Es ist mein Leben - Robert Leeson (ab ca. 14 J.)

  • OT: It’s My Life 1980



    Jans Mutter verschwindet spurlos, von einem Tag auf den anderen. Der Vater, die fünfzehnjährige Janet und der kleine Bruder Kevin sind rat - und hilflos. Nur ein Reflex funktioniert: niemand darf etwas davon erfahren, wir sind eine ganz normale Familie. So versuchen sie zu funktionieren. Jan, die kurz vor der Mittleren Reife steht, übernimmt die Haushaltspflichten, der Vater kümmert sich um Kevin und versucht an den Wochenenden so etwa wie Familienglück zurückzubringen.
    Die Eltern sind verschuldet, da sie ein Reihenhäuschen gekauft haben. Der Vater hat wieder angefangen zu studieren, um sich beruflich weiterzuqualifizieren, die Mutter hat in der Elektrofabrik, die den kleinen englischen Ort beherrscht, gearbeitet. Nicht lange vor ihrem Verschwinden war sie vom Fließband ins Büro versetzt worden.


    Nicht nur der Vater erwartet von Jan, daß sie neben der Schule den Haushalt und die Fürsorge für den kleinen Bruder übernimmt, auch die Großeltern sehen das so. Vor allem für die Großmutter ist es selbstverständlich, daß Jan nach der Mittleren Reife von der Schule abgeht, um Geld für die Familie zu verdienen. Die ersten Wochen nach dem Verschwinden der Mutter sind für Jan ein solcher Schock, daß sie nahezu widerspruchslos die gestellte Aufgabe erfüllt. Nur langsam kommt sie ins Grübeln. Nach außen hin ist sie abweisend, bemüht sich, die Fassade aufrecht zu erhalten.
    Als sie sich in einen ein wenig älteren Mitschüler verliebt, scheint sich die Lage zu entspannen. Aber bald erkennt sie, daß sich die Vorstellungen vom ‚richtigen’ Verhalten von Frauen und Männern auch schon in den Köpfen der Gleichaltrigen befinden. Zudem wird ihr klar, daß sie sich dem Verschwinden ihrer Mutter stellen muß, daß Wegdrängen keine Lösung ist. Jan macht sich auf einen sehr schwierigen Weg, dessen Ziel unbekannt ist.


    Leeson fängt die Enge kleinbürgerlicher Familien wie die Unsicherheiten von Teenagern sehr genau ein. Sein großes Thema ist das herrschende Geschlechterverhältnis, das Frauen unweigerlich den zweiten Platz in der Rangordnung zuweist. Bedrückend wird Janets Einsamkeit geschildert, sie hat niemanden, die ihr raten kann. Sie muß sich allein zurechtfinden. Mit ihrer Liebesgeschichte kommt ein weiteres Moment in diese Geschichte, das wesentlich ist für das zugrundeliegende Thema. Leider übertreibt Leeson damit und gibt einem Hang zum übermäßigen Dramatisieren nach. Überzeugend wiedergegeben ist das fragile Familiengefüge, überhaupt ist Leeson am besten, wenn er sparsam arbeitet. Er bleibt auch ehrlich, es gibt kein Happy End in dieser Konstellation. Die bestehende Ordnung ist zerstört, Jan aber hat die Freiheit, eine neue Ordnung für sich zu gestalten. Eine wichtige Botschaft für Teenager.
    Mutiges Buch, inhaltlich noch lange nicht überholt.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus