Der Autor (Quelle: Amazon)
Kamel Daoud, Jahrgang 1970, im algerischen Mostaganem geboren, ist Journalist beim Quotidien d‘Oran, für den er seit 12 Jahren eine der meistgelesenen politischen Kolumnen in Algerien schreibt. Er lebt in Oran. Er hat bereits einen Band mit Erzählungen veröffentlicht. »Der Fall Meursault – eine Gegendarstellung« ist sein erster Roman.
Das Buch (Quelle: Amazon)
Nacht für Nacht sitzt ein alter Mann in einer Bar in Oran und erzählt. Seine Geschichte und die seines Bruders Moussa, jenes Arabers, der 1942 von einem gewissen Meursault, den angeblich die Sonne blendete, am Strand von Algier erschossen wurde. Der weltberühmte Roman »Der Fremde« von Albert Camus erzählt, wie es dazu kam und davon, wie Meursault der Prozess gemacht und er am Ende nicht so sehr für den Mord, den er begangen hat, verurteilt wird, sondern für die Emotionslosigkeit, die er bei der Tat und auch später immer wieder zur Schau stellt. Das Opfer, der Araber, bleibt dabei stets namenlos.
Indem er nun – 70 Jahre später – die Geschichte seines Bruders bis zu dessen gewaltsamem Tod erzählt, gibt der alte Mann dem Araber seinen Namen zurück und damit eine Identität und eine Geschichte. Und er macht seinem Ärger Luft, seiner Trauer, der Wut und der Frustration über sein eigenes Leben im Schatten dieses Todes.
Geschickt verzahnt Kamel Daoud in seinem Erstlingsroman die Geschichte der beiden Brüder mit der Geschichte Algeriens und mit dem Roman von Camus. Kraftvoll und poetisch zugleich erzählt Daoud von diesem Brüderpaar, ihrem Leben, ihrem Land, ihrer Liebe. Entstanden ist ein großer Roman darüber, wie die Vergangenheit unsere Gegenwart prägt und über die ungebrochene Kraft der Literatur, eine tiefere Erkenntnis, eine verborgene Wahrheit ans Licht zu bringen.
Meinung
Man hätte die 200 Seiten des Buchs auf 50 zurechtstutzen können, was der Autor auf Seite 186 freimütig zugibt:
„Aber ich komme schon wieder vom Thema ab, diese Weitschweifigkeit nervt dich wahrscheinlich. Und dennoch …“
Ja, es nervt und dennoch liebt man diese Redundanz, die dem Besuch eines arabischen Basars gleicht, bei dem man zwei Tage und 20 Tassen Tee lang verhandelt und für ein Schmuckstück dann doch zu viel bezahlt. Wer das kann und mag, sollte sich darauf einlassen - auf den Basar-Besuch und auf das Buch.
Die Idee ist brillant. Zwar bekommt Camus' Araber kein Gesicht, aber immerhin einen Namen und einen Bruder, der die Geschichte aus seiner Perspektive erzählt, die dem großen Vorbild an vielen Stellen wie ein Spiegelbild gleicht, allerdings mit anderen Vorzeichen.