Atem Augen Erinnerung - Edwidge Danticat

  • literarische Weltreise: Haiti


    Dies ist die Geschichte von Sophie, einem Mädchen, das in Haiti bei ihrer Tante in ärmlichen Verhältnissen aufwächst, aber dennoch eine sorglose Kindheit verlebt. Ihre Mutter kennt sie nur von einem Foto, da sie in New York lebt, um Geld für die Familie zu Hause zu der verdienen. Umso größer ihr Schock, als sie, mittlerweile zwölf Jahre alt, erfährt, dass ihre Mutter sie zu sich nehmen will. Dort angekommen, muss sie erfahren, dass mehr hinter der Flucht der Mutter steckt. Etwas, dass viel mit der haitianischen Gesellschaft und ihren tradierten Werten zu tun hat, mit Traditionen, denen sie sich selbst als amerikanische Großstädterin nicht entziehen kann.


    Das war genau so ein Roman, wie ich ihn normalerweise weiträumig gemieden hätte: Ein Frauenschicksal in einer traditionellen, patriarchalischen Gesellschaft. Aber Haiti war nun mal dran, und eigentlich war das ein faszinierendes Buch. Die Ich-Erzählerin steht zwischen den Welten, auf der einen Seite das ländliche Haiti, mit ihrer Tante, die sie liebt, den vertrauten Gerüchen, der lebendigen Dorfgemeinschaft. Auf der anderen Seite das relativ freie, anonyme Leben in New York, wo keine bösen Geister in den Wäldern hausen und überkommene Traditionen das Leben der Frauen schwer machen. (Männer kommen in dem Roman nur am Rande vor und dabei nicht sonderlich gut weg.)
    Als es zum Bruch mit ihrer Mutter kommt, kehrt Sophie mit ihrer kleinen Tochter zu ihrer Familie nach Haiti zurück, um hier Antworten auf ihre Fragen zu finden.


    Im Grunde ist dieser Roman eine Selbstfindungsgeschichte, die von den Schilderungen des Lebens auf Haiti lebt. Und zwar nicht das Leben eines von Militärputschen und Naturkatastrophen gebeutelten Volkes, sondern das einer Gesellschaft, die fest in ihren Traditionen verwurzelt ist, mit allen Vor- und Nachteilen.
    Trotz des nicht gerade seichten Stoffes liest sich das Buch weg wie nix, man ist sofort drin in dieser archaischen Welt, die Figuren sind keineswegs eindimensional und die Geschichte völlig kitschfrei und unsentimental.

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)

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