Artenreich. Eine Hommage an die Vielfalt - Joel Sartore

  • Joel Sartore: Artenreich. Eine Hommage an die Vielfalt, OT: The Photo Ark: One Man's Quest to Document the World's Animals, aus dem Englischen von Dr. Ulrike Kretschmer, München 2017, NG Buchverlag GmbH (National Geographic), ISBN 978-3-86690-639-6, Hardcover mit großformatigen Farbfotos, 399 Seiten, Format: 27,3 x 4 x 28,9 cm, EUR 60,00.


    Abbildung © NG Buchverlag


    „Alle [Arten] zusammen verkörpern (…) die Botschaft dieses Projekts: Wie vielfältig und wunderschön die verschiedenen Lebensformen auf unserem Planeten doch sind! Wie großartig und kostbar, selbst das kleinste und bizarrste Lebewesen unter ihnen. Wir sollten ihnen unsere Aufmerksamkeit schenken – und uns um sie kümmern.“ (Seite 261)


    Es gibt Millionen Arten von Lebewesen auf der Erde. Wie viele genau, das weiß kein Mensch. Manche wurden noch gar nicht entdeckt, andere, wie z.B. Protozoen, Pilze und Bakterien, sind für das ungeübte Auge unsichtbar. Aber die ganz Kleinen, die gehören auch dazu.


    Wenn wir an Natur denken, dann hauptsächlich an die Tiere und Pflanzen, die wir mit bloßem Auge wahrnehmen können. Und von den Tieren stehen uns die Wirbeltiere am nächsten, weil sie uns körperlich und vom Verhalten her am ähnlichsten sind.




    Foto des Buchausschnitts: Edith Nebel, © NG Buchverlag


    Artensterben: düstere Prognosen

    Dass Arten entstehen und wieder verschwinden, ist nichts Neues. Das ist seit Anbeginn des Lebens so. Aber jetzt, im „Anthropozän“, der Epoche der Erdgeschichte, in der die Aktivitäten des Homo sapiens die Umwelt in globalem Ausmaß umgeformt haben, geht das Aussterben in so rasantem Tempo vonstatten, dass wir Ende dieses Jahrhunderts jede dritte Art um uns herum ausgerottet haben werden – von den Amphibien sogar jede zweite.


    Das ist nicht weiter verwunderlich, so, wie unsere Art sich auf dem Planeten aufführt! „Wir holzen Wälder ab und entziehen Böden ihre mineralischen Reichtümer. Und ganz nebenbei zerstören wir Naturgemeinschaften. Wir stoßen Abgase aus und verändern die Chemie der Atmosphäre. Wir erwärmen den Planeten und beeinflussen lokale Klimaverhältnisse. Wir begehren das Schöne und Starke und fangen oder töten deshalb Tiere, rein zu unserem Vergnügen.“ (Seite 343)


    National-Geographic-Fotograf Joel Sartore kann dieser Entwicklung nicht tatenlos zusehen, und so stellt er seine Arbeit in den Dienst des Artenschutzes. Er will so viele Tierarten wie möglich fotografisch porträtieren um sie für die Nachwelt festzuhalten, damit man wenigstens noch weiß, wie sie ausgesehen haben, wenn sie tatsächlich aussterben sollten. Dabei hofft er natürlich, dass sich möglichst viele Menschen seine Fotos ansehen, staunen und es für wert erachten, sich für den Artenschutz einzusetzen.


    Studioporträts der Tiere unserer Welt

    Wildtiere in ihrem natürlichen Habitat zu fotografieren würde viel zu lange dauern. Also hat Sartore sich der Machbarkeit halber für Studioporträts von Tieren in menschlicher Obhut entschieden. Er nimmt also (Zoo-)Tiere vor schwarzem oder weißem Hintergrund auf, so dass nichts von ihnen ablenkt und Größenverhältnisse keine Rolle spielen. Auf diese Weise wird die Maus genauso bedeutend in Szene gesetzt wie der Bär oder der Elefant. Wer sind wir auch, dass wir da werten dürfen?




    Foto des Buchausschnitts: Edith Nebel, © NG Buchverlag


    2005 hat er damit angefangen. Sein erstes Porträt war das eines Nacktmulls. Mehr als 6.000 Tierarten hat Joel Sartore seit damals auf diese Art porträtiert. Und er hofft, noch 5.000 bis 6.000 weitere Spezies für die Nachwelt festhalten zu können „bevor ich zu alt bin, die schwere Kameraausrüstung überall hin mitzuschleppen.“ (Seite 21)


    400 dieser Porträts sehen wir in diesem prachtvollen Buch. Die Kapitelaufteilung ist ein bisschen überraschend.


    Kapitel 1: SPIEGEL stellt Bildnisse von Tieren nebeneinander, die verblüffende Ähnlichkeiten aufweisen, ohne dass die Tierarten miteinander verwandt sind. Kopf- oder Körperhaltung, Fell-, Haut oder Federzeichnung oder der Gesichtsausdruck gleichen einander auf eindrucksvolle Weise.


    Kapitel 2: PARTNER präsentiert Männlein und Weiblein einer Spezies aber auch Mütter und Kinder, Geschwister, Rudelmitglieder oder Vertreter von Tierarten, die symbiotisch zusammenleben.


    Kapitel 3: GEGENÜBER konfrontiert uns mit Gegensätzen: langsam und schnell, groß und klein, rot und blau, komplex und einfach strukturiert, bunt und monochrom …


    Kapitel 4: KURIOSITÄTEN. Hier werden vom Hornwehrvogel bis zum Schnabeltier die Tierarten vorgestellt, die in kein Schema passen uns manchmal aussehen, als stammten sie von einem fernen Planeten.


    Kapitel 5: HOFFNUNG zeigt Tierarten, deren prekäre Situation sich dank erfolgreicher Artenschutzprogramme wieder ein bisschen gebessert hat. Über den Berg sind diese Spezies noch lange nicht. Aber vielleicht ist doch noch nicht alles zu spät.


    In die Kapitel eingestreut sind die Geschichten von menschlichen HELDEN. Da geht es um Männer und Frauen aus allen Teilen der Welt, die sich mit hohem persönlichem Engagement ihren persönlichen Artenschutzprojekten widmen. Das ist ebenso bewundernswert wie inspirierend.


    Hinter den Kulissen des Foto-Projekts

    Amüsant ist die Rubrik HINTER DEN KULISSEN. Immer mal wieder sehen wir auf einer Doppelseite, unter welchen Bedingungen diese spektakulären Fotos entstanden sind. So sauber und aufgeräumt wie auf den Bildern war die „Studio“-Umgebung während des Arbeitsprozesses nicht immer! Hinter manchem einem Tier musste man digital ein bisschen hinterherputzen.




    Foto des Buchausschnitts: Edith Nebel, © NG Buchverlag


    Das sechstausendste fotografierte Tier, ein Nasensaffe, scheint sich des Bedeutung des Vorgangs tatsächlich bewusst zu sein. Zumindest sieht es so aus. Überhaupt fragt man sich oft, was in den Köpfen der tierischen Fotomodelle gerade vor sich geht.


    Wie schwierig die einzelnen Models waren, wird in den jeweiligen Bildunterschriften deutlich. Zankende Flamingos, bissige Kamele, ungnädige Frösche … diese kleinen „Werkstattberichte“ liest man mit einem Schmunzeln. „Mit dem Anheben eines Beins signalisiert der Warzige Makifrosch Dominanz“, schreibt Sartore beispielsweise. „Mich hat’s nicht so beeindruckt, aber vielleicht funktioniert’s bei anderen Fröschen.“ (Seite 261)


    Die Fotografien sind faszinierend und unglaublich detailreich. So nah ist man vielen bekannten Tierarten noch nie gekommen! Und man sieht hier Tiere, von deren Existenz man noch nie zuvor gehört hat. Plüschkopfenten? Die sehen aus wie aus einer Spielzeugfabrik! Moosfrosch? Baumstachler? Teufelsblume (ein Insekt)? Schon das Tier auf dem Cover hätte ich nicht benennen können. Es ist ein Urson-Albino, ein nordamerikanisches Baumstachelschwein.


    Und es gibt Laubheuschrecken in Pink, und Gelb? Ernsthaft? Was hat der Hornwehrvogel eigentlich auf dem Kopf? Sieht aus wie eine Besenborste. Und der Krauskopfarassari? Der Kamm dieses Vogels erinnert an den Bandsalat eines Kassettenrecorders.


    Was es nicht alles gibt! Diese unglaubliche Vielfalt an Lebewesen sollen wir wirklich nicht vor die – pardon: - Hunde gehen lassen!


    Der Autor/Fotograf

    Joel Sartore , 1962 in Ponca City, Oklahoma, geboren, ist Fotograf, Journalist, Autor und Naturschützer. Seit über 25 Jahren veröffentlicht er seine Bilder in der Zeitschrift National Geographic. Seit mehr als 10 Jahren arbeitet er an dem Projekt »Photo Arc«: der fotografischen Dokumentation der Artenvielfalt unseres Planeten, d.h. »jede einzelne der rund 12.000 in Gefangenschaft, d.h. in menschlicher Obhut lebenden Spezies der Erde abzulichten«. Damit möchte er dazu beitragen, den Niedergang der weitweiten Biodiversität aufzuhalten oder zumindest einzudämmen. Er ist Mitglied der International League of Conservation Photographers und der National Geographic Society. Von seinen Reisen rund um die Welt kehrt er immer wieder gern nach Lincoln, Nebraska zurück, wo er mit seiner Frau Kathy und drei Kindern lebt. Link zu dem Foto-Projekt: http://www.natgeophotoark.org


    https://www.amazon.de/Bildband-Tiere-Tierporträts-Artenvielfalt-einzigartiger/dp/3866906390/ref

    Und was die Autofahrer denken,
    das würd’ die Marder furchtbar kränken.
    Ingo Baumgartner

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