Wolfgang Schwerdt: Rotbartsaga: Die Abenteuer eines legendären Schiffskaters. Teil 1: Das Vermächtnis des Kapitäns Carlszoon, Witzenhausen 2014, CreateSpace Independent Publishing Platform, ISBN 978-1500877484, Softcover, 278 Seiten mit zahlreichen s/w-Illustrationen und Karten, Format: 13,3 x 1,8 x 20,3 cm, Buch: EUR 12,00, Kindle Edition: EUR 6,99.
„Fünf Reisen hat der sagenhafte Rattenfänger gemacht, die ihn in alle Teile der Welt geführt haben. Einzelne Episoden dieser Reisen sollen einen Vorgeschmack geben, was den Leser in den folgenden fünf Bänden der Rotbartsaga erwartet. In diesem Buch erfährt der Leser erst einmal die Geschichte wie alles begann, mit kleinen und großen Abenteuern des vierbeinigen Seemanns und seiner KollegInnen.“ (aus dem Klappentext, vierte Umschlagseite)
Im Internet hatte ich gelesen, dass der Autor sich unter anderem mit der Geschichte der Schifffahrt und der Schiffskatzen beschäftigt. Ich wusste auch, dass der Band reich illustriert ist. Erwartet habe ich einen gut recherchierten, spannenden und humorvollen Roman über unerschrockene Seeleute, clevere Katzen, exotische Schauplätze, schreckliche Piraten, gefährliche Begegnungen und haarsträubendes Seemannsgarn. Also so eine Art „Fluch der Karibik“ aus Katzenperspektive. Das alles bietet das Buch auch, aber erst ab Kapitel 4/Seite 86.
Was mir nicht von Anfang an klar war: Das vorliegende Buch ist nicht der Roman über Kater Rotbarts erste Seereise. Es ist eine Art Einführungsband, der uns mit allerhand Informationen darauf vorbereitet, was uns in den folgenden fünf Bänden erwartet.
Rotbarts Abenteuer werden zunächst in einen zeitlichen Zusammenhang eingeordnet. Seine aktive Zeit ist ca. 1651-1678, in der Ära der Englisch-Niederländischen Seekriege, der großen Handelsschiffe und der Kolonien. Wir lernen die niederländischen Kaufmannssöhne Carlszoon kennen, die schon mal für ihre Auftraggeber in geheimer Mission unterwegs sind, der Lebemann Piet genauso wie sein Bruder Carl, der Kapitän, unter dessen Kommando Kater Rotbart seinen Dienst versieht.
Einem Historienmuffel kann an dieser Stelle schon mal kurz das Herz in die Hose rutschen: Sollen wir uns jetzt etwa 280 Seiten lang mit dem Chronisten und Theologen Friedrich Lucae herumplagen, der mit dem Kapitän zusammen unterwegs ist? Der Kerl redet wie ein Reisebericht aus dem 17. Jahrhundert! Und müssen wir uns echt in die damaligen Politintrigen einfuchsen und wissen, was sie Oranier, die Hohenzollern, Gouverneur Petrus Stuyvesant und der niederländische Staatsmann Johan de Witt gedacht, geplant und gemacht haben? – Nicht unbedingt. Friedrich Lucae sind wir schnell wieder los und die Kenntnisse der damaligen politischen Verhältnisse erleichtern zwar das Verständnis späterer Aktionen, aber man kann Rotbarts Abenteuer auch dann genießen, wenn man bei diesem Thema etwas schwächelt.
Wir erfahren, wie der Autor zu den historischen Aufzeichnungen über den Schiffskater Rotbart gekommen ist – ein überaus phantastisches Element der Geschichte. Kurz gesagt, wurde das im Jenseits ausgekungelt, nachdem der ursprünglich vorgesehene Rotbart-Biograph seiner Aufgabe nicht mehr nachkommen konnte.
Nach drei informativen Kapiteln wissen wir dann genug, um Schiffskater Rotbart endlich kennenlernen zu dürfen. Das heißt, als wir ihn zum ersten Mal treffen, ist er noch ein junger Hüpfer ohne Berufserfahrung, der nur „der kleine Rote“ genannt wird, aber schon von Kätzchenbeinen an den Wunsch hatte, einmal ein gestandener Schiffskater zu werden. Ohne seiner Mutter Bescheid zu sagen, schmuggelt er sich an Bord der Zeeland. Der alte Oberschiffskater Seetiger schuldet ihm was und nimmt ihn unter seine Fittiche. In ihm hat Rotbart den richtigen Lehrmeister. An Bord der Zeeland lernt der menschenscheue Rote auch Kapitän Carl Carlszoon kennen und Gesellschaft eines freundlichen und fürsorglichen Zweibeiners schätzen.
Rotbart erlebt Stürme und Flauten, lernt afrikanische Raubkatzen kennen, muss für längere Zeit von seinem Mentor Seetiger Abschied nehmen und hat eine folgenschwere Begegnung mit einem Hai. In Australien trifft er auf ausgesprochen feindseliges Getier und kommt nur um Haaresbreite mit dem Leben davon. Katzendame Graulocke, die mehr so aus Versehen Schiffskatze wurde, wird seine Lebensgefährtin und die Stammmutter eines ganzen Schiffskatzenclans.
Es verschlägt Rotbart nach einer Havarie auf den Fliegenden Holländer, den er nur mit einer List wieder verlassen kann. Leider muss er seine Kollegin Molly an Bord zurücklassen. Ganz exotisch wird’s in Japan. Da bringt der nassforsche Jungkater Löwenherz die halbe Schiffskatzencrew in Lebensgefahr. Rotbart und seine KollegInnen bekommen es nicht nur mit einer unverständlichen Kultur, sondern auch mit einem rabiaten Diener und sogar mit Monstern und Geistern zu tun.
Deftig geht es auf der Deens Onderzoeker zu. Der verfressene Kater Roi de Merguez und sein gerissener und wortgewandter Kumpel Moliere haben die irrwitzigsten Tricks auf Lager, wenn es um die Nahrungsbeschaffung geht. Die Szenen mit dem Fisch im Rattenloch! Die Show, die die beiden in der Hafenspelunke auf Tortuga abziehen! Das ist einfach zu köstlich! Schade, dass Rotbart die zwei nicht schon viel früher kennengelernt hat. Das sind Berufskollegen, mit denen man Spaß haben kann. Andere Begegnungen, wie die mit Kater Henry Einauge, verlaufen eher dramatisch und traumatisch. Erst im Ruhestand gewinnt Rotbart zu manchen schlimmen Ereignissen aus seiner Vergangenheit den nötigen Abstand.
Außerdem gibt es in diesem Buch einen Sachbeitrag über Schiffskatzen und –hunde, eine Kurzvorstellung der wichtigsten Tiere aus Rotbarts Umfeld, ein Glossar und Listen mit historischen Personen und Orten. Eine Vielzahl von Karten, historischen Abbildungen und Collagen illustrieren den Band. QR-Codes beziehungsweise URLs verweisen auf weiterführende Informationen im Internet.
Vielleicht sollte man dieses Buch tatsächlich besser auf einem Tablet lesen, schon allein deshalb, weil man da gleich Zugang zu den Internet-Informationen hat. Ich bin dafür zu altmodisch, aber ich nehme an, dass auch die Zeichnungen und Handschriften auf dem Bildschirm klarer herauskommen als im Druck. Im Buch kann man manche Handschrift nur mit der Lupe oder gar nicht lesen (z.B. Seite 135, S. 136, S. 155), und ein paar der Bilder sind so dunkel, dass man (fast) nichts darauf erkennen kann. (Seite 145, S. 235). Wenn der Autor schon so viel Wissen, Zeit und Mühe investiert hat, ist das schade.
Wenn ich es richtig verstanden habe, geht es in jedem der Folgebände um eine der 5 abenteuerlichen Reisen des Schiffskaters Rotbart. Das, was hier nur kurz angerissen wird, bekommen wir dann ausführlich erzählt. Dieses Buch hat es geschafft: Ich möchte jetzt gerne mehr über die Abenteuer von Rotbart und seine vier- und zweibeinigen Kollegen lesen. Das ist schon ein interessanter, sympathischer und verrückter Haufen!
Es ist vielleicht ketzerisch, aber ich frage mich, ob die Serie nicht auch funktioniert, wenn man diesen kommentierenden Einführungsband auslässt und einfach mitten in die Handlung hineinspringt. Es gibt doch eine Unmenge von Buchreihen, die komplexe Welten und Situationen beschreiben und ihre Hintergrundinformationen nicht gleich mitbringen. Aber das, wie gesagt, wird man erst sehen, nachdem man den ersten Folgeband gelesen hat. Vielleicht ist dieser Startband ja für das Verständnis absolut notwendig. Oder er stellt einfach einen Service dar, den man beim Lesen der Romane zu schätzen weiß.
Der Autor
Wolfgang Schwerdt, 1951 in Berlin geboren, arbeitete nach einem Studium des Ingenieurwesens und der Betriebswirtschaft als Wirtschaftsjournalist und Fachjournalist für Schifffahrt- und Kulturgeschichte und schließlich auch als Buchautor.