Erstmals erschienen 1848
Diese politische Grundsatzerklärung erschien zum erstenmal im Februar 1848. Es ging darum, die Öffentlichkeit über die Grundlagen und Ziele dieser recht jungen politischen Bewegung, die sich ‚kommunistisch‘ nannte, aufzuklären. Das tut dieser je nach Druckfassung ca. 30seitige Text knapp, pointiert, provokant und mit atemberaubender argumentativer Sicherheit.
Das ist nicht verwunderlich, waren die Verfasser die beiden Vertreter der neuen Bewegung, die seit ca. fünf Jahren gemeinsam gegen die herrschenden politischen Verhältnisse arbeiteten und dabei aus der Anschauung der zeitgenössischen Lebensverhältnisse eine neuartige Vorstellung von den Kräften, die in menschlichen Gesellschaften zusammenwirken, entwickelt hatten. Ihre Entdeckung war, daß nicht die politische Verfassung eines Landes die herrschende wirtschaftliche und soziale Ordnung bestimmte, sondern die Organisation der Wirtschaft die politische und soziale Ordnung.
Diese Vorstellung galt es darzulegen, theoretisch zu formulieren, mit praktischen Beispielen zu belegen und daraus politische Forderungen abzuleiten, zu denen sich diese neue politische Gruppe bekannte und die sie in die Realität umsetzen wollte.
Tatsächlich faßt das Manifest zusammen und macht eindeutig, was bis dahin bereits bekannt war und weswegen ihre AnhängerInnen auch politisch verfolgt wurden. Es richtet sich an AnhängerInnen wie an GegnerInnen. Die kurze Einleitung ist eine klassische Präambel, die Vorrede bedeutender Vertrags – oder Gesetzestexte. Sie macht den Anspruch, den das Manifest von Anfang erhebt, deutlich. Sie unterscheidet sich von klassischen Präambeln allerdings durch die Sprache. Hier wird kein Gott, keine höhere Macht beschworen, auch keine moralischen Instanzen. Das sind die eigentlichen Gespenster, so der unterliegende Verweis, nicht die neue Idee, der Kommunismus, den alle so fürchten. Den kann man erklären, sagen die beiden Verfasser, und das tun sie dann gleich.
Der Text ist in drei große Kapitel gegliedert. Die Vorgehensweise ist historisch, immer mit Blick auf die zeitgenössischen Zustande. Es geht darum, zu erklären, wie die Dinge so geworden sind, wie sie aktuell sind, welche Mechanismen am Werk waren und wie sie sich auswirken. Der Gegner wird sofort ins Visier genommen, die Bourgeoisie. Aber auch sein Widerpart ist gleich da. ‚Bourgeoisie und Proletarier‘ heißt dementsprechend das erste Kapitel. Hier wird weder lange theoretisiert, noch um etwas herumgeredet.
Es folgt eine ausführliche Darstellung der Entwicklung der Bourgeoisie seit der Antike, mit Schwerpunkt auf der jeweils dazugehörigen Wirtschaftsform. Der Text läßt von Anfang an keinen Zweifel aufkommen, daß es die Ökonomie ist, um die es geht. Die Zusammenfassung liest sich spannend, die durchaus revolutionäre, also: Zustände tiefgreifend verändernde Rolle des Bürgertums wird präzise und schlüssig berichtet. Die Geschichte wird so eine Abfolge von Kämpfen zwischen Unterdrückern und Unterdrückten, was mit dem neuen Begriff Klassenkampf benannt wird.
Die Industrialisierung ist eine logische Folge der Entwicklung, sie bringt aber auch einen neuen Gegner der Bourgeoisie, die Arbeiterschaft, hier: das Proletariat. Der Text ist von Anfang an beispielhaft für die Kunst zu beschreiben und zugleich eine neue Begrifflichkeit einzuführen und anzuwenden. Das gilt ebenso für Lohnarbeit, Ausbeutung und eben Bourgeoise. Die Definitionen sind scharf formuliert und sie gelten immer der Abgrenzung. Das Manifest ist eine Kampfschrift und das soll auch nie vergessen werden. Auch das ist ein Unterschied zur Bourgeoisie, die ihr Ziel, nämlich jede Lebensäußerung auf den reinen Geldverkehr zu reduzieren, grundsätzlich romantisch verklärt und mit Sentimentalitäten verschleiert. Die Beispiele, die Marx und Engels anführen. sprechen für sich.
Das zweite Kapitel geht auf die Rolle von Proletariern und Kommunisten ein, auf ihr Verhältnis, auf die Frage des Überwindens von Nationalismen aufgrund der gleichen Ausbeutungsbedingungen (Internationalismus) und nennt schließlich zehn Grundforderungen des Kommunismus, von der Verstaatlichung des Grundbesitzes über Steuer – und Sozialpolitik bis hin zur Erziehung künftiger Generationen.
Es wird so manches aus dem ersten Kapitel wiederholt, aber das dient dem besseren Verständlichmachen des Denkgebäudes, denn das ist beileibe kein einfaches. Der Text liest sich nur oberflächlich schnell und glatt. Tatsächlich fordert er ein beträchtliches Maß an Mitdenken und Einsichtsvermögen. Auch enthalten die Sätze Widerhaken, die man nicht gleich bemerkt und die erst nach und nach ihre Wirkung entfalten.
Das dritte Kapitel schließlich ist eine Abgrenzung gegen die zeitgenössischen sozialen Bewegungen und den politischen Sozialismus. Egal, ob Menschenfreundlichkeit jeglicher Couleur, politisch organisiertem Sozialismus oder Anarchismus, nichts davon wirkt letztlich verändernd, weil es Produktionsmittel und Grundeigentum, also das Wirken der wesentlichen Faktoren der Wirtschaftsform der Bourgeoisie unangetastet läßt. Dieses Kapitel ist von heute aus gesehen durchaus amüsant zu lesen, findet man darin doch all die Versuche wieder, die Welt zu verbessern, die auch heute noch so wunderbar gar nichts nützen.
Insgesamt ist es aber recht erschreckend, da sich die Überzeugungen der Verfasser seit über 160 Jahren täglich bewahrheiten. Der Zorn der Verfasser auf diese im besten Fall braven ScheuklappenträgerInnen, im schlimmsten Fall heuchlerischen UnterstützerInnen der Bourgeoisie wird sehr deutlich und ist geeignet, so manchen Denkanstoß auszulösen.
Die letzten Seiten des dritten Teil enthalten die nächsten Ziele und die wichtigsten Handlungsanweisungen für die damaligen KommunistInnen. Das ist noch als Einziges in diesem dichten Text ein wenig grob gestrickt und hier spürt man trotz der Vehemenz, die hinter dem Manifest steckt, am ehesten, wie jung die Bewegung damals noch war.
Das Manifest gibt es in zahlreichen Ausgaben, in über hundert Sprachen. Die vorliegende habe ich vorgestellt, nicht unbedingt, weil sie eine der jüngsten ist, sondern weil sie ein Vorwort des Literaturwissenschaftlers und Marxisten Terry Eagleton hat, der mit englischem Witz schwungvoll darlegt, warum der Text so wichtig und unverändert aktuell ist. Abgedruckt sind auch alle wichtigen Vorworte zu verschiedenen Ausgaben des Manifests bis 1893 sowie Engels’ ‚Grundsätze des Kommunismus‘ von 1847, eine Vorarbeit, die zusätzlich Definitionen liefert. Allerdings ist sie nur auszugsweise wiedergegeben.
Was leider fehlt, sind Erklärungen älterer Begriffe und Namen, z.B. politischer Gegner, die für die Zeit wichtig waren, heute aber nicht mehr selbstverständlich bekannt sind. Man versteht den Text auch ohne sie, aber es würde helfen, Stolperer beim Lesen zu vermeiden. Schließlich hat man so schon genug Denkarbeit zu leisten. Immerhin ist das Ganze ein sehr kleines, handliches Taschenbuch, in rot, das man lässig in eine Manteltasche stecken und immer dabei haben kann.
Ein überaus anregender, streckenweise spannender Text, der Theorie vermittelt, ohne abstrakt theoretisch zu sein. Im Gegenteil bezieht er seine Argumentation aus einer Praxis, die immer noch andauert.