Hervé Jaouen - Pardon, Monsieur, ist dieser Hund blind? (ab 12)

  • Inhalt:
    Veros Großmutter, von allen nur liebevoll Omama genannt, war immer eine agile, geistreiche Frau. Doch in letzter Zeit vergisst sie häufig etwas und als sie beinahe ihr Haus in Brand steckt, muss die Familie erkennen, dass Omama nicht mehr alleine leben kann. Kurzerhand quartieren sie die alte Dame in Veros Zimmer ein und harren der Dinge, die kommen. In lichten Momenten ist Omama ganz die Alte, doch die Phasen, in denen sie durcheinander ist, sich im Krieg, ihrer Kindheit oder Jugendzeit befindet und völlig unberechenbar wird, folgen in immer kürzeren Abständen aufeinander. Doch die Familie ist bereit, Omama durch diese Zeit zu begleiten und kommt sich dabei näher als jemals zuvor.


    Meine Meinung:
    Tiefgründig und eindrucksvoll, aber immer mit einer Prise Humor, setzt sich Hervé Jaouen in seinem Jugendroman „Pardon, Monsieur, ist dieser Hund blind?“ mit dem Thema Alzheimer auseinander. Erzählt wird die Geschichte aus der Sicht der dreizehnjährigen Vero, deren Großmutter an Alzheimer erkrankt und von Veros Familie aufgenommen wird. Das Familienleben wird dadurch alles andere als einfach, doch Vero, ihre Eltern und ihr Bruder Guillaume geben sich alle Mühe, Omama ihre verbleibende Zeit so angenehm wie möglich zu machen. Dabei gehen sie häufig etwas unkonventionell vor und schaffen somit komische Situationen, die den Leser zum lachen bringen. Trotzdem werden die Krankheit und die damit verbundenen Probleme nie ins Lächerliche gezogen. Ganz im Gegenteil, Jaouen zeigt schonungslos auf was es bedeutet, mit einem an Alzheimer erkrankten Menschen unter einem Dach zu leben.


    Bei der Beurteilung des Schreibstils des Autors darf nie vergessen werden, dass es sich bei diesem Buch um ein Jugendbuch handelt und dass die Geschichte aus Sicht eines Teenagers erzählt wird. Die Sätze sind kurz und einfach gehalten, manchmal ein wenig abgehackt. Einen roten Faden findet man selten, Vero erzählt so, wie ihr der Schnabel gewachsen ist, springt von hier nach dort und wieder zurück, so dass es manchmal einige Mühen kostet, ihr zu folgen. Trotzdem fügt sich am Ende alles zu einem passenden Gesamtbild zusammen.


    Mit „Pardon, Monsieur, ist dieser Hund blind?“ hat Hervé Jaouen ein anspruchsvolles, tiefgründiges und trotzdem amüsantes Jugendbuch geschaffen, welches auf eindrucksvolle Weise zeigt, wie ein Leben mit Alzheimer gelingen kann. Nicht nur für betroffene Jugendliche bietet es eine wertvolle Lektüre, sondern auch für alle anderen.

  • Véros Omama kann wegen fortschreitender Alzheimererkrankung nicht mehr allein in ihrem Haus leben und so beginnen für die dreizehnjährige Icherzählerin die Sommerferien damit, dass Omama in Véros ehemaliges Kinderzimmer zieht. Mit einem Philosophielehrer als Vater und einem "Blödmann" von großem Bruder geschlagen, übernimmt Véro mit bemerkenswerter Ironie, dabei stets liebevoll, die Berichterstattung über ihr reichlich unruhiges Familienleben. Betroffene Familienangehörige werden ahnen, dass auf diesen Sommer viel zu schnell Herbst und Winter folgen werden und es Véros Familie dann sehr schwer fallen wird, die Auswirkungen der Alzheimererkrankung noch mit Humor zu nehmen. Véro erkennt schon gleich zu Beginn, dass ihre Mutter alles andere als amüsiert auf Omas nächtliche Eskapaden reagiert, sich jedoch mit aller Kraft darum bemüht, nicht aus der Rolle der Betreuenden zu fallen. Doch noch wahrt Omama die Contenance, obwohl sie nur selten die Familienmitglieder richtig benennen kann. Wenn ihr Schwiegersohn sie in dem Glauben bestätigt, dass er als Wilderer für Fleisch auf der Tafel sorgt, hat das anschließende Lachen tatsächlich etwas Befreiendes. Bisher ist Véro die Einzige, die Einblick in die Fotoalben und die Liebesbriefe ihrer Großmutter hat, die von einem bemerkenswerten Leben erzählen, in dem Hemingway persönlich und ein Torero entscheidende Rollen spielen.


    Véros Ironie hat mir anfangs Schwierigkeiten bereitet, weil Witzeleien eher von Familienangehörigen oder guten Freundinnen verstanden werden und mir nicht der passende Gesprächston gegenüber einem fremden Leser schienen. Doch wie Omama bereits völlig das Gedächtnis eingebüßt hat, aber immer noch standesgemäß bei den Mahlzeiten der Familientafel vorsitzt, obwohl alles so knapp ist im - ihrer Ansicht nach - von den Deutschen besetzten Frankreich - finde ich so aufmerksam beobachtet und liebevoll beschrieben, dass ich mich im Laufe der Geschichte mit Véros Ton versöhnt habe. Einen ironischen Text in eine andere Sprache zu übersetzen, muss ein hartes Brot für jeden Übersetzer sein. Der Roman, der Pflichtlektüre französischer Schüler ist, richtet sich an Leser ab 12. Ich empfehle ihn auch jedem Erwachsenen, der sich einer humorvollen Betrachtung der Altersdemenz gewachsen fühlt.


    8 von 10 Punkten