Geister auf der Metropolitan Line. Eine Peter-Grant-Story - Ben Aaronovitch

  • Ben Aaronovitch: Geister auf der Metropolitan Line. Eine Peter-Grant-Story, OT: The Furthest Station, Deutsch von Christine Blum, München 2018, dtv Verlagsgesellschaft, ISBN 9 783 423 21733-0, Softcover, 170 Seiten, Format: 12,2 x 1,7 x 19 cm, Buch: EUR 8,95, Kindle Edition: EUR 7,99, auch als Hörbuch lieferbar.


    „Es war ein so guter Plan – okay, nicht hundertprozentig narrensicher, aber solide, anständig und ohne viel Firlefanz. Wäre schön gewesen, wenn er nicht schon nach zwanzig Minuten den Bach runtergegangen wäre.“ (Seite 75)


    Hoppla! Was ist denn das? Der neue Peter-Grant-Band hat ja nur 170 Seiten! Und er wird lediglich als „eine Story“ bezeichnet. Die übergreifende Handlung der Reihe treibt er nicht voran. Über Lesley May und den gesichtslosen Magier erfahren wir also nichts Neues. Das ist mir, als ich das Buch angefordert habe, nicht klar gewesen. Ich habe, wie bei den vorangegangenen 6 Bänden auch, eine reguläre Fortsetzung erwartet. Und so fühle ich mich jetzt ein wenig enttäuscht und veräppelt.


    Ist der reguläre Band 7 nicht fertig geworden?

    Die vorliegende Story ist ja ganz nett, aber eben kein vollwertiger Fortsetzungsband! Eher ein Sommerloch-Füller. Ein Appetithäppchen statt einer kompletten Mahlzeit. Aber warum? Will man die Reihe künstlich in die Länge ziehen? Das dürfte den Fans von Constable Peter Grant nicht gefallen.


    Vielleicht ist der Autor ja mit dem regulären siebten Band nicht rechtzeitig fertiggeworden. Ich stelle mir gerade vor, wie der zuständige Verlagsmitarbeiter diesbezüglich bei ihm nachhakt:


    Verlagsmitarbeiter: „Sagen Sie mal, Herr Aaronovitch, wie weit sind Sie denn mit der Fortsetzung der Peter-Grant-Reihe? Die Leser quengeln schon, weil sie unbedingt wissen wollen, wie das nun weitergeht mit Pete, seinen Kollegen, Lesley und dem gesichtslosen Magier.“


    „Jaaa, wissen Sie“, sagt der Autor gedehnt, „irgendwie bin ich nicht ganz so weit gediehen wie ich gehofft hatte.“


    Verlagsmitarbeiter.: „Oh. Das ist aber blöd. Was können Sie uns denn zum jetzigen Zeitpunkt liefern?“


    Autor: „Na ja ... den Handlungsstrang von Peter und Abigail, wie sie in der Londoner U-Bahn Geister jagen, den hätt’ ich schon mal fertig.“


    V., ratlos: „Abigail?“


    Was machen Geister in der U-Bahn?

    A.: „Abigail Kamara, Peters naseweise Cousine mütterlicherseits. Sie erinnern sich nicht? Teenie, clever, eigensinnig, technisch begabt?“ Er seufzt. „Zugegeben: Es sind immer eine Menge Figuren in meinen Romanen. Also: Abigail macht gerade ein Schülerpraktikum im Folly und will wahnsinnig gern Magie lernen – wie ihr Cousin Peter. Oder besser gesagt, wie dessen Chef, Tom Nightingale. Der beherrscht das ja richtig. Peter murkst ja nur so rum. Aber wer bringt dieses Ansinnen Abigails Eltern nahe? Peter Grant traut sich nicht.“


    V.: „Kann ich verstehen ... bei dieser Familie. Hm. Und Abigail jagt jetzt mit Peter Geister. Warum? Was machen die denn Kriminelles? Schwarzfahren? Ich meine, Peter ist schließlich Polizist.“


    A.: „Sie pöbeln die Fahrgäste an.“


    V.: „Das machen menschliche Passagiere jeden Tag. Deswegen kommt nicht gleich die Magie-Einheit der Polizei.“


    A.: „Hm, äh, ja. Die Leute vom Folly, die forschen da eben. Weil die Geister sich so plötzlich auflösen, was ja nicht normal ist. Und weil die Opfer und Zeugen sich binnen Minuten nicht mehr an die Vorfälle erinnern können.


    V.: „Aha. Und was ist mit der Krimihandlung? Gibt’s da jetzt eine oder nicht?“


    A.: „Doch, äh, ja. Irgendwie schon. Ein spätviktorianisches Gespenst erzählt den beiden, dass eine Prinzessin entführt und in einem Kerker gefangen gehalten wird. Sie kann zwar in einen Feenpalast entkommen, aber der Weg nach Hause ist ihr versperrt.“


    V.: „Ooookay ... Und diese Entführung ... hat die in der Jetztzeit stattgefunden oder vor hundertunddrölfzig Jahren?“


    A., etwas pikiert: „Jetzt natürlich. Sonst bräuchte man ja keine Polizei mehr.“


    V., seufzt: „Na, dann geben Sie das Manuskript halt mal her.“


    Nur für Kenner der Peter-Grant-Reihe

    Lassen wir die Albernheiten, kommen wir zum Business: Man sollte die Reihe kennen, um überhaupt etwas von der Geschichte zu haben. Denn mit langen Erklärungen, was es mit dem Folly – der Polizeieinheit für magische Umtriebe – und dessen unnatürlich langlebigen Chef D.I. Thomas Nightingale auf sich hat, kann der Autor sich hier nicht aufhalten. Dass Constable Peter Grants Lebensgefährtin Beverley Brook eine Flussgöttin mit allerlei übernatürlichen Fähigkeiten ist, wird einem auch nur in ein paar dürren Worten untergejubelt.


    Kenner der Reihe wissen das natürlich. Die ahnen dann auch recht schnell, was sich Ehepaar Heywood aus Waterside/Buckinghamshire ins Haus geholt hat, als es das Findelkind Chess einfach behalten und als seinen Großneffen ausgegeben hat: Einen Genius loci, einen Flussgott. Mit dem werden sie noch viel Spaß haben! Wir kennen ja Bev und ihre Sippe. Die sind ’ne Handvoll!


    Die Sache mit dem kleinen Wassermann ist ein amüsanter Nebenhandlungsstrang, aber die Ermittlungen im Fall „entführte Prinzessin“ bringt das nicht vorwärts.


    Stark gebremstes Chaos

    Eine Mischung aus weltlichen und magischen Hinweisen führt Peter schließlich auf die Spur einer verschwundenen Frau. Die Aufklärung des Falls ist dann ein wenig simpel. Und es gibt dieses Mal auch kaum magieinduzierte Gebäudeschäden. Sonst legt die Zauberertruppe doch immer alles sehr gründlich in Schutt und Asche. Aber auf 170 Seiten können sie sich eben nicht so richtig entfalten.


    Und die Geister? Ein paar entschwinden nach Erledigung ihrer Mission endgültig ins Jenseits. Die übrigen werden wohl weiter in der U-Bahn rumspuken, schwarzfahren und pöbeln.


    Was bleibt wie gehabt, sind Aaronovitchs böse Spitzen gegen architektonische „Glanzleistungen“:

    „Der vorläufige Tiefpunkt ist ein ungeschlachtes Einkaufszentrum aus rotem Backstein schräg gegenüber vom Bahnhof, das sehr geschickt einen kompletten Mangel an Ästhetik mit völliger Nichtbeachtung seines praktischen Daseinszwecks verbindet. Was dazu führt, dass der durchschnittliche Shopper schon nach zehn Minuten Aufenthalt von tiefer Verzweiflung übermannt wird.(Seite 69) (Damit ist wohl das London Designer Outlet gemeint)

    „Hier wich die zurückhaltende Art-déco-Atmosphäre dem unsäglichen Geschmack der achtziger Jahre, in denen öffentliche Gebäude stets nach der Vorgabe entworfen wurden, dass sie einem Pissoir so ähnlich wie möglich sehen sollten.“ (Seite 84)


    Es gibt also durchaus was zu kichern und zu schmunzeln. Direkt fad ist die Geisterjagd nicht, aber eben nicht das, was man als Leser erwartet hat. Es wäre schön, wenn der achte Band dann kein Lückenfüller, kein Taschenspielertrick und kein Experiment wäre, sondern eine handfeste Fortsetzung der Story um den gesichtslosen Magier.


    Der Autor

    Ben Aaronovitch wurde in London geboren und lebt auch heute noch dort. Wenn er gerade keine Romane oder Fernsehdrehbücher schreibt (er hat u. a. Drehbücher zu der englischen TV-Kultserie 'Doctor Who' verfasst), arbeitet er als Buchhändler. Seine Fantasy-Reihe um den Londoner Polizisten Peter Grant mit übersinnlichen Kräften eroberte die internationalen Bestsellerlisten im Sturm.




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    Und was die Autofahrer denken,
    das würd’ die Marder furchtbar kränken.
    Ingo Baumgartner

  • Seit Band vier, "Der böse Ort", mag ich die Kurzgeschichten aus dem Rivers-of-London-Universum lieber als die großen Romane, wobei es schon frech ist, die "Furthest Station" auf 170 Seiten zu bringen - was verwendet der Verlag, anderhalb Zeichen Abstand pro Zeile?


    Ich mag, dass Aaronovitch sich hier Zeit nimmt für die Ermittlung mit all ihren Irrungen und Wirrungen - wie die Geisterjagd im Depot und ihre Folgen -, dass die gewalttätigste Szene die Zerstörung einer Mauer ist, und dass den Nebenfiguren viel Platz gegeben wird, ihre Schrulligkeiten auszuleben. Meine Lieblingsszene ist definitiv das Geister-Lockfeuer in der Metrostation.


    Vielen Dank für die humorige Besprechung, Vandam.


    Im übrigen geht Herr Aaronovitch im November auf Lesetour in England, um den 7. Roman der Reihe namens "Lies Sleeping" vorzustellen - es wird danach hoffentlich nicht mehr allzu lang brauchen, bis das gute Stück auf deutsch erscheint.

    Ein Buch zu öffnen, meint auch zu verreisen.
    Heißt mehr noch: sich auf Neuland vorzuwagen.
    Ob seine Worte brechen oder tragen,
    muss sich beim Lesen Satz für Satz erweisen.

    (Robert Gernhardt)