Robert Gerwarth - Reinhard Heydrich. Biographie

  • Inhalt:


    Prag, 27. Mai 1942. In der Hauptstadt des „Reichsprotektorats Böhmen und Mähren“ wird ein Attentat auf den stellvertretenden Reichsprotektor Reinhard Heydrich verübt. Heydrich stirbt wenige Tage später. In den nächsten Wochen werden verheerende Racheaktionen ganze Dörfer in Schutt und Asche legen. Reinhard Heydrich war zu diesem Zeitpunkt noch keine 40 Jahre alt – und hatte doch in führender Rolle den Aufbau des SS-Polizeistaates mitgestaltet und den Völkermord an den Juden geplant. Robert Gerwarth geht in seiner Biographie den Lebensweg Heydrichs nach und zeichnet gleichzeitig ein düsteres Bild der zerfallenden Weimarer Republik, des erstarkenden NS-Staates und des Vernichtungskrieges, den er führte.


    Meinung:


    Wer sich näher mit der NS-Zeit und insbesondere mit der Thematik der Judenverfolgung befasst, kommt zwangsläufig mit Reinhard Heydrich in Kontakt. Der Musikersohn aus Halle an der Saale, dessen Lebensweg lange apolitisch geprägt war, war bis zu seinem Tod die Nummer 2 in der SS hinter Himmler – und gemeinsam mit ihm der Chefplaner des verbrecherischen Polizeistaates im Dritten Reich. Sein Vorsitz bei der Wannsee-Konferenz, auf der offiziell über die „Endlösung der Judenfrage“ in Europa gesprochen wurde, symbolisiert diese Rolle.


    Gerwarth erzählt chronologisch, dabei immer auf die damaligen Verhältnisse verweisend. Nicht viele Historiker vermögen, ihr Wissen auch auf anspruchsvolle Weise unter die Leser zu bringen. Gerwarth hat einen angenehmen Stil, lässt sich gut lesen. Besonders beeindruckt der Autor ab mit der Art seiner Herangehensweise, die er selbst als „kalte Empathie“ bezeichnet: er beobachtet mit den Augen eines Historikers – sachlich, ohne Emotionen, ohne zu Staatsanwalt oder Richter zu werden. Er lässt die Personen dieser Zeit für sich selbst sprechen – ein moralischer Zeigefinger ist an dieser Stelle gar nicht vonnöten. Eine sehr ausführliche Quellenübersicht erleichtert dem Leser die Zuordnung einzelner vorgetragener Fakten – und es muss als besonderes Verdienst des Autors gewertet werden, dass er bei strittigen Fragen immer die sich widersprechenden Auffassungen vorträgt und begründet, welche Variante er aus welchen Gründen für plausibel hält. Manche Fragen lässt er ganz offen – weil er die Antwort nicht kennt und nicht bloße Vermutungen anstellen will.


    Mit seinem Werk über den Chef des Reichssicherheitshauptamtes ist Robert Gerwarth eine eindrucksvolle Biographie über eine der entscheidendsten Gestalten des Dritten Reiches gelungen, die für den „Neuling“ ebenso lesbar ist wie für den Leser vor mit Vorkenntnissen. Eine sorgfältig dokumentierte Quellenübersicht und ein gut lesbarer Stil runden die Biographie ab. Wer sich für die Zeit des Dritten Reiches und die sie beherrschenden Figuren interessiert, ist bei Robert Gerwarth gut aufgehoben.


    9,5/10 Eulenpunkten

    SUB 220 (Start-SUB 2020: 215)


    :lesend Susanne Michl u. a. - Zwangsversetzt. Vom Elsass an die Berliner Charité. Die Aufzeichnungen des Chirurgen Adolphe Jung (1940 - 1945)

    :lesend Antonio Iturbe - Die Bibliothekarin von Auschwitz

    :lesend Anthony Doerr - Alles Licht das wir nicht sehen (Hörbuch)

  • Herzlichen Dank für diese hochinteressante Buchvorstellung. Das Buch scheint auch im Hinblick auf den wiedererstarkten Antisemitismus in diesem Land von großer Wichtigkeit zu sein. Es liegt bei mir - leider - noch ungelesen herum. Aber es wird bald in Angriff genommen.


    Es gibt ja immer diese beiden konträren Ansichten:
    Geschichte wiederholt sich - Geschichte wiederholt sich nicht.


    Wobei wir ggf. gerade Zeuge davon werden, das sich Geschichte, wenn auch nicht deckungsgleich und in abgewandelter Form, sich durchaus wiederholt.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Ja, die Gedanken sind mir beim Lesen des Buches auch gekommen. Wenn man an einem Tag ein Foto von einer Zeitungsredaktion in Sachsen sieht, auf der "Juda verrecke" steht und am selben Abend in dieser Biographie von den Boykotten jüdischer Geschäfte 1933 liest, ruft das wirklich entsetzen hervor.


    Wenn du die Biographie auch gelesen hast würde ich mich freuen, wenn du auch berichtest :-)

    SUB 220 (Start-SUB 2020: 215)


    :lesend Susanne Michl u. a. - Zwangsversetzt. Vom Elsass an die Berliner Charité. Die Aufzeichnungen des Chirurgen Adolphe Jung (1940 - 1945)

    :lesend Antonio Iturbe - Die Bibliothekarin von Auschwitz

    :lesend Anthony Doerr - Alles Licht das wir nicht sehen (Hörbuch)