Beiträge von Swansea

    "Beuteherz" von Ulrika Rolfsdotter erschien (TB, 447 Seiten) im Heyne-Verlag (Penguinrandomhouse Gruppe). Übersetzt aus dem Schwedischen wurde der Kriminalroman von Sabine Thiele.

    Ich war auf den 1. Fall von Annie Ljung sehr gespannt, da sie (wie auch die Autorin) denselben Beruf hat wie ich). Nie zuvor habe ich einen Krimi gelesen, in dem eine (schwedische) Sozialarbeiterin/-pädagogin ermittelt und muss sagen, dass mir das Début der Autorin sehr gut gefallen hat!


    Inhalt:


    Als ihr Cousin Sven Bergsen Annie anruft, die sich in Stockholm seit einigen Jahren vor allem um misshandelte Frauen kümmert, kehrt sie in den Ort ihrer Kindheit und Jugend in Nordschweden zurück, in den sie niemals wieder fahren wollte: Lockne. Doch ihre demente Mutter braucht sie, auch wenn die Beziehung zu ihr schon länger eher schwierig ist. Es ist kurz vor Ostern und sie nimmt sich vor, nur einige wenige Tage zu bleiben. Mit Sven und seiner Frau Lillemor hat sie ein herzliches Verhältnis, dementsprechend freuen sich beide, dass Annie zu Besuch ist. Kurz darauf verschwindet ihre Nichte Saga, die ihr mit 17 Jahren zum Verwechseln ähnlich sieht, spurlos. Obwohl ihr Unwillen gegen diesen Ort, den sie in jungen Jahren verlassen musste, deutlich spürbar ist, lässt sie nun Sven und Lillemor nicht in dieser äußerst belastenden Situation alleine, da diese stets nach Birgitta, Annies Mutter schauen. Sie begegnet zwangsläufig Josef Hoffner, dessen Vater Sven im Suff bei einem Kartenspiel einen Wald abluchste, den Sven, der faktisch pleite ist, da der kleine Lebensmittelladen schon längst nicht mehr läuft, von Johan zurückhaben will. Nach einiger Zeit bilden sowohl die Dorfbewohner als auch die Polizei Suchtrupps, die jedoch in starkem Schneefall keine Ergebnisse zeigen. Die verzweifelten Eltern gehen nicht davon aus, dass Sara davongelaufen ist: Doch wo ist die Tochter zu finden - und ist sie noch am Leben in dieser Kälte?


    Meine Meinung:


    Ulrika Rolfsdotter ist ein Name, den ich mir zweifellos merken werde: Der Kriminalroman wirkt auf mich sehr authentisch und interessant, da Annie, die Hauptprotagonistin, die Stelle ihrer Freundin Helena in der Nähe von Lockne antritt (Elternzeitvertretung) und sehr menschlich reagiert, als ihre Nichte spurlos verschwindet: In ihrer Profession beim Jugendamt gibt sie der Polizei Informationen, die zum Auffinden von Sara hilfreich sein könnten. Sie besitzt kriminalistische Fähigkeiten, Scharfsinn und Intelligenz, trägt jedoch selbst ein Traumata in sich, das mit dem Ort Lockne zu tun hat und sich erst nach und nach dem Leser erschließt. Mir waren besonders Annie Ljung, Gunnar Edholm und Sven und Lillemor sympathisch; auch die Rolle der dementen Mutter Birgitta gab einem zu Denken: Was meinte sie mit "Hilf dem Mädchen?" Was wusste sie wirklich, die sich mit Sara, die in Birgittas Pflegeheim jobbte, sehr gut verstand? Und was hat es mit dem Gedicht von Sara auf sich, das Annie bei ihrer Mutter in einer Schublade findet?


    Die Autorin versteht es, von Beginn an Spannung aufkommen zu lassen, die sich im letzten Drittel noch steigert. Der Stil ist sehr atmosphärisch; die Kapitel kurz und die Sprache eingängig und schnörkellos; es sind kurze und prägnante Sätze, die den Spannungsbogen halten. Verdachtsmomente fallen auch auf diverse andere Figuren, die im Krimi auftauchen und der Plot ist nicht vorhersehbar. Allerdings habe ich einen Kritikpunkt: Trotz kriminalistischem Spürsinn von Annie gibt es für mich einen Stolperstein in ermittlungstechnischer Hinsicht, denn geübte KrimileserInnen (eins meiner Lieblingsgenres) werden hier evtl. vor Anna fündig und erkennen, vor wem man sich besser in Acht nehmen sollte. Da die Themen jedoch sehr vielschichtig sind (z.B. Schuldgefühle, Traumata, Demenz, Alkoholismus und Zerrütung von Familien, aber auch Freundschaft und die Arbeit sozialer Dienste bei Jugendämtern) und die Spannung absolut vorhanden war, hat mich dies nur am Rande gestört: Ich sehe auf jeden Fall Potential nach oben!


    Fazit:


    Ein starker, spannender, etwas feministischer Krimi aus Nordschweden, der mir aufgrund der Authentizität, der Klarheit im Stil und der Vielfalt der relevanten Themen sehr gut gefallen hat. Eine starke Frau, deren Profession Sozialpädagogin ist und die hier mit Intelligenz und Scharfsinn brilliert, begibt sich an den Ort, den sie nie wiedersehen wollte. Setzt sich schlussendlich mit ihrer eigenen Vergangenheit (und ihren Dämonen) auseinander. Sehr gerne empfehle ich "Beuteherz" und hoffe auf weitere Fälle für Annie Ljung!


    4***

    ASIN/ISBN: 3453426649

    Mister Chips und das Maß aller Dinge


    "Leb wohl, Mister Chips" von James Hilton (1900-1954) in deutscher Übersetzung aus dem Englischen von Manfred Allié erschien (2023, HC geb., 141 Seiten) im Kampa Verlag, Zürich. Das englische Original erschien bereits 1934; der Roman ist, wie der Verlag auf dem Buchrücken schreibt, "ein Juwel der englischen Literatur" - so auch für mich. Besonders faszinierend fand ich hier die Tatsache, dass in dem recht schmalen Büchlein so viel 'zwischen den Zeilen' zu lesen ist, dass es; auch in emotional-menschlicher Hinsicht, prallgefüllt an Emotionen, mehr als auf die 'gefühlte' doppelte Seitenzahl kommt!


    Inhalt:


    "Er war jahrzehntelang Lehrer in Brookfield, einem Jungeninternat. Er hat Hunderte, wenn nicht Tausende Schüler unterrichtet. Er war kein wirklich guter Lehrer, Ambitionen hatte er keine. Aber er hatte Humor, Prinzipien, vor allem aber einen warmherzigen Blick auf die Welt. Die Schüler liebten ihn, und so ist er in Brookfield zur Legende geworden. Einst lebte Mr. Chips für seine Schüler, nun lebt er in den Büchern, die er liest. Ein kurzes, unverhofftes Liebesglück hat er erleben dürfen, aber das ist lange her. Jetzt wohnt er bei der Haushälterin Mrs. Wickett, sitzt vor dem Kamin - und erinnert sich."

    (Quelle: Buchrückentext)


    Meine Meinung:

    Genau dort, am Kamin bei seiner Vermieterin, Mrs. Wickett, seinen Gewohnheiten nachgehend, ein Tässchen Tee trinkend abends, einen Krimi schmökernd und beim Rückblick und seinen Erinnerungen auf ein schönes und friedliches Leben lernen wir den früheren Lehrer für Latein am Jungeninternat Brookfields (das er gleich mochte) kennen. Der Roman gewährt uns Einblicke in das Leben eines Lehrers zwischen ca. 1870 bis Mr. Chips ins Rentenalter kommt. Berührende Einblicke sowohl ins Berufs- als auch ins Privatleben des Lehrers, der sich selbst eher mittelmäßig findet, dem es nicht immer leichtfällt, für Disziplin zu sorgen und der sich doch von Anfang an sehr wohlfühlt in Brookfield, jenem Jungeninternat, in dem er (500 unbändige Raufbolde) unterrichtet. Er schafft es als junger Lehrer, sich Respekt zu verschaffen, wollte anfangs in eine Schule der ersten Liga (Brookfield gehört in die zweite), hat jedoch einen realistischen Blick und erkennt ein Jahrzehnt später, dass er die Schule gar nicht mehr wechseln wollte. Hatte er doch "mit 40 Wurzeln geschlagen, mit 50 war er der Älteste und Weiseste im Kollegium und mit 60 - mit neuem, jungen Schulleiter - war ER Brookfield".


    So ist dieser liebenswerte, prinzipientreue, humorvolle Mr. Chips, in den Herbststürmen seines Lebens angekommen, voller Heiterkeit und Kummer in derartigen Wellen, dass zuweilen Tränen kullern - und er selbst nicht weiß, ob er gerade lacht oder weint: Die Nähe zur Schule hatte er immer gehalten, indem er sich schräg gegenüber bei Mrs. Wickett einmietete und neue Schüler wie auch Lehrer stets zu sich zum Tee einlud. So blieb er, der auch in Kriegszeiten später nochmal "den Laden zusammenhalten" sollte, stets in Kontakt zu den Schülern und Lehrern und durchlief eine charakterliche Entwicklung, die es Freude macht zu lesen: War er anfangs etwas farblos, so merkt man doch, dass Mr. Chips sein Herz am richtigen Fleck hat. Seine leider kurze Ehe mit Katherine holt noch mehr aus ihm hervor, das zuvor in ihm schlummerte: So traten sein Sinn für Abenteuer und Humor, seine Selbstsicherheit noch mehr zutage und seine Beliebtheit wuchs. Seine Witze wurden stets begierig weitergetragen (kennst du schon den Neuesten?) und die Schüler urteilten über den längst ergrauten älteren Lehrer: "Anständiger alter Knabe".


    Auch zeitgeschichtliche Ereignisse fließen in den Roman mit ein (Burenkriege, Tod von König Edward, das Ende des Viktorianischen Zeitalters, der Untergang der Titanic etc.) und Mr. Chips hat natürlich auch mit Schulleitern zu kämpfen, die ihm und seinen (älteren) Lehrmethoden nicht gewogen sind: Dennoch können diese nicht damit rechnen, dass Mr. Chips so ohne weiteres "das Feld räumte".

    Wichtig war ihm stets das "Maß der Dinge", das Brookfield und somit auch er den Jungen beibringen sollte: Belohnt wurde er im Alter oft mit netten Besuchen ehemaliger Schüler, die sich nach seinem Wohlergehen erkundigten. Besonders gefiel mir der älter gewordene Lehrer, als er (um die Jahrhundertwende um 1900) "von einer Milde durchdrungen wurde, die seine Schrullen und seine immergleichen Scherze zu einer Harmonie verband" (Zitat S. 65). Die Zweifel an seiner Arbeit wichen (zurecht) einem Stolz, der in ihm aufkam. Am Ende wurde er zum Scherzbold deklariert, da er immer in allem das Komische sah und zur Schullegende. Brookfield war nicht Brookfield ohne Mr. Chips!


    Der Stil James Hilton's ist atmosphärisch und von großer Tiefe, wenn er seinen Hauptprotagonisten, Mr. Chips, ausleuchtet. Gleichzeitig ist der Roman von einer brillanten Schnörkellosigkeit und Ausdrucksstärke, die ich sehr schätze. Man wünscht sich, es hätte mehr von den Menschen wie Mr. Chips gegeben (oder würde es noch); vermutlich wäre dann die Welt ein besserer Ort?


    "Das Maß der Dinge ging mehr und mehr in der Welt verloren, da musste man es wenigstens zu Hause bewahren", so Chips in der Zeit des 1. Weltkriegs; dadurch hat dieser Roman auch gerade in unserer Zeit einen aktuellen Bezug.


    Fazit:


    Ein wundervoller Roman über einen liebenswerten Lehrer, der Rückblicke in sein erfülltes Leben gewährt. Seinem Unterricht in einem Jungeninternat im englischen Brookfield. Berührend, zutiefst menschlich und voller Humor zählt dieser Roman zu meinen "literarischen Kleinoden", einem Juwel englischer Literatur und erhält ausser einer absoluten Leseempfehlung (vielleicht gab es - bestenfalls - in jedem Leben einen Lehrer, der Mr. Chips auf irgendeine Weise ähnelte?) auch 5* von mir.


    ASIN/ISBN: 3311100794

    Gleich vorneweg: Wer an Carsten Henn's Romanen "Der Buchspazierer" und "Der Geschichtenbäcker" seine helle (Lese-)freude hatte, der wird auch "Die Butterbrotbriefe" lieben! Der Autor steht für mich durch diese Bücher beispielhaft für emotionale, berührende und literarisch gute Unterhaltung mit Tiefgang - und einigen 'Schmunzlern' und humorvollen Einlagen, die ich in einem "feel-good-Roman" sehr schätze! Hier geht es um die Frage, ob das Leben Zufall oder Schicksal ist? (Und noch um vieles mehr).


    Inhalt:


    "Wer schreibt heute noch Briefe? Richtige Briefe auf Papier, mit der Hand? Kati Waldstein, die mit fast 40 Jahren ein neues Leben beginnen will und Abschiedsworte für alle verfasst, die sie geprägt haben. 37 Briefe insgesamt. Sie nimmt dafür Butterbrotpapier, das ihr Vater über viele Jahre für sie gesammelt hat.

    Dann trifft sie auf Severin, der sein Leben als Klavierstimmer wegen eines von ihm verschuldeten Unglücks hinter sich lassen musste. Und der gute Gründe hat zu glauben, das Kati und ihr Heimatort sein Schicksal sind. Doch das Schicksal bestimmt vielleicht, wer in unser Leben kommt, aber das Herz, wer darin bleibt."

    (Quelle: Buchrückentext, Piper Verlag)


    Meine Meinung:


    Da ich der 'aussterbenden Spezies' der BriefeschreiberInnen angehöre, habe ich mich auf diesen Roman sehr gefreut; und ich wurde nicht enttäuscht. Im Gegenteil. Carsten Henn gelingt es durch seine poetisch-atmosphärische Art, eine Geschichte zu schreiben, den Leser von Beginn an neugierig zu machen: Hier lernen wir die sympathische, aber lange durch die eigene Mutter fremdbestimmte Kati kennen, die nach dem Tod der Eltern erkennt, dass sie wie eine Marionette an Fäden hing, die sie jetzt, nach dem Tod von Helga Waldstein, unbedingt durchtrennen möchte, um ein freies und unabhängiges Leben zu führen. Ist die Mutter hier sehr empathielos, sogar hart der Tochter gegenüber beschrieben, ist die Inhaberin des Frisiersalons Rose, Madame Catherine, das absolute Gegenteil: Seit Kindesbeinen liebt sie Kati sehr und gestattet ihr später, sich samstags Utensilien zum Haarschnitt Obdachloser (auf kostenloser Basis) auszuleihen, so steht Kati jeden Samstag auf dem Markt - zur Freude von Scholle und anderen Wohnungslosen, bis sich eines Tages ein "Namenloser" dazugesellt, der seinen Namen später preisgeben sollte: Severin, ein Klavierstimmer, der drei Jahre auf der Straße lebte und sich bei Kati für deren Freundlichkeit bedanken möchte. Auch Onkel Martin, Katis kauzigen Onkel, der - selbst nie an der Arktis gewesen, den Polarkreis aber liebend - lernen wir in seinem Arktismuseum oder "Svenssons Polarwelt" kennen: Diese Figur fand ich mit am Sympathischsten von allen; auch er mag Kati sehr, die in ihrer Kindheit mehr Zeit bei Martin verbrachte als im eigenen Elternhaus. So freut man sich als LeserIn, dass sich auch Severin und Martin anfreunden - und staunt über den jungen Lukas, der Martin bei allen Arbeiten im und am Museum hilfreich zur Seite steht (und zum Schluss eine mehr als gute 'Figur' macht, als ein Schicksalsschlag über Martin hereinbricht).


    So verfolgt man lesend; mal schmunzelnd und auch mit traurigen Passagen versehen, wie sich Kati und Severin, die grundverschieden erscheinen, einander mehr und mehr annähern; sich ineinander verlieben: Man verweilt in der Jurte, geht mit dem alten Elch gemeinsam mit beiden ins Dorf zum Einkaufen - und verteilt die noch übrigen Briefe an alle, die Kati enttäuschten oder ihr Unrecht taten; aber auch an alle, denen sie ihren Dank aussprechen möchte (der Schönste von allen war für mich der an Madame Catherine, die das Herz am richtigen Fleck hat). Auch ihrem verstorbenen Vater schreibt sie einen Brief, da sie nie verstanden hat, weshalb seine Zuneigung nach ihrem 8. Geburtstag plötzlich abebbte... Wir sitzen mit Kati und Severin im alten Kino des Vaters und lauschen ihren Abschiedsworten. Als Kati den "Palast", die Villa der Mutter nach deren Tod ausräumt, findet sie einen Stapel Briefe - von ihrer Mutter: Hier muss man beim Lesen schon arg schlucken, da hier ein unheilvolles Familiengeheimnis ruht, dessen schuldloses Opfer Kati lange Zeit war.


    Die Themen dieses Romans sind vielfältig: Es geht (in teils poetischer Weise) um wahre Liebe, um Loslassen, um Emotionen und Aufrichtigkeit, um Briefe und um eine Menge "Ungesagtes" oder "Ungeschriebenes", das oftmals zwischen Menschen steht. Der Roman ist eine Hymne an das Briefeschreiben; an Briefe an sich, da sie "Zeit und Mühe waren, das Denken an den anderen. Das wertvollste Geschenk." (Zitat S. 10) Besonders gefiel mir gegen Romanende, dass Kati sich nicht von ihrem Entschluss abbringen lässt, wegzugehen - und sei es für eine geraume Zeit - und somit ein Stück eigene Unabhängigkeit entdeckt, das ihr zuvor verwehrt (worden) war. Besonders schön fand ich den Vergleich mit den Kranichen, die man dieser Tage auf ihrem Flug nach Süden hört - und ihre Formationen am Himmel sieht: Auch zu diesen habe ich seit Kindertagen durch ein bezauberndes Jugendbuch (und Gurion, dem Kranich) ein besonders inniges Gefühl.


    Fazit:


    Ein warmherziger, sehr berührender Wohlfühlroman mit Tiefgang; eine Hymne auf Emotionen und das zu-sich-selbst-stehen, über die Liebe und das Loslassen, aber auch über Briefe und Ungesagtes in verbaler und schriftlicher Form: Ein Plädoyer zum Griff nach Papier und Feder (ein Kugelschreiber oder Bleistift, ein Füller erfüllt den gleichen Zweck ;) und das Briefeschreiben, das im digitalen Zeitalter mehr und mehr verlorengeht. Poetisch, klug und sehr atmosphärisch: Unterhaltung auf sehr gutem literarischen Niveau! Von mir eine absolute Empfehlung und 4,5 *

    ASIN/ISBN: 3257300964



    Wenn aus lahmen Enten wilde Gänse werden...


    Als Fan der ersten Stunde, die durch Zufall (oder auch durch 'vorablesen') Mick Herron mit seinen "Slow Horses", die Agententruppe des MI5, die es allesamt vermasselt haben und im 'Slow House' landeten - auf unbestimmte Zeit (oder durch Eigenkündigung), bin ich auch vom nun vorliegenden 6. Band der Spionage-Krimireihe mehr als begeistert! Vielen Dank an dieser Stelle auch an Stefanie Schäfer, die auch Herron's (bzw. Jackson Lamb's "Frozzeleien" herrlich ins Deutsche übersetzt.


    "Joe Country" von Mick Herron erschien im Diogenes-Verlag, Zürich (2023, Softcover, - hier mit hohem Wiedererkennungswert - , 476 Seiten. Inzwischen wurde Bd. 1 "Slow Horses" auch verfilmt und ist in Apple+ zu sehen.


    Dieses Mal geleiten Erinnerungen (und keine guten) den Leser ins Slow House, in London-Finsbury, das einem faulen Zahn in einem schlechten Gebiss ähnelt; so heruntergekommen und verdreckt ist es dort. Hier agieren auf monotone Weise die "Abservierten" und es gibt ein Wiedersehen mit Jackson Lamb, der wiederum mit köstlichen Dialogen von seinen Slow Horses, die er dirigiert, gefürchtet wird, stets mit einem Verhalten glänzt, das an anderer Stelle unerträglich wäre: Dennoch hat Lamb, der seit Jahrzehnten dem MI5 angehört und bereits im Kalten Krieg eingesetzt war, Qualitäten, - im Gegensatz zu anderen auch menschliche, wie er im Falle Catherine zeigen sollte - die ihn hätten ganz nach oben bringen können. Wenn nicht alles schiefgelaufen wäre. Wenn nicht Lady Di (Diana Taverner) dort sitzen würde - und darüber sinnieren würde, wie sie ihn endgültig loswerden könnte...

    Im Falle von Emma Flyte gelingt ihr dies (leider), die kurzerhand und unverschuldet ins Slow House "versetzt" wird - und daraufhin kündigt.


    Ausser den bekannten Agenten (Catherine Standish, River Cartwright, Shirley Dander, Roddy Ho, Louisa Guy und J.K. Coe) gesellt sich hier ein weiterer hinzu, aus Gründen, die selbst dem IT-Genie Roderick Ho unergründlich bleiben, vom "Park" (Regent's Park, Sitz des MI5) ins Slow House 'verfrachtet': Lech Wicinsky, der lieber Alec genannt werden möchte und als Analytiker im Park etwas überprüft hat, das einigen Leuten weniger gefallen hat...

    Was es damit auf sich hat, ist gar nicht weit hergeholt und unterstreicht, welche realistischen Ideen Mick Herron oftmals als Grundlage seiner Romane dienen.


    Der alte O.B. (River's Großvater und eine Geheimdienstlegende) wird zu Grabe getragen und ein alter Ex-CIA-Spion, der Blut im Slow House hinterlassen hat , observiert die Trauergäste: Es wird nicht das letzte Mal sein, dass River hier auf ihn trifft (es ist sein Vater, der bereits lange auf kriminellen Abwegen wandelt). River sprintet über das Grab seines Großvaters (der ihn großzog), um Frank Harkness zu erwischen: Letzterer hat einen Auftrag angenommen, von dem noch niemand etwas weiß.


    Louisa Guy trauert noch immer um Min Harper, als dessen Ex-Frau sich an sie wendet, da Lucas, der 17jährige Sohn, auf der Bildfläche verschwunden ist - und Clara Harper, nun Addison, sich große Sorgen macht. Louisa nimmt sich kurzerhand Urlaub und versucht, einiges herauszubekommen, wo Lucas sich aufhalten könnte. Eine große Hilfe ist wie immer Roddy Ho, der King des virtuellen Universums, der den Fitnesstracker von Lucas ausmachen kann: Die Spur führt nach Wales; ebenso wie die Spur des Ex-CIA-Agenten und dessen Helfershelfer: Wird es den Slow Horses - oder hier den "Lahmen Enten" gelingen, den Jungen zu finden? Was steckt dahinter, dass einige gut bezahlte Killer sich an dessen Fersen hefteten?


    Meine Meinung:


    Jede Seite dieses genialen, intelligenten und sehr stimmigen Spionagekrimis ist ein absoluter Lesegenuss: Inhaltlich wie sprachlich, da Mick Herron mit herrlichen Seitenhieben die heutige englische Gesellschaft und die weniger bekannten Aufgaben des MI5 (die nicht nur daraus bestehen, das Land zu beschützen) beschreibt, wobei eine hohe Sprachdichte, köstliche Dialoge, schwarzer Humor und Sarkasmus, die Atmosphäre sowohl im Slow House als auch im tief verschneiten Wales verbunden mit viel Spannung diese Reihe zu dem machen, was sie ist: Etwas ganz Besonderem!


    Es gibt einige Rückblicke auf die Vorgängerbände, jedoch ist jeder einzelne Band der Reihe in sich abgeschlossen. Jeder Satz strotzt vor intelligenter und sprachlich gewitzter "Schnodderigkeit", was ich sehr mag - und auch zu den schrägen Figuren passt. Man empfindet Unmut bei Menschen wie Peter Judd, der wieder in die Politik zurückmöchte und fragwürdige Allianzen mit Lady Di, der Regentin des Parks schmieden möchte; bangt mit den Agenten, die in Wales allesamt ihr Leben riskieren, liest von finsteren internen Machenschaften von Personen, die über Leichen zu gehen bereit sind, um stets mit reiner Weste dazustehen. Hört vom "Fugue-Protokoll" des Parks, das Lady Di vorrangig dazu dienen soll, sich abzusichern.


    Die letzten 60 Seiten bestehen aus sehr kurzen Abschnitten, die die Spannung in winterlicher Atmosphäre ins Unermessliche treiben und man im Showdown mit einigen der Agenten (River, Louisa, Emma und Coe); den "Joe Countrys", also Agenten im Außendienst, das Schlimmste befürchtet. Unter Einsatz ihres Lebens kämpfen sie um das Leben eines Jungen. Und erinnern hier eher an wilde Gänse als an "Lahme Enten", wenn auch nicht alle zurückkehren werden.


    Am Ende hängen die ins Slow House Zurückgekehrten in der ein oder anderen Form ihren Erinnerungen nach, außer Roddy Ho, der im virtuellen Universum des MI5 auf Tauchgang geht - und Unglaubliches entdeckt!

    Ich bin auf die nächste Folge (Band 7, im englischen gibt es bereits einige mehr) mehr als gespannt und hoffe, dass Lamb Lady Di einen gewaltigen Strich durch ihre (miese) Rechnung machen kann! Von mir eine absolute Leseempfehlung für Krimi- und Thrillerfans, die an dieser Reihe ihre helle Freude haben werden. Und das in jeglicher Hinsicht! 5* und: BUCHTIPP!

    "Tweed Time" ist das soeben erschienene, innen wie außen auf prachtvolle Weise ausgestattete Buch der Kochbuchautorin Theresa Baumgärtner, die hier gemeinsam mit einem Team (Lucia Baumgärtner, Melina Kutelas, Julia Leissing, Katharina Ralser und Magdalena Burghardt) ein sensationell schönes Koch-, Back-, Rezepte- und Genussbuch im Brandstätter Verlag (HC, geb., 2023, 256 Seiten) veröffentlichte.


    Die Autorin ist auch Inhaberin des legendären "Hazelnut House" in einem malerischen Teil Luxemburgs gelegen.


    Sie und das Team widmen sich in "Tweed Time", das dem Namen nach schon auf eine Reise der Autorin nach Schottland hinweist, "dem Duft des Herbstes und der Freude auf den Winter" (UT) und speziell die Themen Natur, Rezepte und Handwerk gekonnt und auf die "Baumgärtner'sche zauberhafte Art" (und als Augen- und Gaumenschmaus) hier mit passenden Texten, Illustrationen und tollen Rezepten des Herbstes miteinander verwebt. So kann der geneigte Leser, Betrachter und Hobbykoch in eine bunte Herbstwelt eintauchen, die es an Farbenpracht in sich hat: Die aus Schottland mitgebrachten Inspirationen und landestypischen Rezepte lassen das Herz schon beim Betrachten höherschlagen und werden ins 'Hazelnut House' transferiert, so dass ausser wunderbaren (und gut nachzubereitenden) Herbstgerichten auch viele schottische Rezepte im Buch zu finden sind. So trifft man die Zwetschgentarte ebenso wie Scones aus den Highlands; eine Lauchquiche ebenso wie Fish & Chips und Oaties neben einem Nussguglhupf.


    Untergliedert ist die geniale "Tweed Time" in


    - Goldene Tage (vom Glück des Erntens)

    - Komm, träum mit mir (eine Reise nach Schottland)

    - Raureif (eine Vorahnung auf den Winter).


    Verortet sind die Themenbereiche, die sich auch auf Tweed und Wolle erstrecken, sowohl in den schottischen Highlands, die die Autorin bereiste, als auch im Hazelnut House; zu beiden schönen Örtlichkeiten gibt es stimmungsvolle und bezaubernde Herbst- und Winterfotos.


    Als Schottlandfan haben mich die Fotos und Berichte (z.B. das Hotel Ivybank Lodge in Blairgrowie) mehr als begeistert; ebenso wie die Illustrationen, Zitate und Lyrics (Morgenstern, Robert Burns), aber auch die herbstlichen DIY-Projekte, die sehr gut beschrieben werden, haben mich sehr inspiriert und mir gefallen (Stempel-Atelier, Blättermobile z.B.)


    So "wimmelt" es auf 256 Seiten von klassischen und schottischen Herbstrezepten, stimmungsvollen Bildern und Fotos, einem Flowerschool-Besuch, Spuren des Tweedstoffes in einer alten Fabrik (Glenlyon Tweed Mill) und ein Tweed-Guide, der dieser stimmungsvollen Gesamtkomposition ein Krönchen aufsetzte.


    Fazit:


    Ein prachtvolles Kaleidoskop herbstlicher Koch- und Backrezepte mit schottischer Note, verbunden mit sehr stimmungsvollen Fotos und Texten: Ein must-have für Fans von Theresa Baumgärtner und auch eine wundervolle Geschenkidee! Von mir eine absolute Empfehlung und 5*.


    ASIN/ISBN: 3710607280

    Auf über 190 Seiten hat die sympathische und erfolgreiche Bloggerin, Autorin, Journalistin und Mutter Kathrin Runge vielfach erprobte, leckere und zu jedem Anlass passende Rezepte in diesem empfehlenswerten Backbuch zusammengestellt, die auch von Backanfängern leicht nachzubacken sind, von süß bis herzhaft reichen und teils gemeinsam mit Kindern gebacken werden können (diese Rezepte haben eine spezielle Kennzeichnung, was ich sehr positiv finde!).


    "Backen macht glücklich" - Das Familienbackbuch von Kathrin Runge erschien (2023, HC geb.) im DK-Verlag und enthält 80 bewährte, teils klassische und sehr leckere Backrezeptideen, die auch dank guter Beschreibung der Zubereitung sehr gut nachzubacken sind. So finden sich für jeden Anlass rund ums Jahr köstliche Rezepte, die mit tollen Fotos der Autorin und Bloggerin garniert sind.


    Sehr gelungen finde ich die Gliederung und vor allem die Basics zu den Teigarten und dem Zubehör (und Alternativen) sowie die 'Pannenhilfe' und die kreative Resteverwertung. Diese Basics erleichtern Einsteigern das Eintreten in die Welt des Backens; das Backen erfordert wenig Zeit, so dass es auch im trubeligen Alltag jeder Familie Platz hat. Der Hauptteil gliedert sich in die Rubriken


    - Kuchen, - Feste, - köstliche Kleinigkeiten, - Süßspeisen und - Herzhaftes


    Für Kids gefielen mir besonders der Cookie-Cake und die Regenbogentorte; an Herzhaftem das indische Naan und die Spinat-Feta-Muffins; an Klassikern der Rosenkuchen (Hefepuddingschnecken) und der Apple-Crumble, den wir sehr lieben und der besonders in die jetzige Herbstzeit passt.


    Fazit:


    Tolle Backinspirationen und 80 leicht nachzubackende, in den Alltag zu integrierende wundervolle Backrezepte, die meist anfängertauglich sind und teils auch gemeinsam mit Kindern gebacken werdn können: Ein Basic-Backbuch, toll illustriert und sehr gut beschriebene Rezepte, die für jeden feierlichen Anlass - oder auch zwischendurch - viel Backfreude und das Genießen des jeweiligen Ergebnisses garantieren! Auch als Geschenk eignet sich dieses Backbuch sehr; ich kann es bestens empfehlen und vergebe die volle Punktezahl! 5*

    "Der letzte Zug nach Schottland" von Josephine Tey (1896-1952) erschien im Kampa Verlag/Zürich (2023, HC, geb., 326 Seiten) in nostalgisch anmutendem Cover, das mir auf Anhieb gefiel. Es passt zu diesem hervorragenden klassischen Kriminalroman einer Wegbereiterin, deren "Nachfahrin" Val McDermid ein sehr treffendes Nachwort schrieb; Josephine Tey bereitete im klassischen Kriminalroman-Genre quasi den Weg für viele namhafte Autorinnen. Der Ermittler Alan Grant taucht auch in anderen Werken Tey's auf und wer ihn noch nicht kennenlernen durfte, wird ihn sicher sympathisch und sehr menschlich finden. Seit Jahren steht diese Autorin auf meiner Krimileseliste und der hier vorliegende, neuerschienene und von Manfred Allié aus dem Englischen übersetzte Krimi macht auf jeden Fall Lust auf mehr von Josephine Tey, wenn man klassische Kriminalromane, die sog. 'noirs', wie ich sehr mag. "The singing sands" so der stimmige O-Titel im Englischen, erschien übrigens erstmals 1936.


    Alan Grant, Detectiv Inspector bei Scotland Yard, ist erschöpft und macht sich auf die (lange) Reise von London nach Schottland, wo ihn Freund Tommy nebst der von Grant sehr gemochten Ehefrau und Pat, deren halbwüchsigem Sohn, erwarten. Kurz vor dem Aussteigen aus "Abteil B Sieben", das eine der Hauptrollen im Kriminalroman spielen sollte, sieht er mit eigenen Augen, dass es Murdo Gallacher, genannt 'der alte Joghurt', ein stets verdrießlicher Bahnbediensteter, der seit 20 Jahren das Nötigste tut, seine Gäste jedoch schröpft und ein Vermögen machte, nicht gelingt, einen jungen, dunkelhaarigen, zerzaust wirkenden Mann aus dem Schlafabteil aufzuwecken: Grant stellt fest, dass der junge Mann tot ist - und das Abteil nach Whisky-Ausdünstungen riecht: Der Tote hat eine Wunde am Hinterkopf, mit dem er in womöglich betrunkenem Zustand mit dem harten Waschbecken kollidierte...


    Im Hotel stellt Grant fest, dass er zu seinen Zeitungen wohl noch eine aus "Abteil B 7" versehentlich mitnahm und findet ein Gedicht (8 Zeilen, der Mittelteil fehlt), das u.a. von singendem Sand erzählt... Als er in der Zeitung am nächsten Tag liest, dass es sich um einen jungen Franzosen handelt, der im Zug zu Tode kam, bekommt er ein schlechtes Gewissen, da er das Gedicht durchaus dem jungen Toten zuschreibt, unbeabsichtigt ein evtl. Beweisstück mitnahm, es aber nicht deuten kann.


    Und so nehmen die Dinge ihren Lauf: In den Highlands angekommen, versucht sich unser erschöpfter Inspector mit Angeln abzulenken, bis er im Wasser den Kopf des jungen Franzosen sieht: Der Fall geht ihm nicht aus dem Kopf und er versucht, hinter die ominösen Zeilen zu kommen und was sie mit dem Toten zu tun haben könnten. So gibt er Anzeigen auf, besucht einige Inseln auf den Hebriden, auf denen es singenden Sand und wandelnde Steine geben soll (nebenbei bewältigt er seine Klaustrophobie und gegen Ende seiner kriminalistischen und sehr durchdachten, intelligenten Bemühungen, das Rätsel um den frühen Tod des Mannes zu lösen, überwindet er sie sogar); lernt einige suspekte und einige hilfreiche Menschen kennen, die ihm dabei helfen, eine Spur aufzunehmen: So entpuppt sich ein Pilot mit kriminalistischem Spürsinn als Compagnion Grants, da dieser ebenfalls an der Lösung interessiert ist, schien er mit dem Toten befreundet gewesen zu sein. Das Motiv, das Grant für das vielleicht nicht gewaltlose Ableben des jungen Mannes hält, könnte in diesem (wie in vielen anderen Fällen) Eitelkeit sein. Und so erlebt man im zuvor oft beschaulichen, zeitweise sehr humorvollen Krimi einen skrupellos eitlen Menschen, dessen furchterregender Charakterzug ihn nicht davon abhält, eiskalt und berechnend wie auch grausam einen Menschen zu "beseitigen".


    Der Stil von Josephine Tey ist sehr atmosphärisch, sprachlich ein Genuss, was ihrer scharfen Beobachtungsgabe und ihrem Erzähltalent geschuldet ist, und in dem (von mir sehr geliebten) britischen Sinne sehr humorvoll (ein Bsp.; (Jemand) hat "einen Blick wie eine Steinmauer, mit Scherben gekrönt" - Zitat S. 51). Tey schreibt klar und beschreibend und auch die "Zwiesprache", die Grant zuweilen mit sich selbst führt, ist köstlich zu lesen.


    Fazit:


    Ein Klassiker der Kriminalliteratur mit einem unorthodoxen, kultivierten, feinfühligen, auch verletzlichen Inspector Allen Grant, den man einfach ob seiner Menschlichkeit sympathisch findet: Liest man J. Tey (wie ich selbst) zum ersten Mal, ist es eine Überraschung, ein Vergnügen, wie McDermid im Nachwort richtig festhält. Vom ersten bis zum letzten Satz ist auch der Leser/die Leserin damit beschäftigt, das Rätsel um den Toten in Abteil B Sieben zu lösen: Ich freue mich auf weitere (im selben Verlag neu veröffentlichte) Kriminalromane der sehr talentierten Josephine Tey und empfehle diesen absolut weiter: An Fans klassischer Kriminalromane und solchen, die es noch werden wollen. Von mir daher 5* für ein Krimi-Highlight in 2023!

    Ja, das verstehe ich!

    Josephine Tey ist übrigens ein Pseudonym für Elizabeth Mackintosh, einer schottischen Jungfer aus Inverness, gestorben in den 50er Jahren. Ihr Roman "Alibi für einen König" wurde von der Crone Writers Association zum besten Krminalroman aller Zeiten gewählt.


    Der steht jetzt natürlich auf meiner Wunschliste!

    ASIN/ISBN: 3311300505

    Bei mir steht er seit 2009 auf meiner WuLi (auf der Histo-Couch erstmals davon gehört bzw. gelesen ;)

    Ich denke auch, dass Bannalec bzw. Jörg Bong (wusste ich, dass er sich hinter dem Pseudonym verbirgt, nicht aber, dass er mal GF von S. Fischer Verlagen war!) besonders KrimileserInnen anspricht, die die Bretagne lieben (gehöre ich auch dazu ;)) und die Atmosphäre und Kullinarik lieben: Bretagne-Gourmets sozusagen.


    Ich liebe besonders seinen Lieblingsspruch (So ein Sch... ^^) und den Dupin-eigenen Humor. Ich mag ansonsten keine "Regional-Krimis" - aber hier mache ich sehr gerne (avec plaisir) eine Ausnahme :), auch wenn ich Dir recht geben muss; einiges ist schon fast karikiert....

    "1989 Wahrheit oder Tod" von Val McDermid legt hier den 2. Fall für die Investigativjournalistin Allie Burns vor: Spannende Themen und ein kriminalistischer Ausflug in die Welt der Medienmogule im Jahre 1989, in den die Autorin m.E. ein wenig viel 'hineinpackte', weshalb mich der Vorgänger (1979) mehr überzeugen konnte - da die Autorin jedoch seit vielen Jahren zu meinen schottischen Lieblings-KrimiautorInnen zählt und ich auch die Karen-Pirie-Reihe sehr gerne lese, werde ich natürlich weitere Fälle für Allie Burns dennoch im Auge behalten.


    "1989 - Schicksalsjahr für Europa. Eine neue Seuche macht sich breit, die Welt im Osten verändert sich rasant. Journalistin Allie Burns, inzwischen Mitte dreißig und Redakteurin in Manchester, ist entschlossen, den Kranken und Ausgestoßenen der Geellschaft eine Stimme zu geben. Als sie der Wahrheit immer näher kommt, findet sie sich hinter dem Eisernen Vorhang wieder.... in Ostberlin am Rande der Revolution."

    (Quelle: Buchrückentext des Verlags)


    Meine Meinung:


    Als langjähriger Fan der Kriminalromane von Val McDermid, die ich fast alle gelesen habe, war ich auch auf den 2. Fall von Allie Burns sehr gespannt, da mir "1979" bereits sehr gut gefallen hat. Im vorliegenden Fall hat die Autorin spannende Themen aus dieser Zeit, die mit der Geschichte Schottlands und Englands zu tun haben (Lockerbie, Sheffield), das Problem von HIV-infizierten und Aids-Patienten in Edinburgh (damals die europäische Hauptstadt von Aids), dem Wegschauen der Verantwortlichen, dem Abbrechen von Forschungsstudien zu Medikamenten und dem darauffolgenden Abwandern der Erkrankten nach England nachgespürt. In gewohnt sozialkritischer Weise war hier besonders Allie Burns, aber auch McDermid auf den Plan gerufen, Zusammenhänge zu durchschauen und als Investigativjournalistin bei ihrem Arbeitgeber, dem Medienmogul Wallace Lockhart, im Globe ihre kritischen Artikel zu schreiben: Man erfährt von dem brutalen Journalismus, der guten JournalistInnen zuweilen das Wort im Munde herumdreht und so ist auch Lockhart vor allen Dingen daran interessiert, sein Zeitungsimperium zu pflegen und möglichst noch zu vergrößern: Die Erbin, Genevieve Lockhart, soll die alten Verbindungen im Osten Europas sichern und wird kurzentschlossen nach Berlin entsandt. Währenddessen erhält Lockhart Drohbriefe, die in dessen neblige Vergangenheit deuten und bei denen sich ihm die Nackenhaare aufstellen: Wer steckt dahinter und warum jetzt?


    Bis zur Hälfte des Romans fehlte mir erstmals die Spannung, die McDermids Kriminalromane stets auszeichnet, ab der Mitte stieg diese jedoch an: Vieles erschien mir realistisch (der Einblick in die hartumrungene Medienwelt und des Sensationsjournalismus, die skrupellosen Machenschaften der einflussreichen Pharmaindustrie z.B.), anderes jedoch weniger - besonders Allies Aufenthalt (teils freiwillig, teils erzwungen) in Ost-Berlin: Ich nehme an, dass ausserhalb dieses Krimis die Reichweite eines Ace Lockharts in den Zäunen zwischen West- und Ostberlin - in der Sperrzone - geendet hätte. Dennoch liest sich '1989' atmosphärisch wie immer und die Charaktere sind gut ausgeleuchtet und vorstellbar. Eine Stelle hat mich als Leserin wirklich gestört, in der es um Homosexualität geht und eine Fr. Dr. Frederike Schröder sexistisch beschrieben wird: "Fredi" ist (demnach) süß und langbeinig - (für eine weitere Protagonistin) "vielleicht in mehrfacher Hinsicht ein guter Fang" (Zitat). Solche Aussagen erwarte ich eher nicht in einem Kriminalroman, dessen Autorin sich selbst als lesbisch outete - und hier besonders einfühlsam agieren sollte. Auch die Beziehung zwischen Allie und Rona, die in Manchester zusammenwohnen und sich gegenseitig sehr unterstützen, auch in beruflicher Hinsicht, waren mir zuweilen zuviel 'des Guten' und nahmen einen allzu breiten Raum ein.

    Den literarischen Ausflug nach Polen gegen Ende des Kriminalromans und die Zeitreise in die NS-Zeit fand ich hingegen sehr interessant und spannend dargestellt.


    Fazit:


    Erstmals, seit ich McDermid lese und von ihren Kriminalromanen mehr als begeistert bin, musste ich hier einige Längen, fehlende Spannung bis zur Mitte des Krimis feststellen: Vielleicht war die Themenauswahl auch etwas 'überreizt', denn einiges in diesem Krimi war für mich am Rande des Überflüssigen; die Kritik jedoch vermisste ich nicht und die gewohnte Atmosphäre war ebenfalls gegeben, die diese Autorin auszeichnen. Ein etwas überfrachteter Einblick in komplexe Themen wie die Welt der Medienmogule und des Sensationsjournalismus, der Macht der Pharmaindustrie und eine Zeitreise in die Zeit kurz vor dem Mauerfall in Berlin bietet sich dem geneigten Leser: Ich schließe mich hier der Meinung einer von mir sehr geschätzten Krimi-Lesefreudin gerne an: "Val McDermid kann es besser!" 3 *

    "Bretonischer Ruhm" von Jean-Luc-Bannalec (brosch, TB, 336 S.) erschien im KiWi-Verlag, Köln, 2023. Es ist bereits der 12. Fall von allen (und hoffentlich nicht der letzte) mit dem streckenweise urkomischen, caféliebenden und überhaupt jede Form von erlesener Kulinarik liebenden Kommissar Dupin. Auch hier werden Fans der Krimireihe auf ihre Kosten kommen:


    Inhalt:


    Die Hochzeitsreise von Jaques Dupin und seiner Claire führt die beiden in die südliche Bretagne und an die Loire, wo sie "jeden Tag einer Weintraube widmen" wollen und erlesene Weingüter gebucht haben: Die erste Station führt sie in die 'Fontaine aux Bretons', die Cécile Cast, einer Freundin von Claire, gehört. Kaum angekommen und Pläne für die folgenden Tage bei erlesenen Köstlichkeiten - jeweils begleitet von excellenten Weinen, wie von Dupin bekannt - schmiedend, geschieht der Mord an Brian Katell, dem Ex-Mann von Cécile, dem sie noch immer nahe steht: Aus 'rein freundschaftlichen Gründen', die besonders Claire wichtig sind, ermitteln nun nicht nur Dupin höchstselbst, sondern auch Claire und Cécile, die natürlich über besondere Ortskenntnisse und Hintergrundwissen verfügt. Während Claire in allen Bänden zuvor immer unscheinbar blieb, tritt sie hier erstmals in den Vordergrund und ist von dem Vorhaben, gemeinsam zu ermitteln, nicht mehr abzubringen. Lelouche, der vor Ort zuständige Kommissar, ist über die 'undercover-Ermittlung' des Rivalen Dupin alles andere als erfreut; letzten Endes aber machtlos. Lelouche macht eine nicht sehr gute Figur und das Aufeinandertreffen der beiden Ermittler erinnerte mich stets an das "Hase und Igel" Spiel: In allen Kommissariaten der Bretagne scheint eins klar zu sein: Dupin ist einfach der Beste (was auch Nolwenn so sieht).


    Auf dem Weingut von Brian, dem noch ein weiteres Opfer folgen soll, lernen wir dessen Mitarbeiter kennen: Marchand und dessen Sohn, die zeitlebens Verwalter des Weinguts sind; Emily Pic, eine talentierte Winzerin, die eine große Zukunft vor sich hat und sehr ehrgeizig ist; Anne-Sophie Joly, einst Erbin eines weiteren Weinguts und Brians Lebensgefährtin sowie Damien Dantec, der PR-Chef Brians, der für die Vermarktung der Weine zuständig ist. Ein alter Freund von Brian, Alain Chevrier, wollte mit Brian eine Reihe von Weinbars eröffnen: Das Projekt ist fast beendet, als Brian ermordet aufgefunden wird: Was wird nun daraus werden?


    Meine Meinung:


    Auch im vorliegenden Band der Dupin-Reihe, die erst zur Mitte hin an Spannung Fahrt aufnimmt, nimmt die Beschreibung der Region um Pornic sowie die bretonische Speisekarte, Lokalitäten, die empfehlenswert sind sowie sehr erlesene Weine als Begleiter excellenter Mahlzeiten einen breiten Raum ein. Da ich die Atmosphäre in den Bannalec-Krimis sehr schätze und bei jedem Café, ohne den es einfach nicht geht, schmunzeln muss, hat mich dies nicht weiter gestört. Bannalec lässt auch hier wieder seine Leserschaft mitfiebern und -rätseln: Wer könnte ein Motiv haben, wer der Mörder (oder die Mörderin) sein? Claire erlebt man als toughe Ehefrau, die ihren eigenen klugen Kopf hat und nun Konturen annimmt, die zuvor nicht sichtbar waren. So "mogeln" sich die ErmittlerInnen 'inkognito' stets an wachhabenden Polizisten vorbei, um in der Domaine nach Spuren zu suchen; dies fand ich persönlich am spannendsten, da Dupin nicht Dupin wäre, wenn er denn nicht riskante, aber durchaus erfolgreiche Aktionen lieben würde. Der Autor legt erfolgreich falsche Fährten und die Auflösung hat mich überraschen können (wenn ich hier auch evtl. mildernde Umstände gelten lassen würde). Interessant fand ich auch die Ausflüge in die Welt der Verkostungen und wirklich sehr alten, edlen Weine, die mitunter ein Vermögen wert sind! Auch wenn die Brigade Dupins (Nolwenn, Riwal - eine Lieblingsfigur von mir und Kadeg) diesmal nur eine Nebenrolle spielen und Spechte in Schach halten, die Dupins Haus attackieren, waren sie doch irgendwie bei jedem Schritt "mit dabei" - denn ohne sie kann ich mir keinen Dupin-Krimi vorstellen. Ich hoffe, dass der von Dupin geliebte Citroen XM reparabel ist: Mir gefällt er auch sehr viel besser als der DS7-E ;)


    Fazit:


    Gerne empfehle ich auch diesen (bereits 12.) Kriminalroman um den kultigen Kommissar Dupin; eine besondere Empfehlung geht an Liebhaber erlesener Weine und bretonischer Spezialitäten, viel Bretagne-Atmosphäre (diesmal den Süden) und einem sehr kniffligen Fall, den Dupin und Gattin Claire sowie Cécile, beste Freundin Claires, souverän und undercover lösen:

    Etwas blamable für Lelouche, zum Schmunzeln der LeserInnen und zur Freude Dupins & Team, "der ja eigentlich nur auf Hochzeitsreise war". 4* und Vorfreude auf den nächsten "Dupin" ;)

    Wenn aus Fremden Freunde werden.....


    "Unsere Stimmen bei Nacht" von Franziska Fischer erschien im Dumont-Verlag (HC, gebunden; 286 S., 2023) und hat mich sowohl inhaltlich als auch von der einfühlsamen und psychologisch versierten, tiefgründigen und zuweilen poetischen Erzählweise der Autorin sehr begeistert!


    Worum geht's?


    Gloria und Herbert; ein Ehepaar in den Mittfünfzigern, vermieten die Zimmer ihrer 3 Kinder, die inzwischen erwachsen sind und auszogen, in einer alten Berliner Villa: Dafür scheint es mehrere Gründe zu geben; zum Einen verbessern sich die Finanzen der beiden - und zum anderen kommt, was vorwiegend von Gloria gewünscht ist, mehr Leben ins Haus, das groß genug ist, um Lou, Mitte 30 und sehr oft umgezogen, Tänzerin; Jay, einen Studenten der Politikwisssenschaften sowie den von Frau und Sohn getrennt lebenden Gregor, einen Wissenschaftler und dessen Tochter Alissa (16) aufzunehmen. Herbert ging vorzeitig in den Ruhestand und hat sich in zwei Räumen ein kleines Antiquariat aufgebaut, das er weiterhin betreibt, auch wenn es kaum Laufkundschaft gibt....


    Meine Meinung:


    Der Roman beginnt mit dem Einzug von Lou, die mir aufgrund ihrer einfühlsamen und hilfsbereiten Art sowie ihrem Gespür für Menschen sehr sympathisch war. Sie hat eine Weile bei einer Freundin gewohnt und Gloria schien es (sie war die 34. Bewerberin für das letzte Zimmer!), dass das Zimmer und Lou zusammenpassen werden - und sie gleich einziehen konnte. Nach und nach lernt man die anderen Hausbewohner kennen; Jay, den anfangs unsicheren und scheuen, später aufgetauten und auch mal mit Lou in der Küche stehenden und kochenden Studenten, der sich durch das Angebot der Mahlzeiten gegen Aufpreis recht wohl zu fühlen scheint und auch gerne Songs schreibt und Gitarre spielt. Gregor ist der am zurückgezogensten lebende Charakter dieser Haus- und Wohngemeinschaft, Alissa wirkt eher unglücklich über die Zerfaserung der Familie, kommt aber mit dem Vater anscheinend besser zurecht als mit der dominanten Mutter, die ihr in den Ferien Nachhilfe aufbürdet und am guten Schulabschluss der Tochter mehr Interesse zeigt als an der Tochter selbst. Alissa wirkte auf mich auch in gewisser Weise überfordert, da sie ihrem Vater täglich Brote mit in die Uni gibt und somit Aufgaben verrichtet, die eigentlich nicht ihre sind.


    Zaghaft nähern sich die ProtagonistInnen, die allesamt diverse Geheimnisse mit sich herumschleppen, einander an; so lernen wir Lou als sehr extrovertiert kennen; sie will dieses Mal "die Lücke besetzen, in die sie sich - vielleicht längerfristig? - einfinden kann"; ihr Lachen ist ansteckend, was dem schüchternen Jay zugute kommt und beide sich bald gut verstehen. Lou erkennt auch, dass Alissa Unterstützung braucht, das Interieur ihres Zimmers betreffend und schenkt ihr kurzerhand eine Sternendecke, die es gemütlicher macht (Alissa ist eher introvertiert und verunsichert, da eine Freundin sich von ihr abwandte, die jetzt zu den wirklich "Coolen" gehört). Gloria ist erleichtert, als sie bemerkt, dass sie durch Jay und Lou Hilfe beim Kochen erhält, ihr Mann Herbert braucht etwas länger, sich auf die häuslichen "Veränderungen" einzustellen: Er ist der konservativste Charakter, der Rituale mag und jeden Tag sein Klappschild für das Antiquariat auf die Straße stellt. Bis Jay ihm erklärt, dass er mehr Bücher verkaufen würde, wenn er auch einen online-shop hätte.


    Eine sehr interessante und vielschichtige, wie auch sympathische Figur ist Gloria, die Neuem gegenüber offen ist und eine alte Bürde mit sich trägt. Beim Ausmisten kommen sich Lou und Gloria im Dialog näher und eine Überraschung wartet auch auf den Leser, die ich mir sehr gut als eine Fortsetzung dieses Beziehungsromans mit feinen und leisen Untertönen vorstellen könnte! Die Themen sind sehr vielschichtig und es machte mir Freude, stets 'zwischen den Zeilen' lesen zu können; das Ankommen Lou's zu verfolgen, die Tatsache, dass die anfängliche Fremdheit einer permanenten Annäherung der ProtagonistInnen folgen sollte, gefiel mir sehr. Da ich selbst einen Teil meines (jungen) Lebens in WG's lebte, hatte ich auch einen direkten - und sehr positiven - Bezug zum Thema Zusammenwohnen.


    Fazit:


    Ein wunderschöner Roman, in dem es der Autorin mit Bravour, auf berührende Weise und stellenweise tiefpoetisch gelingt, zu beschreiben, wie es den WG'lerInnen gelingt, sich gegenseitig zu helfen; Altes, Verkrustetes mehr und mehr aufzubrechen, sich Mut zuzusprechen und auch Hoffnung zu geben. Allen, die tiefgründige und sehr niveauvolle Unterhaltung, gewürzt mit Empathie und psychologischem Feingefühl lieben, kann ich eine absolute Empfehlung aussprechen. Auch könnte es ein Roman sein, der SeniorInnen Hoffnung gibt, MitbewohnerInnen zu finden, die leerstehenden Zimmern in viel zu groß gewordenen Häusern - und damit auch ihrem eigenen Leben - womöglich wieder neues, mitmenschliches Leben einhauchen könnten. Zu wünschen wäre dies sehr!

    Ich vergebe mit einem dankeschön an Franziska Fischer und an den Dumont-Verlag für schöne Lesestunden 5*.


    10 von 10 Punkten / 5*****

    "Das Rosencottage" von Constanze Wilken erschien (tb,2023, 506 Seiten) im Goldmann-Verlag, München und ist bereits der 7. Roman einer meiner LieblingsautorInnen in diesem Genre, den ich wieder einmal mit Begeisterung gelesen habe: C. Wilken versteht es, den Leser von Beginn an in die Geschichte hineinzuziehen und den Spannungsbogen wie auch die Authentizität in ihren Romanen bis zum Schluss oben zu halten:


    Inhalt:


    Kirsty Paterson, Tochter einer reichen Architektenfamilie und auch 'schwarzes Schaf', da sie als Einzige in der Familie nicht profitorientiert handelt, sondern eher ihren Talenten (z.B. dem Malen von Landschaftsbildern) und ihrem Herzen folgt, erbt zur Überraschung aller das Cottage auf der malerischen Insel Tiree, die zu den Inneren Hebrideninseln Schottlands gehört und für Kirsty schöne Ferienmomente mit Fiona, ihrer Großmutter, bedeutet: Doch mit dem Erbe stellt Fiona ihr nach deren Tod auch eine Aufgabe: Kirsty soll herausfinden, was aus Livie McMillan, ihrer Freundin aus der Kindheit auf Tiree, geworden ist. Der Kontakt der beiden Freundinnen war kurz vor dem 2. Weltkrieg Mitte der 30er Jahre abgebrochen....

    Kirsty stellt sich dieser Aufgabe und lässt den Leser miträtseln, welchem Schicksal Livie damals entgegenging und auch nachspüren, wie karg und hart das Leben auf der kleinen Insel vor 100 Jahren gewesen sein muss. Was Fiona ihr verheimlichte, war die Tatsache, dass das Cottage an Finlay Stewart, einem Autor mit Schreibblockade, der dort in der Ruhe und Abgeschiedenheit wieder in den Schreibfluss kommen möchte, vermietet wurde: Fortan müssen die beiden ungleichen Mieter sich das Cottage teilen, was nicht ohne Spannungen, aber auch Schmunzeln bleiben sollte, da Finlay zwar ungehobelte Manieren hat und dem Trinken frönt, aber auch ein Genussmensch ist und für sein Leben gerne kocht. So recherchieren beide mehr und mehr gemeinsam, was aus Livie geworden ist und machen hierbei auch unliebsame Erfahrungen.... Wird es Kirsty gelingen, die Jugendfreundin ihrer Großmutter ausfindig zu machen?


    Meine Meinung:


    Die Autorin versteht es auch hier wieder, den Leser schon zu Beginn (der Prolog ist sehr dramatisch) zu fesseln und das Leseinteresse zu wecken: Der Roman findet auf zwei Zeitebenen statt, zum einen vor fast 100 Jahren und zum anderen in der Gegenwart; hier wird - für C. Wilken Romane symbolisch - Historie mit einer spannenden Geschichte und sympathischen ProtagonistInnen verwoben, wodurch ein schön zu lesender, authentisch wirkender Roman entsteht, den ich sehr gerne gelesen habe. Erschreckend war zuweilen in der Vergangenheit die Düsterkeit und Bitternis der beschriebenen Ausweglosigkeit von Frauen, die prügelnden, gewalttätigen Ehemännern schutzlos ausgeliefert waren und es kein Entrinnen gab: Ausser Paddy, der Lieblingsbruder von Livie McMillan, gibt es in dieser Familie nur Männer, die sich mit Fäusten auseinanderzusetzen wussten; allen voran Vater Donald, der die Familie auf brutale Weise tyrannisierte und kriminelle Wesenszüge trug.

    Auf Kirsty wartet eine wahre Odyssee, die sie bis nach Mull führt, um etwas über das Schicksal von Livie herauszufinden und die Suche nach Spuren gestaltet sich stets (auch für den Leser) sehr spannend, so begegnet man Inselpfarrern, einer redseligen Küsterin, einem alten verbitterten Mann und dessen nichtsnutzigem Neffen, aber auch einer profitorientierten Familie, die letzten Endes einsieht, dass die Erbin des Cottages dieses wohl nicht verkaufen wird, um eine Ferienanlage auf der Insel zuzulassen.

    Mitleid hat man mit dem Inselarzt, der in der Vergangenheit lieber die Insel verlassen hat als noch mehr (nicht nachweisbaren) Schaden durch einen cholerischen, gewalttätigen und herrschsüchtigen Mann auf sich zu nehmen, der zeitlebens (vermutlich besonders nach dem 1. Weltkrieg, an dem er teilnahm) ein Trinker und Schläger war.

    Der Roman beinhaltet jedoch auch zwei Liebesgeschichten: Eine in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts, die andere in der Gegenwart, die sich auch erst nach und nach abzeichnet, was jedoch köstlich zu lesen - und letztendlich auch stimmig ist: So freut man sich mit den Charakteren, leidet jedoch auch mit ihnen, wenn sie unfair und brutal behandelt werden; Paddy war mir in dieser Hinsicht auch sehr sympathisch und ihm hätte ich einen Job und eine Ausbildung zum Piloten sehr gewünscht. Finlay Stewart wirkt anfangs sehr abstoßend, jedoch hat die Schreibblockade auch einen Grund, den er erst nach längerer Zeit mit Kirsty teilen kann.


    Fazit:


    Ein sehr atmosphärischer, zu Herzen gehender Roman mit historischen Elementen der schottischen Hebrideninsel Tiree, der Familiengeheimnisse und Historie sehr authentisch verbindet und mit sehr sympathischen HauptprotagonistInnen aufwartet. Der Spannung von der ersten Seite an bis zum Schluss gewährleistet und den ich aufgrund der authentisch dargestellten Geschichte sehr gerne gelesen habe. Ich empfehle ihn absolut gerne weiter - wie auch die Wales-Reihe der Autorin - an LeserInnen, die Spannung, Stimmigkeit, Tiefgang, aber auch einen Schuss Romantik und wunderschöne Landschaften und Inseln mögen; darüber hinaus für Geschichte und Familiengeheimnisse 'empfänglich' sind ;) Hier würde ich in diesem Falle beherzt zugreifen! 5*

    "Das Bücherschiff des Monsieur Perdu" aus der Feder der wundervollen Schriftstellerin Nina George ist gewissermaßen der Anschluss an "Das Lavendelzimmer", das vielen bekannt sein dürfte und weltweit Anerkennung fand (eins meiner Lieblingsbücher). Der Roman erschien bei Droemer Knaur (HC, gebunden, 2023,München, 379 Seiten) und reiht sich auf wunderbare Weise in die mir bekannten "Bücher über Bücher" - und auch Menschen - Reihe ein. Ich würde empfehlen, "Das Lavendelzimmer" zuerst zu lesen, zwingend notwendig ist es jedoch nicht, um auch dieses Buch für Bibliophile (und solche, die es noch werden wollen) sehr empfehlen zu können!


    Monsieur Perdu lebt seit 3 Jahren mit Catherine, einer leidenschaftlichen Bildhauerin, im Süden Frankreichs. Perdu ist leidenschaftlicher Buchhändler, der Bücher und Menschen, die zusammenpassen, liebend gerne zusammenbringt und an einem Buch gegen Seelenleiden schreibt; das er "Die große Enzyklopädie der kleinen Gefühle" nennen wird und dessen Einträge man im Romanverlauf verfolgen - und oftmals darüber schmunzeln kann. Lulu, sein Bücherschiff, hat er seinen Freunden gegeben; doch losgelassen hat ihn weder Schiff noch der eigentliche Ankerplatz in Paris nicht, wie man feststellen kann: So beschließt er nach über 4 Jahren, über die Champagne, die Marne und die Seine wieder seine "Pharmacie Littéraire" in Paris anzusteuern. Auf dem Weg, auf dem Max ihn begleitet, Freund von Perdu und Victoria (der Tochter von Manon, falls man den Vorgänger kennt) und werdender Vater, passieren natürlich viele unvorhergesehene Dinge und wir lernen einige sehr liebenswerte Menschen auf dieser Reise kennen:


    Da ist Cuneo und Samy, die Perdu halfen, "Lulu" wieder flott zu bekommen und beste Freunde sind, ebenso wie Max und Victoria; Ella, die lange im Verlagswesen tätig war und Pauline, ihre zuerst recht mürrische 16jährige Nichte (eine meiner Lieblingsfiguren im Roman); Dominique, später "Oma Dommi" genannt und der kleine Theo, dem es die Sprache verschlagen hat und dem Perdu sehr gerne helfen möchte, sie wiederzufinden; die Eltern von Perdu - Lirabelle und Joaquin - sowie Emile, ein Hafenbrigadier, der sich heimlich wünscht, wieder Bücher zu lesen und seinen Vorgesetzten, LeRoy im Grunde nicht ausstehen kann.


    Meine Meinung:


    Wie in all' ihren Büchern, nimmt Nina George ihre Leserschaft von der ersten Seite an mit ("Liebe auf den ersten Satz" - ein Zitat aus dem Roman, die es wirklich gibt!) und man ist als literarische "Mitreisende" oftmals gefangen von der zauberhaften Wortakrobatik, die die Autorin bis zur Perfektion beherrscht (wenn sie z. B. von der Allesmöglichkeit spricht). LektorInnen sind für sie "Co-Bildhauer des Wortgesteins"; viele teils poetische und philosophische Betrachtungen zu allen Facetten des literarischen - und auch realen Lebens liest man erstaunt, verzaubert von der sprichwörtlichen Sprachdynamik: Stilistisch ist der Roman ein Lesegenuss, es sind schöne Sätze oder Worte zu Büchern und Menschen zu finden, die nur George so auszudrücken vermag. (Erinnerungsdiamanten, z.B.) Der Stil ist poetisch, atmosphärisch, auch mal kritisch (Handy-Nutzung und das direkte Gespräch, das verloren zu gehen droht), zuweilen herzerwärmend und auch mal schnodderig in der Sprache (alle naslang) sowie humorvoll. Anderes regt zum Nachdenken an oder zum Innehalten, z.B.


    "Ein Buch richtet sich stets an das Innere, stellt Fragen und lebt mit dem Lesenden in die Antworten hinein" (Zitat S. 277).


    Die Themen sind so vielfältig wie das Leben selbst (Freundschaft, Liebe, Ängste, Heimat, gutes Essen, Lieben und wieder lieben lernen, Loslassen können, Optimismus, Gedankenreisen, Älterwerden u.v.m.). Auch werden viele bekannte Romantitel und AutorInnen genannt, die BücherfreundInnen bekannt sein könnten - oder es noch werden.


    Fazit:


    Der Roman ist eine Wohlfühllektüre auf hohem Niveau und gleichzeitig eine Schiffs- und literarische Reise mit Lulu vom Süden Frankreichs zurück nach Paris, wo ein Fest gefeiert werden sollte, das unterstreicht, dass es auch eine Reise zu sich selbst für Monsieur Perdu gewesen ist: Gemeinsam mit FreundInnen versteht er, nun angekommen in seinem Leben, dieses gebührend zu feiern! Ein Chapeau von mir für die unglaublich schön zu lesende "Wortakrobatik" der Autorin und eine Empfehlung sowie 4* am Literaturhimmel!

    Hawthorne ermittelt .... diesmal auf der Kanalinsel Alderney



    "Wenn Worte töten" (A line to kill im Originaltitel) von Anthony Horowitz erschien (2023, HC, geb., 329 S.) im Insel-Verlag. Es ist der dritte Kriminalroman, in dem der frühere Scotland-Yard-Inspector und jetzige Privatermittler Hawthorne seinen (gewohnt zuweilen recht witzigen) Auftritt hat: Die Besonderheit hier lag für mich darin, dass Hawthorne, also eine Romanfigur, hier personalisiert wurde und mit dem Autor auf eine literarische Reise geht, die plötzlich zu einer mörderischen wird:


    Beide (der Autor und Hawthorne) erhalten eine Einladung zum Literaturfestival auf Alderney, der kleinen Kanalinsel, die friedlich ist und auf der es nie zuvor einen Mord gab: So fliegt man mit den beiden gemeinsam auf die Insel; erlebt stellenweise die Lesungen und Vorträge mit und kann sich ein Bild von den weiteren Schriftstellern machen, die hier angetreten sind; teils mit schweren Koffern in der Hoffnung, viele Bücher zu verkaufen: Da sind Marc Bellem, ein TV-Koch, der auf Kalorien pfeift und Deftiges zubereitet mit seinem neuen Buch und der Assistentin Kathryn, die er für kleines Geld kurz zuvor anheuerte. Da ist der Inselhistoriker Elkin und die französische Lyrikerin Maissa Lamar sowie die Kinderbuchautorin Anne Cleary, die kürzlich eine üble Scheidung hinter sich brachte. Weiterhin gibt es die "blinde Seherin" (Buchtitel 'Blind Sight, Dark Sight' etc., mit der wir später eine Séance erleben sollen. Sponsor des Festivals ist der Inselmäzen Charles le Mesurier, der steinreich ist und sich eine Villa in der Nähe alter Bunkeranlagen aus dem 2. Weltkrieg hat bauen lassen: Er hat seine Finger überall im Spiel und seine Frau Helen gibt dieses nach Gusto beim Shoppen in Paris und sonstwo gerne wieder aus: Eine neue Stromtrasse spaltet die Inselbewohner; auch hier will Charles, dass diese gebaut wird, da er sich Profit davon verspricht; andere sind sehr dagegen, da sie mittels Umspannwerken etc. die Insel verschandeln würde - und was noch schlimmer ist, direkt über einem Massengrab aus dem 2. WK verlaufen soll, in dem auch so mancher Großvater der Inselbewohner seine letzte Ruhe fand.


    Bei der Party in der Villa von Charles, die sich dem Literaturfestival anschließt und zu der alle eingeladen sind, kommt es zum Eklat: Charles wird übel zugerichtet und mausetot von seiner Ehefrau Helen gefunden: Der kriminalistische Spürsinn von Hawthorne und dem Autor sind geweckt: Motive finden sich zuhauf, da Charles ein menschliches Ekelpaket gewesen ist, das sein Geld im Online-Glücksspiel machte und selbst über Leichen ging: Doch wer von den Anwesenden hat das plausibelste Mordmotiv?


    Dies gilt es nunmehr herauszufinden und die Überlegungen und Nachforschungen der beiden erinnern stark an einen unaufgeregten aber dennoch spannenden 'crime noir' à la Sherlock Holmes oder Agatha Christie: Immer wieder gleitet einem beim Lesen ein Schmunzeln ins Gesicht, da der Schlagabtausch zwischen Hawthorne (der sich selten in die Karten gucken lässt und z.B. ungern mit anderen speist) und dem Autor zuweilen gnadenlos - und sehr witzig ist. Genau dies macht den atmosphärischen und eher ruhig gehaltenen Schreibstil von Horowitz für mich aus; der es auch an weiteren Leichen (und Rätselhaftem) nicht mangeln lässt.


    Fazit:


    Eine witzige Kriminalromanidee, bei der die Buchfigur Hawthorne personifiziert wird und gemeinsam mit dem Autor ein Literaturfestival besucht, das einen mörderischen Verlauf auf einer sonst sehr friedlichen Insel nimmt: Es ist nicht der stärkste Kriminalroman in der Reihe "Hawthorne ermittelt" für mich, jedoch absolut lesenswert für Krimifans, die einen ruhigen Handlungs- und Spannungsaufbau lieben - ebenso wie kriminelle, wahre, gesellschaftliche Hintergründe, die auch hier zu denken geben. Von mir erhält "Wenn Worte töten" 3,5 * und ich freue mich bereits auf Neues von Anthony Horowitz!

    Zwei Familien und ein düsteres Geheimnis


    "Das Geheimnis des Mädchens" von Emily Gunnis erschien (HC, gebunden, 432 Seiten, 2022) im Heyne-Verlag der Penguin Randomhouse Verlagsgruppe, München. Es handelt sich bereits um den dritten Roman, der in deutscher Sprache veröffentlicht (und von Carola Fischer übersetzt) wurde. Die beiden Vorgänger hatten mir schon sehr gut gefallen und im Roman 'Das Geheimnis des Mädchens' ist die Autorin ihrem sehr atmosphärischen, unterhaltsamen und hochspannendem Schreibstil treu geblieben. Die Themen des Romans geben starken Frauen, hier besonders Tessa James in den 30er und 40er Jahren des vorigen Jahrhunderts, als sie als Hebamme aufgrund ihrer großen Erfahrungen sehr beliebt war, ihre Stimme und daher würde ich sie ins Genre "sehr lesenswerte Frauenromane" - oft mit historischen Hintergründen und Familiengeheimnissen - einordnen.


    Inhalt:


    East-Sussex, England, 1945:

    Auf Yew Tree Manor liegt die junge Hausherrin Evelyn Hilton in den Wehen. Die komplizierte Geburt bringt ihren Arzt an seine Grenzen und so ruft er die Hebamme Tessa James zu Hilfe, um die Verantwortung auf sie abzuwälzen. Als Evelyn stirbt, wird Tessa dafür verurteilt. Ihre Tochter Bella und deren kleiner Sohn (Alfie) sind dem Zorn des Witwers Wilfred Hilton ausgesetzt, der die beiden um jeden Preis auf ihrem Haus vertreiben will. Eine folgenschwere Entscheidung.


    1969: Während einer Silvesterfeier verschwindet die sechsjährige Alice Hilton spurlos aus Yew Tree Manor und taucht nie wieder auf. Wieder richtet sich der Zorn der Hiltons gegen die Familie James. Ein Netz aus Lügen und Intrigen zieht den Graben zwischen den beiden Familien immer tiefer und kostet mehr als einen Menschen das Leben.


    2017: Als erneut ein Mädchen auf dem Anwesen von Yew Tree Manor verschwindet, weiß Willow James, dass sie das Geheimnis der Hebamme, ihrer Ururgroßmutter, lüften muss, damit nicht wieder ein Kind für eine jahrzehntealte Fehde mit dem Leben bezahlt.

    (Quelle: Verlagstext)


    Meine Meinung:


    Emily Gunnis, eine junge englische Autorin, deren Romane ich mit großem Lesegenuss lese, versteht es auch hier wieder, ihre LeserInnen in die spannende, emotionale und hochdramatische Geschichte zwischen zwei Familie, die in mehreren Generationen vor sich hinschwärt, eintauchen zu lassen. Es handelt sich um einen Roman auf drei Zeitebenen, die dem Leser anfangs etwas abverlangen (die Autorin hat jedoch am Buchanfang einen Stammbaum der Familie Hilton und James angelegt, den ich immer mal aufgeschlagen habe); aber durch die klare Abgrenzung ist die Handlung gut zu verfolgen. Ich verlegte mich in der Beschreibung des Inhalts ausnahmsweise auf den Verlagstext (Klappentext), da hier die Spoilergefahr groß ist und ich anderen LeserInnen nicht die Freude zu nehmen, in diese Geschichte voller Intrigen, Lügen, Verletzungen, Zurückweisungen, Geheimnissen - aber auch Liebe und Nähe einzutauchen.


    Der Ort des Geschehens ist ein herrschaftliches Haus, Yew Tree Manor in East-Sussex, dem viel Land angeschlossen ist und auf dessen Anwesen ein altes Pfarrhaus steht: Dieses ebenfalls schöne, wenn auch kleinere Haus bewohnt die Familie James, die das Recht erhalten hat, zeitlebens dort zu wohnen. Bis sich mit Tessa, die mit Evelyn befreundet ist, ihr Leben jedoch während der schweren Geburt nicht mehr retten kann, alles verändern sollte. Wir lernen Tessa als eine starke, hilfsbereite und sehr gutherzige, sozial gerecht denkende Frau kennen, die in schwierigen Zeiten, als Ärzte die sehr sensible medizinische Tätigkeit der Geburtshilfe übernehmen wollten, jedoch keine besondere Ausbildung erfahren hatten. So war der Beruf der Hebamme, seit Jahrhunderten GarantInnen für neues Leben, das geboren wurde und ob der Erfahrungen dieser Frauen die Gebärenden sich in guter Obhut wussten, einem Wandel unterworfen, dem auch Tessa nicht entfliehen konnte.


    Auch ihre Tochter Bella erleben wir als starke Frau, die ihren Sohn Alfie (den sie mit dem im Krieg gefallenen Eli Hilton hat), alleine und mit Hilfe Tessas groß. In der dritten Zeitebene (der Gegenwart) erkennt Willow, dass sie das Familiengeheimnis um die Fehde mit den Hiltons lüften muss, um weiteres Unheil vermeiden zu können. Sie wickelt ein wichtiges Bauprojekt als Architektin ab, da das Herrenhaus Yew Tree Manor an einen Investor verkauft werden soll - und das alte Pfarrhaus dafür abgerissen werden muss: Doch was ist damals wirklich passiert, als Alice verschwand? Wieso ist sie nie wieder aufgetaucht?


    Dies überlasse ich den geneigten LeserInnen, es herauszufinden und hatte einige Stunden großen Lesegenuss mit dieser dramatischen Geschichte, deren Spannung ab Mitte des Romans nochmal gewaltig zunimmt und man das Buch nur ungern aus der Hand legt. In der Anmerkung legt die Autorin die Intention für die Thematik dar: Die Faszination des Berufs der Hebamme, deren Geschichte in England sie aufgreift und verdeutlicht. Weitere Themen sind Lügen, Schuld, Manipulation, Geheimnisse, Traumatas, Ängste, Selbstsucht; aber auch Liebe, Stärke und positive Entwicklungen eines Menschen, der Nähe und Liebe zuzulassen lernen kann - das Spektrum menschlicher Emotionen ist reichhaltig und authentisch skizziert.


    Fazit:


    Eine dramatische, hochspannende, emotionale und sehr geheimnisvolle Geschichte der Fehde zwischen zwei Familien im südlichen England des letzten Jahrhunderts bis zur Gegenwart: Eine packende Story mit Tiefgang und Emotionen, die ich gerne weiterempfehle und auf Neues von Emily Gunnis hoffe! 4****


    ASIN/ISBN: 3453273982

    Da werde ich auch in Kürze an Bord gehen: Freu mich schon auf die Reise auf dem Bücherschiff :)