Wie Jakob die Zeit verlor - Jan Stressenreuter

  • Inhalt
    Als sich Jakob und Marius in den achtziger Jahren ineinander verlieben, regiert in Deutschland gerade viel belächelt Helmut Kohl; in der Sowjetunion versucht Michail Gorbatschow mit Perestroika und Glasnost einen politischen Wandel herbeizuführen.
    In der schwulen Szene dagegen ist dies die Zeit der schnauzbärtigen Ledermänner, von Frankie Goes to Hollywood und ungehemmter Promiskuität, bis plötzlich und unerwartet eine tödliche Epidemie alles ändert - Aids.
    Mehr als zwanzig Jahre später droht Jakobs Beziehung zu seinem Freund Arne zu scheitern, Arne wirft Jakob vor, den Tod von Marius nicht verarbeitet zu haben.



    Der Autor
    Jan Stressenreuter, geboren 1961 in Kassel, aufgewachsen in der Nähe von Düsseldorf, lebt mit seinem Freund in Köln. Im Querverlag erschienen die Romane: Love to Love You, Baby (2002); Ihn halten, wenn er fällt (2004); Und dann der Himmel (2006); Mit seinen Augen (2008) sowie Kurzgeschichten in diversen Anthologien. Seine Kriminalromane Aus Rache (2009), Aus Angst (2010) und Aus Wut (2011) erschienen in der Reihe quer criminal.



    Rezension
    Arne hat es satt mit Jakob in einer Beziehung zu dritt zu leben, gegen Marius kommt er nicht an, Marius war Jakobs große Liebe und Marius ist seit über zwanzig Jahren tot. Nach einem Streit verlässt Arne die gemeinsame Wohnung, um sich beiden eine Auszeit zu geben, um darüber nachzudenken, ob ihre Beziehung noch eine Chance hat.


    "Wie Jakob die Zeit verlor" wird abwechselnd auf zwei Zeitebenen und aus zwei Blickwinkeln erzählt, Jakob und Arne in der Gegenwart und Jakob in der Vergangenheit, Marius und Jakob lernen sich 1986 kennen. Jedem Kapitel vorangestellt sind prägnante politische Ereignisse der späten 1980er, der jeweils aktuelle Stand der Erkenntnis zu HIV und AIDS, sowie die Charts aus Deutschland und Großbritannien. Dies ist eine gute Einordnung des Hintergrunds für den Leser und ein "Achja", für diejeningen, die die Zeit bewusst erlebt haben.


    Jakob und Marius sind sehr verliebt, studieren aber in unterschiedlichen Städten, können sich daher nur am Wochenende sehen und sind sich einig, dass sie eine offene Beziehung führen wollen, Eifersucht ist kein Thema, Liebe und Sex sind zweierlei. Von der "Schwulenseuche" haben sie natürlich gehört, aber das ist weit weg, irgendwo in den USA. Als sie sich testen lassen, nachdem das Virus wohl doch nicht mehr so weit weg ist, sind beide positiv.


    Irgendwann erkennt Jakob, "Wir waren so dumm", als Leser hätte man die beiden schon längst schütteln mögen, "Ja, wie könnt ihr so dumm sein, ihr spielt mit eurem Leben", man erfährt aber auch, wieso sie so gehandelt haben, warum viele die Gefahren einer Infektion zunächst ignoriert haben und einerseits hat man Verständnis, andererseits aber auch wieder nicht.


    Nach den ersten Jahren war klar, dass AIDS keine "Schwulenseuche" ist, jeder könnte sich anstecken und inzwischen gibt es Millionen Todesopfer und Neuinfektionen durch Unkenntnis, Ignoranz oder Risikobereitschaft. Eine HIV Infektion bedeutet heutzutage nicht mehr automatisch ein kurzfristiges Todesurteil, sondern "nur noch" eine chronische Erkrankung (bei Zugang zu entsprechenden Medikamenten), daher steigt bei einigen auch wieder die Risikobereitschaft.


    Die Geschichte von Jakob und Marius ist nicht einzigartig, sie ist eine von vielen, die für alle nicht Betroffenen nur "Statistik" sind, macht aber doch die Erinnerung an eine ganze Generation wieder lebendig.


    Jan Stressenreuters Geschichten und Figuren mag ich sehr, auch in diesem Buch sind die Protagonisten sehr realistisch, in einer realistischen Wirklichkeit angesiedelt, manchmal gibt es aber dazwischen auch einen magischen Moment, und ist der Bengel in dieser Geschichte doch ein Engel?


    Der Titel ist sehr gut gewählt, die verlorene Zeit kann auf unterschiedliche Weise interpretiert werden, Jakob verliert die Zeit mit Marius, verliert seine Zukunft, seine Vergangenheit.


    "Wie Jakob die Zeit verlor" hat mich emotional sehr berührt, daher gibt es von mir Zehn Punkte.


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