ich habe keinen Flügel und keine Feder mehr in Reserve.<<


    Der Weihnachtsmann warf die rote Mütze auf den Boden und trampelte zornig auf ihr herum.
    >>Das ist doch alles ein Schwachsinn ... Sparen, sparen.<< Einen Moment überlegte er und ging die Reihen von Flachbildfernsehern durch. >>Na schön, dann liefere ich nur noch Geräte mit Herstellergarantie. Die Beschenkten werden sich freuen, wenn davon die Hälfte defekt ist. Die schreiben nächstes Jahr keinen Wunschzettel mehr.<<


    >>So geht das nicht Weihnachtsmann<<, kam es wieder aus dem OFF. >>Denke daran, dass du unsterblich bist. Wir sind ISO zertifiziert. Einen Makel können wir uns nicht leisten, sonst können die Gläubigen gleich bei den Internetanbietern bestellen.>>


    >>Dann schicke mir die Schweizer Garde vom Heiligen Vater. Die hat gerade nichts zu tun<<, versuchte der Weihnachtsmann einen letzten Vorschlag zu unterbreiten. >>Ich muss das ganze Zeug doch pünktlich liefern ...<<


    >>Geht auch nicht<<, kam es zurück. >>Die müssen die BANCO AMBROSIO, die Vatikanbank beschützen..<<
    >>Beschützen? Wer will die denn noch ausrauben? Die haben doch nichts mehr<<, erzürnte sich der Weihnachtsmann. >>Wer will da noch rein?<<


    >>Es geht nicht um das REINWOLLEN<<, schmunzelte das Christkind.
    >>Die Schweizer Garde passt auf, dass keiner von den Gaunern hinaus kann. Aber, ich hätte noch eine Hilfe für dich. Sehr zuverlässig, sehr fleißig.<<


    >>Und die wäre?<<, wischte sich der Weihnachtsmann den Schweiß von der Stirn..


    >>Den Osterhasen. Der wird nächstes Jahr ein dickes Problem mit seinen Antibiotika-Eiern haben und vor leeren Auftragsbüchern sitzen. Bis wir für ihn die Zulassung als Apotheker haben, muss er beschäftigt werden.<<

  • 18. Dezember 2011 von Leseratte87



    Kinderweihnachten


    Hallo, ich heiße Hannah und bin 8 Jahre alt.
    Ich soll für die Schule einen kleinen Text schreiben, wie Weihnachten bei uns zu Hause immer so ist, und was wir daran toll finden. Was unser Fest zu etwas besondern macht. Was ich ganz schön schwer finde, schließlich ist Weihnachten doch überall gleich, oder?! Aber Hausaufgaben sind wichtig, sagt Mama, und ich bin schon groß und werde daher überlegen, wie es bei uns so ist…


    Also was ich immer toll finde, ist, dass ich mit Mama, und meiner kleinen Schwester Susi Plätzchen backe. Susi ist gerade mal 4 Jahre alt. Da ich ihre große Schwester bin, ich helfe ihr dabei natürlich immer.
    An diesen Backtagen stehen Mama, Susi und ich für mehrere Stunden in der Küche, während Papa vor dem Fernseher sitzt. Susi noch nicht so lange, weil sie noch so klein ist. Aber mit ihr geht es aufwärts.
    Papa darf während diesen Stunden nicht in die Küche, Warum? Weiß ich auch nicht. Mama sagt immer, das sollen unsere Stunden sein, und das Ergebnis ist die Überraschung für Papa. Papa ist aber immer so neugierig und guckt doch immer heimlich in die Küche. Dabei lächelt er immer, und verschwindet ganz schnell wieder. Er denkt, wir merken das nicht, aber ich bin doch nicht blöd!
    In der Küche läuft dann immer das Radio mit Weihnachtsmusik, die Küche riecht lecker nach Gewürzen – das ist einfach toll. Darauf freue ich mich immer besonders.
    Wenn wir mit backen und aufräumen (das ist wichtig, sagt Mama, schließlich leben wir nicht im Schweinestall) fertig sind, gehen wir ins Wohnzimmer, wo Papa sitzt, und überreichen ihm den Plätzchenteller. Er strahlt uns dann immer an, gibt uns einen Kuss, und sagt liebevoll „Danke meine kleinen Backfeen. Das sieht aber lecker aus“ Susi hüpft dann immer auf und ab, Mama lächelt stolz auf uns herab, und ich freue mich natürlich auch.


    Was auch immer lustig ist…aber bitte nicht weiter sagen, ist eine Geheimnis! Versprochen? Ok, also Opi verkleidet sich immer als Weihnachtsmann, um uns am heiligen Abend, die Geschenke zu überreichen.
    Am Anfang dachte ich wirklich, er ist der Weihnachtsmann. Aber irgendwann bin ich dahinter gekommen, das Opi in der Verkleidung steckt. Bin ja schließlich kein Baby mehr! Susi weiß das natürlich noch nicht, sie ist ja noch ein kleines Kind, und ich möchte ihr die Freude nicht nehmen, also spiele ich mit. Auch Mama und Papi wissen nicht, dass ich alles weiß. Ich will ihnen nicht die Freude verderben. Und ich finde es immer so lustig, wie sie versuchen sich untereinander abzusprechen, ohne dass ich und Susi es merken. Sie scheinen Freude daran zu haben, also lasse ich ihnen den Spaß.
    Wie ich dahinter gekommen bin? Opi ist mal ein Unglück passiert. Ihm ist die Hose gerissen, und Mama sollte sie wieder in Ordnung bringen. Dabei wurde es ganz laut. Opi war ganz aufgeregt, während Mama versuchte ihn zu beruhigen. Nein, ich habe nicht gelauscht. Ich habe es nur ganz zufällig mitbekommen, ehrlich! Ich habe etwas gesucht, (was verrate ich nicht!) dann habe ich Stimmen gehört und habe mich versteckt. Ich bin im Verstecken sehr gut, und man hat mich daher nicht gesehen….


    Was mag ich noch an Weihnachten? Geschenke zu basteln. Das mache ich immer mit Susi. Wie sitzen dabei immer in meinem Zimmer und malen Bilder, und basteln irgendwas. Das macht uns sehr viel Spaß, und wir sind immer sehr stolz auf unsere Werke. Mama und Papa haben sich bis jetzt auch immer gefreut, genauso wie unsere Großeltern. Sie strahlen dabei immer genauso wie die Weihnachtsbeleuchtung im Wohnzimmer, aber das kann auch nur am Licht liegen. Auf jeden Fall freuen sie sich darüber, und das ist die Hauptsache, oder?


    Der heilige Abend ist auch immer was ganz tolles! Weihnachten ist bei uns was ganz lustiges und schönes, und ich freue mich sehr darauf. Es gibt immer mal Streitereien, aber am Ende sitzen wir alle fröhlich im Wohnzimmer, und haben Spaß. Wenn wir in einer Wohnung leben würden, würden sich vermutlich die Nachbarn beschweren, weil wir so laut dabei sind.


    Jetzt muss ich aber Schluss machen, Mama hat mich gerufen. Wir wollen jetzt Plätzchen backen, juhu! Fröhliche Weihnachten!

  • 19. Dezember 2011 von rienchen



    Weihnachten im Block


    Tanja steigt aus der U- Bahn, die Beine schwer vom Stehen und kassieren am Heiligabend, an dem heute noch besonders viele Menschen auf den letzten Drücker ein unpersönliches, geschmackloses Verlegenheitsgeschenk gekauft haben. Sie nimmt den stechenden Uringeruch war, der in den Betonschächten der U- Bahn hängt und beschleungigt ihre Schritte, als ihr zwei angetrunkene Jugendliche entgegenkommen. Sie sieht auf den Boden, liest eine imaginäre Schrift, als der Größere der Beiden: Na, Muddi, was geht? hinter ihr herruft und dabei schwankt. Nur schnell weg, obwohl sie eigentlich keine Eile hat, nach Hause zu gehen.


    In den Häuserschluchten pfeift der Wind, zieht an ihren Haaren, peitscht ihr ins Gesicht. Es ist nie freundlich hier, aber im Winter wirken die Betonbauten mit zwanzig und mehr Stockwerken noch kälter, grauer, regelrecht bedrohlich. Die vereinzelt an den Häuserwänden kletternden Weihnachtmänner und die störrisch blinkenden Weihnachtssterne in den DIN- genormten Fenstern setzen der Trostlosigkeit eine ironische Krone auf. Geschafft, rein in den Fahrstuhl, in das oberste Stockwerk des kleinen Hauses, es sind nur acht. Im siebten hält der Lift, die Tür öffnet sich. Die beiden Gören von dem Typ unter ihr, der schon vormittags betrunken vor dem Flatscreen sitzt, stehen mit einem Einkaufwagen davor und kichern. Das Mädchen sitzt drin, der Junge schiebt. Tanja sagt nichts, schließt die Türen und fährt weiter. Nur Mist im Kopf, das sind doch keine Teenager mehr. Aus denen wird das Gleiche, was aus ihrem Vater geworden ist. Nichts.


    In der Wohnung ist es kalt, die Heizung ist erst heute repariert worden und es wird Tage dauern, bis die Wärme es schafft, die Kälte aus den dicken Mauern zu vertreiben. Sie schaltet noch in ihren Mantel gehüllt den Fernseher ein, gut, Stimmen. Die obligatorische Weihnachtskarte von Martin und Frida legt sie auf den kleinen Plastik- Couchtisch, schwer liegt sie in Ihrer Hand. Das Papier ist geschröpft, dicke, teure Qualität, auf der Vorderseite sind goldene Sterne aus Folie aufgekebt. Wahrscheinlich hat Frida wieder mit den Kindern gebastelt. Frida. Dieses engelsgleiche Geschöpf mit den naturblonden Locken, die ihr schönes Gesicht noch mehr zum Strahlen bringen.


    Martin wollte keine Kinder. Tanja, ich bin noch nicht reif genug dafür. Zehn Jahre waren sie zusammen, aber für Kinder war kein Platz. Das änderte sich schlagartig, als er Frida traf. Sie erinnert sich noch genau an diesen Abend, Martin mit gepackter Tasche. Du bist mein bester Freund, aber ich liebe Frida. Wie lange war das her, acht Jahre? Die beiden setzten vier Kinder in die Welt, sie konnten gar nicht genug bekommen von Brei kochen, Fläschen geben, Bäuerchen machen und Windeln wechseln. Tanja wollte sein Geld nicht, bleib doch in der Wohnung, ich sorge für Dich. Noch nie hatte sie Jemanden mehr gehasst, als in diesem Moment. Sein zerknirschtes Gesicht ließ sie innerlich strahlen. Nein, sie wollte sein Mitleid nicht.


    Sie blickt aus dem Fenster, kann in dreißig oder mehr Wohnungen sehen, sieht Familien, die den Tannenbaum schmücken, in vielen läuft der Fernseher, in einigen sitzen Kinder vor dem Computer. Wahrscheinlich bekommen sie gleich den neuesten Technik- Kram geschenkt, denn Weihnachten wird unterm Baum entschieden, wie ein großer Mediamarkt seit September verkündet.


    Das kann sie sich leisten, diese Wohnung, aus eigener Kraft.. Ein Leben im "Block", bekannt geworden duch Sidos ätzendes Lied. Letztes Jahr ist am ersten Weihnachtsfeiertag eine junge Frau aus dem sechzehnten Stock gesprungen. Sie saß im Rollstuhl und hatte trotzdem den Willen, über die Brüstung zu steigen. Tanja findet das mutig.


    Was soll sie sich denn heute kochen, an diesem Weihnachtsfest, das wie jedes andere auch ist, einsam und langweilig? Sie wird aus in diesem Jahr die Einladung ablehnen, mit Martins Familie zu feiern, die Sternenkarte landet wie immer im Müll. Pasta ist noch da, sie schwenkt sie in Butter und Salbei, eine Flasche spanischen Rioja dazu, ja, es geht ihr prächtig. Im Fernsehen läuft "Die Hard 138", alle Jahre wieder.


    Tief in die Decke gekuschelt hört sie ein Geräusch auf dem Flur, ein Scharren und Knistern, was ist da? Sie öffnet die Tür, späht hinaus, ganz vorsichtig und leise, in diesem Haus laufen manchmal komische Gestalten umher, dunkle. Sie kann nichts erkennen, ihre Wohnung ist die letzte im Flur, der zwei Fingebreit später bereits an das Hausende stößt, an dem sie unvermittelt einen warmen Lichtstrahl erkennt, eine Türspalte, einen breiten Schlitz, eine mollige Dame. Sie hat schwarze Haare mit pinken und blauen Strähnchen, auf ihren Wimpern blitzen kleine Edelsteinchen, Lachfältchen an den Augen.


    Tanja ist verdutzt, wieso ist da plötzlich eine Wohnung und woher kommt diese ausgeflippte Frau? Sie zweifelt an ihrem Verstand, aber die Dame nimmt sie sacht am Arm, führt sie herein, alles ist warm und einladend. Schön, dass Du da bist, endlich. Tanja reibt ihre Augen, das gibt es doch nicht. Die Wohnung ähnelt vom Schnitt her ihrer eigenen, aber sie glaubt, sich in einem Schloss zu befinden. Die Wände sind mit edlen Fließtapteten ausgeschlagen, auf denen Gemälde gezeichnet sind. Ein Engel mit kurzen, roten Haaren und nackten Brüsten, der einen anderen Engel küsst. Lachende Kinder, die sich aus einer Pergamentrolle Geschichten vorlesen und fliegende Schildkröten mit Nudelsieben auf dem Kopf. Vor den Fenstern hängen schwere Brokatvorhänge, keine Sicht auf die grauen Wohnwaben gegenüber. An der Stelle, an der in ihrer Wohnung der Fernseher steht, befindet sich ein lodernder Kamin, daneben ein kleiner Mosaiktisch, überquellend vor Büchern und einer Kanne Tee. Nat King Cole singt leise von seinem "Little Christmas Tree", der den Raum erfüllt. Es riecht gut, nach Apfelpfannkuchen mit Zimt, nach Orangen und Vanille. Hier sind Kekse für Dich, ich habe sie für Dich gebacken, ich heiße übrigens Anna. Die alte Dame lacht, als sie Tanjas verwunderten Blick bemerkt, nun hab doch keine Angst! und drückt sie sanft, aber bestimmt in den gemütlichen Ohrensessel am Kamin. Der Keks in ihrem Mund ist so mürbe, dass er auf der Zunge zergeht.


    Sie erinnert sich an Weihnachten mit ihren Eltern, als sie noch ein Kind war. An Schlittenfahren und liebevolle Geschenke, an Gänsebraten und Früchtepunsch, an kuschelige Abende und an das Vorlesen der neuen Bücher, Michel aus Lönneberga und Pippi Langstrumpf. An Weihnachten mit Martin, an lange Abende und herzliche Gespräche. Wie schön das alles war. Sie lächelt und bemerkt erst langsam, dass sie gar nicht alleine ist in der Wohnung. Da sitzen zwei Teenager auf dem dicken Teppich am Boden und spielen Monopoly, dieses altmodische Spiel hat sie doch früher auch schon gespielt! Heute zocken die Kids doch nur noch an der X- Box. Das sind die Kinder von Herrn Müller aus dem Stock unter uns, sagt Anna. Seitdem seine Frau letztes Jahr gestorben ist, zieht er sich immer mehr zurück. Felix lernt bei mir Mathe, er ist ein richtig schlaues Kerlchen, aber in Mathe hat er ein paar Schierigkeiten. Nächstes Jahr macht er Abitur. Lena spielt Theater, jede Woche in der Kulturscheune, sie hat richtig Talent. Kennst Du die Beiden?


    Tanja nickt, spürt einen Kloß im Hals. Abitur, Theater. Frau gestorben. Ist ihr noch nie aufgefallen, dass Herr Müller mal mit einer Frau zusammenlebte. Mit der Mutter seiner Kinder. Eine Tür öffnet sich, kleine Kinder poltern durch die Wohnung, Anna, Anna, fang uns doch. Anna piekt einen kleinen Jungen in die Seite. Das sind die Kinder meines besten Freundes. Der kleine Junge drückt Anna einen Kuss auf die Wange. Ich hab Dich lieb, Anni. Ganz außer Puste ist er, seine Wangen glühen vor Aufgegung. Heilig Abend wollen sie immer zu mir, die Feiertage verbringen wir alle zusammen. Anna zwinkert, Tanja fühlt sich plötzlich ganz klein in diesem riesigen Sessel. Warum nur ist sie hier, an diesem Ort, was soll das alles, träumt sie? Du hast mich doch gerufen, Tanja, Ihr alle habt mich gerufen. Du bist hier, weil Du mich finden wolltest. Anna hält ihre Hand fest. Heute ist doch erst Heute, Süße, Morgen ist Morgen.


    Die Decke rutscht lautlos zu Boden, als Tanja aus dem Sessel aufschreckt. Bruce Willis schreit ihr aus dem Fernsehen etwas zu, ganz verschlafen ist sie, was war das für ein Traum? Natürlich war das ein Traum, in solchen Geschichten wie dieser hier ist es immer ein Traum. Sie sprintet aus der Tür, den Flur entlang, tastet blind an den Wänden. Sie sind glatt und kalt, aber da- auf dem Boden liegt ein Plätzchen, es duftet nach Orangen und Vanille. Heute ist doch erst Heute. Ihr Mantel ist noch offen, als sie an Herrn Müllers Tür klingelt, der mit roten, leeren Augen öffnet. Frohe Weihnachten sagt Tanja und überreicht ihm einen kleinen Weihnachtsstern. Den hat sie von ihrer Kollegin geschenkt bekommen, sie hasst Weihnachtssterne, aber das muss Herr Müller ja nicht wissen. Ich bin seit acht Jahren Ihre Nachbarin, wir sollten uns endlich mal kennenlernen. Ein Lächeln huscht über Herrn Müllers Gesicht, ja, das sollten wir unbedingt. Schön, bis bald, ruft sie. Weiter durch die Flure, der Aufzug streikt. Da, die beiden Teenager mit dem Einkaufswagen. Hallo, ich bin Tanja. Ich habe nächste Woche nachmittags frei- kommt Ihr mich besuchen? Ich war früher super in Mathe, wusstet Ihr das? Die Beiden gucken erst verdutzt, dann lachen sie begeistert. Ja, klar, bis nächste Woche!


    Das Haus sieht so gemütlich aus, warm erleuchtet mit roten Sternen aus Glas und Chrom, der Weg, der durch den Garten zum Eingang führt, ist mit Puderschnee bedeckt, kleine Fackeln brennen an den Seiten. Sie klingelt zweimal, Frida bringt kein Wort der Bergüßung heraus, sie fällt ihr nur um die Hals. Tanja,endlich. Martin zieht sie herein, die Arme um die Schultern ich habe gar kein Geschenk. Frida streichelt ihre Haare, Martin hält sie fest. Kinder sehen staunend an ihr herauf.


    Du bist doch da.