Das Bildnis des D.G.

  • DAS BILDNIS DES D.G.


    Meine Vorliebe für schöne und alte Dinge war es, die mich in dieses Antiquitätengeschäft geführt hatte.
    Das Bild aber, welches mich so gefangen nahm, war alles andere als “schön” zu nennen. Schön war allenfalls der Rahmen. Das Bild des alten Mannes aber – ausgezehrt, verfallen, mehr ein Bild eines Toten als eines lebenden Menschen Gesicht - war eine zum Himmel schreiende Abscheulichkeit. Als ob alle Sündhaftigkeit, alle Grausamkeit, alle bösen Untiefen der menschlichen Seele im Antlitz eines einzigen Menschen zu sehen wären und hinter dieser entsetzlichen Maske die Welt verlachten.
    Doch zwang dieses grauenvolle Gemälde jeden noch so arglosen Betrachter in einen geheimnisvollen Bann. Mehr als alle anderen Bilder, die ich jemals erblickt hatte, schien dieses der Wirklichkeit selbst entsprungen zu sein. Fast erwartete ich, der alte Mann würde sich von der vergilbenden Leinwand lösen und mir entgegen kommen. Die stechenden Augen schienen mich zu verfolgen und es war, als wolle der zu einem bösen Lächeln verzogenen Mund zu mir sprechen, mich zu unvorstellbaren Taten anstacheln.
    In diesem sonderbaren Rausch, in den dieses Abbild der Häßlichkeit mich versetzt hatte, kaufte ich das Gemälde.
    Zu hause bekam es den vorteilhaftesten Platz, den ich in meinem Wohnzimmer finden konnte. Nicht für eine Sekunde konnte ich mich seiner Anziehung entziehen. Den Tag verbrachte ich damit, es zu betrachten. Und im Laufe der Stunden schien es mir immer weniger abstoßend. Die fahle Hautfarbe schien rosiger zu sein, als ich auf den ersten Blick geglaubt hatte und die Falten erschienen mir weniger und nicht mehr so tief. Vielleicht hatte es in dem Antiquitätengeschäft in einem ungünstigerem Licht gehangen. Früher als gewohnt schlief ich an diesem Abend ein. Auch im Traum verfolgte mich dieses Bild. Der alte Mann sprach zu mir, hauchte mir ein, meine Tugenden zu vergessen und mich den süßen Verführungen der Sünde hinzugeben.
    Das Erwachen kam einem tiefen Schrecken gleich. Der Schlaf hatte mir keine Erholung gebracht, mich vielmehr völlig ausgelaugt.
    So vergingen die Monate. Besuche von Freunden erhielt ich seit einer geraumen Weile nicht mehr. Sie alle fühlten sich in der Umgebung dieses Bildes unbehaglich und rieten mir, diese Abscheulichkeit so bald als möglich zu entfernen.
    Allein, für mich wurde dieses Gemälde immer mehr zum Mittelpunkt meines Lebens. Meine Betrachtungen unterbrach ich nur noch zum Essen oder Schlafen.
    Jeden Tag schien mir das Bild verändert. Von dem alten Mann war nichts mehr zu sehen. Er schien sich verjüngt zu haben und ich konnte mir nicht mehr vorstellen, ein anderes Bild als das eines jungen, hoffnungsvollen, lebenshungrigen Mannes gekauft zu haben. Ich jedoch fühlte mich seit Wochen um Jahrzehnte gealtert. Mein Spiegelbild hatte sich verändert und strafte das Datum auf meiner Geburtsurkunde schändlich Lügen. In der Nacht, nachdem mir diese Erkenntnis gekommen war, wurde ich von Alpträumen geplagt.
    Das Bild, auf dem ich nun den Händler wiedererkannte, der es mir verkauft hatte, verlachte mich ob meiner Gebrechlichkeit. Sobald ich erwacht war brachte ich, von Grauen geschüttelt, das Bild wieder zurück.
    Der Händler schien mich schon zu erwarten, denn er begrüßte mich mit den Worten:
    “Da sind sie ja endlich. Sie haben länger gebraucht als die meisten anderen. Ihre Kraft muß um vieles größer gewesen sein. Wissen sie, auch die Jahre, um die mein Abbild altert, sind gezählt. Wenn die Zeit abgelaufen ist, muß es die Jugend eines anderen aufnehmen, oder auch ich beginne, zu altern. Ich bin ihnen zu großem Dank verpflichtet.”
    Entsetzt floh ich diesen Ort.
    Und ich muß jeden davor warnen, “Grays Antiquitäten” zu besuchen.

  • Zu kurz für eine Schaudergeschichte. Man hat überhaupt keine Zeit sich zu gruseln, und das ist doch der Hauptzweck so einer Geschichte, oder?


    Der Stil ist gut, erinnert mich an ältere Gruselgeschichten...aber wie gesagt: Zu kurz.


    Das müsste man alles viel ausführlicher beschreiben...langsam andeuten, wie die Protagonistin /der Protagonist? immer mehr Falten im Spiegel entdeckt, sich immer schwerfälliger bewegt, etc.


    Wenn man das in einer Minute gelesen hat, ist man ja am Ende, bevor man sich ordentlich gruseln konnte. Den Abstieg in die Sündhaftigkeit bekommt man auch nicht mit - was genau tut der/die Protagonist/in denn nun unmoralisches? Oder sind das nur Gedanken?


    Oh, und warum zerstört sie/er das Bild am Ende nicht? Das wäre meine spontane Idee... :gruebel

  • Erstmal danke für die Kritik :)


    Daß die Geschichte so kurz ist ist beabsichtigt, sie ist ja aus einer Sammlung von minimalistischen und makabren Texten.


    Der Protagonist tut ja an sich nichts unmoralisches, es ist Dorian, der ihn dazu bewegen will.


    Hätte er das Bild zerstört, hätte die Pointe der Geschichte nicht mehr funktioniert. Aber warum er es nicht tat - vielleicht hatte er Angst vor Dorian, vielleicht wußte er auch nicht, was dann geschehen würde. Oder er wollte Antworten, warum man ihm so etwas antat.

  • Zitat

    Original von Dichterdämon
    Erstmal danke für die Kritik :)


    Daß die Geschichte so kurz ist ist beabsichtigt, sie ist ja aus einer Sammlung von minimalistischen und makabren Texten.


    Mh, ich weiß nicht. Ich fasse mich ja selbst gern sehr, sehr kurz, aber irgendwie find ich ein klitzekleines bisschen länger dürfte es schon noch sein. Damit man ein bisschen Zeit zum gruseln hat.


    Aaaaber das ist natürlich alles Geschmackssache. Mein Geschreibsel wird ja auch von fast allen als zu wenig ausführlich empfunden. Insofern bin ich da eigentlich nicht zu Kritik berechtigt. :grin

  • Doch, bist Du, dafür ist dieses Forum ja da.


    Bei längeren Geschichten wäre es dann fraglich, ob die Pointen so ankommen würden. Bei dieser ist es doppelt schwierig, da die Auflösung ja bereits im Titel angekündigt wird.


    Minimalistische Kurzgeschichten sind natürlich schwerer, da man weniger Raum hat, ein genaues Bild der Situation zu malen. Möglicherweise empfinde ich sie gerade deshalb als so reizvoll. Sie lassen noch mehr Interpretatinosraum als Kurzgeschichten sowieso. Hier zum Beispiel bleiben viele Fragen offen, wie zum Beispiel "Was für ein Mensch ist der Protagonist?", der ja ohne weiter vorgestellt zu werden in die Situation geworfen wird.
    "Wann spielt die Geschichte?" Es ist ja Raum von den Ereignissen, die in Oscar Wildes Roman beschrieben werden, bis heute. Wie oft hat Dorian Gray dieses Bild verkauft und damit Menschen ihrer Lebenskraft beraubt? Und in welcher Gesellschaftsform und welchem Kulturkreis spielt die Geschichte? Das macht es zum einem schwerer, sie zu erzählen, zum anderen aber fällt es dem Leser leichter, sich selbst damit zu identifizieren, da man ja versucht ist, die Freiräume mit bekannten Bildern und Situationen aufzufüllen.