Zitat
Original von magaliDa es hier aber im historische Romane geht und nicht um SchundSchrottMist-SchmonzettenSchnulzenSchlunzen allgemein, mal die Fragen:
Was macht denn einen guten/schlechten historischen Roman aus? Wie entscheidet sich eine Leserin?
Weil das Buch in Stapeln liegt? Beworben wird? Weil man Autiorin/Autor vom Namen her kennt? Weil man eine Liebesgeschichte mit Kostümierung sucht?
Nach welchen Kriterien sich Leser/in entscheidet, weiß ich nicht.
Was ich von einem guten historischen Roman verlange, habe ich bereits geschrieben: auf jeden Fall sollte er jene Kriterien erfüllen, die für mich überhaupt einen guten Roman ausmachen.
Wichtig sind für mich zwei Fragen:
Erste Frage: Gefällt mir der Roman?
Zweite Frage: Warum gefällt mir der Roman oder warum gefällt er mir nicht?
Erst dann kommen "objektivere" Kriterien ins Spiel, z. B. die Erzählqualität, die Dichte etc.
Es ist auch schon vorgekommen, dass ich einen historischen Roman gelesen habe, bei dem ich dem Autor empfohlen hätte, mit Blick auf seine Geschichtskenntnisse sich für sein nächstes historisches Buch wenigstens wieder einmal einen Blick in sein Schulbuch zu gönnen. Andererseits aber war es ein lustiger und unterhaltsamer Roman, es war vergnüglich, ihn zu lesen. Nur als historischer Roman überzeugte er halt überhaupt nicht. (Auch wenn er zumindest "kartoffelfrei" war.)
Was der Beurteilung Historizität bei historischen Romanen betrifft, spielt eine Rolle, mit was für einer Art von historischen Roman ich es zu tun habe. Bei einem Abenteuerroman, einem Kriminalroman, einer Familiensaga mit schweren Schicksalsschlägen, einem Liebesroman ist eigentlich am wichtigsten, dass die historische Kulisse so einigermaßen überzeugt und zur Handlung passt. (Wenn ich dabei entdeckte, dass es sich um gar keine Kulisse, sondern um einen überzeugenden historischen Hintergrund handelt, spricht das für die Qualität des Buches.)
Wichtig ist für mich auch, wie das Historische in die Handlung eingebaut ist. Ist es eine reine Kulisse, ein gelungener Hintergrund, bringt es etwas für die Geschichte, die erzählt wird bzw. passt es zur Geschichte, die erzählt wird oder ist es sogar wichtiger Teil der Geschichte?
Gerade bei den historischen Kriminalromanen ist auffallend, dass es kaum einmal vorkommt, dass das Verbrechen einem Bezug zum historischen Hintergrund hat. Bücher, in denen es tatsächlich gelungen ist, die Motivation einer Täterfigur aus dem zeitgenössischen Hintergrund zu entwickeln sind z. B. "Die Rechenkünstlerin" von Helga Glaesener und "Die Toten des Meisters" von Andreas J. Schulte.
Hinzu kommt noch der Forschungsstand zum Zeitpunkt der Erstpublikation und die damaligen Arbeitsbedingungen, unter denen der Roman geschrieben wurde. Schließlich kann ich von Autoren/innen nicht verlangen, dass sie für ihre historischen Romane wichtige Sekundärliteratur verwenden, die es noch gar nicht gegeben hat oder auf die sie damals keinen Zugriff hatten, weil es eben noch keine Internetkataloge etc. gab.
Und wenn das neue großartige Fachbuch über XY 2012 erscheint und der Roman über XY 2014, ist es für mich auch in Ordnung, dass Autor/in dieses Fachbuch nicht mehr verwendet hat. Sicher schade, aber auch für die Recherche muss sich Autor/in einen Schlusspunkt setzen.
Was ich auch berücksichtigen, sind die Intentionen von Autor/in.
Wenn Autor/in ihr Buch als historische Räuberpistole über den König FG ankündigt, ist das für mich in Ordnung und wenn ich dieses Buch lese, erwarte ich mir sicher keinen allzu genauen historischen Hintergrund, sondern eine vergnügliche Abenteuergeschichte.
Wenn das Buch z. B. als Liebesschmonzette zwischen Kaiserin Sisi und Graf Andrassy ankündigt ist, werde ich das Buch wahrscheinlich nicht lesen, weil mich Liebesschmonzetten gewöhnlich nicht interessieren. Sollte ich es aber lesen, weil ich z. B. wissen will, wie die historischen Fakten hier umgesetzt wurden, würde ich das Buch nachher sicher nicht verreißen.
Anders sieht es aus, wenn Autor/in mit Ansprüchen auftritt, die das Buch mehr oder weniger nicht erfüllt. In diesem Fall hat Autor/in Verrisse, negative Kritik und Ähnliches eigentlich herausgefordert.
Es macht eben für mich schon einen Unterschied, ob z. B.der/die Autor/in ihre drittklassige Liebesschmonzette á la "Die Wanderhure des Kaisers" als seichten historischen Liebesroman für romantische Leser/innen ankündigt oder ob sie sich als die großartige Historiker/in präsentiert, die mit dem Slogan wirbt: so sollte Geschichte erzählt werden oder das ist wahre Geschichte von ....
(Hüte dich vor den Fans dieses/r Autor/in!)
Was die Abweichungen von geschichtlichen Fakten betreffen, so ist für mich sehr entscheidend, warum dies geschieht.
Nehmen wir z. B. den Mord an dem englischen König Henry VI.
Wenn man sich auf das Internet verlässt, müsste man glauben, dass er tatsächlich ermordet wurde. Das Einzige aber, was gesichert sein dürfte: Henry VI. wurde in einer Kapelle im Tower von London tot aufgefunden. Es spricht zwar einiges dafür, dass er ermordet wurde, aber aus wissenschaftlicher Sicht fehlt bis heute ein eindeutiger (Sach-)Beweis für den Mord. Der Tod von Henry VI. könnte also, auch mit Blick auf sein Alter, eine natürliche Todesursache gehabt haben.
Für eine/n Autor/in, die das in einem historischen Roman verwendet, ist das eigentlich der Glücksfall, denn aufgrunddessen, dass die Todesursache nicht fest steht, bleibt es ihr/ihm überlassen, wie sie seinen Tod gestaltet. Allerdings halte ich nicht viel von Autoren/innen, die dann noch mit der Behauptung kommen, dass es so war, wie sie es in ihrem Roman beschrieben haben, denn das wäre die einzig richtige Lösung.
Und was noch wichtig ist, wenn sie z. B. sich für einen Mord entscheidet, sollte das nicht ein dekoratives Detail sein, sondern auch tatsächlich Auswirkungen auf die Handlungen haben bzw. aus der Handlung heraus motiviert sein. (Wie so etwas funktioniert - schlag nach bei Shakespeare!)
Problematischer ist es sicher, wenn es dagegen eindeutig um eine Abweichung von den historischen Fakten geht. Fiktives Beispiel:
Historische Vorgabe:
Auf dem Reichstag in Regensburg hat der Kaiser ein wichtiges Gespräch mit dem Kurfürsten von Brandenburg. Auf diesem Reichstag ist der Herzog von Bayern nicht nachgewiesen.
In den folgenden Jahren hat der Kaiser einen Konflikt mit dem Herzog von Bayern, in dem der Kurfürst von Brandenburg nicht wirklich verwickelt ist.
Autor/in schreibt nun einen Roman, wo es um den Konflikt zwischen Kaiser und Herzog geht und weicht dabei von den historischen Fakten ab, indem sie das Gespräch auf dem Reichstag zwischen den beiden stattfinden lässt.
Für jemanden, der von einem historischen Roman eine strikte Einhaltung der Fakten verlangt, ist diese Abweichung natürlich unzulässig. Aber ist sie grundsätzlich, da unhistorisch, abzulehnen?
Meine Meinung dazu: Es kommt auf die Umsetzung an.
Wenn diese Änderung für die Handlung etwas bringt, spricht nichts dagegen. (Wenn der Kurfürst für die weitere Handlung ohnehin nicht notwendig ist, ist das Weglassen vielleicht gar keine schlechte Lösung. Wenn der Herzog ohnehin eine Hauptfigur ist, könnte er so einen guten ersten Auftritt bekommen.)
Problematisch wird es allerdings, wenn sich daraus inhaltliche Ungereimtheiten ergeben oder weitere Abweichungen notwendig sind, damit die Handlung überhaupt wieder stimmig wird. (Das wäre z. B. der Fall, wenn Gründe vorliegen, dass der Herzog auf dem Reichstag nicht gewesen sein kann und diese schwerwiegend sind, sei es, weil er noch gar nicht geboren war, als dieser Reichstag stattfand, sei es, weil er zu diesem Zeitpunkt gerade auf einer für die Romanhandlung ebenfalls wichtigen Pilgerfahrt ist oder Ähnliches.)
Ich würde mich jedenfalls dann an die historischen Fakten halten, wenn eine Änderung für meine Geschichte letztlich unwichtig ist oder wie eine reine willkürliche Handlung wirkt.
Für einen gelungenen Roman ist mir auch wichtig, dass zwischen den Figuren und den Geschehnissen Verknüpfungen bestehen. Was mir immer wieder auffällt - viele Romane sind eigentlich nicht mehr als eine Nacherzählung von Fakten. Wichtig wäre, dass diese miteinander verknüpft sind, ein historisches Ereignis nicht einfach nur erzählt wird, sondern auch Sinn für die Handlung macht, Teil einer Handlungskette ist, deren Ablauf beeinflusst. Die Figuren sollten nicht einfach austauschbar sein, sie sollten nicht einfach nur den Namen einer historischen Figur haben, sondern auch Eigenheiten, an denen sie identifiziert werden können. Nebenbei ist es mir auch wichtig, dass die Beziehungen der Figuren ausgearbeitet sind und sich nicht nur auf Sex & Crimes beschränken und dass es tatsächlich eine spannende Interaktion zwischen den Figuren gibt. (Und in einem richtigen historischen Roman wäre es auch gut, wenn z. B. die Auseinandersetzung zwischen Held/in und Gegenspieler/in z. B. Bezug auf die damaligen Wertevorstellungen, auf das Feudalsystem oder Ähnliches nimmt.)
Und auch noch wichtig, bei einem richtigen historischen Roman erwarte ich mir kein "Mittelalterfeeling", sondern eine Darstellung der damaligen Zeit, die glaubwürdig wirkt.
Mal ehrlich, wenn ich einen Roman über die 1920er Jahre des 20. Jahrhunderts schreibe und mich für den Hintergrund an den 1950er Jahren orientiere, würde ich für mein "20. Jahrhundert-Feeling" ausgelacht werden, und das zu Recht. Dabei umfasst das 20. Jahrhundert ca. 100 Jahre. Das Mittelalter dagegen dauerte mindestens 700 Jahre (wenn wir die Zeit der Völkerwandung dazu zählen ist es sogar noch länger), und die sollen sich mit einem "Mittelalterfeeling" abdecken lassen?