In der Ferne das Glück - Geschichten für Hollywood (Hrsg.: Wolfgang Jacobsen und Heike Klapdor)

  • Aufbau Verlag
    Januar 2013 (Erscheinungsdatum)
    503 Seiten
    Gebunden mit Schutzumschlag und Lesebändchen



    Stimmen aus dem Exil


    Zur Zeit der Nazi-Diktatur sahen sich aus unterschiedlichen Gründen viele Künstler gezwungen, ihrer Heimat den Rücken zu kehren und in eine ungewisse Zukunft zu flüchten. Manche blieben zunächst in Europa, doch mit dem Zweiten Weltkrieg und dem länderübergreifenden Erstarken der Nationalsozialisten kam auch die Gewissheit, dass die Vertriebenen und Verfolgten noch nicht einmal in Frankreich und England sicher waren. So packten sie erneut das Wenige, was ihnen geblieben war, ein und versuchten, in weit entfernten Ländern wie Brasilien, Kolumbien, Shanghai, Palästina und vor allem Amerika ein neues Leben zu beginnen. An dieser Stelle kam Paul Kohner ins Spiel. Kohner lebte abgesehen von kurzen Unterbrechungen bereits seit 1920 in Amerika und eröffnete im Jahr 1938 eine Filmagentur in Los Angeles. Die Kohner-Agentur entwickelte sich schnell zur Anlaufstelle für deutsche und andere europäische Schriftsteller, Schauspieler, Regisseure und Komponisten. Aufgrund guter Verbindungen schaffte es der Filmagent unter anderem, den großen Filmstudios einjährige Arbeitsverträge nebst festem Gehalt für einige der Emigranten abzuringen. Dadurch war es diesen überhaupt erst möglich, in die Staaten einzureisen und dort längerfristig zu bleiben.


    Das vorliegende Buch präsentiert 25 Erzählungen von Exilautoren, die als Filmstoff für Hollywood gedacht waren und von Paul Kohner zwecks Vermittlung an die Filmstudios geschickt wurden. Sie alle stammen aus dem Nachlass von Kohners Agentur, doch keine einzige von ihnen ist je verfilmt worden. Ob eine Filmidee es auf die große Leinwand schaffte oder nicht, hing von Faktoren ab, die die Vertreter der "Alten Welt" in den meisten Fällen nicht ausreichend überblickten. Sie waren europäische Verhältnisse gewohnt und verfügten zum Teil über keinerlei Erfahrung mit dem noch jungen Medium Film und dem Erzählen in Bildern. Manche Autoren lieferten durchaus brauchbare Filmideen ab, die aber entweder zu viel Ähnlichkeit mit bereits realisierten Stoffen aufwiesen oder schon wieder aus der Mode gekommen waren. Hinzu kam, dass die deutschen Emigranten ihre Texte nun in einer fremden Sprache schreiben mussten. Die gewünschten Resultate auf Englisch zu erzielen, war sicherlich oft schwierig. Einige Autoren hatten mit anderen - hier nicht aufgeführten - Filmideen wiederum Erfolg.


    Interessanterweise unterscheiden sich die einzelnen Filmerzählungen sehr stark in ihrer Form, Länge und Thematik. Es handelt sich bei den Texten um Exposés, Filmideen und Synopsen (kurze Zusammenfassungen der Filminhalte), usw. von freien Schriftstellern, literarischen Drehbuchautoren und professionellen Filmautoren. Unter den Autoren sind viele bekannte Namen wie Heinrich Mann, Klaus Mann, Joseph Roth, Louis Trenker, Felix Langer und Fritz Kortner. Vicki Baum, die im Bereich der Unterhaltungsliteratur zahlreiche Bestseller schrieb, ist die einzige Frau in dieser illustren Runde. Neben 2-seitigen Filmideen existieren auch welche, die bis zu 58 Buchseiten (die Originale haben ein anderes Format) umfassen und recht komplex sind.


    Auch die Themen sind sehr vielfältig und reichen von den Hoffnungen des amerikanischen Kleinbürgertums auf gesellschaftlichen Aufstieg, leicht gehaltenen Liebesgeschichten, den Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise und symbolträchtigen Parabeln von Kleinkriminellen, die ihr Leben ändern wollen bis hin zu emotionsgeladenen Plädoyers gegen den Nationalsozialismus, Antisemitismus und die Unmenschlichkeit an sich. Das Hauptaugenmerk der Autoren lag also eindeutig auf den zeitgeschichtlichen Bezügen. Während manche Autoren in der Lage waren, die Träume und Nöte der amerikanischen Bevölkerung in ihren Erzählungen zu thematisieren, waren andere Kollegen noch zu sehr ihrer eigenen Lebensgeschichte und dem europäischen Gedankengut verhaftet. Bei den Älteren, wie Heinrich Mann, ließen verständlicherweise auch die geistige Flexibilität und die Motivation immer mehr nach.


    Eigentlich besteht das Buch aus zwei Teilen, denn auf die Erzählungen folgt ein ausführlicher Kommentarteil, in dem die Herausgeber Wolfgang Jacobsen und Heike Klapdor jeden einzelnen Text analysieren und in die jeweilige Autorenbiografie sowie den zeitgeschichtlichen Kontext einordnen. Das ist sehr gut gemacht und enorm hilfreich für das Textverständnis. Die Kunden der Kohner-Agentur verfassten ihre Texte entweder in Deutsch oder Englisch. Sämtliche fremdsprachige Texte wurden von Gesine Schröder übersetzt. Mich hat überrascht, dass sich alle Erzählungen sehr flüssig lasen, was ich angesichts ihrer Entstehungszeit und den damit verbundenen Unterschieden im Sprachgebrauch nicht vermutet hätte.


    Es fällt mir nicht ganz leicht, über "In der Ferne das Glück - Geschichten für Hollywood" ein Gesamturteil abzugeben. Denn in Sammlungen befinden sich immer auch Texte, die schwächer sind als andere. In diesem Fall ist die Mischung aber gut gelungen und aufschlussreich. Das Buch vermittelt nicht nur einen interessanten Einblick in die Arbeitswelt der amerikanischen Filmindustrie während der 30er und 40er Jahre, sondern spiegelt in seinen Texten und Erläuterungen auch nachvollziehbar die Verzweiflung, Verbitterung und Hilflosigkeit wider, die viele Emigranten angesichts ihrer damaligen Lebenssituation empfanden. Zuvor hoch angesehene Künstler mussten unfreiwillig noch einmal ganz von vorne anfangen, was vielen nicht gelang. Das Buch stellt sozusagen eine Essenz des Scheiterns im Exil dar. Auch wenn die Texte ihrer Form wegen ursprünglich nicht zur Veröffentlichung gedacht waren, habe ich sie mit großem Interesse und viel Informationsgewinn gelesen und würde sie hiermit gern weiterempfehlen.

    8 Eulenpunkte!


    __________________________________________