Becker, Maryanne: Die Flickschneiderin

  • Maryanne Becker ist eine unglaubliche Autorin, die mit ihren historischen Romanen das Herz berührt. Sie vermittelt die Deutsch-Belgische-Geschichte fesselnd, dramatisch und bewegend, wie sie schon in „Grenzlandfrau“ verdeutlicht hat.


    In diesem Buch wird der Leser ins Jahr 1914 entführt. Am letzten Zipfel Deutschlands bringt Fini, die Frau eines angesehenen Bauern, ihre jüngste Tochter Anna auf die Welt. Noch während des ersten Weltkrieges verstirbt ihr Vater an gebrochenem Herzen, und Anna muss früh lernen, dass das Leben aus harter Arbeit besteht. Während ihre älteste Schwester ins Kloster geht, müssen die anderen vier Mädchen helfen wo sie können. Erst im Haushalt und auf dem Hof, und später auch bei den Flickarbeiten, die Fini übernimmt, um die Familie über Wasser zu halten. Liebe, Freizeit sind genauso rar wie Nahrungsmittel. Vom ersten Sonnenstrahl bis zum Einbruch der Nacht gibt es nur Arbeit. Doch Anna hat schon früh ihre Leidenschaft zum Nähen entdeckt und würde alles tun, um Schneiderin zu werden. Als sie an der Reihe ist den Lebensunterhalt der Familie zu unterstützen, bekommt sie die Möglichkeit in die Eifel zu gehen und für eine jüdische Familie eine Flickschneiderei zu betreiben. Sie nimmt das Angebot an, und lernt dort nicht nur ein liebevolles Zuhause, sondern auch Leo kennen. Eine Liebe, die Dank Hitler, nicht funktionieren kann, und so steht Anna bald ohne Arbeit, ohne Leo, dafür mit Kind alleine da.


    Der Inhalt dieser Erzählung ist fiktiv, spiegelt jedoch die geschichtlichen Aspekte detailliert wieder. Angefangen mit Annas Geburt, lässt die Autoren den Leser mit einem informativen, packenden und klar strukturierten Stil an ihrem Leben teilhaben. Emotionen, Situationen und geschichtliche Fakten lassen sich erstklassig nachvollziehen und haben für eine durchweg vorhandene Faszination meinerseits gesorgt. Maryanne Becker wählt klare, einfache Sätze, die genau die richtige Menge an Adjektiven beinhalten, um nicht überladen, langatmig zu erscheinen, und trotzdem alles lebendig erscheinen zu lassen. Stilistisch ein wahrer Lesegenuss.


    Die Härte, Konflikte, Nöte und Sorgen der damaligen Zeit fängt die Autorin so farbenfroh ein, dass man mit den einzelnen Protagonisten von der ersten Seite an mitleidet. Besonders bei Anna wird die Schwere des ersten und zweiten Weltkrieges deutlich. Als jüngstes Kind, lernt sie nur die harten Seiten kennen, während ihre älteren Schwestern zumindest ein paar gute, satte und lustige Jahre erleben durfte. Nichtsdestotrotz ist Anna eine einfühlsame, charakterstarke Persönlichkeit, der ich immer nur das Beste gewünscht habe. Als dieses Glück mit ihrer neuen Stelle beginnt, hatte ich durchweg die Hoffnung, dass es andauert, obwohl im Klappentext die tragische Wendung zu erahnen war.


    Wer Maryanne Becker und ihre Werke kennt, der weiß, dass sie eine Autorin ist, die versucht den Leser durch Fakten und Realität zu überzeugen, und nicht durch ein Happy End. Sie fängt auf eindrucksvolle Weise die beiden Weltkriege ein. Hier bleibt kein Herz unberührt und kaum ein Auge trocken.


    In diesem Fall setzt sie ihr Augenmerk nicht auf eingezogene Soldaten oder die typische Judenproblematik, sondern beleuchtet die Entwicklung der Nähmaschine, von kleinen Schneidereien und der Konflikt zwischen Juden und arischen Bürgern, die sich jedoch nicht zu den Nazis zählen.


    Es ist eine fesselnde Erzählung, die aufdeckt, wie das Leben ab 1914 für das gemeine Volk war. Packend, ehrlich, schockierend und an keiner Stelle kitschig oder übertrieben.


    Maryanne Becker ist in meinen Augen wieder ein Meisterwerk gelungen, dass man gelesen haben sollte. Es eignet sich zusätzlich hervorragend für den Schulunterricht, denn es ist nicht nur geschichtlich, sondern auch stilistisch absolut lehrreich, und bietet inhaltlich viel Diskussionsgrundlage.

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