Die Überlebensbibliothek – Rainer Moritz

  • Zum Buch:
    Eine seltsame Macht scheint von Romanen auszugehen, auf verschlungene Art und Weise berühren sie uns und verbinden sich mit unserem Leben. Rainer Moritz, Leiter des Hamburger Literaturhauses und auch sonst nur unwesentlich mit anderem beschäftigt als mit Lesen, stellt in der „Überlebensbibliothek“ für fast alle Lagen des Lebens kleine und große Geschichten der Weltliteratur vor, denen diese Macht innewohnt.


    Zum Autor:
    Rainer Moritz wurde 1958 in Heilbronn geboren. Er ist Leiter des Literaturhauses Hamburg, Literaturkritiker, Übersetzer und Autor zahlreicher Publikationen.



    Meine Meinung:
    Gelesen habe ich die überarbeitete Taschenbuch-Neuausgabe des 2006 als gebundenes Buch veröffentlichten Textes. Insgesamt hat sie 309 Seiten, denen vier ziemlich hinreißende Zitate zum Thema Lesen von Klaus Modick, Friedrich Christian Delius, Peter Handke und Gustave Flaubert vorangestellt sind. Moritz gibt sich nicht damit zufrieden, einfach ein Inhaltsverzeichnis an den Anfang zu stellen, sondern verwebt dieses gleich mit einer Einführung (zur Thematik warum Überlebensbibliothek und „Warum (diese) Bücher lesen“), was einigen Sinn macht, so weiß man gleich, warum eigentlich solche Kapitelüberschriften und -einteilungen vorgenommen wurden. In acht Kapiteln, die so verheißungsvolle Überschriften wie „Mit sich selbst zurechtkommen“, „Das Leben bestehen, im Kleinen wie im Großen“ oder gar „Im Durcheinander von Erotik, Sex und Liebe klüger werden“ betitelt sind, und einem Schlusskapitel mit dem fast schon obligatorischen „Hinweis auf Nebenwirkungen...“ stellt der Autor etwa 70 Bücher vor. Zu jedem Kapitel gibt es eine gewisse Anzahl von Büchern, von gerade einmal sechs des Kapitels „Sich an fremde Orte begeben“ bis zu – wer hätte das wohl gedacht? - 14 Titeln zum Thema „Erotik, Sex und Liebe“; das Schlusskapitel hat – wer ahnt es nicht – nur einen Roman zum Gegenstand.


    Auf, wie ich finde, fesselnde und humorvolle Art stellt Moritz seine Favoriten vor, es war für mich ein höchst vergnügliches Lesen; von einem wiedererkennenden „Ach ja“, das dem „Armen Spielmann“ Grillparzers, „Kummer mit jütländischen Kaffeetafeln“ von Siegfried Lenz (hat da nicht jeder mitgelitten, der es gelesen hat?) oder "Adrienne Mesurat" von Julien Green galt bis zu einem begeisterten „Ja, Ja und nochmals Ja“ zum „Stechlin“ Fontanes, zum vom Autor übersetzten „84, Charing Cross Road“ von Helene Hanff (seitdem weiß ich Antiquariate zu schätzen) bis zum „Land der Winde“ von Gerhard Meier, von einem „oh, wirklich?“, zu dem ich mich hüten werde, die Titel anzugeben, bis zum „das klingt interessant, wird notiert“ bezüglich „Vom zweifelhaften Vergnügen, tot zu sein“ von Hallgrimur Helgason oder „Untersuchung an Mädeln“ von Albert Drach wusste mir dieser Kanon viele Reaktionen zu entlocken. Kalt gelassen oder gleichgültig hat mich das Buch an keiner Stelle.


    Die Rezensionen, und nichts anderes sind es ja, die die Bücher vorstellen, baut Moritz nach meinem Empfinden sehr schön auf: Unterkapitelüberschrift (was für ein Wort), Titel des vorgestellten Buches, einige bis viele Worte zur Unterkapitelüberschrift, einige bis viele Worte zum Inhalt des vorgestellten Buches, daran schließen sich einige bis viele Worte zum Buch selbst an, nenne man es nun eine Art Interpretation oder wie auch immer. Lang sind diese Unterkapitelchen nicht, drei bis fünf, sechs Seiten, aber in ihnen steht alles, was man schon immer mal zu einem Buch gesagt haben wollte oder es reicht aus, um Neugierde (das darin versteckte „Gier“ sollte man nicht zu klein schreiben) zu wecken. Wie jeder Kanon ist auch dieser subjektiv, Rainer Moritz gibt sich auch keine Mühe, das zu verschleiern. Es ist auch nicht immer Hochliteratur, aber man kann ja nicht nur edle Rosen oder Lilien im Garten haben, Vergißmeinnicht und Gänseblümchen haben auch ihren ganz eigenen Reiz, von ihrem Charme mal ganz zu schweigen.


    Sicherlich könnte man die Auswahl kritisieren, man könnte nachfragen, wo sie denn eigentlich sind, die Bücher von Jane Austen, von Hemingway, von Piwitt, von Hohler undundund. Irgenwo versteckt findet sich ein Hinweis auf einen zweiten Band, zu dem ich mindestens so begierig greifen werde wie zu dem vorliegenden.


    Ein bisschen haben die Texte in mir die Erinnerung an die Rezensionen von Hermann Hesse und dem so früh verstorbenen Thomas Meurer geweckt. Auch sie wussten sich locken zu lassen, um dann aufs Schönste selber zu locken, lasen mit Begeisterung und Leidenschaft und teilten freigiebig, begeistert und leidenschaftlich ihre Leseerlebnisse den wartenden und ewig hungrigen Lesern mit.


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