Per Johansson: Der Sturm
S. Fischer Verlag 2012. 336 Seiten
ISBN-13: 978-3100170262. 18,99€
Verlagstext
Ein Wald, ein Fluss, ein einsamer Hof im Frühling: In der Scheune liegt ein Toter, der schon als Lebender nicht hierhin gehörte. Aber wer oder was ist überhaupt noch an seinem Ort?, fragt sich Ronny Gustafsson, der für die Lokalzeitung den Süden Schwedens beobachtet und dabei mehr entdeckt, als gut für ihn ist. Plötzlich steht er zwischen Fronten einer Verschwörung, die vom schwedischen Wald aus die Wallstreet ins Schwanken bringt. ›Der Sturm‹ ist ein Kriminalroman voller Poesie und Landschaft, voller Verbrechen und Spannung, ein Buch über Schweden und die Welt, hart an der Gegenwart und ein literarisches Werk zugleich.
Die Autoren
Per Johansson ist das Pseudonym des Autoren-Duos Thomas Steinfeld und Martin Winkler. Thomas Steinfeld hat u. a. "Wallanders Landschaft: Eine Reise durch Schonen" veröffentlicht.
Wenn ältere Herren auf Hacker und Dachse auf eine Leiche treffen ...
Inhalt
Jeden Tag könnte der Frühling beginnen, denkt Bertil während der Autofahrt und stellt sich die Anemonen-Teppiche vor, die sich dann unter den Bäumen in ganz Schonen ausbreiten werden. Bertil Cederblad, ein 60-jähriger Lehrer, hat den Hof seiner Familie in Schonen geerbt, der nur noch als Ferienhaus genutzt wird. Der Besitz ist eher eine Last für Bertil, weil er kaum mit der Arbeit nachkommt, die alten Holzgebäude in Ordnung zu halten. Bertils Großcousin, dem der Nachbarhof gehört, hat die Felder gepachtet und kümmert sich um das Anwesen. Der Strukturwandel im südlichen Schweden deutet sich in dieser Szene an. In kleinen Orten sind ehemalige Bauernhöfe von ihren Bewohnern verlassen worden und werden von Ausländern als Ferienhäuser gekauft. In seiner Scheune entdeckt Bertil einen Toten, übel zugerichtet von der Dachsfamilie, die neben der Scheune einen umfangreichen Bau angelegt hat. Der Mann kann kein Schwede sein. Was von ihm übrig ist, wirkt gut und teuer gekleidet, die Schuhe sind handgenäht - und der Mann hatte für einen Schweden zu viele Zahnkronen im Mund. Zeuge des Leichenfunds wird Ronny Gustavsson, ein muffeliger Lokalreporter, der einmal Größeres vorhatte und doch nur in der winzigen Lokalredaktion seines Heimatortes gelandet ist. Ronny scheint der Prototyp des Reporters zu sein, den andere für einen Loser halten. Berufliche Anforderungen an Ronny wurden bisher nur im seltenen Fall gestellt, wenn ein Schneepflug einen Verteilerkasten rammte und in der Region der Strom ausfiel. Dem Sensationsjournalismus kann Ronny rein gar nichts abgewinnen. Ronnys Chef erwartet zu dem Toten von Bertils Hof nun täglich eine Titelgeschichte. Ronny steht unter Druck, der Chefredakteur ist schwer zufriedenzustellen. Allmählich gehen Ronny die Schlagzeilen aus.
Die Ermittlungen, geleitet von Pelle Larsson, den Bertil natürlich seit seiner Kindheit kennt, drehen sich darum, wie der ehemals elegante Mann in ein winziges Dorf in Schonen kam und wer Bertils Hof überhaupt gekannt haben kann. Für Ronny führt der Mordfall zu einem Wiedersehen mit Lorenz Winkler (heute Philosophie-Professor in Berlin) und mit Benigna, Studienfreunden aus der Zeit als Ronny noch hochfliegende Pläne für seine Zukunft schmiedete. Auf einem riesigen Landsitz residiert in Schonen Wilhelm af Sthen, ein Altmeister des Hackens, Aktivist in einer Protestbewegung gegen die Bankenpolitik - ein feudaler, dünkelhafter Patriarch, der Staatsfeind und wohlhabender Landbesitzer in einer Person ist. Wilhelm kann es sich locker leisten, in Schweden eine Piratenbewegung zu finanzieren. Als nach Tagen Familie Dachs das Schlüsselbund des Toten aus ihrem Bau herausschaufelt, kann der Tote aus Bertils Scheune endlich identifiziert werden, es ist der deutsche Journalist Christian Meier, der kurz zuvor noch in New York über einen IT-Dienstleister recherchiert hatte, der amerikanischen Banken Sicherheitssysteme gegen Hackerangriffe verkaufen will. Der Mann aus Deutschland recherchierte über Cloudcomputing und die Macht der Netzwerke. Meier führte einen halbseiden Lebenswandel und war ein schwieriger Chef - war das Grund genug, ihn mit einer Schaufel zu erschlagen? Der schlimmste Sturm seit Beginn der Wetteraufzeichnungen in Schweden fällt ganze Wälder und legt Christian Meiers PkW frei - endlich eine Spur, wie der deutsche Journalist nach Schweden gelangt sein könnte.
Mit der Beschreibung der idyllischen Landschaft Schonens bedient "Per Johansson" (Pseudonym der Journalisten Thomas Steinfeld und Martin Winkler) Wünsche der Leser von Skandinavien-Krimis. Die Naturgewalten als Gegenspieler der schönen neuen IT-Welt geben den Hintergrund zu einem Skandinavien-Krimi von überschaubarem Umfang. Die Autoren erzählen atmosphärisch und knüpfen ein Netz aus Beziehungen ihrer Figuren, um es für die Auflösung wieder zu entwirren. Ronny, der seine Jugendträume notgedrungen einem Job als Lokalreporter in seinem Heimatort unterordnet, finde ich als Figur, die im Nebenberuf in einem Kriminalfall ermittelt, sehr gelungen. Im Vergleich zu Ermittlerfiguren, die sich im Laufe von Krimiserien innerhalb eines Teams entwickeln dürfen und deren Privatleben die Leser von Band zu Band folgen können, hat ein Ermittler in einem Einzelband ohnehin schlechtere Chancen bei Krimilesern.
Fazit
Die Figuren, die mich in diesem Krimi interessiert hätten, der IT-Unternehmer Grenier und seine Banker-Kundschaft als Auslöser der Ereignisse, bleiben leider im Hintergrund. Auch die Persönlichkeit und die Motive der jugendlichen Hacker werden nur am Rande gestreift. Bertil, Ronny, Pelle, Wilhelm, das Opfer Christian - Steinfeld und Winkler sympathisieren deutlich mit älteren Herren. Auch im realen Schonen, wo die jüngeren Leute abgewandert sind oder tagsüber arbeiten, könnten ältere Herren das Bild in den kleinen Dörfern prägen. "Schweden-Krimi als Angriff auf FAZ-Herausgeber", titelte die Online-Ausgabe einer Zeitung - die Diskussion in den Zeitungsredaktionen, ob der Krimi ein Schlüsselroman sein könnte, füllte das Sommerloch, war für mich als Krimi-Leser jedoch wenig interessant. Der Seitenhieb der Autoren, dass das Opfer kein Schwede sein kann, weil es in Schweden längst keine Karies mehr gibt, konnte mich schon eher erheitern. Liza Marklund hat mit der Persönlichkeit der taffen Journalistin Annika Bengtzon vor dem Hintergrund des Strukturwandels in der Medienwelt die Latte für einen Krimi im Zeitungsmilieu sehr hoch gelegt - zu hoch für "Per Johansson".
5 von 10 Punkten