Warum die Sache schiefgeht– Karen Duve

  • Untertitel: Wie Egoisten, Hohlköpfe und Psychopathen uns um die Zukunft bringen.


    Der Titel ist provokant und der dazugehörige Text hält alles, was der Titel so temperamentvoll verspricht. Ab der Einleitung und in jedem der sechs folgenden Kapitel geht Duve voll zur Sache, daß es nur so rauscht. Der Sache ist das nicht dienlich, aber das ist das Letzte, worauf es auf den 173 Seiten ankommt. Darüber kann auch ein sechsseitiges Literaturverzeichnis nicht hinweghelfen. Täuschungsabsichten soll man hier nicht unterstellen, Duve meint es ernst. Leider ist sie sauer und dieser Gemütszustand ist dem Ernst immer abträglich.


    Die ersten vier Kapitel tragen als Überschriften jeweils einen Kernbegriff dessen, was als wesentliche Tugend des heutigen Menschen in einer Gesellschaft wie der unseren angesehen wird, des Erfolgs. Das sind Einsatz – und Risikobereitschaft, Selbstvertrauen, Durchsetzungsvermögen. Sie stehen für Egoismus, Rücksichtslosigkeit, Verantwortungslosigkeit und rundum asoziales Verhalten einer bestimmten Gruppe von Entscheidungsträgern vor allem in der Wirtschaft. Auf diese Weise bringen sie die Welt an den Rand des Abgrunds, in naher Zukunft auch über diesen Rand. So Duve.


    Sie hat nicht Unrecht, Recht hat sie so, wie sie es darstellt, aber auch nicht. Die Autorin zeigt sich nicht nur höchst angepisst von der Lage, sie hat sich auch in Panik versetzen lassen. In wahrer Barmherzigkeit gegenüber ihren Mitmenschen teilt sie die Panik großzügigst. Ein Untergangsszenario jagt das nächste. Miese fiese multiresistente Bakterien lauern in Krankenhäusern auf nichtsahnende Frischoperierte, die Chefetagen sind durchsetzt mit Psychopathen, die abgebrühte Serienkiller in Hochsicherheitsknästen alt aussehen lassen. Im CERN arbeiten sie daran, ein Schwarzes Loch zu erzeugen, das uns alle zu Spaghetti werden läßt, wenn nicht durch Klimaschäden vorher schon der Permafrostboden auftaut und Tonnen von Methan in die Atmosphäre schleudert, was auch Viehherden hinkriegen, wenn man sie weiter wachsen läßt. Derweil saufen halbe Kontinente ab, Terroristen schließen sich zusammen und in Schulen laufen Jugendliche Amok. Die Leserin hat schon auf Seite zehn Schnappatmung vor Entsetzen.


    An allem, was Duve aufführt, ist etwas Richtiges, aber die Informationen sind so durcheinandergeworfen, verkürzt, Gedankengänge zerstückelt, Untersuchungsergebnisse halbverstanden und dann noch mit beliebigem Zahlenmaterial garniert, daß einfach nur Schrott herauskommt. Das Wichtigste scheint zu sein, auf Schuldige zeigen zu können. Irgendjemand ist es immer. Wissenschaftler, Mediziner, Manager, Chefs, Politiker, Landwirte, Männer, Nachbarn und schließlich Menschen überhaupt.


    Gegen Ende reißt sie sich am Riemen, das Kapitel über die Frage, ob Frauen am Ruder Besseres bewirken könnten, ist das einzige, das man als in Ansätzen differenziert nennen könnte. Im Gegensatz zu dem, was in den Medien behauptete wird, beantwortet sie die Frage übrigens nicht mit einem eindeutigen Ja.
    Mit Maßen interessant sind auch die dann folgenden Ansätze zu einer Überlegung, ob eine Revolution helfen könnte. Was sonst, ist man versucht zu sagen, erleichtert, daß nun doch die Vernunft Einzug hält.
    Aber nein. Auch wenn das Weltende schon seinen bleichen Knochenfinger hebt, um an die Wohnungstür zu klopfen, eine grundlegende Veränderung ist dann doch zu erschreckend. Schließlich, so Duve im Brustton der Überzeugung, gehen alle Revolutionen am Ende schlecht aus, weil ‚die Menschen‘, kaum daß sie am Ruder sind, trotz der besten Absichten vor der Tat, nach der Tat dann ebenso gierig, herrschsüchtig und schädlich oder einfach faul werden, wie die, die sie gerade abgesetzt haben. Irgendwie liegt es also doch an den Genen oder an sonst etwas Biologischem, daß es halt schiefgeht mit den Menschen.


    Alles, was bis hier an Möglichkeit zu Veränderung, an tatsächlich richtigen Erkenntnissen und korrekten Fakten geboten wurde (ca. 15% des Texts, plus-minus, Pi mal Daumen) wird nun auch in den Gulli gekippt. Menschen sind halt Menschen, die alten Affen eben. Der dümmste aller dummen Sprüche von Kästner muß auch noch herhalten, als ob die Dummheiten, die in Duves eigenem Text stehen nicht genügen würden.


    Und was macht man nun nach der Lektüre? Das Buch die Wand werfen? In Tränen ausbrechen? Auf die Straße rennen und sich von einer jener Benzinschleudern über den Haufen fahren lassen, deren Herstellung samt Industriezweig Duve mit so vielen herben (und überflüssigen) Worten anprangert? Oder nach Mallorca fliegen, wie die anderen Veränderungsunwiligen, Faulen, sich in die Sonne hauen und dem offenbar unzweifelhaft genetisch bedingten menschlichen Egoismus freien Lauf lassen?


    Nichts davon. Angesichts der Ressourcenverschwendung, die die Drucklegung dieses Buchs darstellt, beschränkt man sich auf ein leichtes Kopfschütteln, und trägt es geduldig zum Altpapier-Container. Dann kocht man sich auf ganz altmodische Weise eine Tasse Kaffee (bio und fair) zum Trost. Und da man mit der Lektüre dieser traurigen und sinnfreien Schimpferei genug Zeit vertan hat, krempelt man schleunigst wieder die Ärmel hoch und arbeitet weiter an der Rettung der Welt. Eine andere Wahl haben wir gar nicht.



    edit: Titel gekürzt, weil die Titelzeile ihn nicht in voller Länge akzeptiert
    edit2: Tipfehler ausgebessert.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

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