Susan Hill, Howards End is on the Landing: A Year of Reading from Home

  • Mein Leseeindruck konnte nun genügend "sacken", und ich fühle mich in der Lage, eine Rezension zu schreiben. Denn obwohl dieses Buch, soweit ich weiß, noch nicht auf Deutsch erschienen ist, wünsche ich ihm viele weitere Leser! Auch deshalb und gerade weil es in manchen Punkten sicher nicht den gängigen Erwartungen entspricht, und auch weil die Autorin sicher so manche streitbare Meinung vertritt.


    Wir deutschen Leser haben bei "Büchern über Bücher", zumal wenn sie von Schriftstellern oder Kritikern verfasst werden, immer eine bestimmte Erwartung, wie mir scheint. Wir wollen Leitlinien, wir wollen eine Handreichung, "was man lesen soll", wir wollen einen Kanon. Wir sind sehr daran gewöhnt, dass man uns sagt, was wir über dieses und jenes zu denken haben. Doch genau diesen Ansprüchen verweigert sich Susan Hill konsequent. Dennoch finde ich ihr Buch überaus gelungen, und sehr geradlinig geschrieben - denn beim Schreiben ist sie ihrem ganz eigenen "Leitfaden" gefolgt.


    Vorab: sie beschreibt eben nicht (!!) ihr Lesejahr, sondern die Vorbereitung dazu. Anlass war die Suche nach einem bestimmten Buch, "Howards End". Sie streift dazu durch ihr ganzes Haus, nimmt dieses und jenen Band in die Hand, erinnert sich, sucht weiter, entdeckt so manches, was sie vergessen hatte. Und genau das macht den Reiz des Buches aus. Man merkt so wunderbar, wie sich ihr ganzes Leben entlang von Büchern entwickelt hat, wie ihr Bestand wuchs, und wie beim Lesen oft eins zum andern kommt. Mir hat sich hier besonders folgender Satz sehr eingeprägt, der mich schmunzeln ließ, und der mir eine gute Vorstellung von Susan Hills Haus und den Regalen vermittelte: "I sometimes wonder if the books came into this house or if the house grew around them." Köstlicher Satz!


    Vom Stil her ist das Buch halb Essay, und halb Biografie, und genau das hat mir gut gefallen. Denn ihre Biografie ist ja nun eben mit Literatur sehr verbunden! Sie ist Schriftstellerin, und wollte auch immer eine werden. Es ist faszinierend nachzulesen, wie vielen Schriftstellern sie im Laufe ihres Lebens begegnet ist, und welche Anekdoten sie damit verknüpft. Sie hat in zahlreichen Komitees gesessen, hat zahlreiche Interviews geführt. Besonders gut hat sich mir dabei vermittelt, wie anders die literarische Szene in England aufgebaut ist, welch anderen Eindruck man von außen zu einem literarischen "Kosmos" so hat. Außerhalb Englands kennt man meist nur die Preisträger, oder diejenigen, die sich auch hier gut verkaufen. Doch was die eigentliche "literarische Identität" eines Landes ausmacht, wird oft ganz anders bewertet. Sehr aufschlussreich!


    Ganz locker und unaufdringlich, dabei doch immer dem Ziel ihres Buches folgend, verknüpft Susan Hill mit ihren Erinnerungen die eher "essayistischen" Anteile. Die sind oft leichtfüßig, immer gut zu lesen, aber mit viel Hintersinn, und teils beißenden Untertönen. Da gibt es teils witzige, teils tiefschürfende Absätze über den Einfluss des Internets auf unser Leseverhalten, über den Sinn von Serien und Sammelbänden, über E-Books, über Schrifttypen und Sonderausgaben, über das angemessene Lesetempo, und und und. Ich habe wirklich viel dazugelernt.


    Die eher "streitbaren" Aspekte ihrer Ansichten habe ich gut verdauen können, weil sie sie immer erklärt. So mag sie zwar Dickens und Hardy, aber schätzt ausgerechnet ihre weniger bekannten Werke. Den "Oliver Twist" erwähnt sie nicht einmal! Ebenso wenig die "Tess of the D'Urbervilles". Tja...! Doch ich habe sie verstanden, und hatte nicht den Eindruck, dass sie eine oberflächliche Leserin ist. Eher im Gegenteil. Auch kann sie mit Jane Austen nichts anfangen, was mich im ersten Moment verblüfft hat - doch ihre Argumente hierzu leuchteten mir ein. Eher verschroben bis liebenswert erscheint mir die Tatsache, dass sie mit australischen und kanadischen Autoren nichts anzufangen weiß... so hat wohl jeder Leser seine "Macken"...!


    Doch am kuriosesten war für mich die Entdeckung von Susan Hill als Autorin. Dieses Buch hat mir so gut gefallen, dass ich über sie nachgeforscht habe, weil - so muss ich zu meiner Schande gestehen - sie mir bislang völlig unbekannt war. Und siehe da - sie ist die Autorin der Romanvorlage zu "Die Frau in Schwarz", ein Film, der gerade in unseren Kinos läuft. Noch kurioser: sie selber liest kaum Krimis, Grusel oder Horror. Als Autorin aber ist sie genau mit diesem Genre erfolgreich geworden - zumindest in England. Das fand ich doch irgendwie witzig...!


    Ich möchte dieses Buch wirklich allen deutschen "Bibliomanen" ans Herz legen, auch und gerade denjenigen, die sich für England interessieren. Man wird ein wenig aus seiner engen, deutsch-kulturell gefärbten Weltsicht herausgerissen - und das tut auch mal ungeheuer gut. Und ein Lesevergnügen ist dieses Buch aufgrund seines witzig-geistreichen Stils allemal.

  • Danke für diese tolle Rezi rumble-bee, ich packe mir das Buch gleich auf die WL. Allein das Cover ist ja schon so schön. Klingt absolut wie ein Buch, das mich begeistern könnte. :wave

    „Furcht führt zu Wut, Wut führt zu Hass. Hass führt zu unsäglichem Leid.“

    - Meister Yoda