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Original von melancholy
Auch hier sprichst du wieder den religiösen Teil der Bevölkerung an. Jene, die ihre Religion praktizieren.
Natürlich spreche ich damit nur die religiösen Menschen an. Welchen Grund sollte denn ein Ehepaar haben sein Kind katholisch zu erziehen, wenn sie selbst nicht religiös sind? Oder verstehe ich da etwas grundlegend falsch? 
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Es geht darum, dass das Kind selbst entscheiden darf! Es kann einerseits hingehen und sagen, ja, dass was ihr da macht gefällt mir, ich will das auch (und es sollte dann auch später immer noch sagen dürfen, dass es sich geirrt hat und es doch nichts für ihn/sie), andererseits kann es auch sein, dass das Kind trotz Vorbild der Eltern, nichts von dem ganzen wissen will, keine Lust hat, in die Kirche zu gehen und zu beten, etc. und das sollte meiner Meinung nach genauso akzeptiert werden. Getauft hin oder her.
Wir reden hier ein wenig aneinander vorbei, kommt mir vor. Natürlich darf ein Kind selbst entscheiden. Das durfte ich doch auch und ich bin getauft und meine Eltern waren und sind katholisch. Sobald ich alt genug war selbst zu entscheiden, oblag es mir selbst zu entscheiden, ob ich mit zum Gottesdienst gehe oder nicht. Und ganz ehrlich: vorher war ich zu klein, als dass es mir etwas ausgemacht hätte, mit in die Kirche genommen zu werden.
Ich würde einem Kind, bzw. einem Jugendlichen jedenfalls diese Wahl niemals aberkennen. Deshalb bin ich ja etwas verwirrt, weil wir im Grunde genommen dasselbe sagen, nur dass es mir so vorkommt, als wäre die Taufe (als Beispiel) für dich eine Kette, die jemanden an den katholischen Glauben fesselt.
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Und nicht einen Säugling, der noch gar nichts entscheiden kann, oder einem 18 Monate alten Kind, dessen Wortschatz sich grade erst erweitert, oder einer Zweijährigen, die gerade lernt, Sätze richtig zu formulieren.
Aber Eltern sind doch dazu da, um Entscheidungen für ihre Kinder zu treffen, solange sie noch nicht selbst dazu in der Lage sind. Man kann kein Kind bis in ein entsprechendes Alter hinein unbeschrieben lassen, es wird immer von den Eltern beeinflusst sein. Ich sehe absolut keinen Grund, warum man da in Punkto Religion eine derart große Ausnahme machen sollte. Eltern entscheiden in welchen Kindergarten ihr Kind geht, in welche Schule, sie legen ein Veto ein, wenn sie ein Hobby nicht für geeignet halten, sie entscheiden über die Frisur ihres Kindes, über dessen Ernährung, warum dann nicht auch über die Religion?
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Alles beginnt bei einem bestimmten z.T. individuellen Alter, und genauso sollte es bei der Religion meiner Meinung nach sein - und damit meine ich freilich nicht, dass es den Eltern verboten ist, vor ihrem Kind zu beten oder über ihren Glauben zu sprechen, sondern viel mehr, dass das Kind per se nicht in derlei Dinge eingebunden werden muss, z.B. nicht in die Kirche genommen werden muss, [...]
Wie soll ich mir das denn genau vorstellen? Ein Babysitter für Weihnachten, damit die Eltern zur Messe gehen können? Wie gesagt, ich weiß nicht, wie sich das umsetzen ließe. Wie gesagt: die Religion ist für religiöse Menschen Teil ihres Lebens. Sie verbringen mehr oder weniger Zeit damit und ich sehe absolut keinen Grund dafür, warum sie ihre Kinder in dieser Zeit nicht bei sich haben dürften. Sie muten ihnen doch nichts Schlimmes zu. Sie lassen ihre Kinder an etwas teilhaben, von dem sie überzeugt sind, das für sie wichtig und richtig und sogar gesund und hilfreich ist.
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oder, wie ich es Kindern von Verwandten schon öfter erlebt habe: eine dreijährige ist ungezogen, was sagen die Eltern zu ihr? "Sei brav, sonst ist der liebe Gott bös auf dich", anstatt dem Kind verständlich zu machen, warum es in Wirklichkeit dies und das nicht tun soll, nämlich weil es gefährlich ist, die Mitmenschen stört, etc., wird ihm gesagt, dass der liebe Gott sonst weint.
Das klingt ja alles schön und gut, aber es ist nach wie vor irgendwie nicht realistisch. Ein 4jähriges Kind ist nicht unbedingt die Topadresse für Vernunft und Einsicht. Und wenns nicht der leibe Gott ist, dann ist es eben der Teufel, der schwarze Mann. Das ist definitiv keine religiöse Sache. Haben deine Eltern in der Adventszeit nie gesagt, wenn du brav bist, beschenkt dir der Nikolaus und wenn du unartig bist, nimmt dich der Krampus mit?
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Aber das alles kommt doch sehr auf den Glauben der Eltern an, und da gibt es genügend Menschen, die ihre Religion weniger äußerlich ausleben (von ihrem religiösen Innenleben mal abgesehen), die wenig über ihre Religion/ihren Glauben sprechen, selten bis nie zur Kirche gehen, etc. Was hätte es da für einen Sinn, das Kind in etwas einzubinden, das die Eltern selbst kaum ausleben bzw. zeigen?
Die Kinder werden doch in der Regel ohnehin nur so stark eingebunden, wie es auch die Eltern sind. Sind diese eigentlich nicht wirklich religiös, wird wohl auch das Kind wenig davon zu spüren bekommen.
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Und dann gibt es jene Menschen, die sich kein bisschen für "ihre" Religion interessieren, sich höchstens in Notlagen auf ihren Glauben berufen und höchstens Mal zu Weihnachten in die Kirche gehen (ich meine das jetzt nicht als Vorwurf, sondern nur als Beispiel, wie Religion eben auch "ausgelbt" werden kann). Und auch hier, wäre es da nicht heuchlerisch, das Kind in einen Glauben einzubeziehen, der gar nicht so wirklich existiert?
Für mich bedeutet Katholik zu sein einfach nicht, schlichtweg nur getauft zu sein. Wenn man nicht daran glaubt, wenn man im Prinzip nichts damit zu tun hat und alles, was einem damit in Verbindung bringt, die Taufe ist, dann ist man meiner nach nicht religiös. Es ist natürlich nicht Sinn der Sache ein Kind nur taufen zu lassen, damit die Großeltern zufriedne sind, aber andererseits entsteht - wie schon gesagt - für das Kind dadurch kein Schaden.
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Ich meine damit eher, dass man auch ein Ersatzprogramm bieten sollte, auf welches jene (katholischen) Kinder zurückgreifen können, wenn sie nicht in den (kath) Religionsunterricht gehen wollen.
Vielerorts gibt es da ja durchaus schon und soweit ich weiß, war es selbst bei uns (im ebenso erzkatholischen Südtirol) zumindest ab der Oberstufe möglich, sich vom Religionsunterricht freistellen zu lassen (wobei der, wie gesagt, sämtliche Religionen umfasst hat). Ob das auch schon in der Grundschule, bzw. Mittelschule geht, weiß ich leider nicht. Ich kann das nur von der Oberstufe sagen, da ich dort einen türkischstämmigen Mitschüler hatte, der sich eben freistellen ließ (nicht zwingend der Religion wegen, da es in unserem Religionsunterricht zumeist um Fantasiereisen und Meditation ging, ich habe Jahrelang einmal wöchentlich eine Stunde lang wie ein Baby geschlummert :chen). Aber ich halte es durchaus für möglich, zumindest ab der Mittelstufe. Ich denke, ein komplettes Ersatzprogramm dürfte auch immer ein finanzielles Problem sein. Zwei Lehrer, anstatt einem für die selbe Menge Schüler sind ja auch nicht gratis.
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Leider ist es so, dass Religion als Teil der Kultur angesehen wird, aber ich heiße es eben nicht gut, da Religion allzuoft als etwas kuturspezifisches betrachtet wird, und das ist nunmal meist so der Fall. Warum gibt es beispielsweise in Tirol so viele Katholiken und nur ganz wenige Protestanten? Weil es sich so eingebürgert hat. Man ist ja keine bewusste Glaubensgemeinschaft hier, nein, man ist traditionsbewusst und die Tradition verlangt, dass das Kind eben auch katholisch ist. Ich finde eben, dass man hier sehr wohl einen Unterschied machen sollte, ob ich nun gläubig bin, weil es Kultur/Tradition verlangt, oder ob ich mich selbst dazu entschieden habe.
Du wirst die Religion aber niemals von der Kultur trennen können. Sehr sehr viele Bräuche gründen sich auf religiösen Themen, Feiertagen, Anlässen. Diese Verbindung kann man nicht einfach ausradieren.
Tradition finde ich in dieser Beziehung nicht verwerflich solange es keine bestimmten Grenzen überschreitet und in Extreme abdriftet. Natürlich lebst du im katholischen Tirol oder in Bayern oder in entsprechenden Gegenden in katholischen Gebieten und wirst entsprechend häufig damit konfrontiert. Ich wüsste nicht, wie sich das vermeiden ließe.
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Das stimmt. Dennoch ist es ein ziemliches Prozedere, aus der Kirche auszutreten und viele tun's dann eben aus Bequemlichkeitsgründen nicht. Aber das muss jeder selbst wissen.
Vielleicht kannst du mich ja insgesamt besser verstehen, wenn ich dir sage, dass es in Italien völlig anders gehandhabt wird. Die Kirchengemeinden sind hier keine Vereine, für die man eine Mitgliedskarte braucht
Das liegt vor allen Dingen daran, dass wir keine Kirchensteuer besitzen, sondern eine Mandatssteuer. Diese muss jeder italienische Bürger zahlen (aus der Kirche auszutreten würde demnach keinen von dieser Steuer befreien), allerdings kann er selbst entscheiden, wem die Steuer zugute kommt. Man kann natürlich seine Kirche/Glaubensgemeinschaft begünstigen. Oder den Staat, eine soziale Einrichtung oder eine Non-Profit-Organisation, beispielsweise Greenpeace. Teilweise kann man sogar die eigenen Vereine so unterstützen, sofern sie es annehmen, beispielsweise die Musikkapellen unserer Dörfer oder den Fußballverein. Jeder, der eine Steuererklärung macht, entscheidet selbst und kann die katholische Kirche auch völlig außen vor lassen, selbst wenn er selbst katholisch ist. Somit entfällt dieser Zwang und auch diese ganze "Mitgliederauflistung". Meine Mandatssteuer geht in der Regel an Hilfsprojekte und ich finde, dort ist das Geld gut aufgehoben 
Dieses Modell gibt es allerdings nur in drei Ländern und es wird in Deutschland beispielsweise von der Kirche abgelehnt. Es gibt in Italien und Spanien einfach deutlich mehr katholische Bürger, sodass der Kirche in jedem Fall genügend Geld auf diesem Wege zufließt. Trotzdem hat jeder die Wahl und ich finde das System eigentlich ziemlich gut.
Wenn ich also nicht mehr katholisch sein will, muss ich nirgendwo (auf kompliziertem Wege) austreten =)
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So war's nicht gemeint, ich meinte damit eher meinen 2. nicht von dir zitierten Teil. Und zwar jene Menschen, die zwar einer Religion angehören, diese aber weder ernstnehmen noch in irgendeiner Weise ausleben, sich höchstens in Kirsenzeiten auf den Glauben berufen, die Kirche dann ernstnehmen, wenn es um die eigene Hochzeit oder Beerdigung geht, etc.
Und ich glaube, dass diese Menschen einen sehr großen Teil der Bevölkerung ausmachen.
Ich stimme dir dahingehend zu, dass es sicher viele Menschen gibt, die nur an hohen festlichen Tagen in die Kirche gehen oder eben dort heiraten. Die Frage ist aber, wie oft muss man täglich beten, um sich selbst Katholik nennen zu dürfen? Wenn diese Menschen die meiste Zeit ohne Gott auskommen, wenn es ihnen gut geht und sie nur dann beten, wenn sie in Not sind, macht sie das in meinen Augen nicht unbedingt zu schlechten Katholiken, bzw. zu unreligiösen Menschen. Aber das ist wohl Ansichtssache.
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Ich glaube nur, dass es umso mehr hilft, wenn man an sich selbst glaubt oder eben auch an andere Menschen. Vielleicht bin ich die falsche, um derartige Kritik zu üben, denn ich weiß nicht, wie es ist, Kraft aus dem Glauben an einen Gott zu schöpfen. Ich hatte schon einige Krisenzeiten, und diese habe ich alle überwunden, nicht weil ich daran Glaube, dass es eine höhere Macht gibt, die mich beschützt, sondern weil ich an mich selbst geglaubt habe und auch an die Unterstützung von Familie und Freunden. Mir reicht es, irdischen Wesen zu vertrauen, das gibt mir mehr Kraft, als an etwas zu glauben, dass ich im hier und jetzt nicht fassen kann.
Ich finde es toll, dass du dich derart auf deine Familie verlassen kannst und sie dich derart stützen. Das ist ne tolle Sache und derartige Menschen sind sehr wertvoll. Aber nicht jeder kann auf diesen familiären oder freundschaftlichen Beistand zurückgreifen. Manche Menschen sind allein, andere wollen vielleicht auch die eigene Familie gar nicht mit ihren Problemen belasten. Es gibt viele Gründe und jeder Mensch ist in einer individuellen Situation. Ich empfinde es nicht als falsch auf die Familie oder Freunde zu vertrauen, anstatt auf Gott. Aber wenn jemand denkt, dass nur Gott im helfen kann, dass er dessen Hilfe braucht, dann soll er doch daran glauben dürfen. Ich denke nach wie vor nicht, dass ihn das schwach macht.
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Der Vergleich hinkt aber ein wenig. Natürlich lernt man die Sprache, die die Menschen haben, bei denen man aufwächst. Das lässt sich kaum vermeiden.
Aber jeder Mensch hat die Anlage zur Sprache. Lehrt man einem Gehörlosenkind beispielsweise keine Gebärdensprache, entwickelt es seine eigene Zeichensprache, die z.T. auch eine sehr hochentwickelte Grammatik haben kann. Ein Hund bellt ja auch nicht, weil es ihm die Eltern vormachen, sondern weil er dazu veranlagt ist.
Warum soll denn jemand, der vom Einfluss jeglicher Religionen völlig frei geblieben ist, nicht auch einen eigenen Glauben entwickeln können? Unsere jetzigen Religionen, viele Glaubensrichtungen sind doch auch nicht aus dem Nichts entstanden. Jemand hat angefangen zu glauben und aus dem einen wurden mehrere.
So schlecht finde ich den Vergleich mit der Sprache also gar nicht.
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Original von Tom
Es gibt einen nicht unwesentlichen qualitativen Punkt. Erstens gibt es nicht die allergeringste Notwendigkeit, einem Dreijährigen zu erzählen, da wäre ein Gott, der über ihn wacht, und den er deshalb gefälligst vor dem Einschlafen anzubeten und dessen Gebote er zu befolgen hätte, weil der Kleine sonst nämlich in die Hölle kommt. Hierbei handelt es sich um nicht weniger als Kindesmisshandlung. Ängste und Abhängigkeiten, die in diesem Alter etabliert werden, wird man auch als vernünftig denkender Erwachsener kaum noch los.
Einmal davon abgesehen, dass die wenigsten (katholischen) Eltern ihren Kindern mit der Hölle drohen, ist Kindesmisshandlung ein ziemlich gewichtiges Wort, das du in diesem Fall zu großzügig einsetzt. Ich bin ja der Meinung, dass es auf diesem Erdenrund sehr wenige Eltern gibt, die ihr Kind mit "Wenn du nicht brav bist, holt dich der schwarze Mann" oder ähnlichen Kindergeschichten nicht schon mal zum Stillsitzen bewegt haben. Oder ihnen Pinocchio vorgelesen haben. "Wenn du lügst, wächst deine Nase." Wenn man damit genauso hart ins Gericht geht, ist doch auch das eine Drohnung an das Kind und spielt mit den Ängsten der Kleinen. Genauso wie zig andere Märchen und Kindergeschichten, die du, lieber Tom, sicher in deiner Kindheit auch mal vorgelesen oder erzählt bekommen hast. Deshalb würde ich aber nie auf die Idee kommen, deine Eltern der Kindesmisshandlung zu beschuldigen. 