Motel Terminal
Andrea Fischer Schulthess
Roman
Salis Verlag, Zürich
2016
ISBN 9783906195414
Die Autorin (Vom Verlag übernommen)
Andrea Fischer Schulthess (*1969) ist eine Schweizer Autorin, Bloggerin und Geschichtenerzählerin. Nach einem Zoologiestudium an der Universität Zürich vertiefte sie ihr Wissen in der Safari-Bar und machte einen kurzen Exkurs an ein paar Gymnasien, wo sie sich als Biolehrerin versuchte, aber an ihrer angeborenen Aversion gegen Schulhäuser scheiterte. Also wurde sie das, was alle werden, die gerne alles sind: Journalistin. Sie arbeitet seit 1999 für diverse Schweizer Medien, unter anderem für den »Mamablog« des Tages-Anzeigers. Seit 2009 hat sie zudem ein eigenes Theater mit ihrem Mann, das Minitheater Hannibal, für das sie allerlei Absurdes schreibt, Figuren baut und spielt. »Motel Terminal« ist ihr erster Roman. Sie lebt mit besagtem Mann und zwei Kindern in Zürich.
Inhalt und meine Meinung
Meret ist zwölf Jahre alt und hat das alte Haus, in dem sie lebt, noch nie verlassen. Ihre Mutter Nora sperrt sie in einem kleinen Zimmer ein, verklebt sogar dessen Fenster, damit Meret von außen nicht gesehen werden kann. Mit den beiden zusammen lebt Noras Tante Julie, der das alte Haus gehört. Julie ist eine sehr eigenartige alte Frau, kümmert sich liebevoll um Meret und erlaubt ihr gelegentlich, heimlich mit ins Wohnzimmer zu kommen.
Tante Julie lässt sich regelmäßig von Mihaela, einer illegal in der Schweiz lebenden Rumänin und deren Sohn Nico helfen.
Dabei liebt Nora ihre Tochter über alles und möchte sie vor der bösen Welt draußen beschützen. Natürlich fürchtet sich auch Meret vor der Welt und ihren Bewohnern, die ihr alle ganz bestimmt nur Böses wollen.
Nora träumt davon, mit Meret weit weg zu gehen und um die Mittel dafür aufzubringen, hat sie sich auf eine Heirat mit Stefan, einem gutverdienenden Bankangestellten aus gutem Hause, eingelassen.
Stefan hat keine Ahnung von Merets Existenz und Nora führt deshalb ein kompliziertes Doppelleben. Alles gerät aus den Fugen, als Julie plötzlich stirbt. Nora ist auf die Unterstützung von Mihaela angewiesen, um ihr Geheimnis zu wahren.
Meret kommt in diesem Roman durch unregelmäßige Tagebucheinträge, die sie vor ihrer Mutter versteckt, selbst zu Wort. Als Ich-Erzählerin berichtet sie von ihrem begrenzten Alltag, von ihren Wünschen und Hoffnungen.
Auch Nora erzählt in einem kurzen Prolog als Ich-Erzählerin.
Der Rest der Geschichte wird von einem unbekannten Erzähler geschrieben.
Eine Mutter, die ihrem Kind ein eigenes Leben, eigene Erfahrungen, jeden Kontakt mit der Außenwelt vorenthält. Die zusieht, wie die Muskeln ihrer Tochter immer mehr verkümmern, ihr vor lauter Sorge, das Kind könne krank werden, nur Verpacktes und Babynahrung zu essen gibt.
Wie es dazu kommt, ergibt sich im Laufe des Romans aus Rückblenden und Noras Erinnerungen an ihre Kindheit.
Selten hat mich ein Buch so beeindruckt. Es ist voller Liebe einer Mutter zu ihrem Kind und gleichzeitig voller Grausamkeit und Gefühllosigkeit. Herzzerreißend und abstoßend. Feinfühlig wird Merets kleine Welt beschrieben. Ihre Gefühle und ihre verzweifelten Versuche, ihrer Mutter alles recht zu machen. Ihre kleinen Geheimnisse und die Bitten an einen fernen Gott, ihr zu helfen und ihre „bösen“ Gedanken zu verzeihen.
Und bei allem Entsetzen entwickelt sich auch ein Begreifen, warum Nora ihr Kind so behandelt. Welche Motive sie antreiben. Immer wieder habe ich geschwankt zwischen gefesselt sein, das Buch nicht aus der Hand legen wollen und der Erkenntnis: Heute Abend kannst du das nicht weiterlesen.
Ihr merkt, ich bin noch immer ganz begeistert von diesem Buch und empfehle es allen dringend, die eine Mischung aus Tragödie und Thriller mögen.
Diesem Buch gebe ich 10 Punkte. Kommt nicht oft vor.