Erstmals erschienen 1985
Hetja ist Sohn und Erbe der Herrschaft Attgar. Aber das Reich ist bedroht und schon Hetjas Geburt ist davon beeinflußt. Zugleich mit ihm wird ein ‚Schattenbruder‘ geboren, der Hetja ein Leben lang beeinflussen soll. Die große Bedrohung ist Thorolf, der klassische schwarze Ritter, der Stück für Stück die Welt unterwirft, nicht nur durch Krieg, sondern auch durch seine Fähigkeit, die schwächsten und schlechtesten Seiten in Menschen zu wecken. So bricht auch Hetjas Familie auseinander, seine Mutter verläßt Attgar, sein Vater wird erschlagen. Thorolf erobert die Herrschaft, Hetja bleibt nur die Flucht. Ein namenloser Spielmann hilft ihm nach Bragunt, der Heimat seiner Mutter, zu entkommen.
Der herzogliche Hof ist nur die erste von einem halben Dutzend Stationen, die Hetja kennenlernen wird, ehe er endlich fähig ist, sich Thorolf zu stellen und seine Heimat zurückzuerobern.
Das Ganze ist schöner Abenteuer-Fantasy-Stoff. Aber er ist ungewöhnlich erzählt und geht um einiges über unterhaltende Fantasy hinaus. Die Geschichte richtet sich an ein jugendliches Publikum, es geht ums Erwachsenwerden in diesem Buch. Der Reifeprozeß Hetjas aber ist vor allem ein innerer, wichtig ist nicht nur, den eigenen Platz in der Welt zu finden, wichtig ist vielmehr, diesen Platz richtig auszufüllen. Der philosophische Gehalt der Geschichte ist entsprechend hoch.
Kruse schöpft aus traditionellen Märchen- und Heldengeschichten, Hetja durchwandert verschiedene Gesellschaftsschichten, lebt als Adliger und als Handwerker, im Kloster und auf der Straße und endet fast am Galgen. Jede Station ist wichtig auf dem Weg zu der Erkenntnis, was das Leben ausmacht, und welche Bedeutung man ihm geben kann.
Gestört wird die innere Entwicklung durch Thorolf, der Hetja töten will, aber auch durch den Schattenbruder, der die zweifelnden, stets zagende und negierende Seite Hetjas verkörpert. Die Diskussionen zwischen ihm und Hetja behandeln vor allem Sinnfragen. Ihnen wird viel Raum gegeben, sie sind durchdacht, nie banal und ihr Ausgang ist nie sicher. Kruse ist denkerisch konsequent und spart auch heikle Themen, wie z.B. Selbsttötung, nicht aus.
Der Duktus der Erzählung wirkt ein wenig altmodisch, er erinnert an den jungen Hesse, Demian, etwa, mit einem Schuß von Jüngers Auf den Marmorklippen oder Rinsers Die gläsernen Ringe, mit ihrer Symbolik, dem bewußten Verrätseln bis zur endlichen Erkenntnis.
Überraschend und faszinierend sind ganz am Schluß die Beschreibungen von fünf ‚Übungen‘, die Hetja beherrschen lernt und die den philosophischen Kern des Ganzen ausmachen. Die Definitionen von Leben und seiner Bedeutung, die sich aus der Handlung langsam herauskristallisieren, werden hier konzentriert zusammengefaßt. Sie sind von einer Art, die das Besondere dieses doch seltsamen Buchs noch einmal betonen, aber auch abrunden.
Es ist ein ganz ungewöhnlicher Kruse, den man hier kennenlernt. Philosophische Fantasy, ein Unikat.
Das Buch ist ursprünglich als gebundenes Buch erschienen, ich habe die Tb-Ausgabe von 1994 gelesen.