Schreibwettbewerb August 2005 - Thema: "Ruinen"

  • Thema August 2005:


    "Ruinen"



    Vom 01. bis 20. August 2005 könnt Ihr uns Eure Beiträge für den Schreibwettbewerb August 2005 zu o.g. Thema per Email an webmistress@buechereule.de oder über das Kontakt-Formular (s.o. im Forum) zukommen lassen. Euer Beitrag wird von uns dann anonym eingestellt.


    Den Ablauf und die Regeln könnt Ihr hier noch einmal nachlesen.



    Bitte achtet darauf, nicht mehr als 500 Wörter zu verwenden. Jeder Beitrag mit mehr als 500 Wörter wird nicht zum Wettbewerb zugelassen!



    TIPP: Schreibt Eure Beiträge in Word und nutzt die Rechtschreibhilfe. Im Programm Word findet Ihr unter „Extras“ die Möglichkeit „Wörter zählen“.



    Wir wünschen Euch viel Spaß und viel Erfolg!

  • von DocHollywood


    „Und haltet Euch von den Ruinen fern, hört ihr?“, rief die Mutter von Hannes den beiden Kindern ermahnend hinterher. Doch Hannes und Betty schauten sich nicht einmal mehr um, sondern rannten lachend über die Wiese, die hinter dem Haus das Gehöft vom Waldrand abgrenzte.
    Es war ein warmer, sonniger Tag und die Kinder pflückten Löwenzahn und bliesen die Samenstängel in die Luft, die ein leichter Wind auf den Wald zutrug. Hannes und Betty sprangen durch das hohe Gras und versuchten kichernd ein paar der federleichten Stängel, die in der Luft tanzten, wieder einzufangen. Ohne es zu bemerken hatten sie schon die ersten Bäume hinter sich gelassen, als Betty plötzlich stehenblieb.


    „Was ist?“, wollte Hannes wissen, weil er fast in Betty hineingelaufen wäre.
    „Hier ist es ziemlich kalt, oder?“, stellte das Mädchen unsicher fest und versuchte durch die Baumreihen zu spähen, die vor ihnen, bis auf ein paar Lücken, immer dichter wurden.
    „Hm“, erwiderte Hannes, hob einen alten dürren Ast auf und klopfte ihn am nächsten Baumstamm ab. Das klopfende Geräusch verlor sich schnell zwischen den Bäumen. Als der Ast von alten Tannennadeln und Erde befreit war, brach Hannes noch ein paar kleine Zweige davon ab und hob dann das Stück Holz zufrieden an die Schulter.
    „Peng! Na los, Ihr französischen Feiglinge, Euer Hinterhalt ist aufgedeckt!“, rief er und kniete sich hinter den nächsten Baum, nahm den Ast zur Hand und tat so, als ob er den Lauf eines Gewehres mit Pulver und einer Kugel stopfen würde.
    „Ach Hannes, hör doch auf, ich hab’ dazu heute wirklich keine Lust“, jammerte Betty und ging auf ihn zu, um ihn hochzuscheuchen.


    „Der Gustav hat mir erzählt, daß sein Großvater oben an der Ruine gegen die Franzosen gekämpft hat. Sie hatten den Trupp eingekreist und belagert, bis nach über einer Woche der letzte Franzose verhungert oder verdurstet war“, sagte Hannes im Flüsterton und versuchte seine Stimme unheilvoll klingen zu lassen. Er ließ sich von Betty hochziehen und sah sie ernst an, dann sprach er weiter.
    „Gustav hat gesagt, daß heute noch die hungrigen Geister der französischen Soldaten dort umgehen und nach Essen suchen würden“, raunte er Betty zu und packte sie plötzlich an den Schultern. Das Mädchen schrie erschrocken auf.
    „Hannes, Du Blödmann!“, fuhr sie ihn an, machte auf dem Absatz kehrt und rannte in Richtung der Wiese davon.
    „Betty!“, rief Hannes ihr hinterher, zuckte aber dann mit den Schultern und hob seinen Ast auf. Er wollte heute noch die französische Stellung überrennen und als Kriegsheld heimkehren, also schulterte er den Ast und machte sich auf den Weg zur Ruine.


    Als Hannes am Abend immer noch nicht zuhause war, gingen sein Vater und sein Onkel los, um ihn zu suchen. Betty konnte ihnen nur sagen, was Hannes ihr am Vormittag über die Ruinen erzählt hatte. Als sie dort in der Dämmerung ankamen, mussten sie nicht lange nach Hannes suchen. Seine Leiche lag, anscheinend von Wölfen oder wilden Hunden angefressen, inmitten der alten Steine, in der Hand hielt er fest umgeklammert einen Ast.

  • von BabyJane


    Ich schaue aus dem Fenster auf die Ruine des Gutshauses. Schwarze Löcher dort wo die Steine herausgebrochen sind. Ich schnippe meine Zigarette aus dem Fenster. Drehe mich halb um und sehe ihn auf meinem Sofa liegen. Ich stemme die Hände in die Hüften und überlege, wie ich ihn los werden könnte. Sein Blut tropft auf den Teppich und ich weiß, ich muß mich beeilen. Bald werde ich ihn nicht mehr ungesehen in der Dunkelheit transportieren können. Langsam krempel ich die Ärmel meines Hemdes hoch. Hole aus der Küche einen Müllsack, stülpe ihn über seinen Kopf. Es widert mich an, seinen eingeschlagenen Schädel anzusehen.
    Ich greife ächzend nach seinen Füßen und zerre ihn hinter mir her. Raus aus dem Haus, über die Terrasse in die Garage. Ich wische mir den Schweiß von der Stirn. Scheißkerl, selbst jetzt wo er tot ist, macht er mir noch Probleme. Ich wuchte ihn in den Kofferraum meines Jeeps. Schiebe und drücke und breche ihm beim Schließen der Klappe zwei Finger. Die gleichen beiden Finger, die er sich letztes Jahr gebrochen hat, als er mir das Jochbein brach. War nicht das erste Mal, daß ich wegen sowas im Krankenhaus war.


    Ich steige ein. Kurz bin ich unschlüssig, dann sehe ich wieder die Ruinen. Ich weiß noch, wie wir als Kinder dort gespielt haben. Schon damals war er sadistisch, hat mich im Keller eingesperrt. Ich fahre langsam zum Hof. Halte an und hole die Schubkarre, die ich vor Wochen hier hingestellt hab. Damals wußte ich noch nicht warum. Ich zerre ihn in die Karre. Schiebe ihn vor mir her. Öffne die Luke zum Keller und kippe ihn rein. Ich springe selbst ins Dunkel, lande weich auf ihm. Ich ziehe ihn zur Wendeltreppe. Drappiere seinen Körper so auf dem Boden, daß es aussieht, als sei er die Treppe hinab gestürzt. Ich reiße die Tüte von seinem Kopf und stopfe sie in meine Tasche. Meine Hand greift nach einem der Steine und ich schlage ihn in die Wunde an seinem Kopf, dann leg ich den blutigen Stein auf den Boden. Ich zünde mir einer seiner Zigarren an, als ich sie fertig geraucht habe, lasse ich sie in das trockene Stroh am Boden in der Nähe seiner Hand fallen. Das Stroh lodert auf. Er brennt sofort. Die trockenen Mauern auch.


    Ich sitze auf dem Sofa. Der Mann vor mir sieht mich ernst an: „Frau Hagen, sie können sich wirklich nicht erklären, was ihr Bruder nachts betrunken im Gutshaus wollte?“ Ich schüttel stumm den Kopf. Wenn ich aus dem Fenster blicke, seh ich die schwarzen Fensterlöcher der Ruine. Ich atme tief durch. „Nein, er hat das öfter gemacht. Sich dorthin verzogen zum Trinken, ich mochte es nicht, wenn er das hier in der Wohnung tat.“ Der Beamte nickte wissend. „Mein Beileid Frau Hagen.“ sagt er und geht.


    Ich sitze am Fenster und rauche, sehe die Ruine an. Wir haben ein Geheimnis, ich und das alte Gutshaus. Das Gutshaus wird schweigen. Und ich? Ich werde leben.

  • von Hinterwäldlerin


    "Es ist so toll hier! Die Sonne, das Meer, die Wärme- ich liebe Ägypten!" Überglücklich umarmte ich John, meinen Freund. "Ich wusste, dass es dir in Sharm el Sheik gefällt.", meinte der nur. Naja, Männer eben. Ich hatte jedenfalls noch viel mit ihm vor in den kommenden 2 Wochen: Schnorcheln gehen, ein Ausflug ins Katharinenkloster...
    Aber heute wollte ich vor allem feiern. Auch wenn John etwas von "lange Reise" und "Müdigkeit" murmelte, er musste mich wohl oder übel begleiten. "Du willst doch wohl nicht, dass ich irgendeinen reichen Ägypter heirate, oder?", fragte ich scherzhaft, während ich mit weit geöffnetem Mund Mascara auftrug. "Warum nicht? Vielleicht kann man ein paar Kamele für dich aushandeln!", bekam ich als Antwort. Ich warf eine Rolle Klopapier nach John und begann, mir die Haare hochzustecken. "Ich frag mich nur, was du mit Kamelen willst.", nuschelte ich mit Haarklemmen im Mund. "Verkaufen!"
    Er schaltete den Fernseher ein und begann, Fußball zu schauen. "Och Johnny, mach dich doch auch mal fertig, sonst ..." "Süße, ich bin fertig.", knurrte er mit überfreundlichem Lächeln. "Seit einer halben Stunde, um genau zu sein." Ich schlüpfte noch schnell in meine Schuhe, richtete mein Kleid vor dem Spiegel und trug Lipgloss auf, ehe ich "Bin auch soweit!" rief. John erhob sich ächzend aus seinem Sessel, nahm den Zimmerschlüssel vom Tisch und bedeutete mir, herauszugehen.
    Dann gingen wir Hand in Hand in die Lobby, gaben den Schlüssel ab und traten hinaus in die arabische Nacht. "Da lang!" John deutete nach links. "Warte mal! Siehst du den kleinen Jungen mit dem Kamel da drüben? Du musst mich mit den beiden fotografieren!" Während John lachend seine Digicam hervorkramte, stürzte ich über die Straße. "Ain Juroh?", fragte der kleine Junge und hielt seine Hand hin. "Warte mal, ich..." Ein gewaltiger Knall ertönte. Ich wurde gegen den Maschendrahtzaun neben mir gedrückt und spürte, wie sich das Metall in meine Haut grub. Etwas traf mich am Kopf. Dann wurde mir schwarz vor Augen.
    Als ich aus meiner Bewusstlosigkeit erwachte, beugte sich gerade eine in weiße Tücher eingehüllte Krankenschwester über mich. Als ich mich ein bisschen bewegte, spürte ich Schmerzen in meiner gesamten rechten Körperhälfte und wahnsinnige Kopfschmerzen. Ich stammelte ein "Was ist passiert?" ohne die Augen zu öffnen. "Spikinglisch??" Ich schaute die Schwester verständnislos an. "Do you speak English???", fragte sie erneut. Ich nickte, doch von dem folgenden Wortschwall schnellen Englischs mit starkem arabischen Dialekt verstand ich so gut wie nichts. Ich hörte nur die Worte "bomb attack" und "terror" heraus. Plötzlich wurde ich hellwach. "Where's John? John? John!!!", brüllte ich. Die Schwester kramte eine Liste hervor. "John Sinclair?" "Yes." Ich schluckte. Was war das für eine Liste?? "I'm sorry. We found his passport for identifying. He's dead."
    Warum habe ich mich mit dem Schminken nicht mehr beeilt? Warum musste ich mich überhaupt schminken, mir die Haare hochstecken? Wären wir nur 5 Minuten eher losgegangen... Ich habe unser beider Leben ruiniert.

  • von Aster-Lundgren


    Er sah sie schon von weitem. Zwischen den Trümmern und Steinresten der Ruine. Ihr Gesicht leuchtete zu ihm rüber - das lange, weiße Haar und die unnatürlich blasse Haut wirkte wie ein zweiter Mond in der Dunkelheit. Als er in ihre starren Augen blickte, kam wieder die Erinnerung, überrollte ihn wie eine Welle.


    Ich glaube, ich höre Schreie. Laute, schrille Mädchenschreie. War etwa noch jemand anderes in diesem Haus? Allein der Gedanke ist unerträglich und ich verspüre den heftigen Wunsch zu verschwinden. Fort von diesem brennenden Haus und den Schreien. Doch ich bleibe stehen und schaue etwas genauer in das Flammenmeer. Ich sehe sie erst, als die ersten Balken herunterstürzen und polternd auf dem Boden aufschlagen. Das Feuer züngelt an ihrem Nachthemd, wie gierige Motten. Ich habe nicht gewusst, dass er eine Tochter hat. Ich überwinde meine Furcht und renne ihr
    entgegen.


    Langsam näherte sie sich ihm. Es musste ein Geist sein. Sie konnte nicht überlebt haben ... Er rückte etwas weiter nach hinten, bereit jeden Moment zu fliehen. Auf der einen Seite wollte er aus der Ruine, vor dem Mädchen fliehen; auf der anderen Seite wollte er mit ihr reden. Er entschied sich vorerst dafür, abzuwarten.


    Schon nach wenigen Sekunden spüre ich die Flammen und rieche versengtes Fleisch. Übelkeit wallt in mir auf und ich überlege kehrt zu machen. Doch ich laufe weiter, nähere mich dem Mädchen, das mich mit großen Augen anstarrt. Gerade als ich meine Hand ausstrecke, fällt ein weiterer Balken von der Decke und begräbt das Mädchen unter sich. Ich sehe sie nicht mehr und bevor auch ich sterbe, renne ich dem Ausgang entgegen, in die friedliche, ruhige Nacht.


    Nun stand sie genau vor ihm. Er wagte nicht, sich zu rühren, etwas zu sagen, sie zu berühren. War sie echt oder ein Geist? Ein Hirngespinst, das er sich in seiner Verrücktheit einbildete? Zögernd streckte er einen Finger aus und berührt den Oberarm des Mädchens. Er spürt nichts. Nichts außer den lauen Abendwind. Das Mädchen trat zurück und huschte in die Dunkelheit. Weiter in die Ruine hinein. Er konnte sie nicht sehen und die Angst war stärker als je zuvor.


    Das Einzige, was zurückbleibt, ist eine Ruine. Mein größter Feind ist gestorben - und mit ihm seine Tochter ... ich beschließe übermorgen wieder hier her zu kommen. Ich habe das Gefühl, mich erwartet jemand ...


    Plötzlich erhellte sich die Ruine. Er sah Flammen, die sich ihm eilig näherten. Er hätte fliehen können. Doch er tat es nicht. Er wusste, dass er es verdient hatte. Die Flammen erfassten ihn und er ertrug es. Mit Tränen im Gesicht und unerträglichen Schmerzen. Gleich wäre es vorbei ...Dann erfasste ihn die Dunkelheit und er war nichts anderes mehr, als lebloses Flammenfutter inmitten einer Ruine. Er war tot.


    Unweit von der Feuerstelle entfernt, befand sich ein weißes Häufchen Asche. Ein Windstoß wirbelte es empor, dem Himmel entgegen. Als die Nacht es verschlungen hatte, verschwanden auch die Flammen und die Ruine lag still und leise in der Dunkelheit.

  • von Nikita


    06.08.2005
    Langsam und in Gedanken versunken ging Michiko durch die Straßen, in denen sie zuletzt mit Takumi, ihrem kleinen Bruder, spielte. Dort war damals ihr Zuhause - heute stand hier ein großes Kaufhaus. In ihrer Erinnerung stand übermächtig der Tag, der alles veränderte.


    06.08.1945
    Es war ein Morgen mit strahlend blauem Himmel und hochsommerlichen Temperaturen. Die Sonne blendete. Sie war auf dem Weg zum Hauptbahnhof. Es ging quer durch die Stadt. Sie war mit anderen Mitschülerinnen zur Arbeit auf einem Feld mit Gemüse und Kürbissen eingeteilt. Sie kam etwas spät an, weil sie getrödelt hatte. Am Himmel sah sie plötzlich drei Flugzeuge, es fielen Fallschirme, eine riesige Wolke türmte sich auf. Schließlich ein großer Feuerball und ohrenbetäubendes Brüllen. Sie warf sich auf den Boden, schützte ihren Kopf mit den Händen und einer Mütze. Dennoch, Michiko’s linke Gesichtshälfte war verbrannt. Neben sich sah sie eine Kameradin, deren Kleidung weg war, deren Haut sich löste, in Fetzen hing. Michiko flüchtete über einen Berg, wo eine Frau ihre Verletzungen mit einer geriebenen Kartoffel behandelte.


    Erst am nächsten Tag ging sie zurück. Ein langer Weg - durch einen Alptraum. Alles war zerstört, Glas und Eisen geschmolzen, der Asphalt brannte. Kein Baum mehr, kein Haus, nicht mal mehr Insekten. Menschliche Schatten in Steine gebrannt, bis zur Unkenntlichkeit verkohlte Leichen. Es war unvorstellbar, ein Bild des Grauens. Sie findet ihr Elternhaus - eine Ruine. Davor ihre Mutter, mit Verletzungen, denen sie später erlag. Ihr Vater und ihr kleiner Bruder waren verschwunden. Völlig kraftlos ließ Michiko sich neben ihrer Mutter nieder. So saßen sie, bis Soldaten kamen und sie zum Krankenhaus brachten.


    06.08.2005
    Die Stadt war nicht wieder zu erkennen. Heute leben hier 1,1 Mio. Einwohner und es ist die zehntgrößte Stadt Japans.
    Michiko lebt momentan in Tokio und es war der erste Jahrestag, den sie hier verbrachte, in der „Gedenkstadt für den Frieden“ - in Hiroshima.

  • von Polli


    Herr von Olpe aus Olpe im Sauerland,
    ein Schwenkgrill in seinem Garten stand.
    Und kam die schöne Grillwurstzeit,
    die Holzkohle qualmte weit und breit,
    da packte, wenn’s Sechse vom Kirchturm scholl,
    Herr von Olpe die Plastikteller voll.
    Und kam der Nachbar, so rief er: „Heinz!
    Willste zwei Würstchen oder nur eins?“
    Und kam der andre von Hausnummer vier,
    dann rief er: „Erich, ich geb dir ein Bier.“


    So ging’s viele Jahre, bis irgendwann
    Herr von Olpe sich zu verändern begann.
    Es kam die goldene Grillsaison,
    sanft quoll der Rauch vom Schwenkgrill schon,
    da klagte von Olpe: „Ich kann nicht mehr.“
    Er gab Schürze, Zange und Bierglas her,
    schob unter Tränen den Teller weg,
    das Bauchfleisch auch und das Besteck.
    Die Gattin, Ratlosigkeit im Gesicht:
    „Schatz, schmeckt etwa heute das Bauchfleisch nicht?“
    Von Olpe sagte: „Mit Grillen ist’s aus.
    Ich mag nicht mehr essen, ich gehe ins Haus.“


    Die Familie war sprachlos und ungewiss.
    Des Rätsels Lösung: Am Kaugebiss
    hatte Löcher genagt der Zahn der Zeit,
    Ruinen leuchteten weit und breit,
    und biss Herr von Olpe in knusprige Krusten,
    dann schmerzten die Zähne, was die Leute nicht wussten.
    Und sagte der Heinz: „Junge, trinkste eins mit?“,
    dann verbarg er mit Mühe die Pein, die er litt.


    Die Zeit verstrich. Der Zahnschmerz zwang
    Herrn von Olpe zum elenden Büßergang.
    Er besuchte den Zahnarzt. Der sagte nur:
    „Nichts als Ruinen auf weiter Flur.
    Sehr mühsam ist’s, sie abzuräumen.
    Da hilft es nicht, sich aufzubäumen.“
    Von Olpe mochte nicht mehr sitzen.
    Der Doktor zwang ihn mit vier Spritzen.
    Es wurde dämmrig, schwarze Nacht,
    und als von Olpe neu erwacht,
    da spürt er Taubheit weit und breit,
    die Ruinen sind fort, das wurde auch Zeit!
    Erleichert ruft er: „Fort die Pein!
    Fum nächften Grillfeft lad ich Fie ein!“


    Er eilt nach Haus. Ach, welch Verdruss,
    als er im Spiegel sehen muss,
    dass statt Ruinen in dem Munde
    nichts weiter ist als eine Wunde.
    Ganz zahnlos sieht er sich als Greis,
    empört ruft er: „Was für ein Scheiß!
    Ich bin untauglich ohne Zähne,
    was ich bald vor Gericht erwähne!“
    So schimpft er laut. Das ist nicht recht.
    Er kennt den Zahnarzt leider schlecht.
    Der wusste, was er damals tat,
    als er ihn zur Behandlung bat.


    Er schreibt ihm: „Kommen Sie bald her
    zur Zahnanpassung, bitte sehr!“
    Ein neues Gebiss hält er bereit,
    die Zähne leuchten weit und breit,
    er setzt es ein, tatsächlich, es passt,
    Herr von Olpe ist selig. In seiner Hast
    zieht’s ihn nach Haus und er freut sich schon
    auf die Neueröffnung der Grillsaison.


    Von der Geschichte die Moral:
    Der Zahnschmerz führt zur Höllenqual.
    Es bremst den Grillfreund ganz gewiss
    ein ruiniertes Zahngebiss.
    Wer Liebe hegt zu Steak und Würsten,
    muss täglich seine Zähne bürsten.

  • von Churchill


    „Ich geh’ ins Bett.“ Er steht aus dem Sessel auf, stellt den Fernseher aus und dreht sich in Richtung Tür.
    „Warte! Wir müssen reden! Seit Stunden sitzt du hier, sprichst kein Wort und jetzt gehst du einfach ins Bett? Was hast du dir eigentlich dabei gedacht? Du hast alles zerstört, was wir in den Jahren aufgebaut haben. Deine Karriere, dein Ansehen, deine Familie. Einfach so alles kaputt gemacht. Ist dir das klar???“


    „Du hast Recht. Aber ...“ -


    „Was heißt hier aber? Wer hat damals gearbeitet, um dein Studium zu finanzieren? Ich. Auch als ich schwanger war. Du hast dich um gar nichts gekümmert. Nie im Haushalt geholfen. Mit den Kindern wolltest du auch nie etwas zu tun haben. Immer dreht sich alles um dich. Wenn ich dich nicht ständig angeschoben hätte, würdest du heute noch faul vor dem Fernseher hocken und gar nichts besitzen. Wir haben zwei liebe intelligente Kinder, du hast einen ordentlichen Beruf, und ich habe dir immer Zeit gegeben für dein nutzloses Hobby. So eine brotlose Kunst! Lieder machen, die keiner hören will. Texte fabrizieren, die niemand versteht. Alle Freiheiten habe ich dir gegeben. Und du? Steigst mit der erstbesten Schlampe ins Bett ! Hast du dein bisschen Hirn versoffen? Alles hast du riskiert und alles verloren !“


    „Weißt du...“ –


    „Ja, ich weiß. Ich habe immer gewusst. Du bist derjenige, der gar nichts weiß. Vom Leben hast du doch überhaupt keine Ahnung. Wer sich auf dich verlässt, der ist verlassen. Wie stellst du dir eigentlich vor, dass es weitergeht? Glaubst du etwa, ich werde dich da rausholen? Wieder einmal? Nein, da hast du dich geschnitten. Nie mehr werde ich etwas für dich tun. Das hast du dir selbst eingebrockt.“


    Er geht einen Schritt auf sie zu, versucht, die Hand auf ihren Arm zu legen. Sie weicht zurück. Ihre Augen sprühen.


    „Fass mich nicht an! Hast du jemals mit deinen eigenen Händen etwas Sinnvolles getan? Nein, hast du nicht! Was du bist, hast du allein mir zu verdanken. Ich habe alles aufgebaut. Und du hast alles ruiniert. Was du anfasst, geht kaputt. Unser ganzes Leben liegt in Trümmern. Glaubst du, dass noch irgendjemand etwas mit dir zu schaffen haben möchte? Was willst du tun? Was kannst du überhaupt?“


    „Bauen. Aufbauen.“


    „Da gibt’s nichts wieder aufzubauen! Es ist aus. Wenn ich das schon höre. Du und aufbauen. Dass ich nicht lache! Was willst du schon bauen?!“


    Ihr den Rücken kehrend öffnet er die Tür.


    „Bestimmt nicht deinen Palast. Aber eine kleine Hütte. Meine.“


    Er schließt die Tür hinter sich, nimmt die Gitarre und den Bleistift und beginnt sein neues Lied.

  • von Eskalina


    Es ist der lange Sommer, der mich immer wieder in schwere düstere Tagträume verfallen lässt, der dafür sorgt, dass ich die Nächte umherwandere, immer auf der Suche nach ihm. Manchmal liege ich stundenlang mit offenen Augen dort auf meinem Satinkissen - ich liebe den kühlen Stoff, der sich so wunderbar erfrischend und tröstend anfühlt, wenn ich mein erhitztes Gesicht in ihm vergrabe - und in diesen endlosen Stunden erträume ich ihn mir wieder zurück. Wenn der leichte warme Sommerwind eine Brise durch die alten Fensterläden, die noch nie dazu taugten, ihn fernzuhalten, schickt, dann schwebt mit ihm eine sanfte Ahnung, eine Verheißung in den Raum, die mein Herz schneller schlagen lässt." Heute Nacht - heute Nacht kann es sein!" - Dieser Gedanke bewirkt fast körperliche Schmerzen und ich muss einfach aufstehen und durch die endlos langen Gänge nach draußen auf den Hof eilen, um nach ihm Ausschau zu halten.


    Hier auf dem Hof hat es begonnen damals, und hier werde ich ihm wieder begegnen. Das sagt mir mein Gefühl, das sagt mir der Wind, der in immer neuen Liedern vom Schicksal erzählt. Seine Geschichten sind unterschiedlich, wie die Jahreszeiten. In kalten Winternächten pfeift er drohend, fast grausam winselnd durch das Gemäuer und erzählt von Kriegen, Krankheiten und vom Tod. Doch jetzt in diesen Nächten, legt er sich wie ein zarter Schleier über das Gemüt und überzieht mich trotz seiner heuchlerischen Wärme mit einem Raureif der Sehnsucht, der Erinnerungen. - Bilder erscheinen in mir. - Als wäre es erst gestern, dass ich dort in einer Sommernacht wie dieser, mit den anderen an der langen mit Blumen geschmückten Tafel saß und der Musik lauschte.


    Ich weiß nicht, wann ich auf ihn aufmerksam wurde, doch auf einmal waren unsere Blicke ineinander gefangen, ließen uns ertrinken und warme Wellen eines unbeschreiblichen Gefühles durchliefen meinen Körper. Wir verstanden uns ohne Worte und als die Lieder schneller wurden und zum Tanz einluden, da stand er auf und kam auf mich zu - Und ich sah ihn in seiner Schönheit vor mir stehen. Wie kann ich ihn beschreiben, ohne dass die Liebe meine Worte unglaubwürdig macht? Diese braunen Augen, in denen ein Feuer zu lodern schien und die in mir Schauer der Erregung verursachten - Die zarte helle Haut, die den Wunsch nach Berührung in mir übermächtig werden ließ. Ohnmächtig fühle ich mich, zu formulieren, was ich empfand, als wir uns im Tanz miteinander, umeinander drehten. Schneller, immer schneller wurde die Musik und heftig, immer heftiger unser Begehren aufeinander. Der dünne Stoff meines Kleides war feucht von der Hitze der Nacht, des Tanzes und meiner Lust auf ihn.


    Hier auf dem Hof war es und es ist lange her, als ich ihn küsste. Es mögen zweihundert Sommer ins Land gegangen sein seitdem,vom Haus geblieben ist nur noch eine Ruine, doch in Nächten, wie dieser, schmecke ich immer noch sein warmes köstliches Blut auf meinen Lippen und der Wind bringt mir sein Stöhnen zurück, zusammen mit der Ahnung, dass es wieder geschehen wird…in einer Nacht wie dieser.

  • von Trugbild


    Ja, er war ein Wrack. Ein gekentertes Schiff. Ein in sich zusammen gefallenes Gebäude. Eine Ruine. Und wie er so in den Badezimmerspiegel blickte, so sah er einen verwitterten, mit tiefen Kerben gefurchten Turm mit schwarzen Löchern und moosbewachsenem Haupt – einem spärlich mit Moos bewachsenem Haupt.


    Gähnend löste Karl den Blick vom Spiegel und drehte den Wasserhahn auf. Kaltes Wasser sprudelte ins Becken und als er die zittrigen und fleckigen Hände nass werden liess, zog sich die faltige Haut über seinen krummen Fingern und dem ausgemergelten Handgelenk wie gestraftes Leder zusammen und er stöhnte vor Schmerzen. Karl war am Ende seiner Tage – er war sich sicher. Aber er konnte auf ein erfülltes Leben zurückblicken. Ja, er hatte gelebt. Seinen eigenen Gedanken zustimmend nickte er – so weit es sein starres Genick zuliess. Er versuchte es auch mit einem zustimmenden Brummen, doch es wurde zu einem krächzenden Husten – begleitet von braunem Auswurf, den er angeekelt ins Becken spuckte und schnell runterspülte.


    Karl hatte gefeiert, hatte sich mit Frauen vergnügt – und das waren nicht wenige gewesen, hatte ohne Ende Zigaretten und Zigarren geraucht, viel Alkohol getrunken und war auch anderen Drogen niemals abgeneigt gewesen. Wie oft war er so wunderbar betrunken gewesen, dass er es kaum mehr nach Hause geschafft hatte – wie oft HATTE er es tatsächlich nicht nach Hause geschafft oder war in einem fremden Bett aufgewacht? Oh, das hatte Spass gemacht. Karl versuchte zu lächeln, brachte aber nur ein schmerzverzerrtes Grinsen zu stande. Was hätte er vom Leben je mehr erwarten können?


    Nun war er eine alte, ruinierte Ruine, die kurz vor dem entgültigen Zusammenfall stand. Aber was wollte er mehr? Wenn er noch einen Wunsch frei hätte, was würde er sich denn noch wünschen? Naja... vielleicht, dass er noch seinen 30. Geburtstag erlebt...

  • von Tom


    Am 7. Oktober 2017 lehnte die Weltbank Deutschlands Antrag auf Schuldenerlaß ab. Zwei Tage später verband Kanzlerin Hildegard „Hildchen“ Krause den Entschließungsantrag auf Privatisierung des einzigen verbliebenen Staatsbesitzes - des Regierungsviertels in Berlin - mit der Vertrauensfrage. Erwartungsgemäß wurde der Antrag mit großer Mehrheit abgelehnt; nicht erwartet worden war die einstimmige Ablehnung. Neuwahlen zum Deutschen Bundestag wurden für Sonntag, den 12. November ausgeschrieben. Bundespräsident und Verfassungsgericht erklärten die Auflösung des Bundestages für rechtens.
    Nach einem unspektakulären Wahlkampf vereinigte die zwei Jahre zuvor gegründete SMNDSD (staatsmonopolistisch-nationaldenkende Sozialisten Deutschlands)76 Prozent der Zweitstimmen auf sich und stellte damit eine Dreiviertelmehrheit, gestützt durch durch entsprechende Verhältnisse im Bundesrat, die sich während der zehn Landtagswahlen der vergangene Jahre ergeben hatte.


    Nach Regierungseinsetzung und Wahl von SMNDSD-Spitzenkandidat Georg Lasi zum Bundeskanzler folgte das zweitgrößte Bauprojekt der Menschheitsgeschichte, der Wiederaufbau der Mauer - allerdings um die Außengrenzen Deutschlands. Sämtliche internationalen Kommunikationsverbindungen wurden gekappt, das Internet in ein zensiertes „NatioNet“ umgewandelt, Mobilfunk und Satelliten-Uplinks abgeschaltet. Alle internationalen Wirtschaftsverbindungen wurden für nichtig erklärt, Konzerne in internationalem Besitz wurden verstaatlicht, ebenso alle Betriebe mit einem Stamm von über zehn Mitarbeitern. Für sämtliche Werktätigen, Rentner und Arbeitslosen wurde ein nivelliertes Pauschalgehalt festgesetzt, unabhängig von Arbeitszeit, Ausbildung oder Verantwortung. Gewinn wurde verboten. In sämtlichen Konsumsparten wurden alle Produkte mit Ausnahme des jeweils am schwächsten positionierten vom Markt genommen, entsprechende Herstellerbetriebe wurden geschlossen, der Einzelhandel zentralisiert („Volksläden“). Alle Kulturschaffenden wurden in der Dachorganisation „Volkskultur“ (VK) zusammengefaßt; Publikationen kontingentiert. Mit Ausnahme von ARD und ZDF schaltete man sämtliche Rundfunksender ab. Das Programm von ARD und ZDF (fortan „Volk 1“ und „Volk 2“) wurde in ein striktes Bildungs- und Informationsformat überführt. Eine tägliche Ansprache von Georg Lasi wurde obligat.


    Das rigide umgesetzte Regierungsprogramm umfaßte siebentausend Seiten und vierundzwanzigtausend Einzelentscheidungen, etwa diejenige, Straßennamen abzuschaffen und ein Nummerierungssystem einzuführen, oder ein generelles Verbot sämtlicher Drogen, einschließlich Nikotin und Alkohol. Die Namensgebung für Neugeborene wurde ebenfalls in staatliche Hände überführt, eine eigens geschaffene Kommission wurde eingesetzt, um die Vornamen sämtlicher unter 18jährigen zu kontrollieren und ggf. zu ändern, was vor allem die vielen Kevins, Mandys usw. traf. Natürlich wurde der Adel abgeschafft, wie auch entsprechende Nachnamen. Landbesitz und Wohneigentum ab einer Größe von 50 bzw. 15 Quadratmeter je Person wurde zu öffentlichem Raum erklärt. Der Besitz und das Führen von privaten Kraftfahrzeugen jeglicher Art wurde verboten. Die Außenwände von Häusern und Bauten waren innerhalb von zwölf Monaten grau anzustreichen (volksgrau, auf der Farbskala genau so weit von weiß weg, daß ein schmutzig wirkender Unterschied zu erkennen ist).


    Die „Neue Volksrepublik Deutschland“ (NVRD) gab sich eine rote Fahne mit einem stilisierten grauen Spatzen als Nationalsymbol. Die Hymne „Einigkeit und Recht und Freiheit“ wurde zugunsten der alten DDR-Hymne abgeschafft, und im Gegensatz zu DDR-Zeiten durfte der Text wieder mitgesungen werden, allerdings wurde die vierte Textzeile geändert:


    Auferstanden aus Ruinen
    Und der Zukunft zugewandt,
    Laß uns dir zum Guten dienen,
    Deutschland einig Mutterland.


    Fünf Jahre später, im Frühsommer 2022, kauften die Chinesen das marode Land auf und wandelten es in einen Freizeitpark für die eigene, blühende Tourismusindustrie um.

  • von Callabluete


    Zitternd stand sie im Mondschein, immer wieder hörte sie die Schreie.
    Als sie sich umsah und ängstlich auf die Ruine schaute überkam sie ein Schüttelkrampf. Sie sank weinend und mutlos auf die Knie. –Was war bloß passiert?-, Fragte sie sich immer wieder. Plötzlich hörte sie ein Geräusch. „Tim?“, Rief sie zaghaft. Vorsichtig lief sie auf die Steinreste zu. „Tim? Bist du das?“, Rief sie etwas lauter. Aus der Ruine vernahm sie ein stöhnen und eilte hin. Da lag er, schwer atmend und verwundet. „Oh mein Gott!“ Sie ließ sich neber ihm nieder und hielt seine Hand. „Ich hole Hilfe.“ „Sara...“ Seine Stimme war sehr schwach. „Ja?“ „Es ist unter uns...“, Röchelte er. „Ich weiß jetzt wer hier wohnte...“ Erschrocken riss sie die Augen auf. „Wer?“ Es bereitete ihm sichtlich mühe die nächsten Worte zu formen. „Sie lebt hier. Schon sehr lange. Sie kann...“ Er fiel in eine Ohnmacht. Sara sah sich seine Wunden genauer an, viele Kratzwunden und Bissspuren. –War das ein Tier?- , fragte sie sich.


    Tim kam nie wieder zu sich. Seine Verletzungen waren zu schwer. Sara hatte nicht erfahren wer sich in der Ruine aufhielt.
    Eines Tages fasste sie den Entschluß noch einmal dorthin zu gehen.
    Wieder stand sie vor der Ruine, nur diesmal war es hellichter Tag. Vorsichtig betrat sie sie. Sara hielt sich an einem Stein fest, der trotz der Sonne eiskalt war. Tim hatten damals eine Treppe gefunden, die sie unter die Erde brachten. Sara hatte große schwierigkeiten sie zu finden, damals war sie Tim gefolgt und hatte nicht weiter darüber nachgedacht wo der Einstieg war.

    Als Sara wieder aufwachte hatte sie große Kopfschmerzen. Sie konnte sich nur daran erinnern, daß sie auf einmal ins leere getreten war und fiel.-Na ja jetzt hab ich den Einstieg gefunden.- Mühsam rappelte sie sich auf und schaltete ihre Taschenlampe an.
    Wie damals lag vor ihr ein großer dunkler Gang. Sie folgte ihm, ein geräusch ließ sie aufhorschen. Als sie näher kam merkte sie, das es ein Summen war. Ängstlich schaute sie in den Raum, da saß etwas. Bevor Sara was sagen konnte sprach das Wesen: „Warum bist du hier? Vor langer Zeit mußte dein Freund für seine neugier sterben.“ Sara hielt den Atem an. „Er erzählte mir er wüßte wer hier wohnt.“ „Das ist war. Willst du es wissen?“ Unsicher nickte sie. „Na gut. Ich wohne hier. Mein Name ist Annabell. Damals war das hier eine wunderschöne Burg, doch jetzt ist sie nur ein haufen dreck. Als wir überrant wurden, schwor ich dem Mann der mich umbrachte, Rache! Ich habe meine Aufgabe noch nicht erfüllt. Tim war ein Nachfahre von ihm, und er hinterläßt etwas.“ „Was?“ „Dich! In dir!“ Sara horschte in sich hinein. Sie spürte seit längerem das etwas vor sich ging. „Dein Kind. Ich muß es töten, dann kann ich diese Ruine verlassen.“ Sara drehte sich um und rannte davon. Kurz vor Treppe wurde sie von einem Wolfähnlichen Tier angefallen. Ihre letzten Gedanken waren, -Das also hat Tim umgebracht!-

  • von Marlowe


    „Routineauftrag 08/15, wir landen mal wieder auf einen Planeten,“ meldete Major Rogers gelangweilt.


    „Würden Sie bitte eine korrekte Meldunge abgeben,“ tadelte die Computerstimme des Mutterschiffes.


    „Blablabla, Computer, Du weißt, wo wir sind und wo wir landen, also notiere es in deinem Log und genieß die Freizeit. Rogers, Ende.“


    Er grinste seine Mannschaft an und meinte: „So macht man das, ich bin doch kein Sklave eines simplen Rechners.“


    „Das habe ich gehört und notiert, Major Rogers,“ meldete sich der Hauptrechner pikiert.


    „So muss es sein, das ist dein Job,“ bestätigte Rogers, „und... Landung in drei, zwei, eins Seku.... Landung erfolgreich!“


    Das Shuttle hatte erfolgreich aufgesetzt. Rogers setzte seinen Helm auf. „Na los, meine Herren, auf, auf. Wir sind ein Erkundungskommando. Raus aus dem Schiff und sofortige Meldung, wenn ihr was Außergewöhnliches entdeckt“


    Rogers und seine beiden Besatzungsmitglieder verließen das Schiff, stolperten über eine Anhöhe und blieben erstaunt stehen.


    „Major Rogers?“ Sergeant Wolfers schien verwirrt und sah angespannt in die Ferne.


    „Sergeant, was ist denn?“, fragte Rogers.

    „Von wegen Leben möglich, hier ist alles flach, hier gibt’s ja noch nicht mal Ruinen!“

  • von Auryn


    George: „Hey, Jacky Boy, was ist dir denn für eine Laus über die Leber gelaufen? George zieht sich einen Barhocker heran. Du siehst so verdammt nachdenklich aus. Versuchst du gerade Einsteins Relativitätstheorie zu verstehen?“ Er lacht laut auf und schlägt sich grölend auf seine Oberschenkel.
    Jack: „Ich denke über mein Leben nach, mein bisheriges, mein jetziges, mein zukünftiges. Glaub mir, die Relativitätstheorie ist ein Klacks dagegen.“
    „Da lag ich doch beinahe richtig. Ich wusste schon immer, dass du bei uns Bauarbeitern nichts zu suchen hast, du kleiner Philosoph!“
    „Weißt du, was mein Leben ist?“
    „Flüchtiger Schaum über dem Meer des Leidens?“ George brüllt abermals unkontrolliert auf. Glotz nicht so Kumpel, auch ich wurde in der Schule mit Hesse gequält!“
    „Nein, nicht mein Leben. Ich meine eher meine Seele. Weißt du, was meine Seele ist?“
    „Mm, kein Meeresschaum? Vielleicht … Bierschaum? Er will ein drittes Mal lachen, aber Jack starrt ihn eisig an. Äh … keine Ahnung.“
    „Eine Ruine.“
    „Eine Ruine?“
    „Eine verdammte Ruine.“
    „Bist du sicher Bruder? Ich glaube, das wäre etwas problematisch.“
    „Ja.“
    „Mm.“ Georges Gesichtsausdruck ist nun doch ernst geworden.
    „Ein verfallenes, fehlerhaftes, morsches Gemäuer.“
    „Was ist los? Ist es ein Mädchen?“ Er legt ihm verständnisvoll die Hand auf die Schulter.
    „Ich höre die Balken schon knarren und den Putz rieseln.“
    „Man kann Ruinen wieder aufbauen.“
    „Das bezweifle ich.“
    „Wieso?“
    „Bei manchen ist es zu spät.“
    „Tja, aber leider bist du noch Grün hinter den Ohren und ich bin hier der Fachmann. Nicht jede Ruine, die von außen verloren aussieht, kann nicht gerettet werden.“
    „Und woher willst du wissen, wie’s bei mir aussieht?“
    „Ich kenne dich, Jack. Von außen mag sie baufällig und schwach aussehen, aber das Fundament ist stark und belastbar.“
    „Und wenn es von den Trümmern vollständig verschüttet wird, für immer verloren, in die ewige Dunkelheit verdammt?“
    „Jetzt übertreibst du aber Jack. Im eigenen Mitleid zu schwimmen war schon immer deine Stärke. Das nächste Mal bringe ich dir ein Quietscheentchen mit.“
    „Und du nimmst mich nie Ernst!“
    „Jetzt hör mir mal zu, Kumpel.“ Er dreht Jack zu sich herum und legt ihm beide Hände auf die Schultern. „Du hast dich einfach in etwas hineingesteigert.“
    „Und wenn nicht?“
    „Dann bin ich für dich da … oh mein Gott, hört sich das schnulzig an. Wehe, du erzählst das hier jemandem.“
    „Werd’ ich nicht.“
    „Vielleicht gibt’s bei dir einige spröde Steine, aber das lässt sich leicht ausbessern, wenn man nicht zu lange wartet.“
    „Und wenn der spröde Stein ganz unten liegt? Man versucht ihn auszubessern und dabei stürzt alles ein?“
    „Zweifelst du an meinen Fähigkeiten? Ich bin doch kein Anfänger! Da wird natürlich abgestützt!“
    „Okay, ich glaube dir, George.“
    „Dann wäre ja alles geklärt. Zwei Bier bitte! Er wendet sich zu der Kellnerin und hebt zwei Finger. Jacks Ruine ist abgestützt, meine Nerven sind am Ende … und jetzt lassen wir uns voll laufen! Wir wollen ja schließlich nicht, dass einer von uns beiden morgen doch noch in der Lage ist, jemandem von unserem philosophischen Diskurs zu erzählen …“

  • von Asrai


    Wir mieteten das Haus Anfang Juli von Madame D’Albert. Sie fühlte sich zu alt, um dort länger allein zu wohnen und war in eine Wohnung im Dorf umgezogen. Im Winter würden andere Leute das Haus mieten, aber für diesen Sommer gehörte es uns. Das Haus war groß und alt, dazu gehörten riesige Ländereien, die aber an Bauern und Viehzüchter verpachtet waren. Nur der Garten, der eigentlich ein etwas verwilderter Park mit jeder Menge Schnickschnack wie Heckenlabyrinth, künstlichen Ruinen und See war, gehörte diesen Sommer ebenfalls uns. Als sie uns die Schlüssel übergab, hatte Madame mit feinem Lächeln gesagt: „Lassen Sie sich davon bitte nicht beunruhigen, aber manche Leute sagen, es würde hier spuken.“
    „Dorfklatsch“, antworteten wir und lachten. Madame lächelte nur noch etwas mehr.
    Wir dachten nicht mehr an Geister, aber ich wurde eine Woche später daran erinnert, als ich auf dem Markt von der Butterfrau in ein Gespräch verwickelt wurde.
    „Das Haus D’Albert hat eine lange Geschichte“, sagte sie.
    „Ja, es ist sehr alt“, erwiderte ich. Sie nickte eifrig. „Es hat sich dort sogar mal jemand umgebracht und jetzt findet seine arme Seele keine Ruhe.“ Ich scheine sie skeptisch angeschaut zu haben, denn sie machte eine wegwerfende Handbewegung und lachte:
    „Naja, jedes alte Haus, das etwas auf sich hält, braucht sein Gespenst, nicht wahr?“
    Ich beschloss, den Kindern die Geschichte aus erziehungstechnischen Gründen vorzuenthalten. Sie würden andauernd Geister spielen und keiner fände mehr Ruhe.


    Es ist die erste Vollmondnacht in unserem Ferienhaus und es ist zu warm zum Schlafen. Ich liege wach, als ich Schritte höre und die Tür zum Garten, die trotz Litern von Öl immer noch quietscht. Ich stehe auf. Sind die Kinder aufgewacht? Ich sehe jemanden durch den Park gehen. Das hatte ich für nachts verboten. Ich folge der Gestalt durch die Hecken und Rabatten bis zu den künstlichen Ruinen am See. Dort bleibt die Gestalt stehen. Das ist kein Kind, sondern ein junger Mann. Der Fremde streicht über einige Steine in einer Mauer, dreht sich danach zu mir um und einen Lidschlag lang sehen wir uns direkt in die Augen. Dann wendet er sich zum Wasser und geht langsam hinein. Ich will ihn aufhalten, rufen, aber ich bin wie gelähmt. Diese Augen...
    Er ist verschwunden, als wäre er nie da gewesen. Ich trete ans Ufer und schaue mir schließlich die Mauer an, die er berührt hat. Im 19. Jahrhundert fand ein D’Albert künstliche Ruinen anscheinend sehr chic. Ich streiche mit den Fingern über die Spalten und fühle auf einmal etwas. Vorsichtig ziehe ich ein gefaltetes Stück Papier heraus. Ein sehr altes Briefchen.
    „Meine liebste Lisette, ich muss Dich sehen, zu lange waren wir getrennt. Ich erwarte Dich hier am See, morgen Abend wenn es 9 Uhr schlägt. Dein, sich nach Dir verzehrender und Dich ewig liebender Bertrand.“
    So wie es aussieht, hat sie den Brief nie erhalten.

  • von Sinela


    Müde blieb Sheila Ahern auf der kleinen Anhöhe stehen. Die Dämmerung wurde langsam zur Nacht, sodass sie kaum noch etwas erkennen konnte. Sie hatte sich verlaufen, hatte keine Ahnung mehr, wo sie sich befand. Irgendwo in der Nähe von Salisbury im Süden Englands, wo sie mit ihrem Mann einige Urlaubstage verbringen wollte. Verschwommen konnte sie einige Steingebilde in der Ferne ausmachen. Aufseufzend machte sich die junge Frau wieder auf den Weg. Es blieb ihr wohl nichts anderes übrig, als die Nacht hier zu verbringen. Zum Glück war es mild, sie würde nicht frieren müssen. Sie erreichte die großen Felsen und ließ sich an einem von ihnen auf den Boden sinken. Legte sich auf die Seite, zog die Knie an den Körper und war von einer Sekunde auf die andere eingeschlafen.


    Mit einem Ruck setzte sie sich auf. Waren da nicht Stimmen gewesen? Vorsichtig schaute sie sich um. Da waren Lichter, die wie Irrwische über die Steine huschten. Das musste ein Suchtrupp sein, den ihr Ehemann organisiert hatte. Sie sprang auf und lief laut „hier, hier!“ rufend auf die Helligkeit zu. Und erstarrte zu Stein, als sie diese erreicht hatte. Das war nicht Daniel, das waren Fremde. Sie waren in lange wallende Gewänder gehüllt und hatten dichte Vollbärte und lange Haare. Sheila wollte fliehen, doch es war zu spät. Die Männer umringten sie singend und tanzend. „Bitte, lassen Sie mich doch gehen!“ „Das können wir nicht. Du wurdest uns prophezeit, vor vielen Jahren schon. In der Lughnasad-Nacht würde eine junge Frau aus der Zukunft zu uns kommen und mit unserem Hohepriester das Kind der Hoffnung zeugen. Es wird in deiner Zeit dazu ausersehen sein, die Welt zu retten.“ Völlig verwirrt schaute Sheila den großen Mann an. „Zukunft? Kind der Hoffnung? Von was um alles in der Welt sprichst du da?“ „Wir schreiben das Jahr 515 und....“ Den Rest hörte Sheila nicht mehr. Eine gnädige Ohnmacht ersparte ihr die weiteren Ereignisse dieser Nacht.


    New York City, 9 Monate später. Wie so oft grübelte Sheila über die Ereignisse der damaligen Nacht. Selbst jetzt, kurz nach Geburt ihres Sohnes kamen ihre Gedanken nicht zur Ruhe. Sie war in den Ruinen von Stonehenge gefunden worden. Ein magischer Ort. Hatte sie nur geträumt oder hatte sie diese Leute dort wirklich gesehen? Sie schüttelte den Kopf. Daniel hatte sich halb totgelacht, als sie ihm davon erzählte. Die Tür öffnete sich und die Hebamme brachte ihr Kind herein. Es war gesund und endlich, nach langen Jahren des Wartens, war sie endlich Mutter geworden. Ihr Mann war mächtig stolz auf seinen Stammhalter. Die junge Frau nahm das Neugeborene und legte es an die Brust, wo es sofort zu nuckeln begann. Das Hemdchen, das es trug, verrutschte dabei leicht und voller Entsetzen starrte Sheila auf die rote Stelle, die ihr Sohn auf der Schulter hatte. Das Keltenmal! Dieses Baby war nicht von Daniel, sondern von einem Mann aus der Vergangenheit. In diesem Moment hörte das Kind zu saugen auf und sah sie an – mit uralten Augen.

  • von Hazel


    Ganz langsam öffnete er die Augen. Richtete seinen Blick auf das Zielobjekt. Oh mein Gott, das sah ja schlimmer aus als er befürchtet hatte! Voller Entsetzen sah er die Ruinen an. Klägliche Überreste einstmals so perfekter Gebilde. Zum Teil waren sie eingefallen bis auf die Grundmauern. Wie hatte es nur soweit kommen können? Er atmete seufzend ein. Klar, er hatte sich schon lange um nichts mehr gekümmert, um genau zu sein, seit er seinen Job verloren und ihn infolge dessen seine Frau verlassen hatte. Wieviele Jahre war das nun schon her? Fünf oder doch schon sechs? Er hatte immer mehr Alkohol getrunken um zu vergessen. Es war ihm alles egal gewesen, nichts hatte ihn mehr interessiert, nicht mal das eigene Überleben. Aber vor vier Monaten kam die Wende in Form eines Engels. Zumindest kam ihm Elsa so vor. Sie hatte sein wahres Ich gesehen hinter der Alkoholfassade und war nicht davon gelaufen wie all die anderen, die er angesprochen hatte. Angeekelt hatten sie sich abgewandt, von ihm, dem Säufer. Sie blieb bei ihm und gab ihm neuen Lebensmut. Seit zwölf Wochen hatte er keinen Tropfen Alkohol mehr angerührt. Als er an diese Zeit dachte, begann er zu zittern. Der Entzug war die Hölle gewesen, nie wieder wollte er sowas grauenvolles erleben müssen. Aber mit ihrer Hilfe hatte er es geschafft, sie war stark genug gewesen für sie beide, als er wieder schwach zu werden drohte. Nun wollte er die Ruinen wiederaufbauen lassen und Elsa damit überraschen. Die Frage war nur womit.


    "Tja, Herr Kaiser, das sieht schlecht aus." Zweifelnd warf der Bankier im Nadelstreifenanzug einen Blick auf sein auf der anderen Seite des Schreibtisches sitzenden Gegenübers. "Sie haben keinerlei Sicherheiten für einen Kredit." "Bitte, Herr Saibling, Sie waren meine letzte Hoffnung. Ich brauche das Geld. Ohne diese Sanierung ist mein Leben gelaufen, was habe ich denn sonst noch?" "Na gut. Ich werde es versuchen und mit meinem Vorgesetzten sprechen." Kurze Zeit später war der auf dem Stuhl sitzende Mann allein. Quälend langsam vergingen die Minuten, kamen ihm wie Stunden vor. Doch endlich öffnete sich die Tür und Herr Saibling betrat das Zimmer. Ging zu seinem Schreibtisch und lächelte den erwartungsvoll wartenden Mann an. "Nun, Herr Kaiser, ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht für Sie." Gespannt beugte sich der Angesprochene nach vorne. "Wir bewilligen Ihren Kredit - halt, freuen Sie sich nicht zu früh -, aber nur die Hälfe der Summe. Mehr ist einfach nicht möglich bei Ihren derzeitigen finanziellen Verhältnissen." Herr Kaiser war aufgesprungen und schüttelte Herrn Saiblings Hand. "Danke, vielen Dank, damit helfen Sie mir schon ungemein. Ich kann mit der Sanierung anfangen und alles weitere sieht man." Drehte sich mit Schwung um und ging. Herr Kaiser schaute ihm nachdenklich nach. Hoffentlich würde er nie so tief fallen.


    Drei Wochen später. Mit Herzklopfen und weichen Knien stand Wolfgang Kaiser vor dem Haus. Bald würden seine Ruinen der Vergangenheit angehören. Er gab sich eine Ruck und öffnete die Tür zur Zahnarztpraxis.

  • von Waldfee


    Gesa ging weiter. Jeder Schritt war eine Qual. Ein Stein lag auf ihrem Brustkorb, ein Fels, ein Bergmassiv. Endlich entzog sie Joachim ihre Hand. Gleich fühlte sie sich besser.


    Joachim drehte den Kopf. Natürlich schaute er sie an. Er wollte eine Erklärung für ihr Verhalten. Sie waren doch immer zusammen gegangen – Gesa und Joachim. So viele Jahre: Joachim und Gesa. Und die Kinder.


    Gesa starrte stur geradeaus. Vor ihnen lag eine der Straßen Pompejis, Stein an Stein unter der glühenden Julisonne. Nur das Konzert der Grillen lag über der Stille. Totenstille, dachte sie.


    „Kaum zu glauben, dass es hier mal Leben gab.“ Sie schirmte mit der Hand ihre Augen ab und beobachtete zwei Touristen, die in der Ferne die Straße kreuzten.


    Sie hatte diesen Urlaub gewollt. Herausfinden, was noch übrig war und was noch passte, wer zu wem. Sie hatte große Hoffnung in diesen Urlaub gelegt – immer dann, wenn Joachims Anblick ihr Herz erfreute, die immer noch drahtige Statur, die ergrauten Haare und der zufriedene Blick, wenn er am Frühstückstisch die Zeitung las. Aber im nächsten Moment sagte er etwas, das allem widersprach. All ihren Wünschen und Sehnsüchten, ihrer Vorstellung vom Leben zu zweit. Zuerst waren die Kinder gegangen. Dann die Zufriedenheit. Und dann die Liebe.


    „Das war nicht einfach, so ein Leben auf dem Vulkan.“ gab Joachim zu bedenken, und sie war sicher, er sprach über Pompeji.


    Sie hatte versucht, sich wieder an die Zweisamkeit zu gewöhnen, doch Gesa fühlte sich verlassen. Sie wurde wütend, wenn Joachims Lebensauffassung ihre eigene kreuzte, machte ihm Vorwürfe, dass er sich treu blieb. Sie war jung genug für guten Sex, für eine Reise nach London, für einen Drink in einer Bar, für neue Interessen und neue Bekanntschaften. Aber Joachim war so enervierend genügsam, so widerlich zufrieden. Sie war noch nicht zu alt für eine neue Liebe.


    Seite an Seite durchquerten sie die Überreste vergangener Zeiten. Vor der einen oder anderen Ruine blieb Joachim stehen und las aus dem Reiseführer vor. So wie früher. Wie immer, wenn sie auf Reisen waren. Sie wollte das nicht hören. Die Dramen und Tragödien, die sich hier abgespielt hatten, Handel und Glücksspiel, Liebe und Intrigen, Aufstieg und Fall. Geschichten, die lange vorbei sind, ihre Schauplätze in Millionen Fotoalben verewigt, in Lava gegossen.


    „Hoffentlich nicht für die Ewigkeit.“ murmelte Gesa.


    Joachim unterbrach seinen Vortrag und schaute sie an: „Was ist eigentlich los, Gesa?“ Ihre Augen brannten. „Ich möchte, dass wir uns trennen.“ sagte sie leise und zum ersten Mal in all den Jahren, die hinter ihnen lagen. „Ich weiß.“ Joachim nickte. Keine Fragen, keine Vorwürfe, kein Versuch, sie zu halten. Nur: Ich weiß. Er hatte immer alles über sie gewusst.


    Am Ausgang nahm sie seine Hand. „Ich freue mich auf Zuhause.“ sagte Joachim. Und Gesa weinte.

  • von Imandra


    Anfangs war ich unansehnlich. Nass und stinkend. Keiner wagte sich an mich heran. Nur totes Leben nahm ich auf.


    Doch dann geschah es! Meine Feuchtigkeit, die der Auslöser für meine Unbeliebtheit war verschwand. Man half mir, das Wasser von mir fern zu halten. Dies war der erste Schritt zu meiner Beliebtheit, die ich in der nächsten Zeit errang.


    Ich begann zum Mittelpunkt der Lebenden zu werden. Egal ob es sich um Geschäfte, Feiern oder Versammlungen ging. Jedes Mal nahm ich eine besondere Stellung ein. Ohne mich, so dachte man, würde alles den Bach runter gehen. Ich sah zu wie Feste, Prozessionen, und Gerichtsurteile abgehalten wurden.
    Lachende Gesichter und weinende Gesichter. Entsetzen und Furcht. Blut und lebensspendendes Wasser.
    Dies alles verkörperte ich. Feuer konnte mich nicht auf lange Zeit verbrennen. Andauernd achtete man auf meinen prachtvollen Zustand. Ich wurde immer weiter verschönert. Alle waren stolz auf mich. Sie wollten mich nicht missen. Ich war das Symbol der Siegreichen, der Mächtigen und des Stolzes eines ganzen Volkes. Das ich einmal vergehen werde, hätte sich keiner erträumen lassen.


    Irgendwann war die Aufmerksamkeit, die man mir geschenkt hatte verschwunden. Der langsame Prozess des Verfalls begann. Hier verbrannte ich. Dort wurde ich beraubt. Das Schlimme war, ich hatte keine Kraft dagegen anzukämpfen. Ohne die Unterstützung meiner Freunde war ich schwach. Zu schwach, um von alleine zu überleben.
    Meine Bedeutung verlor ich über lange Zeit jedoch nicht. Teilweise versuchte man sogar mir eine neue Aufgabe zu zuweisen. Die Versuche waren jedoch umsonst, da ich schon lange nicht mehr in bester Verfassung war, wollte keiner mehr genug in mich investieren, damit ich zu meinem alten Glanz zurückkehren konnte.


    Lange Jahre schlief ich nun unter einer Decke aus Erde und Steinen. Meine eigenen Überreste waren zum großen Teil geraubt worden und nur noch weniges verblieb mir. Nun war ich vollends vergessen worden. Sogar meine Bedeutung, die mich noch über einige Jahre am Leben erhielt. Wenn auch mehr schlecht, als Recht.


    Vor kurzer Zeit wurde mein Schlaf dann gestört. Die Menschen begannen mich auszugraben. Sie versuchten meine Bedeutung wieder zu entdecken. Sie rekonstruierten meine Aufgaben und mein Aussehen. Sie pflegen das, was von mir übrig ist, auch wenn ich scheinbar nie wieder in alter Pracht erstrahle. Zwar werde ich nicht mehr zu meinem ursprünglichen Zweck benutzt, aber ich habe wieder Symbolcharakter. Ich repräsentiere wieder ein stolzes und siegreiches Volk. Ich repräsentiere eine längst vergangene Zeit von Heldentaten und Blutvergießen. Ich repräsentiere mich.


    Eines habe ich daraus gelernt: Ich werde ewig leben, solange meine Bedeutung nicht verloren geht. Von Menschen wurde ich erbaut. Von Menschen wurde ich vergessen. Von Menschen wurde ich wiederentdeckt. Ich lebe durch die Menschen und solange sie mich pflegen und meine Aufgaben überliefern, werde ich ewig existieren. Nicht im Verborgenen, sondern im Offenen. Um daran zu erinnern, was einst war und was geschieht, wenn ein Volk vergisst.


    Doch heute stehe ich in den Büchern unter meinem alten Namen, auch wenn von mir nur noch Ruinen übrig sind: Forum Romanum.