Laura Waco: Von Zuhause wird nichts erzählt

  • Laura Waco: Von Zuhause wird nichts erzählt
    Verlag: Btb 1999. 375 Seiten
    ISBN-13: 978-3442723423.

    noch gebraucht erhältlich


    Verlagstext:
    Was ist das nun? Autobiographie? Abrechnung mit den Deutschen? Entstehung einer Schriftstellerin? Es hat von all dem etwas und ist keins davon allein. Dieses Buch ist etwas ganz Eigenes, das sich wie ein Roman liest, wie ein Roman gebaut ist, mit einer Sprache eigener Prägung. Er führt das Erwachsenwerden einer Tochter von überlebenden Juden vor, die untereinander polnisch und jiddisch reden. In ihrer bayerischen, deutschen Heimat wird sie zu einer jüdischen Deutschen der Nachkriegsgeneration. Das erzählt sie ganz ursprünglich und gleichzeitig in kunstvollem Originalton: Auch eine Liebeserklärung an Deutschland.


    Die Autorin:
    Laura Waco wurde 1947 als Tochter Überlebender von Dachau und Bergen-Belsen in Freising bei München geboren, ging erst dort und später in München zur Schule. Als 18-jährige wanderte sie 1965 nach Kanada aus. Ein Jahr darauf lernte sie in Los Angeles ihren späteren Mann kennen, den sie 1968 heiratete. 1970 und 1973 wurden ihre beiden Töchter geboren. 1980 besuchte sie Deutschland zum ersten Mal nach ihrer Auswanderung. Ihre ersten beiden Bücher hat sie auf deutsch verfaßt.
    Über sich selbst sagt sie: Ich war ein deutscher Import in Amerika. Man nannte mich "the Continental". Fremd war ich in der neuen amerikanischen Familie meines Mannes. 1971 schwor ich Treue zu Amerika und wurde ein (deutscher) U.S. Bürger, immer deutsch. Mit Coupons und Kreditkarten war ich eine gehorsame amerikanische Ehefrau. Stets zog ich Vergleiche zwischen Amerika und Deutschland. Immer war ich unglücklich als Deutsche in Amerika. Zusammen mit meinen Kindern wurde ich erwachsen und konnte die Erinnerung an meine eigene Kindheit nicht mehr verdrängen.


    Inhalt:
    Als Älteste von drei Schwestern wächst Laura in den 50er in Freising und später in München auf. Die drei Schwestern sind Kinder von Holocaust-Überlebenden. Die Mädchen erleben einerseits eine typische Nachkriegs-Kindheit, andererseits spüren sie ihr Anderssein als Juden und ihre von der verordneten Normalität abweichende Familiengeschichte deutlich. In sehr kindlichem Ton erzählt Laura vom Alltag mit Eltern, die in Freising ein Restaurant betrieben, während die drei Töchter in der Münchener Borstei von wechselnden Haushälterinnen erzogen wurden. Laura als Älteste leidet sichtlich unter dem überschäumenden Temperament ihrer frechen kleinen Schwester Berta. Die Mädchen machen schon früh die Erfahrung, dass ihre Mutter sich distanziert verhält und in der Familie die Rolle der schonungsbedürftigen "Jammernden" einnimmt. Der Vater tut zwar äußerlich alles für Frau und Töchter, sorgt sich um ihre Gesundheit, finanziert Klavierunterricht und Urlaubsreisen, nimmt sonst jedoch - die für die damalige Zeit nicht ungewöhnliche - Rolle des abwesenden berufstätigen Vaters ein, der bei Konflikten ausrastet und gewalttätig wird.


    Sehr kritisch beschreibt Waco die widersprüchliche Haltung der Eltern zum jüdischen Glauben. Wenn es um die Schulleistungen der Töchter geht und darum, nicht anzuecken, können jüdische Sitten wie der Schabat ruhig vernachlässigt werden. Als die Töchter Interesse an gleichaltrigen Jungen zeigen, setzen die Eltern jedoch kompromisslos ihre Vorstellungen von der arrangierten Ehe unter jüdischen Partnern durch. Laura Waco schildert eine idyllische Kindheit, in der es jederzeit genug gleichaltrige Spielgefährten gab, man brauchte nur auf die Straße oder ins Schwimmbad zu gehen. An Bärendreck, Strumpfhalter-Leibchen und verhasste Kleidungsstücke, die wohlmeinende Verwandte aus Amerika schickten, erinnern sich noch viele von Wacos Zeitgenossinnen. Wacos typisch bayrische Kindheit, in der es katholische und protestantische Schulen gab und alle Nicht-Katholiken per Beschluss zu Protestanten erklärt wurden, ist natürlich auch die Kindheit einer Außenseiterin.


    Doch abseits der vordergründigen Idylle erkennt Laura sehr deutlich, dass es im Bekanntenkreis ihrer Eltern Dinge gibt, über die Deutsche nicht sprechen. Laura nimmt Frauen wahr, die keine Kinder bekommen können, weil sie während des Nationalsozialismus zwangssterilisiert wurden und Freunde ihrer Eltern, deren Häftlingsnummer-Nummer am Unterarm von ihrem Schicksal zeugt. Als Laura als ältere Schülerin ein Referat über den Nationalsozialismus hält, entlarvt sich ihr geliebter Klassenlehrer als Hitler-Verharmloser. Nach ihrem Schulabschluss in Deutschland wird Laura auf eine feudale Finishing-School in London geschickt und gleich anschließend zu Verwandten nach Kanada.


    Interessant ist die Entwicklung von Wacos Sprache: Die naive Sicht eines Vorschulkindes wird von der nicht weniger naiven Sicht einer streng behüteten Tochter abgelöst. In den immer kürzer werdenden Texten, die die erwachsene Laura aus England schickt, dokumentiert sie nüchtern ihre persönliche Reifung und die Entwicklung ihrer Englisch- und Maschinenschreibfertigkeiten. Über die Entscheidung der Eltern, Laura nach Kanada zu schicken, erfahren die Leser kaum noch etwas: Von Zuhause wird nichts erzählt.


    Fazit:
    Laura Waco legt eine Biografie vor, in der sie ihre Beziehung zu ihren als distanziert und liebesunfähig erlebten Eltern verarbeitet. Vermutlich soll ihr Buch auch Erinnerungen für die eigenen Töchter bewahren. Das Buch spricht als Zeugnis erlebter Heimat-Geschichte an, mehr jedoch als Analyse der Familienbeziehungen. Laura Waco hat die Probleme zwischen Eltern und Töchtern auf die Lagerhaft-Erfahrungen der Eltern Stöger zurückgeführt und stets beklagt, dass Kinder von Holocaust-Überlebenden sich als grundsätzlich minderwertig erleben, da ja niemand so schlimme Erlebnisse haben kann wie die eigenen Eltern. Die Autorin verkennt meiner Meinung nach bei ihrer Einschätzung, dass trotz der besonderen Umstände die Kindheit der drei Schwestern auch viele Gemeinsamkeiten mit der Kindheit von Zeitgenossen zeigt.


    7 von 10 Punkten

  • Hört sich sehr interessant an. Das sieht nach einem Buch aus, das man wohl nicht aus den Augen verlieren sollte. Kommt auch sofort auf die Wunschliste. Herzlichen Dank für diese Buchvorstellung. :wave

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.