Jahres-Gewinner Schreibwettbewerb 2012!

  • Liebe Eulen,


    hier findet Ihr alle Monatsgewinner und Zweit- sowie Drittplazierte des Jahres 2012. Weitere Erklärungen findet ihr hier, klick.


    Vom 01.01.2013 bis zum 10.01.2013 habt Ihr die Möglichkeit, Euren Favoriten des Jahres 2012 zu wählen. Für die Abstimmung wird ein Extra-Punktethread eingerichtet, in dem Ihr wie üblich 3-2-1 Punkte verteilen könnt.


    Der Jahres-Gewinner des Schreibwettbewerbs 2012 erhält von uns einen Büchergutschein von Amazon.de über


    25,- EUR.


    Viel Erfolg!

  • "Ins Ungewisse"
    Thema: Unterwegs
    Autorin: SteffiB
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    Ein letztes Mal kontrolliert er den Inhalt seines Rucksacks: Taschenmesser, Fleecepullover, MP3-Player. Brote und Obst, eine Flasche Fanta. Ausreichend Proviant für die Reise, hoffentlich. Zögernd wiegt er das Handy in der Hand. Mit so einem Ding in der Tasche kann die Polizei dich orten. Er lässt es besser zurück. Beklommen zieht er die Haustür hinter sich zu. Zum ersten Mal in seinem Leben ist er allein unterwegs.
    Irgendwann, die Stullen sind längst verzehrt, der Apfel bis zum Griebsch abgenagt, steigt er aus dem Zug, irgendwo. Die Menschen auf den Straßen sehen anders aus als die, die er zurückgelassen hat. Dunkle Haare haben sie, dunkle Augen. Männer mit prächtigen Bärten, weiße Kappen auf dem Kopf, drängen sich an ihm vorbei und verschwinden in einem Gebäude mit hübsch gekachelter Fassade. Eine Frau, mondgesichtig durch ihr stramm gebundenes Kopftuch, betrachtet ihn nachdenklich, doch als sie Anstalten macht, ihn anzusprechen, ergreift er die Flucht. Entweicht in eine Seitenstraße, verbirgt sich hinter einem Müllcontainer. Worauf nur hat er sich eingelassen? Erst, als die Wintersonne hinter der Kuppel des Kachelhauses verschwindet, traut er sich zurück zur Hauptstraße. An der Straßenecke stehen einige Jungen, dunkel auch sie. Ganz cool rauchen sie Zigaretten, ihre Sprache ist seltsam abgehackt. Jetzt sehen sie ihn, kneifen misstrauisch die Augen zusammen. Er gibt Fersengeld. Noch nie ist er sich so verletzlich vorgekommen, so auffällig, mit seinen strohblonden Haaren und hellblauen Augen. Er muss fort von hier, schnell! – und landet direkt in den Armen einer dürren Frau. Ihre Augen sind in grellem Türkis bemalt, die Wimpern schwarz und dick wie Spinnenbeine, das Lächeln gelb. Er reißt sich los, stürzt davon, da, der Zug, er rennt, keucht, schnauft, lässt sich in ein freies Viererabteil fallen, gerade noch davongekommen.
    Sein Magen knurrt vernehmlich, aber seit dem letzten Erlebnis schätzt er die Sicherheit des warmen Zuges. Wie weit mag er schon von zu Hause fort sein? Menschen steigen zu, steigen wieder aus, manche mit schwarzer Haut und einmal sogar eine Chinesin, er stellt sich schlafend, und dann schläft er tatsächlich ein, den Kopf auf den Rucksack gelegt.


    Er schlägt die Augen auf. Ihm gegenüber sitzt ein Polizist, ein zweiter steht im Gang und blockiert den Fluchtweg. Der sitzende Polizist verzieht den Mund zu einem Monstergrinsen.
    „Haben wir dich“, sagt der Polizist.
    „Jetzt fresse ich dich“, versteht er.
    Ein Arm schnellt auf ihn zu, gleich, gleich werden sie ihm Handschellen anlegen, aber nichts dergleichen geschieht. Noch immer grinst der Polizist sein Monstergrinsen. „Du bist doch der Jonas, oder?“, fragt er und tätschelt ihm übers Blondhaar.
    Er nickt. Sie haben ihn also auch ohne das Handy orten können.
    „Na, dann steh mal auf. An der nächsten Station müssen wir raus. Deine Eltern warten schon.“
    Die U-Bahn fährt in die Station. Er kennt sie. Ganz in der Nähe wohnt er, mit Mama, Papa und Lilly, seine Grundschule, in die er seit dem Sommer geht, ist auch gleich um die Ecke.
    „Tja“, sagt der Monsterpolizist, er hat wohl Jonas’ ratlosen Gesichtsausdruck bemerkt. „Zum Ausbüxen sind U-Bahn-Ringlinien ungeeignet, weißt du?“

  • "Die Weggabelung"
    Thema: Unterwegs
    Autorin: Johanna
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    Auf ihrem Weg tauchte plötzlich eine Weggabelung mit zwei in verschiedene Richtungen weisenden Wegen vor ihr auf.
    Kurzerhand setzte sie sich auf einen Findling der am Wegesrand stand und überlegte.
    Sie wußte nicht, welcher Weg sie wohin führen würde. Wie sollte sie sich dann entscheiden?


    Weit entfernt sah sie einen alten Mann des Weges kommen, der schließlich vor ihr stehen blieb, sich neben sie setzte und fragte;“wohin gehst Du? Wo möchtest Du hin?“
    „Ich weiß es nicht genau, ich möchte einfach ankommen. Beide Wege sind so uneinsichtig, dass ich nicht recht weiß welcher der richtige sein wird.“


    Der alte Mann sah sie an und meinte:“ das weiß man vorher nie.
    Egal welchen der beiden Du wählst, es mag sein, dass Du hinterher denkst, wäre ich doch den anderen Weg gegangen.“


    „Ja, ich weiß. Deshalb fällt es mir ja auch nicht leicht zu entscheiden, welchen ich nehmen soll.“


    Da schmunzelte der Mann und sagte:“Was würdest Du davon halten, wenn Du die einmalige Möglichkeit hättest, an diesem Scheidepunkt zu sehen, was beide Wege für Dich bereithalten?“


    Sie sah ihn an und meinte;“Das wäre schon schön wenn das möglich wäre, dann könnte ich mich viel besser für den richtigen Weg entscheiden und müsste hinterher nicht enttäuscht sein wenn ich den falschen ginge.“

    „Na gut“ sagte der alte Mann daraufhin mit einem geheimnisvollen Lächeln.
    „Ich werde Dich beide Wege vorher gehen lassen, dann kannst Du entscheiden, für welchen Du Dich entscheidest.“


    Sie sah ihn erstaunt an, wollte ihn gerade fragen, wie er das meine, da sah sie sich schon laufen.


    Der Weg war ansteigend, unübersichtlich aber ihre Schritte federten leicht auf dem Boden.
    In der Ferne sah sie den Gipfel eines kleinen Berges auf den die Sonne schien.
    Sie erklomm Diesen und oben angekommen hatte sie die schönste Aussicht, die sie je sah.
    Sie empfand unbändige Freiheit und Freude, ein ungeahntes Hochgefühl
    Der Weg führte weiter, hinab. Sie stolperte, fiel und fiel immer tiefer. Unten angekommen prallte sie an einen Stein und stieß sich so heftig, dass es sehr wehtat.
    Die Schmerzen fühlend rappelte sie sich wieder auf, dem unübersichtlichen, zugewachsenen Wald hindurch weiter folgend. In der Ferne konnte sie wieder ein Leuchten sehen…


    Sie sah sich erneut losgehen. Diesmal war der Weg gerade und eben. Übersichtlich und leicht zu gehen, ohne Hindernisse oder Überraschungen.
    Sie meinte am Ende bereits das Ziel sehen zu können, ging geradewegs weiter. Es war nicht anstrengend, es ging sich ganz einfach. Aber sie empfand auch kein großes Hochgefühl. Es gab kein langes Verharren weder durch schöne Aussicht oder tiefen Fall. Sie ging einfach zügig ohne große Ablenkung immer dem Ziel entgegen…


    In dem Moment saß sie wieder auf dem Stein vor der Weggabelung, neben sich den alten Mann der sie gespannt ansah.
    „Nun kennst Du beide Wege.
    Entscheide Dich und gehe den richtigen Weg.
    Vielleicht gibt es ja auch keinen richtigen?
    Nimm den, den Du für Dich als den richtigen empfindest.
    Aber wähle klug…“


    Sie überlegte einen Augenblick, lächelte, sprang auf und ging auf die Weggabelung zu….

  • "Wenn … "
    Thema: Neid
    Autorin: churchill
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    Wenn ich so klug wie Albert wär,
    wär’s Leben wohl nicht ganz so schwer.
    Ich hätte tausende Ideen,
    würd sicher in Stockholm einst stehen.
    Jetzt steh ich hier ganz still und stumm.
    Ich bin dumm.


    Wenn ich so tough wie Steven wär,
    käm der Erfolg von selbst daher.
    Innovativ wär ich. Mein Leben
    würd ich komplett der Arbeit geben,
    würd schaffen wie ein Ackergaul.
    Ich bin faul.


    Wenn ich so reich wie Bill mal wär,
    wär ich stets großzügig und fair,
    würd viel mehr spenden als die meisten
    und könnt mir trotzdem alles leisten
    und hätte eine eigne Bank.
    Ich bin blank.


    Wenn ich so schön wie Georgie wär,
    umschwärmten mich die Groupies sehr,
    mit heißen, süßen, scharfen, netten
    durchwanderte ich viele Betten,
    wenn ich so einen Body hätt …
    Ich bin fett.


    Wenn ich geschickt wie Philipp wär,
    gehorchte mir der Ball viel mehr,
    wär ich der Herr der Pässe, Flanken,
    würd Gott für meine Füße danken,
    ich konstatiere voller Gram:
    Ich bin lahm.


    Wenn ich so geil wie Robbie wär,
    stieß meine Stimme wie ein Speer
    grad in die Herzen aller Frauen
    mit sanften Tönen oder rauen,
    bis mich ein Grammy ganz laut rief.
    Ich sing schief.


    Ich bin nicht sportlich und nicht klug,
    nicht musikalisch, schön genug,
    Erfolg und Geld sind mir ganz fremd,
    mir bleibt fast nur das letzte Hemd
    und doch der größte Schatz dazu.
    Das bist du.

  • "Apfel und Kamm GmbH und Co KG"
    Thema: Neid
    Autorin: Zimööönchen
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    Vicky schlenderte durch die Einkaufsstraße. Sie fühlte die bewundernden Blicke der Männer und die neidischen Blicke der Frauen auf sich - aber das war sie ja gewöhnt. "Gutes Aussehen gehört wirklich nicht unterschätzt", dachte sie, als sie über den Stoff ihres Mantels stricht und dann ihr Stammcafe betrat.


    Nach einem Lächeln ließ sie der Student natürlich vorrücken - etwas anderes hatte sie auch nicht erwartet. "Viel zu jung!", dachte sie bei sich, als sie seine schmachtenden Blicke bemerkte. Sie warf ihre tiefschwarzen Haare schwungvoll zurück und nach einem Kaffee - natürlich Grande Latte, Italien Blend - zog sie noch einmal ihren roten Lippenstift nach.


    Als sie aus dem Cafe heraustrat, sah sie, dass nebenan ein neues Geschäft geöffnet hatte. Perfekt - sie hatte jetzt Lust auf Shopping! Über einem stilvoll eingerichteten Schaufenster - genau ihr Geschmack - ein goldfarbenes Schild mit verschnörkelter Schrift. Im Schaufenster war keine große Auslage zu sehen, alles war sehr edel - "Genau wie ich", dachte Vicky bei sich und inspizierte nebenher ihren Kussmund in der Scheibe. Lediglich einige Holzwürfel waren dort platziert, auf jedem lag ein Objekt - da ein Kamm, dort ein Gürtel. „Wohl eine Boutique“, dachte sie. Dann sah sie in der Mitte einen rotwangigen Apfel auf rosa Seidenpaper. Bestimmt ein neuer Trend – Style’n‘Food oder sowas! Und Trends machte sie immer mit – natürlich nur bevor sie jeder andere entdeckte. Der Apfel war ihrer – und es war ein besonders schönes Exemplar, perfekt poliert bis er glänzte, tiefrot und er sah zum Anbeißen aus!


    Hinter der Theke stand eine gepflegte Dame, etwas älter als sie, geschmackvoll gekleidet. "Sieht ja ganz gut aus", dachte Vicky "Aber nicht so gut wie ich!"


    "Sie kommen bestimmt wegen des Apfels!?", sagte die Verkäuferin gleich. Vicky fühlte sich überrumpelt. „Was Sie nicht alles wissen!“, sagte sie. „Aber ja, genau - bitte packen sie ihn schön ein, wenn‘s geht!". Die Frau lächelte. Vicky meinte etwas Hämisches in ihrem Blick zu bemerken, aber da musste sie sich verschaut haben, denn sie sagte freundlich "Natürlich, gern!".


    Ein paar Minuten später schritt Vicky auf die Straße - in einer kleinen rosa Box den Apfel tragend, umhüllt mit Seidenpapier und gekrönt mit einer goldenen Schleife. Erneut fühlte sie die gewohnten bewundernden Blicke der Passanten, als sie zum nächsten Park ging.


    Im Laden drehte die Frau sich um und schaute in einen imposanten Spiegel, der hinter dem Verkaufstresen hing. "Wieder eine dieser Schlampen weniger!", sagte sie leise. Ein Lachen erklang, dann schien der Spiegel zu sprechen "Ich sage es Euch nur ungern, aber sie IST schöner als Ihr - Diese hat es wirklich verdient!". Die Frau schaute ihr Spiegelbild böse an, dann fuhr sich sie übers Haar und meinte "Nicht ganz korrekt - sie WAR schöner!".


    Im Park hatte Vicky sich auf eine Bank gesetzt, den Apfel herausgeholt und andächtig hineingebissen. Einen Moment später fiel er ihr aus der Hand, mit ihm ein kleiner Zettel: "Guten Appetit wünscht Apfel und Kamm GmbH und Co KG - für Nebenwirkungen schlagen sie ihren Jäger oder Zwerg!"

  • "Chili con Carne"
    Thema: Die andere Seite
    Autorin: arter
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    "Hat er sich schon ‘n Jetränk ausjesucht?", die blonde Bedienung mustert mich gelangweilt und bewegt den Unterkiefer, als kaue sie auf Etwas. Ich schaue mich suchend um. Nein, ich bin allein an diesem Tisch.
    "Keine Ahnung, das musst du ihn schon selbst fragen", antworte ich und hoffe damit, ihre Zweifel über die passende Anredeform zu zerstreuen.
    Ihre beiden Gehirnzellen streiten sich und versuchen, meiner Antwort einen Sinn zu entnehmen. Wie bei einem alten PC kommt die Reaktion verzögert aber gerade noch rechtzeitig, bevor ich geneigt bin, "Abbrechen" zu klicken. Und zwar erfolgt diese Reaktion in Form eines laut prustenden Lachens.
    "Der war jut, muss ick mir merken."

    Ich lasse mir eine Cola bringen und studiere in der Zwischenzeit die Karte.
    "Red Hot Chili Peppers", toller Name für ein "con Carne", bemerke ich, als sie mir die übergeschwappte Cola vor die Nase stellt.
    "Wieso, is doch Chili drin!"
    Ich versuche, ihre merkwürdige Antwort zu ignorieren: "Kennst du etwa nicht die Band?"
    "Ick hör lieba wat deutschet. Wolfgang Petry und so…"
    Mein Gott, gibt es für ein Café namens "Rock-Zock" keine Mindestanforderungen für das Personal?
    "Die, die mit diesen Socken aufgetreten sind", ergänze ich. Aber ich setze wohl zu viel Kenntnis in Musikgeschichte voraus.
    "Die hatten beim Auftritt Socken an? Wie unjewöhnlich!", zwinkert sie. Ironie hätte ich ihr gar nicht zugetraut.
    "NUR mit Socken, und zwar jeder mit genau einer Socke! Die hatten sie sich über ihren... Na du weißt schon."
    "Kanna ruhig Schwanz sagen", meint sie, um kurz danach wieder in lauthalses Lachen auszubrechen.
    "Ick stell mir grad vor, Wolle tritt NUR mit Freundschaftsbändern uff", fügt sie hinzu und ohne dass ich es verhindern kann, muss ich jetzt auch lachen.


    Als sie mir das "Chili con Carne" bringt, lächelt sie mich an: "Hab ihm seine Mucke bestellt."
    "How Long, how long will i slide...", tönt es aus der Sound-Anlage. "Otherside" habe ich schon eine Ewigkeit nicht mehr gehört. Jetzt stört mich nicht einmal mehr, dass sie TATSÄCHLICH Kaugummi kaut.
    "Worum geht‘s denn da?", fragt sie, als sie das nächste Mal an meinem Tisch vorbeikommt.
    "Um einen Drogentrip", kläre ich sie auf: "Mach mich an, nimm mich mit auf einen harten Ritt..., oder so ähnlich singen sie gerade". Ich sollte diese Personalschulung bei der Rechnung berücksichtigen lassen.
    Sie grient, beugt sich vor, so dass sich unsere Nasenspitzen fast berühren und blickt mir tief in die Augen. "Er is wohl ein wenig verklemmt", raunt sie. Dann schnappt sie sich, ohne um Erlaubnis zu fragen, die Karte und wackelt zum nächsten Tisch.
    "Turn me on, take me to the otherside", schreit Kidies. Mein Kopf glüht. Das Chili ist verdammt hot. Klar geht es um Drogen, um was sonst?


    "Hat se sich schon ‘n Jetränk ausjesucht?", klingt es vom Nachbartisch herüber. Ich beobachte, wie das Blondchen versucht, eine Bestellung aufzunehmen. „Ick meine ihr, nich die Kleene", erklärt sie der verwirrt dreinschauenden Kundin.
    Ich schmunzele in mich hinein. Eigentlich ist sie doch gar nicht doof. Und sie sieht verdammt gut aus.

  • "(K)ein Tag wie jeder andere"
    Thema: Die andere Seite
    Autorin: Groupie
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    Nina: Heute ist einer der schönsten Tage meines Lebens. Gegen 9 Uhr sitze ich mit meinem Mann am Frühstückstisch. Es regnet, stürmt und ein heftiges Gewitter will einfach nicht weiterziehen. Wie immer unterhalten wir uns über das, was heute so ansteht. Bei mir scheint die To-Do-Liste gar kein Ende zu nehmen. Mein Mann hingegen will ein gutes Buch lesen.


    Wir küssen uns gerade zum Abschied, als das Telefon klingelt. Er geht ran und wird kreidebleich. Ich stehe schon an der Tür mit dem Autoschlüssel in der Hand. Nach einem kurzen Gespräch kommt er auf mich zu und umarmt mich, ohne einen Ton zu sagen. Das ist der Moment, in dem ich leicht panisch werde.


    Im Krankenhaus angekommen, nehmen uns sofort Schwestern und Ärzte in Empfang. Sie sagen, dass jetzt alles ganz schnell gehen muss und wir keine Zeit verlieren dürfen. Ich komme gar nicht so schnell mit und kann mich nicht mal vernünftig von ihm verabschieden. Plötzlich stehe ich ganz allein da. Orientierungslos, mitten im Wartebereich. Irgendwann setze ich mich. Neben mir sitzt eine Frau, die ich erst bemerke, als sie mich anspricht …


    Sophie: Heute ist einer der schlimmsten Tage meines Lebens. Als ich gegen 06:30 Uhr mit meinem Mann frühstücke, ist alles wie immer. Wir sind im Stress und tauschen die wichtigsten Abläufe des Tages aus. Ich bringe den Kleinen in den Kindergarten und mein Mann muss sich beeilen, weil er spät dran ist.


    Wir fahren gleichzeitig los und eine Dreiviertelstunde später sitze ich schon bei der Arbeit. Ich telefoniere mit einem unglaublich nervigen Kunden, als ich mein Handy in der Tasche klingeln höre. Kurzerhand wimmele ich den Kunden ab und nehme es heraus. Anrufer unbekannt. Ich gehe ran und habe plötzlich das Gefühl, dass jegliches Blut meinen Körper verlässt. Sofort renne ich los.


    Im Krankenhaus angekommen, stürzt alles auf mich ein. Ärzte, Schwestern, ein Seelsorger. Sie reden und reden und ich weiß nicht, was sie sagen. Es wäre ganz schnell gegangen. Er musste nicht mehr leiden. Und dann wollen sie eine Entscheidung von mir. Eine Entscheidung! Sofort! Auf so etwas kann man nicht vorbereitet sein. Ich darf ihn noch ein Mal sehen. Er wirkt so friedlich. Als ich ihn so daliegen sehe, weiß ich plötzlich sehr genau, wie die Entscheidung aussieht. Ich teile sie den Ärzten mit und setze mich dann gedankenverloren in die Wartehalle. Dort komme ich erst wieder richtig zu mir, als sich eine Frau direkt neben mich setzt. Sie sieht so aus, wie ich mich fühle und ich spreche sie scheinbar instinktiv an:


    „Ist alles in Ordnung mit Ihnen?“


    „Ja, mein Mann bekommt eine neue Lunge und wird endlich ein richtiges Leben führen können. Ich kann das noch gar nicht fassen! Auf wen warten Sie?“


    „Ich warte nicht!“ In diesem Moment weiß ich, dass ich die Gegenwart der Frau jetzt nicht ertragen kann und das Krankenhaus sofort verlassen muss. Beim Rausgehen sage ich zu ihr:


    „Passen Sie gut auf die Lunge auf!“

  • "Arschloch"
    Thema: Die andere Seite
    Autorin: Fay
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    Ich war nie ein netter Junge. Zu meinen Lieblingsbeschäftigungen zählte es, Tiere zu quälen und meine Mittmenschen zu tyrannisieren. Dabei spielte es keine Rolle, ob ich eine Ameise mit der Lupe verbrannte oder einen Frosch mit einem Strohhalm aufblies bis er platzte. Mit Freuden habe ich diesen hochnäsigen Collageboys eins auf die Fresse gehauen. Wenn viel Blut spritzte, ging es mir immer am besten.


    Auch heute bin ich keiner dieser Schwiegermuttertypen. Mein Lebensmotto: Lieb ist der kleine Bruder von Scheiße. Die meisten Frauen nennen mich Arschloch, weil ich sie nur vögele, um meine Bedürfnisse zu befriedigen. Wenn die Alte nicht auf ihre Kosten kommt, ist das doch nicht mein Problem. Ein schlechtes Gewissen kenne ich nicht. Im Gegenteil, es ist ein geiles Gefühl, meine Macht auszuspielen. Warum ich so Abscheuliches tue? Weil ich es kann! Vermutlich glaubt ihr, ich hatte ein schlechtes Elternhaus oder eine unglückliche Kindheit, aber nichts von alledem ist der Fall. Und ehrlich gesagt ist es mir scheißegal, was ihr von mir denkt. Genau so egal, wie alle andern Kreaturen auf diesem beschissen Planeten.


    Mit dieser Reise habe ich mir einen Traum zu meinen 30. Geburtstag erfüllt. Las Vegas, spielen und mal richtig auf die Kacke hauen. So wie in Hangover, nur eben ohne lästigen Anhang. Wer braucht schon Familie und Freunde? Verdammt, wenn es nur nicht so schrecklich heiß wäre. Unerträglich knallt mir die Sonne auf die Birne. Meine Karre ist mir mitten im Nirgendwo verreckt, die letzte Flasche Wasser schon vor Stunden geleert. Kein Handynetz, und keine Menschenseele weit und breit. Dieser Abstecher in die Wüste war eine bescheuerte Idee. Endlich, da vorne scheint eine Oase zu sein. Wasser, kreist es immer wieder durch meine Gedanken. Oder, ist es bloß wieder eine dieser dämlichen Luftspiegelungen, die mich verarschen will?


    Die Sonne ist unbarmherzig, lässt meine Lippen aufplatzen, verbrennt meine Haut und kocht mein Hirn weich. Scheiß Ami-Schlitten, hätte mir doch lieber einen deutschen Wagen mieten sollen. Diese Dreckswüste nimmt kein Ende. Egal in welche Richtung ich mich wende, nur Sand und Steine. Shit, ich kann mich nicht mehr auf den Beinen halten. Nur eine Minute ausruhen, irgendwo in dieser Richtung muss die Straße liegen, da bin ich mir ganz sicher. Nur kurz die Augen schließen und verschnaufen. Wo kommt plötzlich die Stimme her? Ich öffne suchend die Augen, schirme die stechende Sonne mit der Hand ab, kann aber niemanden ausmachen. Was soll die Scheiße? Lass dich gefälligst blicken, wenn du mich schon verhöhnst. Den Spruch: Und, wie fühlte es sich auf der anderen Seite an, kannst du dir in den Arsch schieben. Soll mir das etwa Etwas sagen? Wichser, gib mir lieber etwas zu trinken, ansonsten kannst du dich verpissen.


    Über mir kreisen die Geier. Schade ich habe keine Zwille dabei. Wäre bestimmt lustig, auf diese hässlichen Vögel zu schießen. Plötzlich fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Ich lache laut auf, dann hebe ich mit letzter Kraft die Faust und drohe in Richtung Himmel: „Mach endlich das beschissene Brennglas aus!“

  • "Leb wohl"
    Thema: Freunde
    Autorin: Gummibärchen
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    „Jess, beeil dich!“ rief Alex in den Wald und kickte einen Stein zur Seite. Währenddessen saß Jessica in Gedanken vertieft auf dem Boden und las noch ein letztes Mal den Brief in ihren Händen.


    Hallo…
    Wie verabschiedet man sich von jemandem wie dir? Ich weiß es nicht. Ich bin auch nicht sicher, ob dies ein Abschied für immer ist oder ich mir wieder einmal etwas vormache.
    Doch egal, ich muss mich von dir verabschieden, denn es ist an der Zeit, dass sich unsere Wege trennen. Ich muss dich loslassen, auch wenn dies nicht einfach für mich sein wird.
    Lange Zeit warst du mein bester Freund und mein einziger Halt. Du warst für mich da, als alle gegen mich waren und ich nicht mehr weiter konnte. Du hast mich nie im Stich gelassen. Und auch wenn sie sagten, du wärst nicht gut für mich, weiß ich, dass ich ohne dich nicht mehr leben würde. Ich weiß, ich hätte irgendwann aufgegeben. Du hast mir geholfen, eine schwere Zeit zu überstehen und warst mein Zufluchtsort. Ich werde dich niemals vergessen.


    „Hab ja sichtbare Erinnerungen an dich“ dachte Jessica zynisch und hörte Alex ihren Namen rufen.


    „Ich bin gleich daaaa!“ kam es aus dem Wald. Alex kämpfte gegen den Reflex an, nach Jessica zu sehen. Er wusste, dass sie hin und wieder Zeit für sich und ihre Gedanken brauchte. Und spätestens nach diesem Wochenende, an dem sie viel über ihre Vergangenheit gesprochen haben, war ihm klar, wie wichtig ihr solche Momente sind. Geduldig ließ er sich auf das Gras neben seinem Auto nieder und dachte über sie nach. Alex war von Anfang an von Jessicas leisen und schüchternen Art fasziniert und kam sich wie ein wandelndes Klischee vor, als er merkte, wie sehr diese Frau sein Beschützerinstinkt weckte. Später bekam er auch ihre laute und durchsetzungsfähige Ader zu spüren, die er heute genauso schätzte. Und irgendwann vertraute ihm Jessica Dinge an, die sie bis dahin kaum jemandem erzählt hatte.


    Jessica blickte auf ihre Arme, schüttelte den Kopf, als wollte sie unschöne Gedanken loswerden und las den Rest der Sätze, die sie geschrieben hatte.


    Aber ich habe einen neuen Freund gefunden. Einen besseren als dich. Einen, der für mich da ist, ohne mich gleichzeitig zu verletzen. Einen, der mich glücklich macht, ohne Narben zu hinterlassen.
    Darum sag ich dir heute „Leb wohl“.


    Sie wischte sich ein paar Tränen aus dem Gesicht, faltete das Papier zusammen und legte es in die kleine Mulde in der Erde. Sie holte das Messer, das sie jahrelang mit sich trug, aus ihrer Hosentasche, legte es dazu und schüttete das Ganze mit einem Gefühl der Erleichterung zu.


    „Da bist du ja“ lächelte Alex sie an, als sie auf ihn zukam. Er zog sie an sich. „Alles okay?“ fragte er und während Jessica sich an ihn kuschelte, berührte er ganz sanft ihre Unterarme, strich vorsichtig über die zahlreichen Narben, die sie sich in der Vergangenheit selbst zugefügt hatte und küsste zärtlich ihre Stirn.

  • "Franz-Harald"
    Thema: Freunde
    Autorin: churchill
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    Es begann wie in vielen schlechten Romanen. Also in der Schule. Ich war der Neue, er der Außenseiter. Ich sollte mich zu ihm setzen. Dankbar schaute er mich an, als ich es tatsächlich tat. Nur kurz war er irritiert, weil ich mit dem Bleistift eine Linie in der Mitte der Schulbank zog. Später zuckte er kaum noch, wenn ich mit meinem Zirkel zustach. Er wusste ja, dass sein Ellenbogen die Bleistiftlinie regelwidrig überschritten hatte.


    Er hieß Harald. Ich nannte ihn Franz. Eigentlich war das ein gutes Werk meinerseits. Als er mich fragte, warum ich ihn Franz nannte, erklärte ich ihm, dass mein Lieblingskomponist Georg Kreisler war. Franz-Harald erkannte den Zusammenhang nicht.


    Franz-Harald war ein Experte für wortgetreue Übersetzungen aus dem Lateinischen ins Deutsche. Ich konnte kein Latein, aber Deutsch. Das führte dazu, dass meine Lateinübersetzungen immer mit mindestens einer Note besser bewertet wurden als seine. Schließlich durfte und wollte ich sein holpriges Deutsch nicht einfach übernehmen. Wäre ja aufgefallen.


    Seltsamerweise hatte Franz-Harald als erster eine Freundin. Ich versprach ihm, während seines Aufenthalts in den USA auf sie aufzupassen. Als er wiederkam, brauchte er zwei Jahre, um eine neue zu finden. Es gibt Dinge, die passieren einfach.


    Auch nach dem Abi waren wir fast unzertrennlich. Leider konnte er das Studium nicht beenden. Er wurde von der Uni ausgeschlossen. Wegen Täuschung bei einer Prüfung. Er bestand auf seiner Unschuld, war aber nicht in der Lage, sie zu beweisen. Auch der Anwalt, den ich ihm besorgte und bezahlte, konnte ihn dummerweise letztendlich nicht rauspauken. Eigentlich schade. Mein Gewissen brachte mich dazu, ihm die CD„Everblacks“ von Kreisler zu schenken. Franz-Harald stand der Sinn nicht nach guter Musik. Er hätte sie sich wirklich mal anhören sollen …


    Wir verloren uns nicht aus den Augen. Immer wieder gab ich ihm Gelegenheit, sein Talent zu entfalten. Bei meiner Doktorarbeit zum Beispiel. Er hätte sie vielleicht noch ein bisschen origineller verfassen können, aber ich will da nicht übermäßig kritisch sein. Schließlich brauchte er das Geld. Er war ja jung verheiratet.


    Zum Schluss wohnten wir zusammen. Franz-Harald, seine Frau und ich. In Latein war er immer noch gut, in den anderen Dingen akzeptierte er meinen logischen Anspruch, vor ihm an der Reihe zu sein. Ich habe ihn dann auch bei uns wohnen lassen. Er durfte sogar einmal im Monat bei ihr schlafen. Großzügig war ich eigentlich schon immer. Nur nicht Handwerkern gegenüber. Warum soll man sein hart verdientes Geld anderen hinterherwerfen?


    Die Überprüfung der neuen elektrischen Leitungen übernahm dann Franz-Harald. Irgendwas hatte ich wohl bei den Anschlüssen verwechselt. Ich habe mit seiner Frau abgesprochen, dass wir zum Auszug aus der Leichenhalle Kreisler spielen lassen. Den „guaten alten Franz“. Rein instrumental, der Text würde manche Trauergäste vielleicht doch ein wenig verwirren.

  • "Oliver"
    Thema: Freunde
    Autorin: xania
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    Zufrieden scrollte Leo durch die Kontaktliste auf seinem Smartphone und überlegte, mit wem er sich heute Abend zum Essen treffen wollte. Ihm war eher nach männlicher Begleitung, die letzte Nacht mit Sophia war anstrengend gewesen. Und vor allem teuer. Leo suchte weiter. Paul vielleicht. Paul war Firmenchef wie Leo. Das würde zum Geschäftsessen mutieren, worauf Leo keine Lust hatte.
    Schließlich entschied er sich, wie so oft, für Oliver, einem Schulkameraden in dessen Gesellschaft er sich wohl fühlte. Oliver war ein wirklicher Freund, die einzige Person unter all seinen Kontakten, mit der er nicht durch Firmen-, Geld- oder Bettgeschichten verbunden war. Auf Oliver konnte man sich verlassen, er hatte immer ein offenes Ohr für Leos Sorgen und das schon seit Jahrzehnten.


    Gemeinsam betraten die beiden das Restaurant und wurden sofort an einen Fensterplatz geführt. Oliver aß sich durch Vorspeise, Hauptmenü, Nachspeise und trank danach einen Espresso, während Leo hauptsächlich redete. Oliver konnte er alles anvertrauen.


    Spät am Abend nach ein paar Digestifs kam die Rechnung. Großzügig wollte Leo die Rechnung an sich nehmen, wie jedesmal, wenn er mit Oliver essen ging, doch dann hielt er sich zurück. Die Zeiten, in denen er es sich leisten konnte mit Geld um sich zu werfen, waren vorbei.
    "Wir teilen die Rechnung", entschied Leo.
    "Du bezahlst doch immer alles", antwortete Oliver frech.
    "Ich sehe nicht ein, warum ich immer zahlen soll. Du isst doch für drei." Olivers Reaktion nervte Leo. Warum zahlte sein Gegenüber nicht einfach, ohne große Diskussion?
    "Dafür muss ich mir dein Gerede anhören", gab Oliver zurück.
    "Ich sorge für deine Unterhaltung!" Leo war entrüstet.
    "Unter Unterhaltung verstehe ich etwas anderes, als die Beschreibung deiner kläglichen Versuche Geschäftspartner zu betrügen oder deine jämmerlichen Frauengeschichten, die regelmäßig an Potenzproblemen scheitern."
    "So rede man nicht mit einem Freund!" Leo war vor Wut rot angelaufen.
    "Mit einem Freund ist man ehrlich. Also: Ich kann diese Rechnung unmöglich zahlen. Ich komme nur hierher, weil ich mir ein solches Essen selbst nie leisten kann. Als wirklicher Freund wüsstest du, dass ich meinen Job schon lange verloren habe und meine Frau mit deinem feinen Freund Paul durchgebrannt ist. Aber von ihm scheinst du genauso wenig zu wissen, wie von mir. Deine Welt dreht sich nur um dich!"
    Leo suchte nach Worten, doch bevor er etwas antworten konnte, war Oliver aufgestanden und hatte das Restaurant verlassen.
    Leo starrte ihm ungläubig hinterher.

  • "Die Weisheit der Banane"
    Thema: Kleinigkeiten
    Autorin: Lese-rina
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    Erstaunt kneife ich die Augen zusammen, um sie gleich darauf wieder aufzureißen. Hat mir das Spiel von Sonne und Schatten einen Streich gespielt oder bin ich einfach zu lange vor meinen Büchern gesessen? Nein, tatsächlich, da hüpft einige Meter vor mir eine Banane über das Kopfsteinpflaster. Beim genaueren Hinsehen bemerke ich den Faden, an dem eine junge Frau sie ganz selbstverständlich hinter sich herzieht. Ich stutze nochmal. Keine Ahnung, wen oder was ich in diesem Moment erwartet hätte, doch ganz bestimmt nicht meine Mitstudentin Caroline. Bisher ist diese mehr durch Unauffälligkeit als durch verrückte Aktionen aufgefallen. Gerade, als ich mir noch überlege, ob ich sie ansprechen oder mich doch lieber unauffällig davonschleichen soll, bemerkt sie mich. Ein breites Lächeln erscheint auf ihren Gesicht. „Hallo, schön dich zu treffen. Ich wollte dich eh heute noch anrufen,“ plappert sie los und umarmt mich. „Ähh, hallo Caroline“, bringe ich stotternd hervor. Sie bemerkt mein inneres Durcheinander und grinst. „Na, du denkst dir sicher, ich sei jetzt vollkommen durchgeknallt, oder?“ Noch bevor ich zögerlich den Kopf schütteln kann, sprudelt es aus ihr heraus. „Ich hab dir doch von meinem Gelassenheits-Training erzählt! Na, und Wuffi ist eine Übung.“ Wuffi, Übung, Gelassenheits-Training? Geduldig erklärt Caroline: „Wenn du gezielt scheinbar furchtbare Situationen bewältigst, macht dir vieles andere weniger aus.“ „Und das funktioniert?“ frage ich ungläubig nach. „Ja, klar! Denk doch mal an die Diskussion gestern in unserem Seminar!“ „Stimmt,“ gebe ich zu, uns alle hatte Caroline mit ihrer neuen, selbstbewussten Art überrascht. „Wie peinlich ist es auf einer Skala von 1 bis 100, mit Wuffi über den Stadtplatz zu spazieren? Wie schlimm ein Referat? Und wo ordnest du dagegen den Verlust des Arbeitsplatzes, den Tod eines nahestehenden Menschen oder eine schwere Krankheit ein?“


    Diese Fragen bringen mich ins Grübeln und so denke ich noch darüber nach, als ich die Tür zu meiner WG aufschließe. Ein Blick in das zerknirschte Gesicht meines Mitbewohners Simon reicht und ich ahne schreckliches. „Du, mir ist was passiert“, druckst er auch schon herum. Simon ist im Gegensatz zu mir sehr chaotisch und gepaart mit seiner Gedankenlosigkeit ergibt das oft ein heilloses Durcheinander. „Ich konnte mich von dem neuen Rowling-Buch einfach nicht losreißen und da ist es mir …“ verlegen bricht er ab, redet dann aber doch weiter „ins Badewasser gefallen.“ „WAS???“ kreische ich. Er weiß doch ganz genau, wie furchtbar pingelig ich mit meinen Büchern bin und damit in die Badewanne zu gehen ist für mich ein absolutes Unding! Gerade als ich lospoltern will, fällt mein Blick auf die Obstschale, in der eine einsame Banane liegt. Ich muss an Carolines Wuffi denken und beginne zu lachen. „Wie schlimm ist ein nasses Buch auf einer Skala zwischen 1 bis 100? 5 oder doch eher nur 3?“ Simon sieht mich verdutzt an. „Egal, komm, wir schauen, was noch zu retten ist,“ ziehe ich ihn ins Badezimmer. So schlecht ist die Idee mit der Banane doch nicht. Vorsorglich nehme ich mir vor, morgen einen ganzen Schwung einzukaufen.

  • "Lilly"
    Thema: Kleinigkeiten
    Autorin: Johanna
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    An einem lauen Spätsommerabend Anfang dieses Jahrhunderts bat Felix seine Freundin Miriam in einem kleinen romantischen Restaurant seine Frau zu werden und übergab ihr ein kleines Kästchen.
    Sie öffnete es in Erwartung eines Verlobungsringes und sah dann etwas verwirrt auf Felix.
    Kein wertvoller Ring lag dort, sondern eine kleine, kaum handgroße Porzellanpuppe mit verschlissenen Kleidern.


    „Ohne dieses kleine Püppchen gäbe es mich vermutlich nicht“
    „Erzähl“


    Die Eltern meiner Urgroßmutter Kathleen hatten endlich das Geld für die Überfahrt nach Amerika zusammen und wollten dort neu beginnen.
    Am 11. April in Cobh, auf den Weg zum Hafen, begann Kathleen die damals gerade 6 Jahre alt war, jämmerlich zu weinen.
    Sie hatte Lilly in der alten Kate vergessen, ihre so heiß geliebte kleine Puppe.


    Die Eltern kehrten um und holten Lilly.
    Gehetzt liefen sie zum Hafen und sahen gerade noch das Schiff um 13:30 Uhr auslaufen.
    Wütend und verzweifelt war Kathleens Vater kurz davor, die dämliche Puppe ins Hafenbecken zu werfen.


    5 Tage später war er einer der dankbarsten Männer Irlands, als die ersten Nachrichten der verunglückten Titanic eintrafen
    Einige Wochen später wanderten sie endlich nach Amerika aus.


    Urgroßmutter Kathleen lernte dort ihren zukünftigen aus Hamburg stammenden Mann kennen und ging mit ihm in seine Heimat, wo dann 1936 meine Großmutter Helena zur Welt kam.


    Am 7. Geburtstag meiner Großmutter, am 27. Juli 1943 waren Krieg und Bomben Alltag für die kleine Helena.
    Abends heulten die Sirenen, Kathleen nahm ihre beiden Töchter und wollte mit ihnen wie gewohnt in den großen Bunker in Barmbek.
    Großmutter Helena schrie auf als sie auf der Straße ankamen: „ Lilly, wir haben sie in der Wohnung gelassen“.
    Kathleen und die Mädchen rannten zurück in die Wohnung, schnappten sich die Puppe und wollten zum großen Bunker.
    Zu spät, die Bomben fielen bereits, die Stadt brannte und so kauerten sich die drei unter dem Hauseingang zusammen.
    Am nächsten Morgen stand ihr Haus noch, der große Bunker aber war dem Erdboden gleichgemacht.


    Seitdem wird Lilly von einer Generation an die nächste weitergegeben und wie ein Schatz gehütet.
    Helena bekam dann 1955 eine Tochter, meine Mutter.
    Ihr übergab Helena dann die Puppe, als sie 1976 heiratete und ich auf die Welt kam.
    Und meine Mutter wiederum erzählte mir an meinem 18. Geburtstag Lillys Geschichte und sagte, ich solle sie meiner Frau geben, wenn ich einmal heirate.


    Und nun bekommst Du sie und wir halten sie gemeinsam in Ehren.



    Miriam nahm die kleine Puppe ehrfürchtig in die Hand und meinte: „Ja, das werden wir. Und wenn wir im Dezember wieder zurück nach Deutschland fliegen, bekommt sie dort einen Ehrenplatz.“


    Am nächsten Morgen schreckten sie aus dem Schlaf hoch, Felix sah auf die Uhr und stöhnte.
    „Oh nein, das gibt’s doch nicht. Der Wecker, wir haben heute Nacht völlig vergessen ihn anzustellen.“
    Als sie ans Fenster traten, sahen sie kaum etwas vor lauter Rauch. Ihr Tagungsort in der 106. Etage des Nordturms existierte nicht mehr.


    Miriam nahm Lilly in die Hand und vermeinte fast, sie zwinkern zu sehen…..

  • "Bonuspunkte"
    Thema: Der perfekte Augenblick
    Autorin: Tom
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    "Samstagabend bei Kalle. Alfred und Jonas kommen auch."
    Jürgen legte auf, ohne meine Antwort abzuwarten. Ich hätte auch keine geben können - Skat in Kalles Kneipe, mit Jürgen, Alfred und Jonas. Traumhaft. Hatten wir seit fünf Jahren nicht mehr gemacht.


    Wofür es Gründe gab. Vor allem einen: Gerda. Neben den Kindern, den Ehrenämtern, dem Schrebergarten und den Jobs blieb wenig Zeit, weshalb Gerda zur Grundregel erhoben hatte, dass der Samstagabend uns gehörte, uns und dem Fernseher. Um sieben wären die Kids verstaut, dann folgte das Pflegebad, wobei Gerda die Fernsehzeitung studierte, und anschließend säßen wir stundenlang nebeneinander auf dem Sofa. Zugegeben, ich mochte diese Abende auch. Aber die Idee, mit den Jungs mal wieder einen gepflegten Skat zu dreschen, die liebte ich.


    Die Notwendigkeit, meiner Frau diese Idee nun schmackhaft zu machen, die hasste ich.
    Wie viele andere Männer auch glaubte ich an das Bonuspunktesystem. Punkte beim geliebten Weibchen gab es fürs Einkaufen, Staubsaugen, Rasenmähen, für Reparaturen, Kinderbespaßung, kleine Aufmerksamkeiten wie Blumen, Pünktlichkeit. Viele Punkte gab es - theoretisch - für guten Sex. Der letzte gute Sex lag allerdings so lange zurück, dass ich schuldbewusst zusammenzuckte, wenn im Fernsehen Zärtlichkeiten ausgetauscht wurden.


    Leider war bereits Donnerstag. Es regnete. Der Wochenendeinkauf war gemacht. Die Blumen vom Hochzeitstag blühten noch. Das Haus war tiptop in Ordnung. Und Gerda hatte ihre Periode. Zudem hatte sie seit Tagen schlechte Laune, die noch übler wurde, je näher das Wochenende kam - was ich ihrer Periode zuschrieb. Meine Versuche, Punkte zu sammeln, um punktgenau in ihr Lächeln zu fragen, ob ich am Samstag in die Kneipe gehen könnte, versandeten kläglich. Ich brachte Müll raus, obwohl die Tüten fast leer waren, säuberte die Fahrräder, die wir erst in fünf Monaten wieder bräuchten, und baute im Treppenhaus ein Gerüst aus Leitern, um die Wände zu streichen, woraufhin Gerda fragte, ob ich bekloppt sei. Dabei wollte ich nur kloppen, nämlich Skat. Wehmütig dachte ich an den Grand ohne vier, mit dem ich den anderen vor fünf Jahren in letzter Sekunde die Hosen ausgezogen hatte. Und daran, dass sie am Sonnabend wohl ohne mich spielen würden. Mist.


    Meinen letzten Versuch startete ich am Samstag gegen sieben, schon mit einem Auge zum Handy schielend, um Jürgen mit irgendeiner Ausrede abzusagen. Schnupfen. Männer verstehen, dass man mit Schnupfen nicht Skat spielen kann. Frauen können mit Schnupfen alles. Nur Skat, das können und verstehen sie weder mit, noch ohne.


    "Gerda", begann ich vorsichtig, während sie missmutig in der Fernsehzeitung blätterte. "Ich dachte, wir könnten vielleicht mal wieder ..." Ich zögerte. Sie sah mich kurz an, als wäre ich der Postbote. Ich sagte das Zauberwort: "Ein Wellnesswochenende."
    Das funktionierte eigentlich immer. Gerda liebte Wellnesswochenenden, aber für mich war das Folter: Nackt unter Fremden. Tee, Massage und Äpfel. Männer sind nicht dafür gemacht, verdammte Äpfel zu essen.


    Sie ließ die Zeitung sinken und starrte mich an, dann zur Uhr.
    "Weißt du, Volker", sagte sie seufzend. "Wenn ich nur einen Samstagabend für mich allein hätte, das wäre schon was."


    Am nächsten Tag hatten wir Sex.
    Guten.

  • "Sein letztes Rendezvous"
    Thema: Der perfekte Augenblick
    Autorin: arter
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    alte Mann saß am Rheinufer und beobachtete die Frachtkähne, die schwer beladen durch das Wasser pflügten. Es war fünf vor Zehn, ein stinknormaler Dienstag im August. Damals war es ein Sonntag gewesen, dieser eine Tag in seinem Leben, den er nie vergessen würde. Er hatte jetzt viel Zeit, denn er war Rentner und die Tage waren nicht mehr so aufregend, besonders, seitdem er allein war. Aber heute, das war eine Ausnahme. Heute hatte er eine Verabredung.


    Ein langes Schubschiff mit einer Schweizer Flagge kämpfte tapfer gegen den Strom an. Auf dem Deck lag ein Fahrrad. Daneben stand ein kleines Mädchen und winkte ihm zu. Der alte Mann fragte sich, warum Kinder, die tagein, tagaus auf diesem Kahn verbrachten, immer noch den Menschen am Ufer zuwinkten. War es vielleicht ein Versuch, diesem Gefängnis zu entfliehen? Er winkte freundlich zurück und ihm kam dieser flüchtige Kontakt genauso vor, wie jene Begegnung vor fünfzig Jahren. Ein zufälliges Aufeinandertreffen zweier Menschen, nur eine kurze Episode auf dem Fluss seines Lebens.


    Zwei vor Zehn.


    Es war genau dieser Moment, den er über all die Jahre in seinem Gedächtnis gehütet hatte wie einen kostbaren Schatz, wohl wissend, dass die Erinnerung daran eines Tages wieder aufblühen sollte wie die Rose von Jericho. Und heute war dieser Tag.


    Marie und er hatten sich nicht kennen gelernt, sie waren einander passiert. Ein ohnmächtiger Taumel, mit der sicheren Erkenntnis, dass man füreinander bestimmt war. Und am Morgen danach hatten sie hier an dieser Stelle gesessen und beschlossen, den Moment festzuhalten. Egal was das Leben bieten würde, in exakt fünfzig Jahren, am gleichen Datum, zur selben Zeit, wollten sie sich genau an diesem Ort wiedertreffen.


    Der Sekundenzeiger passierte den Minutenzeiger auf der vollen Stunde. Der Alte schaute in beide Richtungen längs des Flusses, Marie war nicht zu entdecken. Nur eine junge Frau näherte sich von fern auf der Promenade. So jung waren sie damals auch gewesen. Er sank in sich zusammen und ließ die Zeit von damals Revue passieren, die Umstände die sie beide auseinandergerissen hatten. Sie war aus dem anderen Teil des Landes gewesen, von dort, wo man bald keine Nachforschungen mehr anstellen konnte.


    Der alte Mann bemerkte, dass die junge Frau sich neben ihn gesetzt hatte. Er wollte sie auffordern, ihn allein zu lassen. Aber als er in ihr ins Gesicht blickte, erstarrte er. Es war Marie, die ihn anlächelte mit ihren wasserblauen Augen und dem blonden lockigen Haar.

    "Georg.“, stellte sie fest. Sie war überhaupt nicht älter geworden in all den Jahren. Marie ergriff seine Hand und sagte etwas, aber ihre Worte wollten nicht zu ihm durchdringen: „Sie ist schon vor zwanzig Jahren gestorben. Ich habe Oma versprochen, dir heute diesen Brief zu geben."


    „Ich habe so lange auf dich gewartet“, sagte er.


    Sie lächelte milde, streichelte mit dem Handrücken über seine zerfurchte Wange und drückte ihm einen Kuss auf die Stirn. Dann stand sie auf und ging. Warum verschwand sie schon? Der Alte blickte ihr entgeistert hinterher. Seine Finger zerknitterten das Stück Papier in seiner Hand.

  • "Der Frosch"
    Thema: Der perfekte Augenblick
    Autorin: crycorner
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    Der Frosch saß gelangweilt am Teich. Seit vielen Jahren schon fristete er dieses jämmerliche Dasein. Dabei war er eigentlich ein verzauberter Prinz und konnte durchaus durch einen Kuss gerettet werden. Dummerweise lag dieser Teich irgendwo im Nirgendwo und es kamen so gut wie nie Menschen vorbei.


    Eines Tages schien er jedoch Glück zu haben. Eine junge Frau mit Wanderausrüstung lief in seine Richtung. Der Frosch hüpfte vor Freude und schrie:“ Endlich eine Frau! Komm schnell hierher und küss mich!“ Die Frau erschrak und rannte davon. Der Frosch verfluchte seine Torheit und beschloss, es beim nächsten Mal etwas ruhiger angehen zu lassen.


    Jahre vergingen, bis endlich wieder eine Frau des Weges kam. Abermals hüpfte der Frosch vor Freude, dieses Mal jedoch in das nächstbeste Versteck. Die Frau kam näher und ließ sich tatsächlich am Teich nieder. Kaum saß sie, sprang der Frosch aus seinem Versteck und rief: „Gnädige Frau, ich bin so froh Sie zu sehen! Darf ich Sie um einen Gefallen bitten?“


    Die Frau kreischte auf, nahm ihren Wanderstock und schlug nach dem Frosch, der nur mit knapper Not entkam. Natürlich verschwand auch diese Frau schneller als sie kam.


    Abermals vergingen Jahre, bis sich die nächste Gelegenheit offenbarte. Dieses Mal zwei Frauen, die bereits am Teich saßen, als der Frosch aus seinem Schlaf erwachte. Er traute sich nicht, sie anzusprechen. Er wusste einfach nicht, wie. Immerhin hatten beide einen Wanderstock. Er tröstete sich mit dem Gedanken, dass sie eh nicht sonderlich hübsch waren.


    Mittlerweile war er ein sehr alter Frosch und vermutlich auch ein alter Prinz. Er wusste, dass es wohl kaum mehr als ein bis zwei Möglichkeiten gab, erlöst zu werden. Deshalb fasste er allen Mut zusammen, als er wieder eine Frau in seine Richtung wandern sah. Die Frau setzte sich an den Teich und packte ihr Vesper aus. Der Frosch saß mit dem Rücken zur Frau am Teich und wartete auf ihre Reaktion. Die Frau sah den Frosch und warf ihm etwas von ihrem Brot zu. Dankbar drehte er sich um und fraß, was sie ihm gab. Etliche Minuten vergingen und der Frosch wusste nicht, welches nun der nächste Schritt sein sollte, um seinem Ziel näher zu kommen. Glücklicherweise brachte die Frau ihm so viel Aufmerksamkeit entgegen, dass er nicht viel falsch machen konnte, solange er seine Klappe hielt. Also näherte er sich ihr zaghaft und stellte zufrieden fest, dass die Frau sich darüber freute. Auch sie kam ihm näher und kniete sich zu ihm. Schließlich ließ er sich berühren und blickte sie an, wie es wohl auch Katzen tun würden. Ihr Herz war gewonnen, da war er sich sicher. Plötzlich griff die Frau fest zu, nahm ihr Messer und schnitt ihm den Hinterleib ab. Den Rest den verzauberten Prinzen warf sie achtlos in den Teich, wo der Prinz mit der Gewissheit starb, dass dieser Teich wohl in Frankreich lag.