Maria ist Ende vierzig und arbeitslos. Fast zwanzig Jahre war sie Verkäuferin in einer Boutique, schließlich wurde sie ‚eingespart’. Der Besitzer de Ladens verkauft ihr die Entlassung als Chance auf eine neue Zukunft. Diese Zukunft gibt es nicht für sie. Es gibt keinen neuen Arbeitsplatz, nur die kläglichen ‚Qualifizierungsmaßnahmen’ des Arbeitsamts samt dem dazugehörigen Druck. Maria zieht sich zurück, meidet Nachbarinnen und Bekannte, hält sich gezielt an Orten auf, wo man sie nicht kennt, und täuscht dort Betriebsamkeit vor. Danach verkriecht sie sich wieder in ihrer Wohnung. Da sie Witwe ist, wartet auch dort niemand auf sie. Sie sehnt sich nach einer neuen Liebe, aber sie wagt nicht, eine Beziehung einzugehen, weil sie Angst hat, daß schon das Kennenlernen daran scheitert, daß sie arbeitslos ist.
Eben mit dieser Bekenntnis zur Sehnsucht beginnt der Roman. Dieser Einstieg ist zugleich der Schlußpunkt, denn die folgende Geschichte Marias wird nach rückwärts erzählt, bis zu ihrer Kindheit. Am Ende gibt es einen zweiten Schlußpunkt, die Geschichte ist ein straff gezogener Faden zwischen zwei Knoten, die unauflöslich sind. Wir hören von Marias Alltag, von der Arbeit in der Boutique, dem Umgang mit Kolleginnen, den Erlebnissen mit dem Arbeitsamt, der Entlassung, dem Tod des Ehemanns, dem Eheleben, dem Kennenlernen, dem Leben mit Eltern und Schwester, immer weiter zurück, eine Art Krebsgang. Der Aufbau hat seinen Reiz.
Ihren Reiz hat auch die Sprache, sie ist prägnant, im Fokus steht all das, was Maria sieht. Marias Blick ist eingeschränkt, was dazu führt, daß Details wichtiger werden als das große Ganze, daß Vertrautes unvertraut wird, weil es die gewohnten Proportionen verliert. Marias Welt ist im Ungleichgewicht. Im Verlauf der Geschichte stellt sich heraus, daß sie das immer war. Maria ist kein selbständiger Mensch, sie agiert nicht. Dinge geschehen mit ihr, das ganze Leben stößt ihr zu. Das Fazit am Schluß, das zugleich diesen kurzen Roman in seiner Gänze tragen soll, seine Handlung, die gewählte Sprache und das gedankliche Gebäude dahinter, ist ein knappes: ‚Ich bin hier.’
In die Beschreibung von Marias Alltag und ihren Beobachtungen mischt Weidenholzer kernige Sprüche aus Broschüren des Arbeitsamts oder Schulungen, sinnlos in ihrer Aussage und schamlos in ihren Ansprüchen an Hilflose, denen die Schuld an etwas gegeben wird, was sie nicht verschuldet haben. Marias Überzeugungen dagegen speisen sich vornehmlich aus den Worten ihres ehemaligen Chefs über Stoffe, Kleidung, das Auftreten von Menschen. Das sind Gesetze für sie, an die sich in der Arbeitslosigkeit umso fester klammert.
Aufbau, Sprache/Stil, Motivik, Thema alles paßt bei diesem Buch. Es ist vom ersten bis zum letzten Wort durchkomponiert. Und eben da liegt das Defizit. Weidenholzer hat ein perfektes Konstrukt vorgelegt, glattpoliert, vollendet rund. Das Einzige, was fehlt, ist das Leben. Die Sprache ist überaus gewählt, aber sie klingt papiern in ihrer Präzision. Ihr fehlt ein spezifischer Klang. Maria, die Hauptfigur, wird dadurch eher eine Schaufensterpuppe, um im Bild zu bleiben.
Die Autorin hat das Defizit gespürt, natürlich. Hin und wieder wurde ein Satz verdreht, eine Ästhetik gesucht, die auf diesem zigfach abgesicherten sprachlichen Pfad gar nicht zu finden ist. Ihre blasse Hauptfigur hat sie mit einigen skurrilen Verhaltensweisen ausgestattet, etwa ihre Zuneigung zu Kaulquappen, oder sie das eine oder andere Skurrile erleben lassen in ihren fast neunundvierzig Jahren. Das macht die Geschichte aber keineswegs lebendig, sondern verstärkt nur den Eindruck, statt einer Porzellantasse einen Gegenstand aus Plastik in der Hand zu halten.
Es ist ein so sanftes Buch, eine so stille Welt, in der einer Dinge zustoßen, als müßte das so sein. Die Lektüre wird einer leicht gemacht. Die Geschichte läßt keine Deutungen zu, die Reaktionen der Leserin sind im Voraus berechnet. Dieser Roman stößt ihr zu, wie Maria das Leben. Sie ist eben hier.
Und das ist zu wenig.