Bettina Wulff (mit Nicole Maibaum): Jenseits des Protokolls
ISBN: 9783868832730
Riva Verlag, 224 Seiten, 19.99 €
Über die Autorin:
Sie war 598 Tage die bisher jüngste First Lady der Bundesrepublik Deutschland. Mit dem Beginn der Amtszeit ihres Mannes begann für sie als Frau von Christian Wulff ein völlig neues Leben. An der Seite ihres Mannes repräsentierte sie Deutschland im In- und Ausland und engagierte sich ehrenamtlich vor allem für benachteiligte Kinder und Jugendliche.
Inhalt:
Dem Rücktritt des Bundespräsidenten im Februar 2012 gingen Vorwürfe in den Medien zum Einfamilienhaus, zu Urlauben und zur Kleidung voraus. Darüber hinaus gab es Gerüchte zu einem angeblich bewegten Vorleben. Bettina Wulff erzählt, wie sie mit allen Anschuldigungen umgegangen ist und wie sie die schwierige Zeit erlebt hat. Sie schildert die durchwachten Nächte, die Zweifel, die Wut, die Hilflosigkeit, wenn man plötzlich von allen Seiten unter Beschuss steht, und das Ausmaß der Belastung, der eine Ehe und eine Familie in solch einer Zeit ausgesetzt ist.
Rezension:
Eigentlich wollte ich diese Rezension mit den folgenden Worten eröffnen:
Es ist immer wieder erstaunlich, welche (positive wie negative) Emotionen eine Buchveröffentlichung in Deutschland aufwirbeln kann, insbesondere wenn die Autoren in die Welt der Prominenten eingeordnet werden können.
Nun, nach genauerer Betrachtung würde diese Einleitung aber keinen Sinn ergeben. Denn es ist nicht mehr erstaunlich. Heutzutage darf es einen nicht mehr wundern, wenn Bücher von oder über Personen des öffentlichen Lebens in ein Kreuzfeuer von Vorurteilen, Eitelkeiten oder Besserwisserei geraten. Einerseits ist dies doch wunderbar unterhaltsam und ein Beweis für eine funktionierende Demokratie. Ein Buch schreiben - das kann in Deutschland fast jeder. Umso stimmungsvoller wird es dann, wenn "Kritiker" versuchen, jemandem dieses Recht abzusprechen. Natürlich kann man sich fragen, ob Bücher über Dieter Bohlen, Philipp Lahm oder auch jetzt Bettina Wulff die literarische Welt bereichern oder nicht. Aber darum geht es in letzter Konsequenz doch überhaupt nicht.
Ein Buch soll nicht nur den Leser unterhalten. Es ist - bei genauerer Betrachtung - auch ein Spiegelbild über die Seele des Verfassers. Bei Bettina Wulff und ihrem Werk "Jenseits des Protokolls" merkt man das deutlich. Frau Wulff liefert mit ihrem Buch keine rhetorisch versierte Abrechnung mit der Welt des Boulevardjournalismus und oftmals verliert sich sich in Trivialitäten. Aber man merkt, dass ihre Aussagen von Herzen kommen. Bettina Wulff hat keine Lust mehr darauf, Spielball der Medien zu sein.
Jetzt darf man natürlich berechtigterweise die Frage stellen: "Ja warum veröffentlicht sie dann ein Buch?" Es ist wie so oft: Man kritisiert die Medien, man kann diese Kritik aber keinem breiten Publikum zugänglich machen, ohne sich der Medien als Werkzeug zu bedienen. Ein fast schon normales, pragmatisches Handeln, wie es auch Frau Wulff in ihrem Buch bestätigt. Wir müssen auch gar nicht darüber diskutieren, dass die spontane Vorverschiebung des Veröffentlichungstermins den Verkaufszahlen nun durchaus zugute kommen wird. Lassen wir doch aber für einen kurzen Moment diese Zänkereien beiseite und beschränken uns auf das Wesentliche - den Inhalt dieses Buches.
In insgesamt 16 Kapiteln, zuzüglich Vor- und Schlusswort, schreibt Frau Wulff über praktisch alles, was die Medien bereits mehr oder weniger detailliert recherchiert haben. Oftmals wird man feststellen, dass die Journalisten eher schlecht als recht ihre Hausaufgaben gemacht haben. Einen entscheidenden Fehler unterlief Bettina Wulff aber schon im Vorwort: Sie spielt die emotionale Trumpfkarte schlechthin - Kinder: "»Mama, habt ihr gelogen?« … fragt mich mein Sohn Leander verunsichert und schiebt gleich hinterher: »Das darf man doch nicht, oder?« Er erzählt, dass ein älterer Mitschüler ihn auf dem Schulhof beschimpft hat. Plötzlich stand der Junge einfach vor ihm und meinte: »Deine Eltern sind Lügner, hat mein Papa gesagt.«" (Seite 7) Immerhin: Falls Bettina Wulff damit auf Empathiefang gehen wollte - es ist ihr gelungen.
Wobei Bettina Wulff letztendlich aber recht hat, wenn sie beispielsweise schreibt "Es muss etwas geschehen. Ich möchte mich nicht verstecken und meine Kinder sollen es auch nicht tun müssen. Ich möchte auch nicht, dass meine Kinder beschimpft werden für Dinge, die schlicht unwahr sind oder mit denen sie rein gar nichts zu tun haben." (Seite 8). In den folgenden Kapiteln beschreibt Bettina Wulff in erster Linie ihre Erfahrungen mit Männern. Wirklich interessant oder gar anspruchsvoll ist das nicht, aber immerhin stellenweise recht humorvoll beschrieben. Es erinnert etwas an ein Tagebuch einer Teenagerin.
Neben ihren Erfahrungen als alleinerziehende Mutter geht Frau Wulff auch auf ihre beruflichen Tätigkeiten ein, sie erzählt uns wie sie Christian Wulff kennenlernte und wie sie sich bei ihren ersten Kontakten mit der BILD fühlte. Sie beschreibt die Suche nach dem richtigen Haus, einem Kindermädchen und einem halbwegs geregelten Alltag. Leider schiebt sie den schwarzen Peter auch gerne einmal anderen zu, so schreibt Bettina Wulff beispielsweise: "Mich plagten Schuldgefühle und ich nahm es in dieser Zeit auch dem ganzen Apparat »Bundespräsidialamt« übel, dass sie nicht realisierten, unter welchem innerlichen Druck ich stand." (Seite 58) Man wird nach den ersten Kapiteln den Eindruck nicht los, dass Frau Wulff sich stetig darum bemüht, vom Leser Mitleid zu erhalten. Nicht unbedingt der beste Weg, ein Buch zu beginnen.
Die darauf folgenden Kapitel sind dann deutlich authentischer. Frau Wulff beschreibt ihren Umzug nach Berlin, die Startschwierigkeiten an ihrem neuen Arbeitsplatz, ihr Verhältnis zu Freunden. Sie schildert ihr erstes Treffen mit Angela Merkel und Michelle Obama, den Besuch des Papstes und ihre Rolle als Botschafterin für diverse Wohltätigkeitsorganisationen. Hierbei zeigt sich Bettina Wulff durchaus als offene und humorvolle Person, sie schreibt diese Kapitel ohne den bitteren zornigen Beigeschmack der vorherigen Abschnitte. Besonders unterhaltsam ist das Kapitel über ihr Tattoo und den damit verbundenen Artikeln der Presse - einfach wunderbar.
Natürlich versucht Frau Wulff auch Vorwürfe zu entkräften. Der Kredit für ihr Haus, angebliche Vorteilnahme bei Bankgeschäften, Urlaub mit Geschäftsfreunden, die angebliche Vergangenheit im Rotlichtviertel... man kennt die Anschuldigen ja aus den Medien. Umso besser, dass Bettina Wulff hier nicht lange um den heißen Brei herumredet. Sie entkräftet die Vorwürfe mühelos und glaubwürdig. "Ich werde und will mich mit diesem Buch auch nicht als Heilige oder Mutter Teresa hinstellen, aber ebenso wenig werde ich mich als Lügnerin oder Verbrecherin darstellen lassen, wie es in der Berichterstattung der meisten Medien teilweise geschah." (Seite 149)
Selbstredend ist auch in diesen Abschnitten nicht alles Gold was glänzt. Frau Wulff teilt gerne aus, doch sie spielt das Spiel der bunten Medien munter mit. Sie gibt Interviews für Boulevardzeitschriften und sie liest die BILD. Es ist paradox (ein Wort, dass Frau Wulff in ihrem Buch übrigens selbst gerne verwendet). Es fällt mir daher nicht leicht, ein eindeutiges Fazit zu ziehen. Sicherlich beinhaltet "Jenseits des Protokolls" zahlreiche Abschnitte, die man getrost ignorieren kann. Sie sind allenfalls nettes Beiwerk. Dann gibt es aber noch die wirklich persönliche Seite dieses Buches - die Ängste, Gefühle und Hoffnungen von Bettina Wulff.
Was zahlreiche Paparazzis und Journalisten auch heute noch abliefern ist schlichtweg skandalös und Frau Wulff hat jedes Recht dazu, sich dahingehend zu äußern. Man mag darüber streiten, ob dazu wirklich ein ganzes Buch nötig gewesen wäre. Vielleicht hätten es mehrere Artikel in Zusammenarbeit mit renommierten Zeitungen und Zeitschriften auch getan. Vielleicht. Man weiß es nicht. Es bleibt festzuhalten: Das Buch von Frau Wulff beinhaltet viel wahres und es scheint ihr gut zu tun, ihren ganzen Frust von der Seele zu schreiben. Sprachlich nicht immer geschickt, manchmal auch unfreiwillig komisch. Aber immerhin: Ehrlich! Und solch eine Ehrlichkeit vermisst man heutzutage leider viel zu oft.
6.5 / 10