Schreibwettbewerb September/Oktober 2013 - Thema: "Emotionen"

  • Thema September 2013:


    "Emotionen"


    Vom 01. bis 30. September 2013 - 18:00 Uhr könnt Ihr uns Eure Beiträge für den Schreibwettbewerb September 2013 zu o.g. Thema per Email an schreibwettbewerb@buechereule.de zukommen lassen. Euer Beitrag wird von uns dann anonym am 1. Oktober eingestellt. Den Ablauf und die Regeln könnt Ihr hier noch einmal nachlesen.


    Bitte achtet darauf, nicht mehr als 500 Wörter zu verwenden. Jeder Beitrag mit mehr als 500 Wörtern wird nicht zum Wettbewerb zugelassen!



    Achtung: Achtet bitte auf die Änderungen! Annahmeschluß ist ab sofort immer am Monatsletzten um 18:00 Uhr und die e-mail Adresse hat sich wie folgt geändert - schreibwettbewerb@buechereule.de

  • von Kirsten S.



    Kalte Windböen rissen an seinen Haaren, vereinzelte Strähnen stachen ihm in die Augen. Peter blinzelte die aufkommenden Tränen weg. Unter ihm stürzte der Wasserfall laut tosend ins Tal. Das war ihr Lieblingsplatz gewesen. Helgas und seiner. Als Peters Gedanken in die Vergangenheit abschweiften, pressten sich sofort die Kiefer aufeinander und die Zähne knirschten.
    Helga war weg. Für immer. Zunächst für ihn unbegreiflich, doch mit der Zeit war diese Tatsache immer stärker in sein Bewusstsein getreten.
    Manchmal kam es ihm vor, als sei es erst gestern gewesen. Ihre Hochzeit vor fünfundzwanzig Jahren war ein Traum gewesen. Vor allem Helga. Die schönste Frau auf Erden. Kurz durchströmte ihn die Erinnerung an das damalige Glücksgefühl. Aber nur kurz, denn augenblicklich stieg bitterer Geschmack, wie Galle, in ihm auf.


    In den ersten Tagen nach dem Ereignis war Peter wie ein Zombie unterwegs gewesen. Zwanzig Kilo hatte er abgenommen, sodass von seinem einst stattlichen Männerbauch nichts mehr übrig war. Warum? Diese Frage stellte er sich unzählige Male, doch eine Antwort erhielt er nicht. Mittlerweile wusste er, dass er auf seine Frage keine befriedigende Antwort erhalten würde. Er war an dem Punkt angelangt, endgültig Abschied zu nehmen.
    Peter trat zwei Schritte vor, näher an den Abgrund. Auf den Wasserfall zu starren übte eine magische Anziehungskraft aus. Nach unten. Einzelne Steinchen kullerten bergab. Das war genau die richtige Stelle, ihr Platz. Tief durchatmend holte er die beiden Ringe aus der Hosentasche. Ihre Eheringe. Als er auf sie blickte, war jegliche Wehmut verschwunden.
    Entschlossen ballte sich die Faust um die goldenen Schmuckstücke. Peter holte aus und warf sie weit weg, in den Wasserfall hinein. Sie blitzten kurz im Sonnenlicht auf, dann waren sie verschwunden. Für immer. Genauso wie Helga, die an dem Tag für ihn gestorben war, als er sie mit seinem besten Freund inflagranti auf dem Küchentisch erwischt hatte.


    Zeit, endlich ein neues Leben zu beginnen.

  • von Lese-rina



    10 – 9 – 8 – Mein Herz rast und ich klammere mich an den Armlehnen fest. Wäre ich nicht angeschnallt, ich wäre in diesem Moment aufgesprungen und davongelaufen. Es ist doch Wahnsinn was wir tun und kann nur schiefgehen! – 7 – 6 – 5 – Welch menschliche Anmaßung, den Weltraum erobern zu wollen. – 4 – 3 – 2 – Was tue ich hier eigentlich? – 1 – Hilfe!!! …


    „Yeah, es geht los!“ schreit eine euphorische Stimme hinter mir. Typisch Neil, er kann es kaum erwarten. Der Rückstoß presst mich in den Sitz und wischt alle meine Gedanken beiseite. Obwohl ich mehrere Starts und unzählige Trainingsdurchläufe hinter mir habe, überrascht mich diese Kraft immer wieder. Untätig muss ich auf die Technik vertrauen und so verfolge ich konzentriert den steigenden Zeiger des Höhenmeters.


    Als wir nach 12 Minuten die Erdumlaufbahn erreichen geht es mir besser. Die oft geübten Handgriffe beruhigen. Routiniert gehe ich meine Aufgaben durch und vergesse die ungewohnte Umgebung. Erst als mich Buzz am Arm berührt und aus dem Fenster deutet, schaue ich auf. Mir stockt der Atem. Ich sehe diesen überwältigenden Anblick nicht zum ersten Mal, aber er ist immer wieder beeindruckend. Ich schlucke schwer.


    In den folgenden drei Tagen hilft uns dieser einzigartige Ausblick um kurz innezuhalten und neue Kräfte zu sammeln. Wir sind aufs Äußerste angespannt, doch gewöhnen uns schnell an die Abläufe. Die Routine hilft und lenkt von zu vielen Gedanken an unsere Mission ab.


    Erst als nach Buzz auch Neil in die Landefähre klettert und ich alleine zurückbleibe, drängt sich ein mulmiges Gefühl in mir hoch. Ein dicker Kloß bildet sich in meinem Hals. In der Gemeinschaft fühlte ich mich sicher, doch nun bin ich allein und muss unser Schiff auf Kurs halten. Innerlich zitternd verfolge ich den Landeanflug meiner beiden Freunde. Die erzwungene Untätigkeit macht mich fast wahnsinnig, vor allem, als ich von den Problemen der beiden höre. Doch das Wunder geschieht – die Fähre setzt auf. „Der Adler ist gelandet!“ Ich springe auf, reiße die Hände nach oben und schreie meine ganze Freude und Anspannung heraus.


    Doch noch ist die Mission nicht gewonnen. Die sichere Rückkehr von uns dreien liegt in meinen Händen. Eine gewaltige Verantwortung. Als ich nach mehrmaligen Überfliegen des Landegebietes immer noch keine Spur von den beiden entdecke, bekomme ich Angst. Die berühmtesten Sätze der Welt höre ich nur im Hintergrund, angespannt suche ich die Oberfläche nach Anzeichen der Mondfähre ab. Doch auch ohne Sichtkontakt koppeln die beiden planmäßig an. Welche Erleichterung, als wir uns in die Arme schließen.


    Der Rückflug verläuft unproblematisch. Fast wehmütig sehen wir die Erde immer größer werden. Wir wassern im Pazifik und klettern in unseren Isolierungsanzügen mühsam durch die Luke. Und dann sind wir draußen. Ich liege auf dem Rücken und starre in den Himmel. Mein einziger Blick gilt dem Mond. Später werde ich oft gefragt werden, was ich in diesem Moment gedacht und gefühlt habe. Ich kann nie eine Antwort geben. Nach so viel Höhen und Tiefen kann ich in diesem Moment nichts mehr fühlen. Ich höre mein Herz pochen – und staune.

  • von Rumpelstilzchen



    Im Überwachungsraum der Altenversorgungseinrichtung Nr. 87 ist es ruhig. Einer der Monitore schaltet sich ein, der für Zelle 473. Er zeigt eine alte Frau im Pflegebett, die durchdringend unverständliche Schimpfworte kreischt und versucht, die Gestalt, die sich zum Windeln wechseln über sie beugt, durch ein kraftloses Fuchteln ihrer dürren Arme zu vertreiben.


    FN 9.3, die neueste Version eines Pflegeroboters, passend benannt nach Florence Nightingale, redet in beruhigendem Ton und sanfter Stimme auf sie ein: „Aber Frau Sturmann, ganz ruhig, so werden Sie nur Ihre Infusionsnadel rausziehen“. Mit flinken Bewegungen zieht er die neue Windel fest, kontrolliert den Sitz der PEG Sonde, zieht das Hemd über den Bauch und deckt die Greisin wieder zu.


    Er verändert noch die Dosierung der Infusionsflüssigkeit und beobachtet, wie ihre Gesichtszüge sich entspannen, die Atmung ruhiger wird und wendet sich der Tür und damit direkt der Kamera zu.


    „Fast könnte man meinen, er lächelt“, ruft Robert, der junge Mann am vorderen Kontrollpult seiner Kollegin zu. „Diese neue Version ist tatsächlich ein Segen. Kein Mensch könnte bei dieser Arbeit so ruhig und freundlich bleiben. Sie redet die Patienten sogar mit Namen an. Unglaublich!“


    Zwei Stunden später tutet nachdrücklich ein Alarmsignal. Es ist wieder Zelle 473, wo FN 9.3 den reglos daliegenden Körper auf Lebenszeichen untersucht. Der Überwachungscomputer zeigt an: Herzstillstand, Exitus.


    Mit ungläubigem Staunen betrachtet Robert die Szene, wendet sich an die Kollegin an der Nachbarkonsole.


    „Das ist in dieser Woche schon der siebte Todesfall bei FN 9.3. Und immer sind es schwierige Patienten. Man könnte glauben, er rächt sich für die schlechte Behandlung. Meinst du nicht, wir sollten den Todesfall mal untersuchen lassen?“


    Die Nachbarin schüttelt nur den Kopf: „Geht’s noch? Hör mal, das ist eine Maschine, ein Roboter, programmiert auf Pflegedienstleistungen. Der fühlt nicht, der funktioniert“.


    Einen Moment noch beobachtet Robert den Pflegeroboter, der den Leichnam mittlerweile mit einem Tuch bedeckt hat und ändert dann achselzuckend den Einsatzplan für FN 9.3.

  • von Voltaire



    Sie sitzen sich gegenüber. Autorin K., Autorin T. In der Mitte hocke ich. Ihr Lächeln ist so falsch wie meine vierten Zähne.
    Ein literarisches Gespräch ist angedacht.
    Doch wie unterhält man sich in der Schlangengrube?
    Egomaninnentreffen! Beide häßlich wie die schwärzeste Nacht.
    Der Neid auf das Gegenüber ist ihnen wie festgemeiselt in die Stirn gefräst. Das Lächeln ist morbid; Nur das ICH zählt.
    Heuchlerinnen der allerersten Güte.
    Autorinnenpack! Meine Galle wird schon obsessiv.


    K. protzt mit den Verkaufszahlen; T. vermutet Lug und Betrug, geschönte Zahlen. K. verweist – hämisch fürwahr – auf die Rezensionen in den Literaturmanipulationsbetrieben.


    Ich bin Leser, kein Schlichter.
    Meine Gedanken schweifen ab.
    Wäre der Literaturbetrieb ohne Autoren nicht besser dran?
    Verlagsmonster, losgelassen auf die unbedarfte Leserschaft. Jeder Mist wird konsumiert. Die Parole wird ausgegeben: Leser! Wehrt Euch!


    Die Verletzungen – gegenseitig – graben sich ein. Geschlagene Wortwunden.
    Ich reiße die Seiten mit den Signaturen aus den mitgebrachten Exemplaren; ungläubige Blicke treffen mich: „Da ist ja noch einer! Wo kommt der denn her?“


    Ich schütte ihnen den heißen Kaffee in die ungläubig verzerrten Fratzen.
    Dann Abgang – breitbeinig geht es in den Sonnenuntergang. Die Ungläubigkeit begleitet mich.


    Ja, genau! So muss man es machen!

  • von Inkslinger



    Von einen auf den anderen Tag hast du mich verlassen. Das werde ich dir nie verzeihen. Grade, als sich zwischen uns wieder alles eingerenkt hatte, lässt du mich einfach so im Stich. Damit habe ich nicht gerechnet. Viele Menschen sind älter und kränker. Wer konnte ahnen, dass es bei dir so schnell geht?
    Die ersten Tage erlebe ich wie in Trance. Die Gedanken und Erinnerungen in meinem Kopf kann ich niemandem mitteilen. Keiner würde das Chaos verstehen. Nicht einmal ich kann es ganz begreifen. Alle reden sie mit mir, als wäre ich verrückt. Aber das ist mir egal. Für mich sind sie weit entfernt, ein kaum hörbares Störgeräusch hinter einem dichten Schleier. Irgendetwas in mir ist zerbrochen und du bist nicht da, um es zu reparieren. So wie früher, als ich dich nur anzurufen brauchte und du so schnell wie möglich aufgetaucht bist, ohne dass ich darum bitten musste.
    In Schockstarre versunken lasse ich die Vorbereitungen zur Beerdigung über mich ergehen. Vieles muss entschieden werden. Lauter Mist, über den wir nie gesprochen haben und wo keiner so recht weiß, was das Richtige ist. Mein Kopf ist mit Watte gefüllt und ich bin total nutzlos. Langsam verlieren die anderen die Geduld mit mir, aber das schert mich nicht. Nichts schert mich mehr wirklich.
    Ich fliege auf Autopilot durch die Gegend und was nicht automatisch funktioniert steht still. Doch die Welt dreht sich weiter. Sie achtet nicht auf einen kleinen Käfer, der mühsam über die Oberfläche krabbelt und plötzlich seinen Halt verliert. Die Leute gehen ihrem Alltag nach. Manche zwar trauriger als zuvor, aber mit derselben Routine. Merken sie denn nicht, dass jemand fehlt? Und wieso kann ich nicht auch einfach weitermachen?
    Die Hyänen streiten sich um die Hinterlassenschaften. Ich will nichts davon haben, alles hat für mich an Bedeutung und Farbe verloren. Erst jetzt, wo du weg bist, wird klar, dass du der Kitt warst, der die ganze Schose zusammengehalten hat. Die meisten Verwandten bei der Trauerfeier habe ich schon jahrelang nicht mehr gesehen. Nur durch deine Berichte war ich immer auf dem Laufenden. Von sich aus melden sie sich nie und ich habe es schon lange aufgegeben, ihnen hinterher zu laufen. Natürlich geloben alle Besserung und wollen uns bald wieder besuchen. Was für Heuchler.
    Noch anstrengender sind die Menschen, die auf dich zu kommen und sagen: „Es wird besser mit der Zeit.“ Es wird aber nicht besser. Man lernt nur jeden Tag ein bisschen mehr, damit umzugehen.
    Alles ist anders und doch gleich geblieben. Es ist wie mit erloschenen Sternen. Von der Erde aus kann man ihr Licht noch sehen, auch wenn sie an ihrem Ursprungsort schon längst fehlen. Du fehlst hier, doch trotzdem bist du noch irgendwo.

  • von Fukuro



    Eine Träne Dir über die Wange fließt,
    und Du am Fenster stehst und siehst,
    Deine Mutter sagt auf Wiedersehen.
    Vergeblich Dein wiederholtes Flehen.


    Da geht sie fort, Du bist allein.
    Versteckst Dich, weigerst Dich, sagst nein!
    Alles trösten zwecklos, setzt Dich zu wehr.
    Der Kummer, die Sorgen werden mehr.


    Du verweilst im Bett, weinst in Dein Kissen,
    Deine Krankheit nennt sich vermissen.
    Sie fehlt Dir, kannst die nicht vergessen.
    Keine andere kann sie ersetzen.


    Lange ist es her, lange nicht gesehen.
    Endlich, mit Freude kannst du gehen.
    Alles weg, zu Ende ist dein Sorgenlied.
    Nimmst sie in den Arm "Ich hab' Dich lieb!"

  • von churchill



    Die stahlblauen Augen fielen mir sofort an ihm auf. Es war vor genau vier Jahren, als er mich groß anschaute. Unbewegt. Immer geradeaus. Irgendwie ernst. Relativ ungewöhnlich für ein sieben Tage altes Kind.


    Tobias war völlig unproblematisch. Ein halbes Jahr lang zumindest. Er schlief gut ein, schlief bald durch, schlief überhaupt ziemlich viel. Er blieb bei uns.


    Sandra hatte ihn sofort in ihr Herz geschlossen. Ich eigentlich auch. Wobei ich nicht ganz sicher war, ob er da sein wollte. Drinnen. In meinem Herz. Nahm ich ihn aus dem Wagen oder Bettchen hoch, bog er seinen Rücken durch und versteifte sich. Die Körperspannung löste sich erst, als ich ihn wieder losließ. Frei ließ.


    Tobias entwickelte sich. Eigenartig. Auf seine ganz eigene Art. Die Augen waren immer wach, blieben aber ernst und einsam und traurig. Im Schlaf das Gesicht so entspannt. Wach war er unruhig, angespannt, fokussiert. Wach war er auch wütend und wild.


    Wir ersetzten im Laufe der Jahre diverse Einrichtungsgegenstände. Eigentlich unglaublich, wie viel Kraft so ein kleiner Körper entwickeln kann. Seine Wurftechnik sollten und wollen wir in leichtathletische Bahnen lenken. Da ist Potential.


    Ich sehe seine Augen, wenn sie flackern und noch blauer werden. Dann ist ihm wieder jemand in die Quere gekommen. Nein, zu nahe gerückt. So weiß ich meistens kurz vorher, wenn es wieder soweit ist, schützen zu müssen. Die anderen und uns vor ihm, ihn aber auch vor sich.


    Tobias ist ein sehr lieber Junge. Zärtlich und mitfühlend. Die anderen sehen es nur nicht immer. Zugegeben, er versteckt das auch ganz gut. Sein System ist sein System. Die Flasche links, der Schnuller rechts, das Licht am Bett in Reichweite, die Zusicherung Sandras, dass er zu ihr kommen darf, wenn er nachts Angst bekommt. Zu uns kommen darf, um zwischen uns zu liegen. Nähe in der Nacht, ohne nahe zu kommen. Kuscheln verboten. Sandra macht abends seine Tür zu. Ich darf das nur, wenn Sandra nicht da ist. Die Reihenfolge ist in ihm, eine Änderung wirft ihn aus der Bahn.


    Abends liest Sandra ihm vor. Oder ich. Das Buch sucht er aus. Das kann dauern. Aber es muss schließlich passen. Letzte Woche Geschichten vom Traurigsein und Freuen, vom Stolzsein und Schämen. Und mitten in der Geschichte vom Traurigsein schiebt sich sein kleiner Körper an meine Seite. Ich bemühe mich, weiter zu atmen und weiter zu lesen. Dann sinkt sein Kopf langsam an meinen Oberarm. Er ist hellwach und die Geschichte vom Traurigsein wird für mich zur Geschichte des Glücks.


    Gestern der Anruf aus der Kita. „Können Sie kommen, ihr Tobias hat einem anderen Jungen einfach so einen Eimer gegen den Kopf geworfen!“. Tobias sitzt alleine auf der langen Bank im Flur vor seinem Haken, den ein Drachen ziert. „Papa, wann darf ich denn wieder rein?“ „Was hast du denn gemacht, Tobias?“. Die großen stahlblauen Augen schauen klar, offen und ratlos. „Ich weiß es nicht, Papa.“


    Ich möchte ihn so gern in den Arm nehmen. Ich gebe ihm die Hand. Er nimmt sie. Wir gehen weiter.

  • von Fay



    Zäh tropfen Gefühle aus meinem Herzen,


    landen regenbogenfarben zu meinen Füßen


    Verlaufen,


    wie schillerndes Benzin auf regennassem Asphalt


    Unschlüssig was zu tun,

    streift mein Fuß den changierenden Rand

    Und dann erinnere ich mich


    An deine Wärme


    Deine Nähe


    Und bücke mich,

    sauge die bitter süße Flüssigkeit wieder hinauf

    Verschließe den Riss in meinem Herzen


    mit der Erinnerung an unsere Liebe

  • von missliberty85



    Schon von weitem sah ich ihn an der Weggabelung stehen. Ich hatte gewusst, dass er hier sein würde. Er kam jeden Tag um die gleiche Zeit hier her. Doch heute schien er auf etwas oder jemanden zu warten? Er stand an der Gabelung und wirkte unentschlossen. Er sah sich um, aber nach was, nach wem? Ich fühlte mich unwohl, ihn in dieser Haltung zu sehen. Ich hätte nicht herkommen sollen. Sollte ich zurück gehen? Aber was, wenn er mich schon gesehen hatte? Das konnte ich nicht riskieren, nur seinetwegen war ich gekommen. Ich wusste nicht wie ich mich ihm gegenüber verhalten sollte aber mein Bedürfnis an seiner Seite zu sein war so stark gewesen, dass ich aus einem ersten Impuls heraus diesen Weg eingeschlagen hatte. Nun würde ich keinen Rückzieher mehr machen können. Ich wollte für ihn da sein und nicht vor ihm davon laufen. Für ihn. Nicht für mich. Ginge es um mich würde ich auf der Stelle noch umkehren. Ich hatte so unbedacht gehandelt. Was sollte ich sagen, was sollte ich tun, wie mich verhalten? Was erwartete er von mir?
    Die Füße, die Beine wurden immer schwerer. Mein Schritt immer langsamer. Und doch ging ich weiter auf die Kreuzung zu. An der Weggabelung angelangt sah er kaum auf. Ich wusste nicht wer in diesem Moment mehr Angst hatte, er oder ich. Er war derjenige, der die Bürde trug und ich war diejenige, die sich vor der Begegnung scheute. Was hatte ich mich nur gedacht als ich hierher kam? Was hatte ich erwartet? Ich hatte geglaubt, gehofft ihm beistehen zu können und erwartet, dass er es ebenfalls erwarten würde. Oder wenigstens wünschte. Und wenn das alles nur ein Gebilde meiner Phantasie war? Wenn ich in Wahrheit nur an mich gedacht hatte, wie ich mit der Situation besser zurecht kam? Nein, meine Gedanken hatten ihm gegolten. Auch wenn ich überlegt hatte was mir in seiner Position gut täte, war es sein Wohlbefinden was mir in diesem Moment am Herzen lag. Und das tat es noch. Von diesem Gefühl geleitet schritt ich zuversichtlich auf ihn zu.
    Mit der Zunge fuhr ich über meine trockenen Lippen, ich räusperte mich. Meine Stimme versagte mir den Dienst. Was hatte ich nur getan? Ich rang mich zu einem scheuen Lächeln durch und deutete ein Nicken an. Er machte keine Anstalten des Registrierens und setzte sich wieder in Bewegung. Schweigend gingen wir nebeneinander her. Ich bemühte mich mit seinem Schritt mitzuhalten. Aufzuschließen, wenn er beschleunigte, zu verweilen, wenn er es tat.
    So bedacht auf seine Schritte war die Umgebung nur eine flüchtige Kulisse im Augenwinkel. Noch ehe ich mich versah standen wir am Ende des Weges mit einer neuen Gabelung. Unentschlossen blieb er stehen. Ich war es, die schließlich als erste sprach, "Ich muss in diese Richtung." Er deutete ein Nicken an und lächelte mir scheu entgegen. Und so gingen wir weiter den Weg entlang. Beschleunigten, wenn der Andere beschleunigte, verweilten wenn der Andere es tat.

  • von Suzann



    Heftiges Gepolter, das einem durch Mark und Bein ging, lies die beiden Streithähne kurz in ihren gegenseitigen Vorhaltungen und Verteidigungen inne halten. „Wenn da etwas schief läuft, während ich mich hier mit dir abkämpfen muss, dann hat das Folgen, Frau“, schrie John Redwine.
    „Wage es ja nicht, dich wieder einmal aus der Affäre zu ziehen. So einfach kommst du mir dieses Mal nicht davon“, hielt diese dagegen, die Hände resolut in die Seiten gestemmt.
    „Ich habe jetzt keine Zeit für diesen Kram! Ich bin eine Führungskraft und trage Verantwortung. In meiner Position gibt es nun mal keinen geregelten Feierabend und Überstunden sind selbstverständlich. Wann begreifst du das endlich?“


    „Kram nennst du das, wenn ich mit dir über meine Gefühle spreche! Überstunden und Verantwortung sind keine Entschuldigung dafür, dass du mich seit Monaten vernachlässigst. Heute hast du das Fass zum Überlaufen gebracht! Meinen Geburtstag zu vergessen! Wenn du glaubst, ich mache dir hier die Köchin und Putze und ansonsten sitze ich still in der Ecke, dann hast du dich getäuscht. Ich bin eine Frau, die auch mal zärtlich in den Arm genommen werden will. Nie fragst du mich, wie es ihr mir geht! Ich interessiere dich anscheinend überhaupt nicht mehr!“
    John verschlug es angesichts dieser ungerechten Breitseite die Sprache. Hilflos öffnete er mehrmals seinen Mund, ohne zu wissen, was er sagen sollte, während er mit Blicken erdolcht wurde. Ein lauter Knall ließ ihn irritiert zusammen zucken. Etwas flog unangenehm nah an seinem Ohr vorbei.


    Eher klein und zierlich machte Vanessa Redwine, ihres Zeichens Ehefrau und Mutter seiner Kinder, rein äußerlich nicht den Eindruck, als könnte sie ihm die Stirn bieten, aber ihr Temperament und ihre scharfe Zunge hatten es in sich. Und diese niedliche Lücke zwischen den mittleren Schneidezähnen ihres Oberkiefers brachte ihn oft in den unpassendsten Augenblicken aus dem Konzept.
    „Ich habe Bedürfnisse und will nicht immer hinter deiner Arbeit zurückstehen“, setzte sie nach, als er stumm blieb. „Ist es zu viel verlangt, wenn mir mein angeblich liebender Ehemann wenigstens an meinem Geburtstag ein bisschen seiner kostbaren Zeit widmet?“ Auf den Worten „liebender“ und „kostbar“ lag ein gehässiger Tonfall, der John gar nicht gefiel.


    Das Geschrei im Hintergrund wurde lauter. Ohne mit der Wimper zu zucken, wich seine Angetraute zwei ineinander verkeilten Gestalten aus, die an ihnen vorbei torkelten. Bei drei halbwüchsigen Söhnen war Vanessa Redwine einiges gewohnt. Den beiden Raufbolden folgte ein keuchender, verschwitzter Kerl. Blut tropfte von dem Säbel in seiner Hand. Ein schmutziger Hemdsärmel hing in Fetzen von seinem Ellenbogen, den eine schmerzhaft aussehende Schramme verunstaltete.


    „Tut mir leid, aber wir brauchen sie“, beschwor William Butler seinen Käpt´n. Ein um Verständnis heischender Blick suchte den Vanessa Redwines. Vergeblich. Ihre steinerne Miene gab keinen Deut nach. „Der Befehlshaber der geenterten Fregatte ergibt sich nur unserem ranghöchsten Anführer“, erklärte Will hektisch. „Wenn wir den Kampf beenden wollen, ohne dass noch mehr Blut fließt, dann muss er jetzt mitkommen!“
    Seufzend folgte John Redwine, Kapitän der Black Widow, seiner rechten Hand. Das würde kein angenehmer Abend werden…