Hilary Mantel: Jeder Tag ist Muttertag

  • Hilary Mantel: Jeder Tag ist Muttertag
    DuMont Buchverlag 2016. 256 Seiten
    ISBN-13: 978-3832198237
    Originaltitel: Every Day Is Mother's Day (1985)
    Übersetzer: Werner Löcher-Lawrence


    Verlagstext
    Längst haben es die Nachbarn aufgegeben, mit Evelyn und Muriel Axon Kontakt zu pflegen. Das ist Evelyn, die früher gelegentlich als Medium arbeitete und sich von Geistern verfolgt fühlt, nur recht. Zusammen mit ihrer Tochter verbarrikadiert sie sich in ihrem Haus, das mehr und mehr verfällt. Mit den Sozialarbeitern, die ihre geistig behinderte Tochter fördern wollen, wird sie schnell fertig. Aber wie soll sie mit Muriels Schwangerschaft und dem Kind, wenn es denn mal da ist, umgehen? - Isabel Field ist die neueste Sozialarbeiterin, die den Widerstand der Axon-Damen brechen will. Sie ist ähnlich verbissen und starrköpfig wie Evelyn. Und hat ebenso viele Probleme: einen sexuell sehr aktiven Vater, der seine Eroberungen in den Waschsalons der Kleinstadt macht, und einen schwärmerischen, aber angstgetriebenen Liebhaber, Colin Sydney, der Abendklassen besucht, um seiner dominanten Frau zu entkommen. - Wäre da noch Muriel. Sie scheint ganz offensichtlich ein eigenes Leben zu haben, von dem weder ihre Mutter noch die Sozialarbeiter etwas ahnen. Und man fragt sich, ob Muriel wirklich so behindert ist, wie alle glauben.


    Die Autorin
    Hilary Mantel wurde 1952 in Glossop, England, geboren. Nach dem Jura-Studium in London war sie als Sozialarbeiterin tätig. Sie lebte in Botswana und in Saudi-Arabien. Für den Roman „Wölfe“ wurde sie 2009 mit dem Booker-Preis, dem wichtigsten britischen Literaturpreis, ausgezeichnet. Mit „Falken“, dem zweiten Band der Tudor-Trilogie, gewann Hilary Mantel 2012 erneut den Booker. Bei DuMont erschienen zuletzt der Roman „Brüder“ (2012), der Erzählungsband „Die Ermordung Margaret Thatchers“ (2014) und ihre Autobiografie „Von Geist und Geistern“ (2015).


    Inhalt
    Vor langer Zeit hat Evelyn Axon einmal als Medium gearbeitet und Kontakt zu Verstorbenen aufgenommen. Seitdem scheint im Haus die Zeit stillzustehen. Evelyn und ihr inzwischen verstorbener Mann waren stets für sich geblieben. Das war vermutlich auch besser so; denn Evelyn hatte ihren eigenen Kopf und sah nicht ein, ihre Wäsche so auf die Leine zu hängen, wie ihre Nachbarinnen es für richtig hielten. Wir befinden uns im Jahr 1973, als britische Milchmänner die Milch noch in Flaschen vor die Tür stellten und man eine Telefonzelle suchen musste, um von unterwegs jemanden anzurufen. Evelyn lebt mit ihrer vermutlich geistig behinderten Tochter Muriel zusammen. Muriel ist in der Schule zweimal sitzen geblieben und anschließend in der Sozialbürokratie verloren gegangen. Was genau ihre Behinderung ausmacht, bleibt ungeklärt. Muriel könnte ebenso gut völlig normal sein. Vielleicht ist sogar Evelyn das Problem; denn sie hört Stimmen und wird von frechen Wesen in ihrem eigenen Haus bestohlen, geschubst und schikaniert. Das Haus verfällt langsam. Evelyn kann keine Glühbirne auswechseln, wüsste vermutlich noch nicht einmal, wo man so etwas heute kauft. Sozialamt und Jugendamt versuchen, Evelyn dazu zu bringen, Muriel in eine Tagesstätte für Behinderte zu schicken. Schließlich kann Evelyn nicht ewig allein für Muriel sorgen. Doch Evelyn verhält sich den Sozialarbeitern gegenüber feindselig. Wer die Briefe an Evelyn und die Aktennotizen über Mutter und Tochter Axon liest, den wundert das nicht. „Bitte zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren,“ schreiben sie immer wieder. Die Ämter scheinen um ihrer selbst willen zu existieren und nicht zum Wohl der Klienten. In dieser ohnehin beklemmenden Situation gibt es Anzeichen, dass Muriel schwanger sein könnte. Mutter und Tochter sind nicht in der Lage, Hilfe von außen anzunehmen, so dass man für die Schwangere und ihr Baby nun das Schlimmste befürchten muss.


    In ihrem ersten (1985 erschienen) Roman erzeugt Hilary Mantel eine beklemmende Situation mit grotesk bis boshaft gezeichneten Figuren. Außer Mutter und Tochter Axon treten die Nachbarin Florence auf, deren Bruder samt Familie und Geliebter und mehrere Sozialarbeiter. Die raffinierte Verknüpfung der Figuren miteinander war für mich erst allmählich durchschaubar. So kompliziert hätte die Konstellation für meinen Geschmack nicht sein müssen. Der dargestellte Konflikt ist - erschreckend - zeitlos, wenn Menschen ohne Hilfe von außen nicht mehr zurechtkommen, diese Hilfe aber vehement und mit allen Tricks ablehnen. Gerade das Wissen, dass die Autorin selbst als Sozialarbeiterin tätig war, ließ mir hier entsetzt die Haare zu Berge stehen. Die Vorgänge im Haus Axon sind unbestreitbar gruselig; sicherlich könnte man sich darüber auch empören. Das Buch hat in seiner Trostlosigkeit bei mir ähnliche Gefühle ausgelöst wie McEwans Zementgarten oder O’Donnells Bienensterben. Wer die genannten Bücher schrecklich fand, wird mit Mantels Erstling vermutlich nicht glücklich. Wer jedoch ihre listige Art der Personenbeschreibung schätzt, liegt hier richtig.


    8 von 10 Punkten

  • Die New York Times hat einen rasanten Cocktail aus Grauen und wilder Schadenfreude gelesen. So steht es auf der Rückseite des Schutzumschlages. In Amerika gibt es Geschwindigkeitsbegrenzungen, die sind so niedrig, da ist die Höchstgeschwindigkeit erreicht wenn man mit einem europäischen Getriebe gerade mal in den dritten Gang schaltet. Ich fand das als gemütlich dahinplätschernde Familientragöde. Wert genug zu Ende gelesen zu werden, aber absolut nichts was mich vom Hocker reißt. Sozialämter sind- das lerne ich aus diesem Buch- überall gleich. Gleichgültig. Die Tragödie, die zu den hier erzählten Geschehnissen geführt hat, wird nur sehr am Rande, quasi in einem Halbsatz gestreift und doch wird erst ab diesem Halbsatz nach 4/5 des Buches klar, was hier eigentlich im Kern vor sich geht. Die weitere Tragödie, die sich quasi um diesen Kern gruppiert, ist die Banalität der Realität einer Ehe. Mann geht fremd und trennt sich doch nicht von seiner Frau. Nun gut. Es gibt eine Fortsetzung, die zehn Jahre später spielt- Geld werde ich jedenfalls dafür nicht ausgeben.