Das verborgene Lied - Katherine Webb

  • Originaltitel: A half forgotten Song (2012)
    Random House Audio 2013, gekürzte Lesung, 6 CDs, 418 Min.


    Über den Inhalt:
    In einem einsamen Cottage auf den Klippen von Dorset lebt die betagte Dimity Hatcher. Ihre Vergangenheit und ihr Gewissen belastet eine Tat aus Liebe und Eifersucht, deren tragische Konsequenzen eine ganze Familie zerstörten. Über siebzig Jahre bleibt ihre Schuld unentdeckt, bis eines Tages ein junger Mann vor ihrer Tür steht, der nach und nach der verheerenden Wahrheit auf die Spur kommt …


    Über die Autorin:
    Katherine Webb, 1977 geboren, wuchs im ländlichen Hampshire auf. Sie studierte Geschichte an der Durham University und verbrachte einige Zeit in London und Venedig. Ihre beiden Romane Das geheime Vermächtnis und Das Haus der vergessenen Träume waren internationale Erfolge und eroberten auch in Deutschland die Bestsellerlisten. Das verborgene Lied ist ihr dritter Roman. Die Autorin lebt in der Nähe von Bath, England.


    Über die Sprecherin:
    Anna Thalbach, geboren 1973, lebt und arbeitet in Berlin. 2008 erhielt sie den Deutschen Hörbuchpreis als „Beste Interpretin” und gehört zu den gefragtesten Hörbuchsprecherinnen Deutschlands. Für Random House Audio hat sie auch Katherine Webbs „Das geheime Vermächtnis” und „Das Haus der vergessenen Träume” eingelesen.


    Meine Meinung:
    Das Leben des Künstlers und Galeristen Zach Gilchrist droht aus den Fugen zu geraten. Beruflich und privat läuft es für ihn derzeit nicht gut. Und dann sitzt ihm auch noch sein Verlag im Nacken, weil er mit einer Biographie über den Maler Charles Aubrey in Verzug ist. Zach glaubt, dass der schon lange verstorbene Aubrey sein Großvater gewesen sein könnte. Seit Jahren ist er fasziniert von dem Mann und hat alles über ihn gelesen. Als er auf ein bislang unbekanntes Werk des Künstlers stößt, beschließt er, in das ländliche Dorf Blacknowle zu reisen, in dem Aubrey mit seiner Familie vor Beginn des Zweiten Weltkriegs mehrere Sommer verbracht hat.
    Dort begegnet Zach der anderen Stimme dieses Romans, der zurückgezogen lebenden 80-jährigen Dimity „Mitzy“ Hatcher, die als junges Mädchen von Aubrey gemalt wurde. Zach erkennt, dass Dimitys Erinnerungen seinem Buch einen ganz neuen Blickwinkel geben können und er überredet sie, ihm ihre Version der Sommer mit Charles Aubrey, seiner Geliebten und seinen beiden Töchtern zu erzählen.


    Die Zutaten dieses Romans haben sich schon häufig bewährt: ein englisches Cottage, in dem es vermeintlich spukt, eine alte Dame, die die Geheimnisse ihrer Vergangenheit pflegt, ein beruflich erfolgloser junger Mann mit Exfrau und kleiner Tochter auf der Suche nach sich selbst. Daraus webt Katherine Webb eine wunderbare Geschichte über einen Künstler, seine Muse und den Widerhall seiner Berühmtheit fast siebzig Jahre später.


    Dimitys Geschichte wechselt sich ab mit der von Zach, seiner Großmutter, und Dimitys Nachbarin Hannah. Dabei sind die eindringlichsten Passagen die, in denen Dimity ihre Erinnerungen lebendig werden lässt. Im Laufe von drei Sommern entwickelt Mitzy eine tiefe und bleibende Verbindung zu Audreys Haushalt, wird allmählich zu Charles Muse und beginnt eine Zukunft wahrzunehmen, die sie nie für möglich gehalten hätte. Als Zuhörer kann man sich nie sicher sein, wie wahr Mitzys Version der Ereignisse ist.


    „Das verborgene Lied“ entwickelte einen Sog, dem ich mich schwer entziehen konnte. Ich wollte unbedingt wissen, wie es weitergeht. Und das, obwohl keine der Romanfiguren mir wirklich ans Herz gewachsen ist. Vor allem Dimity empfand ich als schrecklich verbohrt, uneinsichtig und egoistisch.


    Katherine Webb hat eine fesselnde Geschichte über die Kraft der Liebe, die Gefahr der Besessenheit und der untreuen Natur des Gedächtnisses geschrieben, abwechselnd eindringlich, faszinierend und herzzerreißend. Mit überraschenden Wendungen und einem Schluss, auf den ich im Leben nicht gekommen wäre.


    Anna Thalbach als Sprecherin dieses Hörbuchs hat mich begeistert. Jeder Figur wird sie gerecht, moduliert ihre Stimme großartig. Fasziniert folgte ich ihrer Interpretation der jungen wie der alten Dimity und aller anderen Personen. In meinen Ohren eine Meisterleistung, die Hörgenuss von Anfang bis Ende garantiert.

  • Worum es geht

    Nach der Trennung von seiner Frau wendet sich Zach, Betreiber einer wenig erfolgreichen Kunstgalerie, endlich wieder einem seiner vernachlässigten Projekte zu. Für sein Buch über den Maler Charles Aubrey möchte er weitere Einblicke in dessen Leben und Werk gewinnen. In der Hoffnung, noch Unbekanntes über den von ihm verehrten Künstler zutage zu fördern, reist er für seine Recherchen nach Dorset.
    Hier hatte der Maler mit seiner Familie in den 1930-er Jahren mehrere Sommer verbracht, und viele seiner bedeutendsten Bilder geschaffen. Sein bevorzugtes Modell war ein Mädchen aus dem Dorf, Dimity Hatcher, Mittie, die sich mit seinen beiden Töchtern angefreundet hatte.
    Zu Zachs eigener Verwunderung lebt die nun 87-jährige Mittie bei bester Gesundheit immer noch in ihrem Cottage, und ist sogar bereit, mit dem jungen Mann über Charles Aubrey zu sprechen. Im Laufe der Zeit vertraut sie Zach Unglaubliches an, Geheimnisse, die jahrzehntelang in ihrem Innersten verschlossen blieben.
    Auch das Verhalten von Mitties Nachbarin Hannah, zu der sich Zach sehr hingezogen fühlt, gibt ihm immer wieder Rätsel auf. Doch Zach ist entschlossen, endlich die ganze Wahrheit ans Tageslicht zu bringen.


    Meine Meinung

    Im Gegensatz zu anderen Meinungen, die ich im Vorfeld gelesen hatte, vermochte mich Katherine Webb mit ihrer Geschichte von Anfang an vollkommen zu fesseln. Möglicherweise liegt eine Ursache dafür auch in der Vortragsweise der Sprecherin Anna Thalbach, die mit ihrer ausdrucksvollen Stimme auch über weniger ereignisreiche Passagen hinwegträgt und Langeweile erst gar nicht aufkommen lässt.
    Der Autorin ist es meiner Meinung nach hervorragend gelungen, die beiden Zeitebenen, auf denen sie ihre Geschichte spielen lässt, miteinander zu verbinden, wobei mir der in der Vergangenheit angesiedelte Handlungsstrang weit besser gefallen hat als der gegenwärtige.
    Ganz großartig zeichnet Katherine Webb ihre Figuren, schildert sie so realistisch und lebendig, dass ich sie alle bildlich vor mir sehen konnte. Die Charakterisierung der Protagonistin Dimity Hatcher ist ihr hervorragend gelungen. Sowohl als junges Mädchen als auch als alte Frau ist mir selten eine Hauptfigur untergekommen, die mir so von Herzen unsympathisch war wie diese Mittie. Wie sie sich immer mehr in das Leben der Familie Aubrey drängt und sich in eine Zukunft hineinträumt, die jeder realen Grundlage entbehrt, konnte ich mir nur mit ihrer lieblosen Kindheit erklären. Ihre verzweifelte Sehnsucht nach Zuwendung, nach Liebe und Geborgenheit rechtfertigt natürlich nicht, wozu sie sich schließlich hinreißen lässt, und doch will mir kein anderes Motiv dafür einfallen. Mit der schmuddeligen alten Frau, die blutige Rinderherzen in den Kamin hängt und sich ihrer roten Handschuhe wohl niemals entledigt, konnte ich erst recht nicht sympathisieren.
    Und doch bezeugen gerade solche facettenreiche Charaktere mit ihren wenig liebenswerten Eigenschaften in meinen Augen das große schriftstellerische Talent der Autorin. Dazu gehört auch Mitties Mutter, die als Wahrsagerin, Kräuterfrau und Prostituierte ein kärgliches und freudloses Dasein fristet.
    Umso deutlicher konnte Katherine Webb den Kontrast zur Familie des Malers Charles Aubrey herausarbeiten. Seine Lebensgefährtin Celeste ist eine marokkanische Schönheit, die für den Geliebten alles aufgegeben hat. Aber auch ihren beiden behüteten und wohlerzogenen Töchtern ist sie eine liebevolle und fürsorgliche Mutter. Und selbst für die kleine Dimity, die Charles so gerne zeichnet, hegt sie zärtliche Gefühle, bis sie erkennen muss, in welchen Wahn sich die Heranwachsende zunehmend hineinsteigert.
    Viel Herz legt Katherine Webb aber auch in so manche ihrer Nebenfiguren. Mitties einziger Verehrer, ein alter Schulfreund, der sie seit Kindertagen liebt, und der sie gerne geheiratet hätte, hat mir in seiner schüchternen Anhänglichkeit und lebenslangen Treue sehr gut gefallen.
    Mich konnte der Roman sowohl inhaltlich als auch sprachlich völlig überzeugen. Flüssig geschrieben, eignet er sich nicht nur zum Selberlesen, sondern ist auch als Hörbuch der reinste Genuss.
    Dass die Autorin am Ende ihrer Geschichte vielleicht mit des Rätseln Lösungen eine Spur zu dick aufgetragen hat, kann meine Begeisterung nicht dämpfen. Allein für so viel Fantasie muss es schon die volle Punktezahl geben. Davon abgesehen ist die Umsetzung einer bezaubernden Idee wirklich hervorragend gelungen, und ich durfte mich für 16 Stunden 41 Minuten in ganz andere Zeiten und Welten entführen lassen.

    Besonders berührt hat mich der letzte Satz, der in Anlehnung an Charles häufige Aufforderung zu verstehen ist, Mittie solle in einer bestimmten Position verharren, damit er sie so zeichnen könne: „‘Mittie, nicht bewegen!‘ Und das tat sie auch nicht, nicht einmal um zu atmen.“

    Nicht zuletzt möchte ich noch einmal die beeindruckende Leistung der Sprecherin Anna Thalbach hervorheben. Sie versteht es nicht nur großartig, den Figuren durch ihr Intonation zusätzliches Leben einzuhauchen, sondern auch Lesetempo und Stimmlage den jeweiligen Erfordernissen des Textes hervorragend anzupassen.


    Dafür gibt es fantastische <3<3<3<3<3:!:


    ASIN/ISBN: 3837122670