Schreibwettbewerb Juli 2005 - Thema "Sommergewitter"

  • Thema Juli 2005:


    "Sommergewitter"



    Vom 01. bis 20. Juli 2005 könnt Ihr uns Eure Beiträge für den Schreibwettbewerb Juli 2005 zu o.g. Thema per Email an webmistress@buechereule.de oder über das Kontakt-Formular (s.o. im Forum) zukommen lassen. Euer Beitrag wird von uns dann anonym eingestellt.


    Den Ablauf und die Regeln könnt Ihr hier noch einmal nachlesen.



    Bitte achtet darauf, nicht mehr als 500 Wörter zu verwenden. Jeder Beitrag mit mehr als 500 Wörter wird nicht zum Wettbewerb zugelassen!



    TIPP: Schreibt Eure Beiträge in Word und nutzt die Rechtschreibhilfe. Im Programm Word findet Ihr unter „Extras“ die Möglichkeit „Wörter zählen“.



    Wir wünschen Euch viel Spaß und viel Erfolg!

  • von andi_edds


    Die Landschaft war fast eben und die Sicht über die Felder klar bis an den Horizont, wo sich eine dunkle, bedrohliche und, in unregelmäßigen Abständen, aufblitzende Gewitterwand gebildet hatte. Ihm war klar, die Richtung, die er mit seinem Fahrrad eingeschlagen hatte, war die falsche. Er fuhr diesem unheimlichen Naturschauspiel geradewegs in die Arme. Er blieb an einer Abzweigung eines Feldwegs stehen und überlegte, was er nun tun sollte. Das gewaltige Wetterleuchten zuckte durch den wolkenverhangenen Himmel.
    Es war eine warme, laue Juninacht, perfekt um in aller Ruhe nach Hause zu radeln. Aber der Weg dorthin würde mitten durch die Gewitterfront führen, und in dieser offenen, von typisch süddeutschen Feldern überzogenen, Landschaft, wäre die Gefahr, die von Blitz, Regen, Hagel und Wind ausginge, einfach zu hoch. Lebendig von einem Blitz gegrillt zu werden, dieser Gedanke jagte ihm ein kaltes Schaudern durch den ganzen Körper.
    Das Donnergrollen ermöglichte eine Abschätzung der Entfernung der Blitzeinschläge. Einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig. Als er gerade überlegte, ob er den nächsten Ort noch rechtzeitig erreichen könnte, wenn er weiter in die Richtung des Gewitters fahren würde, schlug sein Respekt vor der Naturgewalt in Angst um. Der Wind. Es war zuvor beinahe windstill gewesen. Nun zog aber ein kühler, stürmischer Windhauch über die Landschaft und erreichte die Abzweigung auf den Feldern. Die Büsche entlang eines kleinen Baches erwachten zum Leben und auf seinen Armen kroch die Gänsehaut hervor.
    Einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig. Bei sechsundzwanzig erreichte der Donnerschall die Abzweigung. Die Option des Weiterfahrens war keine mehr. Nun war klar, er konnte nur noch umkehren und den letzten Ort ansteuern. Ohne langes Zögern riss er das Fahrrad herum, schwang sich auf, trat fest in die Pedale und schaltete die Gänge unter heftigem Tritt hinauf. Seine gute Form zahlte sich nun aus, der Adrenalinspiegel stieg sprunghaft an und der Nachthimmel wurde zum Verfolger eines einsamen Radfahrers.
    Mit schnellem Tritt und hoher Geschwindigkeit raste er über die Feldwege. Wie weit war er vom letzten Dorf gefahren? Bei ruhigem, gelassenem Tritt waren es wohl ungefähr 30 Minuten gewesen. Beinahe 10 Kilometer also. Mist. Warum hatte er heute den Tacho nicht dabei? Egal. Jetzt zählte nur treten, treten, treten. Bei jedem Erleuchten des Himmels, dessen Ursprung nun hinter ihm lag, dessen Quelle sein Jäger war, zuckte er zusammen und das Adrenalin schoss in seine Adern. Was würde geschehen, wenn das Gewitter schneller sein würde als er? Es war unbedingt notwendig, nicht ungeschützt im Freien, oder gar noch auf offenem Feld, dem Gewitter entgegenzutreten. Er zählte wieder.
    Einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig, vier...
    Wie eine Nähmaschine trat er die Kurbel herum, als der erste Wassertropfen seinen rechten Unterarm traf.

  • von Eowyn


    Schwarze Wolken tauchten am Horizont auf, während sich fünf Gestalten sich durch den stürmischen Wind kämpften. Die Sturmwarnung war Anfang des Nachmittags vom Kontinent aus eingetroffen, was den Insulanern genügend Zeit gelassen hatte, ihre Wäsche von der Leine zu nehmen und ihre Fensterläden zu schließen. Stürme waren auf der Insel Ty Kern keine Seltenheit, doch dieses Exemplar sollte es ganz besonders in sich haben.


    Die Insulaner waren eigenartige Leute und hatten schon in früheren Zeiten mit heftigen Sommergewittern ihre Erfahrungen gemacht. Eine lokale Legende besagte, dass im Jahre des Herrn 1695 ein Anglerschiff namens „Mary“ in See gestochen und nie zurückgekehrt war. Von da aus hatten die Insulaner beschlossen, jedes Schiff, das sich in einer Sturmnacht an ihre Küste wagen würde, gegen die Felsen zu leiten, bis die „Mary“ mit samt ihrer Besatzung wieder zurückkehren würde. Ein kleines Museum war zu diesem Thema errichtet worden und lockte jeden Sommer einige Touristen an.


    Der Wind fegte über die Klippen, begleitet von dumpfem Donnergrollen. Der Himmel hatte eine übernatürliche, gelblich-rote Farbe angenommen und das trockene Gras raschelte erwartungsvoll. Der Tag neigte sich dem Ende, als die fünf Kinder an den Klippenrand traten und auf das tosende Meer hinabblickten, dessen Wellen an den steilen Felsen zerschellten. Nur einige Hundert Meter weiter stand der alte Leuchtturm von Ty Kern, der nach einer Strompanne zum ersten Mal seit Jahren in völliger Dunkelheit lag.


    „Sollten wir nicht doch nach Hause?“ Der blonde Junge musste schreien, um von seinen Gefährten verstanden zu werden. “Der Wind fegt uns sonst von der Klippe! “
    “Bekommen wir etwa weiche Knie, Christian? “, fragte Gwenaëlle, das einzige Mädchen der Gruppe und warf ihrem Kameraden einen gehässigen Blick zu.
    „Angsthase“, feixte Vincent, zog seinen Anorak enger um seinen Körper und ignorierte Christians genervten Blick.
    „Quatscht keine Arien, fangen wir an“, meinte Marcel, der vierte im Bunde und nahm seinem kleinen Bruder eine große Umhängetasche ab.


    Es war nicht einfach, die Laternen anzuzünden, doch schafften es die Kinder rechtzeitig, bevor der Regen einsetzte.Mit den brennenden Laternen jagten die fünf Freunde lachend und kreischend durch den tosenden Sturm. „Ihr verlorenen Schiffe, folgt unserem Licht! “, riefen die Kinder johlend in den Sturm hinein und winkten mit ihren Laternen hoch über ihren Köpfen, angefeuert durch das tosende Meer.


    Dann plötzlich ein Krachen. Ein ohrenbetäubendes Krachen, tief unter ihnen, am Fuße des Felsen. Langgezogene, verzweifelte Schreie folgten und ließen die Kinder erstarren. Die fünf Freunde versammelten sich an den Klippen und starrten nach unten, doch in Dunkelheit war nichts zu erkennen. Die gespenstischen Schreie erstarben, abgelöst vom Heulen des Windes.Zitternd suchten die Nachwuchsstrandräuber das Weite. Keiner der fünf Freunde verlor jemals ein Wort über das, was auf den Klippen geschehen war. Marcels kleiner Bruder sprach nach dieser Nacht kein einziges Wort mehr.


    Einige Tage später berichtete die Lokalzeitung über einen Fund, der am Morgen nach dem Jahrhundertsturm an Land gespült worden war. Dabei handelte es sich um eine erstaunlich gut erhaltene Holzplanke, auf der nur ein einziges Wort zu entziffern gewesen war:


    „Mary“.

  • von Churchill


    22. Juli 1974


    Der unsichtbare Ring um meine Brust zieht sich zusammen. Durchatmen funktioniert nicht. Natürlich weiß ich, was mich erwartet. Die Wolken verdecken endgültig den winzigen Rest von Sonne. Meine Schritte werden kleiner, doch sie bewegen sich unaufhaltsam auf die Tür zu. Da muss ich durch. Vorsichtig betrete ich das Haus, das mir heute keine Sicherheit geben kann. In der Hand halte ich den Auslöser des bevorstehenden gewaltigen Donnerwetters. Da kommt er schon die Treppe herab, er, dem es sonst völlig egal ist, wie es mir geht, was ich für Ideen oder Träume habe. Stufen über mir bleibt er stehen, meine Mutter , halb hinter der Küchentür versteckt, wirft mir einen Blick zu, der Mut machen will und Hilflosigkeit spiegelt.
    Ich sehe seine Augen blitzen, hebe unwillkürlich die Arme, um mich zu schützen. Im selben Moment kracht es auf mich herab: „Mein Sohn! ... Blamage auf der ganzen Linie! ... Fauler Hund ... WM gucken wichtiger als Schule ! ... Deutschland Weltmeister – Du ein Versager! Für dich krummgearbeitet!...Alles für dich getan ...Das also ist der Dank!... In unserer Familie bleibt man nicht sitzen! ...Hausarrest... Taschengeldentzug...“
    Längst die Hände auf die Ohren gepresst und die Augen hinter einem Tränenschleier versteckt fliehe ich , aus der Lähmung erwacht, hinter den Rücken der Hilflosen.


    Noch wird es einige Jahre dauern, bis ich den Schuhkarton in seinem Kleiderschrank entdeckt haben werde. Zeugnisse seiner Schulzeit. In Klasse 5 und Klasse 9 das Klassenziel nicht erreicht. Bei der ersten Lehrstelle rausgeflogen.


    15. Juli 2005


    Der Brief der Schule kam schon vor einigen Tagen . „Leider müssen wir Ihnen mitteilen, dass Ihr Sohn das Klassenziel nicht erreicht hat und die Klassenstufe 5 wiederholen muss.“ Natürlich habe ich die Entwicklung am Rande mitbekommen, auch wenn sich normalerweise meine Frau um die schulischen Angelegenheiten der Kinder kümmert. Jetzt kommt er gleich mit dem Zeugnis heim. Ich begebe mich aus meinem Arbeitszimmer hinaus, ihm entgegen. Sein Gesicht ist ziemlich blass. Geheult hat er offensichtlich auch.
    „Ja, jetzt flennst du wie ein kleines Mädchen! Hast es ja nicht nötig gehabt, auf mich zu hören! Wie oft habe ich dir gesagt, wohin dich deine Faulheit führen wird! Stundenlang idiotische Computerspiele... Dann noch diesen blöden Confed-Cup gucken, wo du genau wusstest, was für dich bei den letzten Arbeiten auf dem Spiel steht. Versager haben keine Chance in dieser Zeit! Geh mir bloß aus den Augen. Absolutes PC-Verbot ! Der Fernseher kommt auch aus deinem Zimmer raus. Das wollen wir doch mal sehen, ob wir dich nicht hinbiegen können! Ja, geh doch zu deiner Mutter und heul dich aus. Waschlappen !“


    Ich drehe mich um, gehe ins Schlafzimmer und kontrolliere den Aktenkoffer unter dem Bett. Alles klar. Der Zahlencode ist bombensicher. 22071974. Da kommt er nicht drauf. Den kriegt er nicht auf...

  • von Kim_Meridian


    "Du bist also Jan Greeven, wohnhaft in der Jugendunterkunft 14b, Bezirk drei, Bloomshaven City. Korrekt? "


    Der blässliche Junge auf dem orangefarbenen Plastiksessel nickte kurz und widmete sich seinen Händen.
    Die Psychologin, Professor Greetje Lievenhoog sah kurz in seine Akte und blickte zu ihm, doch er sah sie nicht an.


    "Jan, du weißt, wieso du hier bist. Und ich denke, du bist alt genug um zu wissen, welche Konsequenzen deine Tat hat.
    Aber wenn du kooperierst, dann könnte das dein Strafmaß verringern."


    Jan blickte stumm auf den dunkelgrünen Algenfaserteppich.
    Professor Lievenhoog schritt um den schwarzen Metallschreibtisch und kniete sich vor Jan hin.


    Der soll 15 sein? Er sieht aus wie 12. Ich muss versuchen sein Vertrauen zu gewinnen um ihm sein Geheimnis zu entlocken. Vertrauen schaffen, denk daran, Greetje.


    Sie strich eine Strähne ihres blaugefärbten Haares aus der Stirn und legte Jan die Hand auf die Schulter unter dem hellen Synthetik-Shirt. Er blickte sie aus seinen grauen Augen ausdruckslos an.


    Seine Augen haben die Farbe von Regenwolken. Und es liegt Sehnsucht darin.
    Dieser Blick...


    "Jan, was du getan hast, war keine Kleinigkeit! In die Wetterstation einbrechen und ein Gewitter erzeugen!
    Du hast der gesamten Stadt einen gewaltigen Schrecken eingejagt und alle in Gefahr gebracht. Der Schaden beträgt Tausende! Es war reines Glück, dass keiner gestorben ist. Bist du dir darüber überhaupt im Klaren?"


    Jan drehte den Kopf weg und blickte zum Fenster. Draußen schien die Sonne.
    "Es ist falsch", flüsterte er und sah zurück zu Greetje Lievenhoog.


    Wie künstlich sie doch selbst ist mit ihren Kunsthaaren, den Plastikfingernägeln und den bunten Klebwimpern. Sie wird es nicht verstehen.


    "Was ist falsch?", fragte sie sofort.
    "Das Wetter, es ist nicht richtig, dass wir es machen. Das bringt alles durcheinander. Wir dürfen der Natur nicht so ins Handwerk pfuschen", antwortete er mit leiser Stimme.
    "Wieso denn?", fragte die Professorin erstaunt. "Es ist doch toll, wenn wir selbst bestimmen können, wann es regnet und wann wir gutes Wetter brauchen. Was soll daran falsch sein?"


    Ich wusste, dass sie es nicht verstehen wird. Keiner von ihnen versteht es. Aber wir können es nicht mehr aushalten. Ich musste es einfach tun, für uns… Für Lisa, für Tomte, für Klaas und Katrinka… für unsere Sehnsucht...


    Er sah Greetje an. "Warum?", murmelte sie. "Ich verstehe es nicht…"


    "Haben Sie denn noch nie diese Sehnsucht nach Regen gefühlt? Die Tropfen auf der Haut spüren; die Blitze, die den Himmel erhellen; der Donner, der dumpf über unseren Köpfen grollt; der Sturmwind in den Haaren...
    Und das alles ganz plötzlich, überraschend bricht es über einen herein und man spürt, dass man lebt…"


    Er brach ab und eine Träne rollte über seine Wange.
    Greetje ging langsam zu ihrem Schreibtisch und notierte.


    Der Täter Jan Greeven erkennt seine Schuld, gab jedoch der Vermutung Anlass, diese Tat wiederholen zu wollen und ist somit eine Gefährdung für die Allgemeinheit.
    Ich empfehle vorläufige Sicherheitsverwahrung und eine langfristige Therapie, um ihn wieder in die Gesellschaft einzugliedern.
    Das Sitzungsprotokoll liegt bei.


    Mit freundlichen Grüßen, Greetje Lievenhoog

  • von Polli


    Tropen. Sie hasste dieses Wort. Es erinnerte sie an eine schwelende Infektion, an ein heimliches, fortschreitendes Leiden, an Fieberglühen. Sie war träge geworden in den zwei Jahren auf der Insel, zu matt zum Auflehnen. Vielleicht hatte sich eine Lähmung in ihr ausgebreitet, erst in den Gliedmaßen, später in ihrem Kopf. Gefangen, sagte sie leise. Juan warf ihr einen geistesabwesenden Blick zu, dann reichte er ihr wortlos seine Flasche. Später, danke, sagte sie.
    Warum trinken die Menschen hier, reicht es nicht, dass sie sich von der Hitze betäuben und vom Duft der Blüten betören lassen, bis das Vergessen einsetzt? Erstens aus Gewohnheit. Juan trank immer. Bei ihrer Ankunft hatte er auf der Hafenmauer gesessen, sein Grinsen entblößte eine Zahnlücke, in der Hand hielt er eine Flasche. Hatte sie das Glück gesucht oder doch nur die Unbeschwertheit? Zweitens, ermahnte sie sich. Lass deine Gedanken nicht in alle Richtungen wuchern wie die Schlingpflanzen an der Veranda. Alkohol lähmt, flüsterte sie. Ein Windhauch ließ die gelben Blüten nicken. Gin bremst deine nagenden Zweifel. Du fängst einen Satz an und bringst ihn nicht zu Ende. Nichts beendest du. Wenn es nur kühler wäre. Einen einzigen Tag lang.
    Juans Hand tastete nach der Flasche. Sie schob sie zu ihm hinüber. Ihre Hände streiften sich. Drittens?
    Der Horizont hatte sich in eine scharfe Silhouette verwandelt. Eine graue Wolkenwand trieb das Sonnenlicht vor sich her. Bereits am ersten Tag hatte sie sich Juan ergeben, seiner ledrigen, sonnengebräunten Haut, seiner knochigen Gestalt. Warum? Sie wusste es nicht. Die Gewitterfront rückte grollend näher.
    Bin ich wütend? Sie versuchte, Groll zu empfinden. Vergeblich. Zwei Jahre lang hatte sie auf dieser Veranda gesessen, gewartet, getrunken, mal mit Juan, dann wieder allein. Kalte Wut, dachte sie und holte Erinnerungsfetzen an einen eisigen Wintertag hervor. Heiße Wut. Hitze, schwüle Tropeninsel. Ihre Gedanken klammerten sich fest. Wenn es nicht so drückend heiß wäre, hätte ich mich schon längst entschieden. Blitze zerrissen die Wolkenfront. Ein gleißend heller Vorsatz tauchte aus ihren Grübeleien auf: Sobald das Gewitter die Luft gereinigt hat, sehe ich klar: Gehen oder bleiben. Eine Entscheidung für immer. Schwarze Wolken zogen auf die Insel zu. Das Donnergrollen wurde lauter.
    Selbst Juan spürte die Spannung in der Luft. Er richtete sich auf und warf einen aufmerksamen Blick über den Horizont. „Vielleicht regnet es gleich“, sagte er und nahm den letzten Schluck Gin.
    „Hoffentlich“, murmelte sie und starrte in den Himmel, bis die zuckenden Blitze ihre Augen blendeten und sie ins Haus ging. Sie legte sich aufs Bett und schlief erschöpft ein.


    Der Wind drehte. Allmählich eroberte das Blau des Himmels wieder seinen Platz über der Insel. Mit dumpfem Poltern zog das Gewitter dem Horizont entgegen und ließ unerträgliche Schwüle zurück.
    Juan weckte sie, in der Hand eine neue Flasche. „Der Regen ist ausgeblieben. Willst du was trinken?“
    Er beobachtete sie, während sie schweigend die Schweißperlen auf ihrem Unterarm betrachtete. Nichts hatte sich geändert. Sie wischte eine Träne aus dem Augenwinkel und antwortete: „Danke, Juan, vielleicht später.“

  • von Sterntaler


    Es ist noch wärmer, als ich es hier drin erwartet habe. Ich nehme einen kleinen Schluck aus meiner Bierflasche und setze sie wieder ab. Während ich dem erfrischenden Gefühl ein wenig nachspüre, streifte mein Blick umher und ich durchsuche das Gewimmel im Halbdunkel nach einem bekannten Gesicht. War ja klar, dass sie mich mal wieder direkt am Eingang abhängt und sich von ihrem Lover in einer ungestörte Ecke an die Wand drücken lässt.
    Unschlüssig, ob ich mich von der Stelle bewegen oder doch noch einen Moment hier warten sollte, entscheide ich mich erstmal für einen weiteren Schluck, als ich plötzlich Eric entdecke, der sich an der gerammelt vollen Bar um die Aufmerksamkeit der Thekenkraft bemüht. Ich zucke zusammen. Mein Flucht- und mein Angriffstrieb liefern sich einen kurzen Kampf und ehe ich die Befehlsgewalt wiedergewinne, haben meine Füsse auch schon das Sturmkommando erhalten.
    Während ich noch schnell versuche mir irgendeine halbwegs lässige Begrüßung zurechtzulegen, sieht er mich auch schon auf sich zukommen und grinst.
    "Keine Chance hier!" bemerkt er und gibt mir einen kleinen Kuss auf die Wange. Ich rieche für eine winzige Sekunde seine frisch geduschte Haut und sofort schießt mir das Blut in den Kopf. Schnell setze ich erneut meine Bierflasche an und als ich sie herunternehme, hat er sich bereits wieder zur Theke umgedreht.
    Ist es für ihn damit beendet? überlege ich fiebrig und mein Herz klopft wie wild. Ich streiche mir nervös eine vorwitzige Strähne aus dem Gesicht, da dreht er sich auch schon wieder um und sagt:
    "Das gefällt mir so nicht, so muss ich dir den Rücken zuwenden."
    Er dreht sich seitlich, greift nach meiner Hand und zieht mich zu sich heran vor die Theke. Mein linker Oberschenkel befindet sich nun bedingt durch die Enge weit zwischen seinen beiden Knien, unsere Hüften berühren sich und als ich meinen Kopf anhebe, um ihm in die grünen Augen zu sehen, ist sein Gesicht bloß noch wenige Zentimeter von meinem entfernt. Er fängt meinen Blick auf, legt seinen Kopf leicht schief und lächelt. Meinen Körper durchfährt ein Blitzschlag und ich halte unweigerlich die Luft an, was mein Herz allerdings nicht zu bemerken scheint, es schlägt heftig weiter.
    Scheinbar denkt er gar nicht daran, meine Hand loszulassen, aber ich tue es auch nicht. Meine Gedanken flirren wie ein Schwarm Mücken durch meinen Körper, unfähig sich auf eine der Stellen zu konzentrieren, an denen wir uns gerade berühren.
    Plötzlich beugt er sich leicht vor, umfasst mich mit seinem anderen Arm und zieht mich restlos an sich. Sein Geruch vernebelt meine Sinne, ich spüre nur noch die Atembewegung seines Brustkorbs an meinem, bin unfähig mich zu bewegen und möchte doch am liebsten losrennen, um meinem Adrenalinüberschuss Luft zu machen. Jede Sekunde ist ein Sommergewitter, das schnell und heftig durch mich hindurchfährt, und dass ich genießen will, bevor es genauso unvermittelt, wie es kam, wieder vorbei sein könnte.
    Er flüstert mir ins Ohr: "Soll ich wenigstens so tun, als wolle ich noch immer etwas bestellen?"

  • von Waldfee


    Noch fünf Minuten bis zur Sendung. Sonja warf einen letzten Blick in den Spiegel der Moderatoren-Garderobe und verzog das Gesicht. Der Kontrast der roten Bluse zum violetten Blazer schmerzte ihre Augen. Die taillierte Jacke des biederen Kostüms betonte die etwas zu ausladenden Hüften. Manchmal unterstellte sie Ella böse Absicht: Der eigenwillige Stil der Frau, die die Garderobe zusammenstellte, war ein Problem.


    Es erfüllte Sonja mit leiser Schadenfreude, dass die neue Wetterblondine, die in den ungeraden Wochen moderierte, offensichtlich ebenso machtlos gegen Ellas Kompromisslosigkeit anredete. Mit hochgeschlossenen Blusen und Rollkragenpullovern kam ihr schönes Dekolleté einfach nicht zur Geltung. Carla, die Redaktionsassistentin, hatte Sonja verraten, dass der Sender mit der Neuen über die Moderation des geplanten Boulevard-Magazins verhandelte.


    Konnte es wohl nicht abwarten, ihr das zu stecken. Schließlich war Sonja seit drei Jahren die gute Wetterfee im dritten Programm und hatte noch kein einziges Angebot erhalten. Sie war zu brav, das wusste sie. Aber das geniale Marketingkonzept des Redaktionsleiters für seine Wettersendung hieß Gute Fee - Böse Fee, und während die böse Fee mit verführerischem Lächeln und verbrauchter Stimme Kaltfronten und Gewittertiefs versprach, dass den männlichen Zuschauern heiß wurde, präsentierte die gute Fee in Liebmädchenmanier Hoch Lisa und Tief Erwin, dass ihre Mutter verzückte Anrufe von Freundinnen und Nachbarn bekam. Nur Angebote bekam die gute Fee nicht.


    Dieser neue Regieassistent machte sie nervös! Der Junge hielt es für seine Aufgabe, mit dickem Filzstift beschriftete Schilder in ihre Blickrichtung zu halten. Auf dem ersten Schild war ein Smiley zu sehen, danach folgte die Gedächtnisstütze SOMMERGEWITTER. Zu gerne hätte sie ihm ein Schild VERPISS DICH, DU WICHSER! gezeigt, aber sie war auf Sendung. „Im Süden muss am Nachmittag mit heftigen Gewittern gerechnet werden…“ las sie freundlich lächelnd vom Teleprompter ab.


    Plötzlich regte sich etwas in ihr. Vielleicht lag es an dem Schild STURMWARNUNG, das der Regieassistent beflissen in die Höhe hielt, vielleicht machte sein Raunen: „Pflaume auf Sendung…“ das Maß voll; das Feixen aller Umstehenden über diese Anspielung auf ihren geschmacklosen Aufzug.


    „Möglicherweise scheint aber auch die Sonne“, fuhr Sonja in gutmütigem Plauderton fort, „oder es schneit. Suchen Sie sich was aus. Die Hälfte unserer Vorhersagen treffen sowieso nicht ein. Tiefstwerte, Bewölkungsaufzug, gebietsweise Regen… Es gibt nichts eintönigeres als die Wettervorhersage! Ich wollte ins Fernsehen. Hier bin ich, seit drei Jahren – in diesen Fummeln!“ Verzweifelt zerrte sie an ihrem Blazer. „Die sucht unsere begabte Ella Schulze-von Eggendorf aus…“ Sie brach ab, weil sie das Schild TONSTÖRUNG las, das der Assistent auf die Schnelle geschrieben hatte. Das rote Lämpchen der Kamera erlosch.


    Als der Redaktionsleiter die Garderobe betrat, hatte sie ihre Sachen schon gepackt. „Unsere Sonja… Wie clever von ihr! Morgen steht sie in der Zeitung.“ Er schüttelte mitleidig den Kopf. „Aber ihren Job ist sie los.“ „Wie schön!“ rief sie aus, schnappte ihre Tasche und verließ die Garderobe, lief den Flur entlang zum Fahrstuhl. Sie war schon fast eingestiegen, als er ihr nachrief: „Suchst du vielleicht eine neue Aufgabe? Wir brauchen noch eine Frau mit Biss – für das neue Nachrichtenformat...“

  • von Doc Hollywood


    Seine Kehle war genauso trocken wie der sandige Boden unter den Hufen seines Pferds. Sein Name war William H. Bonney, wenn ihn jemand danach fragte. Er kniff die Augen zusammen, die Hitze war unerträglich. Als er endlich das Kaff erreichte, das er schon in einiger Entfernung in der Sonne flimmern sah, lenkte er das Pferd vor ein heruntergekommenes Gebäude. Von der Holzfassade blätterte die Farbe ab und ein windschiefes Schild zeigte nur noch verblasste Lettern. Er stieg vom Pferd und band es vor der Tränke an, in der sich nur noch ein Rinnsal abgestandenen Wassers befand.


    Jeder Knochen tat ihm weh, als er sich die eine Stufe hinauf unter das schattige Vordach schleppte. Er sah die Straße entlang und suchte den Horizont ab. Garett war ihm auf den Fersen, er konnte es förmlich riechen. Er sog hörbar Luft durch die Nase, straffte sich und betrat den Saloon. Im Inneren roch es muffig nach verschüttetem Schnaps und altem Schweiß. Es gab nicht sehr viele Tische, aber er hatte die freie Auswahl. Nur ein kleiner dickbäuchiger Mexikaner, der mit dem Gläserpolieren innehielt, als er eintrat, war anwesend. Er ließ sich auf einen Stuhl fallen, von dem aus er die Tür im Blick hatte.
    „Was kann ich Ihnen bringen, Señor?“, fragte ihn der Mexikaner hinter der Theke in gebrochenem Englisch.
    „Einen doppelten Whiskey“, antwortete er mit matter Stimme, nahm dabei den Hut ab und wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. „…und ein neues Leben“, flüsterte er in sich gekehrt und versuchte durch die schmutzigen Fenster etwas zu erkennen. Der Mexikaner brachte ihm wortlos den Doppelten. Er nahm einen kräftigen Schluck und bemerkte, wie draußen die Sonne verschwand.


    Nach und nach leerte er das Glas. Wind kam auf und ein paar Tropfen benetzten die staubigen Fensterscheiben und bildeten dreckige Schlieren. Sein Kopf ruckte hoch, als ein Reiter vor dem Saloon anhielt, das vor der Tränke angebundene Pferd musterte und nach wenigen Augenblicken langsam weiterritt.
    Er stand auf, fischte aus seiner Weste ein paar Münzen und legte sie auf den Tisch.
    „Gracias, Señor“, raunte ihm der Mexikaner zu.
    Er nickte dem Mann hinter der Theke zu und setzte sich dann bedächtig seinen Hut auf. Ohne Hast zog er seinen Revolver und prüfte die Patronentrommel. Als er die Waffe langsam mit der gefüllten Trommel über den Handrücken gleiten ließ und dabei dem leisen metallischen Klicken lauschte, verlor sich sein Blick in weiter Ferne.


    Es regnete und ein warmer Wind blies ihm ins Gesicht. Schwarze Wolken waren heraufgezogen. Seine schwarze Wolke, die ihm hierher gefolgt war, hatte einen Namen.
    „Pat, endlich“, sagte er zu der gedrungenen Gestalt, die nur ein paar Schritte entfernt mitten auf der Straße wartete.
    „Ja Billy, endlich“, antwortete der Mann mit dem silbernen Stern am Revers. Die linke Hand hatte er am Gürtel eingehakt, die rechte hing locker an der Hüfte herunter. Irgendwo schlug plötzlich ein Blitz in den Boden und ein gewaltiges Donnergrollen hallte nach. Als sich der Rauch verzog, war ein Mann gestorben und eine Legende geboren.

  • von Tom


    [ … ]


    Zur Handlung: Siebzehntes Jahrhundert - ein fränkischer Edelherr findet bei einer jungen Bäuerin Zuflucht vor einem sommerlichen Wolkenbruch. Diese bringt die – vor dem eigenen Mann geheimgehaltene – Frucht des Geschehens zur Welt und setzt das Kind aus. Der selbstverständlich bildschöne und hochintelligente Bastard, ein Mädchen, gelangt zunächst zu unfrommen Mönchen, die es ab dem vierten Lebensjahr schänden und mißbrauchen, später dann an eine Zuhälterin verkaufen, für die das Mädchen zu Haupteinnahmequelle wird. Mit fünfzehn gelingt der jungen Schönen die Flucht, sie verkleidet sich als Mann und erlernt einen typisch männlichen Beruf, in dem sie natürlich sehr erfolgreich wird. Eines Tages begegnet ihr als Klient der leibliche Vater, aber die beiden wissen nichts voneinander …


    Einschätzung: Stilistisch und dramaturgisch unter aller Kanone. Die extrem vorhersehbare und geschwätzig-klischeehafte Handlung ist aus mehreren Dutzend Vorlagen bekannt, wobei die Autorin durch Formulierungen wie etwa: „Als er sich in ihr ergoß war es, als würde er einen Großbrand löschen wollen.“ noch kräftig eins draufsetzt. Ich habe zuweilen hundertsechzig Adjektive pro Seite gezählt, eines schwülstiger (und überflüssiger) als das andere. Perspektive und Tempus wechseln wie die Unterhosen der Protagonistin. Wirklich abscheulich zu lesen, eine furiose Zumutung.
    Sofern überhaupt davon gesprochen werden kann, hat Recherche bestenfalls an einem vereinzelten Nachmittag per Internet stattgefunden; einige Adelstitel, Ortsbezeichnungen (sogar Tiernamen und Krankheiten) usw. scheinen mir frei erfunden. Hier wurden Ärmel kräftigst geschüttelt, um mich mal auf das Metaphernniveau der Autorin zu begeben. Jedenfalls, der Schmalz rinnt nur so. Absolut hanebüchen.


    Empfehlung: Dies wird unser Renner für das Herbstprogramm in der Sparte „Historischer Roman“, Startauflage mindestens 200.000 Stück. Änderungen sind kaum nötig, lediglich der Titel gefällt mir nicht („Sommergewitter“ – eine Anspielung auf das ausschlaggebende Ereignis). Ich empfehle stattdessen (unter Berücksichtigung entsprechender Markttendenzen) die Berufsbezeichnung der Protagonistin, ergo: „Die Henkerin.“

  • von Auryn


    Es war wirklich ein wunderschöner Stein. Fasziniert drehte sie den in hunderten von Grüntönen schillernden Kiesel in der Hand und fuhr mit den Fingern an den feinen Linien der Risse entlang.
    Da hörte sie das entfernte Donnern. Erschrocken sah sie auf, der Stein fiel in den staubigen, ausgetrockneten Sand. Eine lauernde Angst stieg in ihr auf, als sie angestrengt in sich horchte. Da erklang es wieder, ein tiefes, bedrohliches Donnern, schwarzgraue Wolken, die sich zu drohenden Fäusten zusammenballten.
    Oh nein, bitte nicht! Sie fing an zu zittern, nervös strich sie sich eine Strähne aus dem Gesicht. Der Himmel verfärbte sich in ein schmutziges dunkles, ungesundes Grün, die Luft wurde dünner und sie atmete nahe der Verzweiflung schneller, konzentrierte sich regelrecht darauf, um die Hand zu verdrängen, die sich langsam, aber unaufhaltsam um ihr kleines, zitterndes Herz legte. Einatmen …und ausatmen…Sie fühlte, wie sich die Gewalten sammelten, wie ein Boxer, der kurz vor dem entscheidenden Kampf in sich geht, um seine Kräfte zu vereinen. Sie hielt, vor Schreck wie erstarrt, den Atem an, ihr gesamter Körper verkrampfte sich, ihre Augen waren vor blankem Entsetzen weit aufgerissen. Die erste Donnerwelle kam angerollt. Vor Angst wie wahnsinnig sprang sie auf und warf sich herum. Das Getöse schwoll an und sie raste los, während das Gewitter förmlich auf sie zu sprang. Nun stieg endgültig ihr alter Bekannter, die Panik, in ihr auf und schaltete das rationale Denken fast völlig ab. Wie von Sinnen stolperte sie den Hang hinab, ihre nackten Füße wurden von spitzen Steinen aufgerissen, wohl wissend, dass es für sie kein Entrinnen vor diesem Verfolger gab. Der Donner war heran. Wie ein Hammerschlag fuhr er auf sie nieder und sie taumelte, als grelle Blitze ihr die Sicht versperrten. Sie schrie gepeinigt auf und schlug die Hände verzweifelt vor die Augen. Ihr Kopf dröhnte. Sie war auf die Knie gesunken und versuchte nun, sich weiter vorwärts zu arbeiten. Die spitzen Steine zerschrammten ihr nun auch Beine und Hände, doch das war nichts gegen den Schmerz und diese unbeschreiblichen, alles vergessen lassenden, hämmernden, bohrenden, auf ungeahnte Grade anschwellenden Qualen. Wieso darf ich nicht sterben? Eine Hand berührte sie an der linken Schulter und rüttelte sie.
    »Kleines? Hey Kleines, was ist mit dir? Du blutest ja!«
    Zwischen den einzelnen, ihr Hirn zermarternden Donnerschlägen drang die besorgte Stimme nur langsam zu ihr durch, doch sie konnte sie wahrnehmen. Wenn auch nur weit entfernt, und durch den Schleier, der die Hölle von der Welt abtrennt, doch sie war da und nur das zählte.
    »Das Gewitter…«, röchelte sie unter großer Kraftanstrengung und suchte dabei verzweifelt Halt an der rettenden Hand.
    »Gewitter? Aber welches Gewitter denn Liebes?«
    Und dann zog es sich zurück. Hoffnungsvoll riss sie die Augen auf und hielt noch mal den Atem an. Ihr Kopf dröhnte immer noch, doch das Grummeln des Donners entfernte sich langsam und gab die gepeinigten, verkrampften Synapsen ihres Gehirns frei.
    »Es regnet doch noch nicht einmal Liebling!«
    »Oh doch, endlich«, sagte sie und die Tränen tropften auf den ausgedörrten Boden.

  • von Asrai


    „Ich hab’s dir gesagt!“
    Katrins Stimme wurde schrill. Fabian blickte scheinbar interessiert die Hecke an.
    „Aber du wusstest es ja wieder mal besser! Du, du... Genie!“
    Fabian kannte seine Frau inzwischen gut genug um zu wissen, dass er eigentlich etwas sagen, wenigstens einen Versuch zu seiner Verteidigung unternehmen sollte, auch wenn sie darauf nicht hören würde. Aber ihm fiel nichts ein, sie hatte schließlich recht und er sich geirrt.
    „Und jetzt schweigst du wieder! Nie hörst du mir zu, geschweige denn, dass du auch nur einmal eingestehen würdest, dich geirrt zu haben! Aber Aussitzen hilft nicht! Immer schweigst du!“
    Katrins letzte Worte wurden von entferntem Donner untermalt. Ihr Gesicht, vor Wut rot angelaufen, wurde vom wechselnden Licht mit einem schwefeligen Farbton überzogen. Fabian sah zum Horizont. Hinter den Bäumen wetterleuchtete es bereits heftig. Der Wind frischte auf, trieb trockene Blüten in Wirbeln herum. Das Gewitter näherte sich mit rasender Geschwindigkeit.
    Der nächste Donner krachte bereits viel näher. Fabian riss sich aus seiner Erstarrung, wandte sich zum Haus und kam seiner Frau zuvor:
    „Der Streit ist Zeitverschwendung. Hilf mir lieber, Planen drüberzulegen.“
    Katrin nickte, ohne zu begreifen, wie undurchführbar das war und erstarrte dann.
    „Hast du denn welche?“
    „Nein“, sagte Fabian so leise, dass sie ihn nicht mehr hörte. Aber sie sah sein Gesicht.
    „Wirklich toll, du genialer Bauherr“, zischte Katrin. Donner übertönte sie.
    Das Gewitter war da. Der Himmel war jetzt pechschwarz, Blitze zuckten und Donner folgte fast gleichzeitig.
    Fabian sah zum Dach. Nein, er hatte keine Plane. Die Idee war dämlich gewesen, einfach zu spät im Jahr, zu unüberlegt, zu unvorbereitet.
    Katrin schimpfte nicht mehr. Traurig lehnte sie sich an ihn, als der Himmel aufbrach und es erst zu hageln und dann wie aus Kübeln zu regnen begann.
    Die beiden standen da, wurden immer nasser und blickten hinauf, zum ungedeckten Dachstuhl.

  • von Sinela


    Schwer lastete die feuchtwarme Luft auf dem Land. Sie drückte die Fliegen zu Boden, sodass die Schwalben tief fliegen mussten, um Futter für ihre hungrige Brut zu fangen. Bienen flogen ein letztes Mal an diesem Tag die mit bunten Blumen gesprenkelten Streuobstwiesen an, um Nektar zu sammeln. Die untergehende Sonne tauchte die Landschaft und die über den Himmel ziehenden Wolken in rötliches Licht. Stille lag über Allem. Tief atmete ich die nach reifem Getreide duftende Luft ein. Was war das schön hier! Mein Herz lachte, alle Sorgen fielen von mir ab. Ich hatte es geschafft, tatsächlich geschafft! Zum ersten Mal seit über einem Jahr saß ich auf der Bank unter dem Birnbaum, mitten in der Natur, weit weg von den Häusern der Stadt. Nachdenklich lauschte ich den Grillen, die in einer Wiese hinter mir zirpten. Was war das für ein Schock gewesen, als ich vor zwei Jahren die Diagnose Rheuma hörte. Lange konnte ich mich trotz ärztlicher Hilfe vor Schmerzen kaum bewegen, doch ein neues Medikament hatte endlich angeschlagen. Ich war glücklich, so glücklich wie nie zuvor in meinem Leben. Mit geschlossenen Augen hing ich meinen Gedanken nach, hörte dabei den Vögeln zu, die den Abend besangen.


    Mit einem Ruck setzte ich mich auf. Hatte es da nicht gerade gedonnert? Ich sah mich um und erstarrte. Über dem Horizont im Westen stand eine tiefschwarze Wolkenwand, in der es unaufhörlich blitzte. Voller Panik sprang ich auf. Was sollte ich nur tun? Auf den Streuobstwiesen gab es keine Chance, dem Gewitter zu entkommen. Die einzeln stehenden Bäume gewährten keinen Schutz, nein, sie stellten eine Gefahr da. Hinein in den Wald? Dort wäre es sicherer, aber nein, das ging nicht, von da kam die Bedrohung her. Es begann heftig zu stürmen, das Unwetter, es kam näher, der Donner grollte unaufhörlich, es wurde dunkel, beinahe Nacht. Nur fort, aber wohin? Das Freibad. Das waren nur knappe zwei Kilometer. Ich fing an zu laufen. Schnell, immer schneller flogen meine Beine über den Asphalt. Mein Herz raste, mein Atem flog, Tränen der Angst und der Verzweiflung liefen über mein Gesicht. Der Wind trieb mich vorwärts, immer weiter, nur weg. Große Hagelkörner trafen meinen Kopf, meine Schultern, meine Arme. Doch ich spürte keinen Schmerz, hörte den Donner nicht, ich sah nur die Blitze, die meinen Weg erhellten. Weiter, immer weiter. Meine Knie schmerzten, ich wurde langsamer. Nein, das durfte nicht sein, nicht jetzt. Nur noch etwas mehr als einen Kilometer, dann würde ich in Sicherheit sein. Abgerissene Äste wirbelten durch die Luft, trafen mich zum Glück nicht. Der Regen durchnässte mich in Sekundenbruchteilen, machte den Weg rutschig. Doch nichts konnte mich aufhalten, ich musste das Freibad erreichen, ich musste einfach. Ein Zischen, strahlendhelles Licht, ein lauter Knall, der ganz in meiner Nähe stehende Apfelbaum zerbarst regelrecht unter der Wucht des Blitzeinschlages. Oh mein Gott! Ich würde sterben, aus diesem Inferno gab es kein Entkommen. In meiner Todesangst begann ich zu schreien. Ich schrie und schrie und schrie....

  • von Idgie


    „Und Anette, dieses naive Schaf, hat absolut keine Ahnung!“ Dieser Satz hallte in Anettes Ohren noch lange nach, nachdem sie sich mit wackeligen Knien wieder in ihr Büro geschlichen hatte.


    Sie war auf dem Weg ins Archiv gewesen, als sie in der Teeküche zwei Kolleginnen tuscheln hörte und dabei ihr Name fiel. Wie vom Donner gerührt blieb Anette stehen und schaffte es grade noch in den Kopierraum. Mit Herzklopfen lauschte sie dem Gespräch nebenan.
    „Du meinst, sie hat nicht mitgekriegt, dass ihr liebster Frank die kleine Heinrichs seit Wochen vögelt?“ hörte sie Frau Schröder, die Chefsekretärin neugierig flüstern.
    „Nee, die Anette ist so dämlich, die würde das nicht mal kapieren, wenn die beiden es vor ihren Augen treiben würden. Die glaubt immer noch an die große Liebe obwohl mittlerweile selbst ein Blinder sieht, dass ihr Frank und die Heinrichs sich fast anfallen, sobald sie sich auf dem Flur begegnen.“, gab ihre Kollegin Christina bereitwillig Auskunft.


    Anette schlug das Herz bis zum Hals. Die beiden nebenan sprachen eindeutig von ihr und ihrem Freund Frank, mit dem sie seit dem Betriebsausflug vor einem Jahr zusammen war. Frank war ihre Zukunft. Mit ihm wollte sie Kinder haben und alt werden. Offensichtlich hatte Frank inzwischen andere Pläne. Oder nicht? Wollte der etwa zweigleisig fahren? Anette kam es vor, als bräche der Boden unter ihren Füssen weg.


    „Letzten Monat“ tuschelte Christina munter weiter „ist Frank sogar für 2 Tage mit der Heinrichs zu einem Seminar gefahren. Wie man hört, haben die zwei sich allerdings mehr mit der Erforschung ihrer erogenen Zonen beschäftigt, als mit der Analyse betriebswirtschaftlicher Daten. Und der Schwendt aus der EDV-Abteilung hat sie vorgestern im Serverraum erwischt. Die waren so heiß aufeinander, dass sie das nicht mal gemerkt haben.“ Frau Schröder gluckste: „Ach du liebe Zeit, die Ärmste. Eigentlich sollte es ihr jemand sagen. Wie es scheint, wissen es bis auf Anette ja schon fast Alle. Wie peinlich für sie.“ „Ach was! Die ist doch selber schuld! Was wirft die sich auch dem schönen Frank an den Hals. Der ist für Anettchen doch ohnehin ´ne Nummer zu groß.“ feixte Christina schadenfroh weiter.


    Anette hatte genug gehört. Bevor jemand sie entdecken konnte, flüchtete sie in ihr Büro. „Dieser Mistkerl!“ fluchte sie innerlich, als sie wieder an ihrem Platz saß. Die vielen Überstunden über die Frank in der letzten Zeit so gestöhnt hatte, erschienen ihr plötzlich in einem ganz anderen Licht. Der stöhnte wahrscheinlich aus ganz anderen Gründen. Kalte Wut stieg in Anette hoch.


    Als Frank eine halbe Stunde später ahnungslos pfeifend ihr Büro betrat, um sie zum Mittagessen abzuholen, war das Unwetter, das sich draußen anbahnte, ein laues Lüftchen im Vergleich zu der Bombenstimmung in der Anette ihn empfing.

  • von Marlowe


    Sie standen am Fenster und bewunderten das Naturschauspiel.
    Oooh, Boa, Super, Haste gesehen, Toll, die geplapperten Superlative nahmen keine Ende.
    Lass uns rausgehen, flüsterte sie.
    Spinnst Du, viel zu gefährlich, meinte er und drückte sie fest an sich.
    Bitte, bettelte sie und öffnete mit einer Hand die Terrassentür während ihre andere Hand wie zufällig über seine Hose glitt.
    Das ist aber gefährlich, protestierte er, folgte ihr aber trotzdem ohne nachzudenken.
    Beide liefen über das nasse Gras, sie schüttelte die Schuhe von ihren Füssen, der Regen prasselte vom schwarzem Himmel, nur von grellen Blitzen belebt.
    Mitten im Acker blieben sie stehen. Atemlos, Regentränentropfen glänzten auf ihrer Haut, farbig schillernd im Licht der Energiespeere, die wissend ihren Weg ins Unten suchten – und fanden.
    Küss mich, schrie sie, ins donnernde Echo eines leuchtendes Strahles hinein.
    Der Kuss öffnete alte Regungen, dem Weiblichen innewohnend. Sie hob das linke Bein nach hinten, presste es an das andere und schrie in den Donner den Satz: Liebst Du mich?


    Er ließ sie los, stand breitbeinig im Feld, starrte sie mit blitzenden Augen an und rief: Ja-aaaaahhhh!!!!