erstmals erschienen 1982
Ilse ist ‚Ilse-Bilse-keiner-will’se’, die Ilse aus dem Gemeindehaus mit dem Klohäuschen im Hof, die, deren Vater davongelaufen ist und sie zurückgelassen hat, mitsamt Mutter, Schwester und zwei Brüdern. Die Schwester lebt bei den Großeltern, für die Brüder ist Ilse lästiges Anhängsel, für die Mutter der unfehlbare Beweis, daß Männer nur eins wollen und Frauen dann im Stich lassen. Ilse ist ungefähr zehn Jahre alt.
Sie lebt in einer namenlosen Kleinstadt, die immer noch ein wenig landwirtschaftlich geprägt ist, obwohl die Leute anfangen, sich moderne Häuser zu bauen, mit offenen Kaminen und Terrassen, und in den Wohnzimmern die ersten Farbfernsehgeräte auftauchen. Für Ilse sind das Worte ohne Bedeutung, die Miete für die Gemeindewohnung kommt vom Sozialamt und schon um die Monatsmitte muß ihre Mutter Geld bei den Großeltern pumpen. Ilse verdient Geld, indem sie hin und wieder bei Bauern hilft, bei der Beerenernte etwa. Das Holz für den eigenen Ofen sammeln die Geschwister unlustig und böse zankend im Wald.
Gezänk, Geschrei, Püffe und auch Schläge sind stete Begleiter von Ilse. Sie haben sie ängstlich gemacht, unruhig, mißtrauisch und schweigsam. Wehren kann sie sich nicht, wenn sie es tut, sind Mittel und Wirkung unangemessen und schlagen auf sie zurück. Ilses behilft sich mit Rache, heimlich, kleinlich, gemein und durchaus gefährlich.
Was sie möchte, ist liebevolle Zuwendung, aber die findet sie nicht. Zugleich ist sie derart verstört, daß sie Anzeichen dafür nicht mehr erkennt und selbst freundliche Gesten nicht mehr deuten kann. Dabei ist sie tatsächlich ein äußerst liebevolles und großzügiges Kind. Ilse ist immer bereit zu geben. Ihre Umwelt aber scheint ebenso blind und taub für ihre Gesten zu sein.
Pressler erzählt aus der Außensicht, fast berichtsartig. Zugleich ist sie dicht an ihrer Hauptfigur. Ilses Gefühlsunsicherheiten, ihre Ängste, ihr verzweifeltes Hindurchsteuern durch eine Welt, in der sie nie aufgenommen ist, werden genauestens eingefangen. Pressler verzichtet dabei darauf, Ilse den Leserinnen ans Herz wachsen zu lassen, ihre Heldin ist keineswegs ein sympathisches Kind. Auch die Menschen ihrer Umgebung sind wenig freundlich. Schlechte Erfahrungen, Armut, Ausgegrenztsein machen Menschen nicht gut, gute Erfahrungen und soziale Sicherheit aber ebensowenig. Die Menschen in dieser Geschichte sind kleine Leute, sie denken klein und verhalten sich viel zu oft kleinlich. Man denkt nicht über etwas nach, man boxt sich eben durch, jede für sich, immer gefaßt auf einen der Schläge, die einem das Leben unvermutet versetzt. Freundlichkeiten sind flüchtig, Träume zerplatzen schnell, die vom sozialen Aufstieg von Ilses Mutter etwa, die nach einem erneuten Versuch mit einem Mann nur wieder einmal schwanger allein dasteht. Aber auch Ilses Traum von ihrem liebenden Vater, der mit einem Besuch an Weihnachten alles Vergangene wieder gut machen wird.
Doch auch diese Enttäuschung übersteht sie. Ilse ist tatsächlich eine ungemein starke kleine Persönlichkeit, die ihre Stärke dadurch gewinnt, daß sie geben kann, auch wenn sie selbst das kaum spürt.
Die Geschichte ist, von heute aus gesehen, eine typische Geschichte aus den 1980er Jahren Hart, schroff, mit hin und wieder derber Sprache, alles andere als konziliant und nahezu ohne Freundlichkeit erzählt. Man muß darum ringen, sie zu akzeptieren, serviert wird nichts. Der Schrecken wohnt im ganz normalen Alltag ganz normaler Menschen. Ilse ist nicht nur für ein Kinderbuch eine erstaunliche Figur, sie wurde mit großer psychologischer Einfühlung entworfen und mit einer Konsequenz gezeichnet, die beim Lesen nicht immer leicht zu ertragen ist. Die Atmosphäre des Buchs hat viel von den fünfziger Jahren, aber eben die Erwähnung des Farbfernsehens zeigt, daß sie eher Ende der sechziger Jahre anzusiedeln ist. Damit schenkt einer dieses Buch für einmal einen ganz anderen Blick auf diese Zeit, die wir so gewohnt sind als Jahre des politischen Aufbruchs zu sehen.
1986 wurde die Geschichte verfilmt (Sigrun Koeppe, Novemberkatzen, 100 min.). Die Handlung wurde in die 1950er Jahre verlegt.