König Stachs Wilde Jagd – Uladsimir Karatkewitsch

  • OT: Dzikae paljavanne karalja Stacha 1964; dt. 1985



    Ende der 1880er Jahre kommt ein junger Mann, Sammler von Märchen und Volksliedern, in ein völlig abgelegenes Gebiet irgendwo an der polnisch-litauischen Grenze von Belorußland. Es ist schon Spätherbst, unser Forscher, Andrej Belorezki, war den ganzen Sommer unterwegs, seine Ausbeute an neuen Geschichten aber mager. Deswegen will er noch nicht zurück nach Hause. Ein Unwetter, das ihn mitten in einer Sumpflandschaft überfällt, bringt ihn zu einem halbverfallenen Schloß, spätabends. Mit Mühe und Not findet er Einlaß. Zu seiner Verblüffung leben im Schloß bloß eine Handvoll Dienstboten und die sehr junge Besitzerin, die sich in einem Zustand zwischen Melancholie und Depression befindet. Sie ist sicher, daß sie gerade noch ihren bevorstehenden achtzehnten Geburtstag erleben wird, dann wird sie sterben.


    Belorezki glaubt ihr kein Wort, wird im Lauf der Tage aber eines Besseren belehrt. Gespenster erscheinen und draußen über dem Moor tobt die Wilde Jagd König Stachs, der vor Jahrhunderten geschworen hat, die Familie, der das Schloß gehört, bis zum letzten Glied zu töten. Stachs letztes Opfer war der Vater der Schloßherrin, Nadeschda.
    Als aufgeklärter Mann der Moderne – es gibt schließlich Dampflokomotiven! – kann Belorezki Gespenster nicht akzeptieren, er beschließt, den Dingen auf den Grund zu gehen. Anläßlich Nadeschdas Geburtstagsfest lernt er ihre Nachbarinnen und Nachbarn kennen, die Angehörigen der Schlachta, des Landadels der Gegend. Bald stellt er fest, daß es durchaus auch irdische Gründe für Nadeschdas baldigen Tod gibt. Aber offenbar existiert auch die Wilde Jagd auf ihren halb fliegenden Pferden, die im Sumpfland auftauchen und verschwinden und jedes Mal einen Toten hinterlassen. Der nächste könnte durchaus Belorezki sein.


    König Stachs Wilde Jagd ist Abenteuergeschichte, Gespenstergeschichte, historischer Roman und Liebesroman mit einem guten Schuß Nationalismus. Die Erzählung erschien 1964, Karatkewitsch (1930 – 1984) trifft den Ton eines Schauerromans des 19. Jahrhunderts aber punktgenau. Ebenso ehrlich ist sein progressiv geprägter Nationalismus. Sein Held bezeichnet sich selbst als ‚Roter‘, er hat einen klaren Blick auf die Verhältnisse, in denen Bauern in so armen Gegenden leben mußten. Seine Adelskritik ist deutlich, seine Feder spitz. Trotzdem sind die Figuren alles andere als schwarz-weiß gezeichnet. Im Gegenteil beschreibt er eine Gesellschaftsschicht, die sich selbst überlebt hat, die nie gelernt hat, produktiv zu sein, sondern nur zu nehmen. Nicht jede und jeder von ihnen ist schlecht, viele sind nur schwach, nicht lebenstüchtig. Dennoch gibt es Böses, Geld – und Machtgier. Sie fressen sich wie eine Krankheit in die Menschen, eine Art alles vernichtender Rost. Geld – und Machtgier der Schlachta aber ist auch der Anknüpfungspunkt zum Bürgertum der Kleinstadt des Bezirks. Polizei und Justiz sind korrupt.


    Ein Bild dafür sind nicht nur die verfallenden Schlösser und Landhäuser, sondern auch die herbstliche Sumpflandschaft. Karatkewitsch schafft mit der Beschreibung von Sumpf, Wald und Park meisterhaft nicht nur eine Kulisse, sondern Bilder der jeweiligen Gefühlslagen, die zugleich großartige Naturbeschreibungen sind. Die romantische Legende König Stachs, der zugrunde liegende Krimi und die nationalistische Sozialkritik verschmelzen zu einer Einheit. Das Ganze wird ausgesprochen spannend erzählt, trotz der etwas altmodischen Sprache. Das Ende ist ausgesprochen blutig, aber erzählerisch gut vorbereitet.
    Leider gibt es am Schluß auch eine Szene, in der eine Gespenstererscheinung mit einer Gewalttat des Helden an der Heldin endet, die Karatkewitsch uns wirklich hätte ersparen können. Sie macht diesen Klassiker heute nur bedingt empfehlenswert. Das ist enorm ärgerlich, weil es sich wirklich lohnen würde, diesen Roman zu entdecken.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • :-)


    Gern.
    Ich habe noch nach anderen Büchern des Autors auf deutsch gesucht, konnte aber außer einem Essay von 1983 nichts finden.
    Diese alte Übersetzung, die als Jugendbuch in der DDR erschienen ist, war noch dazu die einzige von 'König Stach'.


    Ergänzung: das Buch wurde noch in der Sowjetunuion verfilmt, der Film hat aber offenbar nur schlechte Kritiken bekommen.



    :wave


    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

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