Martin Jalitschka ist achtzehn. Die Schule hat er mit Ach und Krach gerade bis zur 10. Klasse geschafft. Nicht, weil er nicht begabt wäre, im Gegenteil. Er hatte nur keinen Lust, sich anzustrengen. Zur Zeit arbeitet er als Möbelpacker bei einer kleinen Umzugsfirma und zwischendurch bei seinem Großvater, der eine Flußfähre betreibt. Martin weiß nicht recht, was er vom Leben will. Es ist Sommer und wenn man am Fluß in der Sonne liegen kann und den Mädchen nachschauen oder mit Freund Achim Bier trinken gehen, reicht das doch völlig. Als er die Friseurin Dagmar kennenlernt, scheint das Leben perfekt.
Dagmar aber hat ihre eigenen Vorstellungen und die erweisen sich als recht teuer. Schöne Kleider, Schmuck, groß ausgehen. Ein Auto. Ihr Chef hat eines und der ist auch nicht geizig, wenn es darum geht, seine junge Angestellte einzuladen. Wenn Martin mithalten will, muß er sich anstrengen. Möbelpacker ist auch nicht unbedingt ein Beruf, der Dagmar gefällt. Macht doch nichts her.
In der Stadt gibt es noch das große neue Walzwerk. Es bietet gute Arbeitsstellen, Aufstiegsmöglichkeiten, Weiterbildung. Eine Zukunft. Aber sich mit dem Staat einlassen? Gar noch Mitglied im FDGB werden? Finanziell lohnt es sich auch nicht, die Privaten zahlen besser, weiß doch jeder.
Andererseits ist da noch die Sache mit den Großeltern. Martin lebt bei ihnen, sein Vater ist im Krieg gefallen, seine Mutter ist in den Westen gegangen. Er hat sonst keine Familie. Die Großeltern haben ihre Schwierigkeiten, weil der Großvater als ehemaliger Gastwirt Mitglied der NSDAP war. Martin liebt seine Großeltern, aber manchmal bevormunden sie ihn ein bißchen sehr. Und ihr Häuschen ist mehr als altmodisch ausgestattet. Ausziehen wäre eine feine Sache.
Martin entscheidet sich, Schritt für Schritt, aber mit den Entscheidungen wird sein Leben keineswegs einfacher. Auch nicht mit Dagmar.
Diese Erzählung, wie ihr Autor die Geschichte trotz ihrer Länge von über 300 Seiten nennt, spielt Ende der 1950er in der DDR. Kähne erzählt von drei Generationen. Da ist als älteste Generation die Großeltern mit ihrer Nazi-Vergangenheit, ein Nachbar, ein alter Kommunist, Martins neue Zimmerwirtin, eine Vertreterin des konservativen Bürgertums. Dann Dagmars Eltern, bürgerlich, Aufsteiger, denen es vor allem um ökonomischen Wohlstand geht, auf der anderen Seite Brigadeleiter und Gewerkschaftsvertreter, die eine ganz andere Ideologie vertreten. Und schließlich die Jungen, schon ohne Krieg und größere Konflikte aufgewachsen, im warmen Nest, die ohne viel Interesse in die Welt blicken, mal dies, mal jenes wünschen, ohne es wirklich zu wollen. Seltsam ziellos sind, keine eigenen Vorstellungen zu haben scheinen, sondern von dem zehren, was Eltern und Großeltern verkünden, ohne an die Konsequenzen zu denken.
Kähne gelingt es, allen Figuren Individualität und einen eigenen Charakter zu verleihen, obwohl sie zugleich Typen sind. Er beschreibt sie genauestens, mit größtem Verständnis für jede Position. Dagmars behütende Mutter, die ihre unmäßig Tochter verwöhnt, Alfons im Betrieb, der die herrschende Ideologie durchsetzen möchte, Achim, den Alkoholiker und charmanten Egoisten, auf den Brigade doch nicht verzichten kann, Martins Zimmerwirtin, die ihre Problem hat mit einem sehr jungen Liebespaar, das sich benimmt, wie man sich 1920 in einer Kleinstadt eben nicht benommen hat. Plastisch sind die Figuren selbst in den die Skizzen von Kollegen im Walzwerk, Dagmars Chef und sogar Martins Mutter, an die er sich nur mit Mühe noch erinnern kann.
Gegliedert ist die Geschichte in zwei Teile. Im zweiten wird breit die Arbeit im Walzwerk geschildert, den Produktionsvorgang ebenso, wie die alltäglichen Probleme zwischen Sollerfüllung und Unterschleifen bis hin zu gefährlicher Schlamperei. Kähne gelingt es, das Werk geradezu bildlich entstehen zu lassen, vom glühenden Draht bis hin zu Ölspuren auf dem Boden.
Die Liebesgeschichte ist voller Probleme, denen die beiden sehr jungen Menschen nicht gewachsen sind. Erzählt wird immer aus Martins Augen, er ist der Ich-Erzähler. Hin und wieder werden Dagmars Entscheidungen nicht ganz deutlich. Das mindert aber weder die Güte noch die beträchtliche Spannung dieser Geschichte. Der Titel erfüllt sich im Übrigen, Martin heiratet nicht. Sein Lebesnweg ist erst einmal ein anerer.
Kähnes Erzählung ist zugleich ein recht genaues Porträt der Gesellschaft der DDR Ende der 1950er. Altes und Neues ist bei weitem noch nicht zusammengewachsen. Niemand weiß so recht, wohin die Fahrt geht, die Zukunft ist alles andere als klar. Gepredigt wird nie, es wird nur gezeigt. Beide Seiten täuschen sich immer wieder, in sich, in den anderen. Vorannahemn erweisen sich als falsch.
Der Alltag scheint aus heutiger Sicht unendlich fern zu sein. Als Martin in die Stadt zieht, nimmt er außer seinen Kohlen und dem Holz für den Kachelofen auch seine Ration Kartoffeln mit. Wasser wird noch auf dem Herd gewärmt und schwarze Anzüge mit Kaffee gebürstet. Allein für diese Einblicke lohnen sich ältere Geschichten.
Was Kähne schrieb, ist zu einem Teil autobiografisch, er arbeitete in den 1950er Jahre im Stahl – und Walzwerk Brandenburg. Wenn man die Gegend kennt, ist wahrscheinlich auch der Handlungsort leicht ausfindig zu machen.
Illustriert ist das Ganze von Renate Jessel in eckig-kantigen skizzenartigen Bildern, die ein wenig alptraumhaft sein kann, zugleich aber streng realistisch ist.
Die Geschichte endet recht abrupt mit einem seltsamen kleinen Abschnitt, in dem Martin in eine sichere Zukunft blickt. Zum Inhalt des Buchs paßt er nicht recht.
Es ist nicht klar, ob der Abschnitt vom Autor stammt, denn er hat, so der Klappentext, seine Erzählung nicht beendet. 1965 kam Kähne bei einem Unfall ums Leben. Er war Mitglied einer Autorengruppe, diese Erzählung ist der einzige seiner Texte, der veröffentlich wurde. Seine Lebensdaten sind laut Umschlaglappe 1929 – 1965, in den üblichen Schriftstellerlexika ist er nicht zu finden.
Das Buch ist somit in vieler Hinsicht einzigartig.