Beiträge von Brigitte H. H.

    Daß aus der Heirat nichts werden würde, habe ich mir an Anfang an gedacht, Natascha ist einfach zu jung. Aber daß sie dann auf Anatol hereinfällt, damit habe ich denn doch nicht gerechnet.


    Ich traue ihm übrigens nicht über den Weg, gehe also davon aus, daß er letztlich keine ehrlichen Absichten hatte.

    Wie alt ist Natascha? Sie war 15 Jahre alt, als sie sich verlobte. So müsste sie nun, da ein Jahr vergangen ist, 16 Jahre zählen. Heute würde man sagen, sie ist in der Pubertät. Damals mag man ja in mancherlei Hinsicht früher reif gewesen sein. Aber Nataschas Hormone dürften trotzdem verrückt gespielt haben. Und genauso verhält sie sich. Mit Anatol ist sie allerdings auch an einen Profi der Verführungskunst geraten.


    Interessant fand ich, dass Natascha ihren Brief an Marja, in dem sie Andrej absagt, erst schreibt, nachdem Sonja sich einmischt. Bis dahin war sie noch unsicher. Jetzt handelt sie schnell und unüberlegt aus einem Trotz heraus. Und immer wieder geht ihr durch den Sinn, wäre nur ihre Mutter zugegen. Dieser hätte sie sich anvertraut. Diese hätte ihr sagen können, ob man in zwei Männer gleichzeitig verliebt sein kann.


    Aber machen wir uns nichts vor! Tolstoi wollte diesen unglücklichen Verlauf einer großen Liebe erzählen. Vielleicht auch den Wankelmut der Frau herausstellen! Ich erinnere mich dunkel an eine Aufzählung der schlechten Eigenschaften von Frauen am Anfang des Buches in Bezug auf Andrejs unglückliche Ehe mit Lisa. :grin


    Eine Frage habe ich mir immer wieder gestellt: Wären Andrej und Natascha glücklich geworden?

    Es ist nachvollziehbar, dass Natascha empfänglich ist für Anatols Anmache. Sie ist enttäuscht über Andrejs langes Fortbleiben, sie macht zum ersten Mal in ihrem Leben die Erfahrung, dass sie von anderen nicht gemocht wird. Dann die Atmosphäre der großen Welt in der Oper. Zu allem Unglück kommt noch dazu, dass sie Helenes Absichten völlig missversteht. Sie vertraut ihr naiv. Doch Helene geht es nicht darum, ob Natascha das tun, was für sie am besten ist, sondern nur darum, wie sie selbst am meisten Spaß hat.

    :write



    Nataschas Empfänglichkeit für Anatols "Anmache" sowie für Helenes Beachtung und damit der weitere Verlauf der Geschichte resultiert meiner Meinung nach aus dem zutiefst verletzenden Verhalten des alten Fürsten Bolkonski und den unglücklichen Verlauf der Begegnung mit Marja zuvor. Hier erfährt sie nur Ablehnung. Eine Erfahrung, die ihr bisher unbekannt war. Dort wird ihr Anerkennung geschenkt und das Gefühl vermittelt, begehrenswert zu sein. Ich denke, Natascha vertraut Helene, weil diese Pierres Frau ist. Daher nimmt Natascha fälschlicherweise an, diese sei ihr freundschaftlich gesonnen. Zudem ist ihr Vater anwesend und billigt diese Bekanntschaft!

    Boris, Julia und die Melancholie! Das ist einfach zu köstlich!


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    made

    Du hast zu Bd. 2 Teil 4 Kap. 01-13 folgendes geschrieben:

    Ich wundere mich, wie leicht Ehen arrangiert werden. Welchen Grund haben die Karagins, einer Ehe mit Nikolai zuzustimmen? Reicht es, dass Nikolai Offizier ist? Für den alten Fürsten Bolkonski ist die Familie Rostow keine gute Partie.


    Ich habe das Gefühl, in diesem Abschnitt findet sich die Antwort.


    "Julie war siebenundzwanzig Jahre alt. Der Tod ihrer Brüder hatte sie sehr reich gemacht. Sie war jetzt völlig reizlos, ... Mancher, der sich vor zehn Jahren noch gescheut hätte, täglich in ein Haus mit einer siebzehnjährigen Tochter zu kommen, um sie nicht zu kompromittieren und sich selbst nicht zu binden, kam jetzt ungeniert Tag für Tag zu ihr und ging mit ihr nicht wie mit einem heiratsfähigen jungen Mädchen, sondern eben wie mit einer geschlechtslosen guten Bekannten um." (Bergengruen, dtv 19932, S.731.)


    Trotz Boris und Julies melancholischer Übereinstimmung, sträubt Boris sich, ihr einen Antrag zu machen.


    "Allein ein unbestimmtes, geheimes Gefühl der Abneigung gegen sie und gegen ihre leidenschaftlichen Heiratswünsche und gegen das Unnatürliche ihrer Art hielt Boris noch zurück, ..." (Bergengruen, dtv 19932, S.734.)


    Siebenundzwanzigjährig (!) - also "uralt" nach damaligen Maßstäben - reizlos, geschlechtslos, dies alles sind Attribute, die es den Karagins wohl schwermachten, Julie unter die Haube zu bekommen. Und selbst der heiratswillige Boris muss schließlich "eingefangen" werden. Nikolai Rostow war zumindest gesellschaftlich eine gute Partie. Geld hatte Julie genug. Ich denke, dies könnten die Gründe sein, weshalb die Karagins einer Eheschließung mit Nikolai zugestimmt haben.

    Das stimmt. Pierre war zum Zeitpunkt der "Bärenstory" der uneheliche Sohn eines sehr vermögenden Grafen. Dolochow dagegen hatte niemanden, der ihn schützen konnte. Im Gegensatz zu Dolochow ist Pierre ein Mitläufer. Bisweilen hat man das Gefühl, er kann nichts allein entscheiden. Viele wichtige Weichen in seinem Leben werden von anderen gestellt. Als es um sein Erbe geht, scheint er noch nicht einmal die Brisanz der Situation mitzubekommen. Was ihn letztendlich nicht entschuldigt.


    Wie gesagt, Tolstoi legt seine Charaktere vielschichtig an. So kann man letztendlich auch für Dolochow Mitgefühl haben.

    Das dürfte damals wie heute ein Problem sein, denn mit der Begründung könnte man auch in unseren Tagen noch argumentieren.


    Ich nehme an, daß in Deiner bisherigen Ausgabe vieles an Beschreibungen oder "philosophieren" gefehlt hat. Ich bin gespannt, wie Du es siehtst, wenn Tolstoi viel später im Buch dann fast schon geschichtsphilosophisch schreibt (entsprechend der Leserundeneinteilung ab: Band 3, Teil 1 - Kapitel 01 - 10).


    Das genau war auch mein Gedanke.

    Ich mag so etwas sehr. Solange es mich intellektuell nicht überfordert.:lache

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    Erschreckend: Die Gedanken zum Krieg haben nichts an Aktualität verloren.

    Ich gehöre allerdings zu den Lesern, die vor Beginn möglichst viel vom Buch und seiner Handlung wissen wollen. Es gibt sogar Fälle, in denen ich nur und erst beginne, wenn ich den Handlungsablauf vollständig kenne.


    Da bin ich absolut konträr. Ich lese sogar meist erst ein Buch, wenn ich den Klappentext vergessen habe, um mich möglichst ohne Vorwissen überraschen zu lassen.


    Mein Problem beim Schreiben hier in den Abschnitten ist, dass ich die Geschichte gut kenne. Nicht nur, weil ich Krieg und Frieden vor langer Zeit einmal ganz gelesen und dazwischen immer wieder mehrere Komplettleseversuche unternommen habe. Auch die Verfilmungen habe ich mehrmals gesehen. Daher weiß ich, wie es weitergeht, darf dies aber in meinen Beiträgen nicht durchblicken lassen. Gleichwohl ist das Buch so umfangreich, dass ich genügend Neues "entdecke". Auch achtet man auf bestimmte Dinge ganz anders, wenn man weiß, wie eine Geschichte endet.

    Ist es bei Dolochow wirklich nur Eifersucht? Er kommt aus ärmlichen Verhältnissen und ist permanent von reichen Leuten umgeben, denen er sich eigentlich überlegen fühlt. Aber da er weder Rang noch Mittel hat, verbittert er aus meiner Sicht eher. Nie ist er genug und nie bekommt er, was ihm aus seiner Sicht zusteht. Dies würde diese Lust, andere verletzen zu wollen - und grundlos einfach mal ein Pferd eines Fuhrmannes zu erschießen - eventuell erklären können.


    Du hast recht. Tolstoi legt seine Charaktere immer vielschichtig an. So gibt es nie nur einen Grund für deren Handeln. Dolochow nimmt beim Spiel (auch später) bewusst andere aus. Bei dieser Textstelle handelt es sich aber um einen Freund von ihm. Einen Freund noch dazu, dessen Familie ihn herzlich willkommen hieß. Und einen Freund, der die Liebe der Frau besitzt, die Dolochow heiraten wollte. Sonja hat seinen Antrag mit der Begründung abgelehnt, sie liebe einen anderen. Dolochow weiß, sie meint Nikolai. Dass Dolochow in diesem speziellen Fall (auch) aus Eifersucht handelt, steht meiner Meinung nach im Text:


    "Er (Dolochow) hatte beschlossen, das Spiel so lange fortzusetzen, bis diese Zahlenreihe dreiundvierzigtausend Rubel ausmachen würde. Diese Zahl hatte er gewählt, weil sein und Sonjas Lebensalter zusammen dreiundvierzig Jahre betrug." (Bergengruen, dtv 19932, S.445.)

    Die Hoffnung, daß Manches besser würde, hat sich leider nicht erfüllt. Irgendwie geht gar nichts mehr so richtig, was mir auch Lese- und Beitragsschreibeplanung (und sonstige Planung auch) gründlich für die nächste Zeit verhagelt hat. Ich hoffe nur, daß sich das bis zu meinen beiden Januar-Leserunden bessert.



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    Deshalb bin ich umgestiegen. Nun liest Ulrich Noethen für mich. Dadurch bin ich die letzten Tage ganz gut vorangekommen. Ich hoffe, ich kann mich noch an alles erinnern. Das bedeutet aber auch, ich bin ich von der Bergengruen Übersetzung zu der von Röhl gewechselt. Da ich die Röhl Übersetzung als E-Book habe, werde ich wohl aus dieser zitieren oder die Bergengruen Übersetzung hinzuziehen. Irgendwie verliere ich bei einem E-Book immer die Übersicht.

    Nach Weihnachten werde ich mir die sowjetische Verfilmung des Romans ansehen, darauf freue ich mich schon (denn die soll sehr werkgetreu sein).

    Das ist sie! Ich habe sie mir auch schon vorgeholt. Aber zuerst wird das Buch ausgelesen. :zwinker


    Mich freut auch, dass Tolstoi Dich noch für sich einnehmen konnte. Er hatte es am Anfang ja sehr schwer. Du hast Stifter sehr lange nachgetrauert.

    Es ist ein Gefühl, das ich hatte, als Lisa auf dem Landgut eintrifft. Der alte Fürst sagt seinem Sohn zwar, er freue sich, dass sie seine Frau nun bei sich hätten, aber ich glaube, alles, was seine Hausordnung stört, ist ihm zuwider. Bei Tisch dann scheint er die kleine Fürstin erst kennenzulernen. Er stellt ihr mehrere Fragen. Und je lebhafter sie antwortet, umso mehr ergeht sie sich über den Klatsch. Der alte Fürst scheint sich dadurch sein Urteil gebildet zu haben, wendet sich sogleich von ihr ab und spricht wieder über sein Lieblingsthema: den Krieg.


    SiCollier scheint das ähnlich zu sehen:


    Ich denke, der ist zum Einen dagegen, weil die Partie (finanziell) zu schlecht ist, zum Anderen aus Altersstarrsinn. Ich schätze, der wäre so gegen ziemlich jede Schwiegertochter (außer vielleicht sie hätte - in seinen Augen - genügend finanzielle Mittel).


    Da fällt mir gerade ein: Kann es sein, dass der Graf eventuelle oder tatsächliche Schwiegertöchter mit Marja vergleicht?

    Außerdem habe ich mich gefragt, wie Andrejs und Marjas Mutter wohl war. Von ihr erfährt man ja überhaupt nichts.

    Deine Vermutung, er könne seine Schwiegertochter mit Marja vergleichen, halte ich für sehr wahrscheinlich. Er hat die Erziehung seiner Tochter Marja übernommen. Obwohl sie bereits zwanzig Jahre alt ist, unterrichtet er sie täglich in der Algebra und der Geometrie. Was für die Bildung einer Frau in jener Zeit schon ungewöhnlich ist, oder? Nur in ihrer Religiosität scheint sie einen anderen Weg als ihr Vater einzuschlagen. Vielleicht ihre Art einer (unbewussten) Rebellion gegen den eigenen Vater?


    Ich habe mich auch schon gefragt, was für eine Frau die Mutter von Andrej und Marja war, und wie der alte Fürst zu ihr gestanden hat. Ob er sie liebte? Verehrte? Oder schloss er eine Vernunftehe?


    Aufschluss über des alten Fürsten mögliche Einstellung zu seiner eigenen Frau könnte uns vielleicht dieser Satz von ihm geben. Er dankt Andrej beim Abschied:

    "Dafür, daß du nicht zauderst und dich nicht an einen Weiberrock hängst. Der Dienst geht allem andern vor." (Bergengruen, dtv 19932, S.140.)

    Dieses Kapitel ist mir durch allerlei interessante Zahlen aufgefallen.


    Da hat ein Gutsherr für einen Jagdhund „einem Gutsnachbarn drei Familien Leibeigene gegeben.“ (Bergengruen, dtv 19932, S.670.)


    Trotz der pekuniären Notlage der Familie Rostow „bestand immer noch das alte Jagdgefolge, ja, Nikolai hatte es sogar vergrößert; immer noch gab es fünfzig Pferde und fünfzehn Kutscher, ...“ (Bergengruen, dtv 19932, S.684.)


    Überhaupt hat mich verwundert, wie viele Menschen unter dem Dach des Grafen Rostow sehr gut leben!



    Täusche ich mich, oder wurde da nicht einmal erwähnt, dass die Gräfin Rostow 12 Kinder geboren hat? Bisher war aber nur von Vera, Nikolai, Natascha und Petja die Rede. Was ist mit den anderen? Zuerst habe ich vermutet, dass die alle schon verheiratet und außer Haus sind. Aber sie müssten doch auch gelegentlich erwähnt werden.


    Da kann ich mich jetzt nicht daran erinnern. Deine Vermutung mit der Kindersterblichkeit könnte allerdings zutreffend sein.


    Daran kannst Du Dich auch nicht erinnern, SiCollier, denn Bergengruen unterschlägt in seiner Übersetzung einfach die zwölf Kinder!


    „Die Gräfin ... stand im Alter von fünfundvierzig Jahren und hatte offensichtlich einen großen Teil ihrer Kraft in den Geburten ihrer Kinder erschöpft.“ (Bergengruen, dtv 19932, S.48.)


    Vielleicht wollte Bergengruen uns Leser nicht unnötig verwirren, da uns ja nur vier Kinder namentlich bekannt sind.


    Hingegen schreibt Hermann Röhl:
    „Die Gräfin ... war etwa fünfundvierzig Jahre alt und offenbar durch die Entbindungen, deren sie zwölf durchgemacht hatte, stark mitgenommen.“ (E-Book Buch 1 Teil 1 Kap.X.)


    Da Röhl nur von Entbindungen spricht, dachte ich zuerst, er spiele auf mehrere Todgeburten an. Doch dann las ich die Stelle bei Marianne Kegel:

    „augenscheinlich durch die Geburten ihrer Kinder, deren sie zwölf hatte, stark mitgenommen.“ (Marianne Kegel, Darmstadt 19895, S.45.)


    Es wird so sein, wie Ihr annehmt. Die Kindersterblichkeit war in jenen Tagen sehr hoch.

    Klar wäre Andrej dazu in der Lage gewesen, ein Gut zu verwalten. Er hatte nur keines!


    Ich denke, das ist nicht unwichtig. Außerdem erwartete sein Vater von ihm, dass er sich im Krieg beweist, wie er es selbst eins tat. Sein Sohn Andrej kam als Held zurück. Nun darf sich dieser mit der Verwaltung eines eigenen Guts auch aus dem Leben zurückziehen. Er hat seinem Vater alle Ehre gemacht und sich als dessen Sohn würdig erwiesen.


    Zudem hatte Andrej vor dem Krieg eine Frau, die die Stadt liebte. Es fällt auf, wie die "hübsche" Lisa mit ihrem kleinen Oberlippenbart :grin während ihrer Schwangerschaft auf dem Lande "hässlich" wird! Anders ausgedrückt, Andrej hätte sich nur sehr schwer mit seiner Ehefrau völlig aufs Land zurückziehen können. Lisa zumindest wäre todunglücklich und damit bestimmt auch unausstehlich geworden.


    Vielleicht denken wir beide aber auch zu kompliziert. Vielleicht geht Andrej diesen Umweg über den Militärdienst auch nur, weil Tolstoi einen ähnlichen Lebensweg hatte.


    Und ich denke, wir sind uns einig, dass Andrejs Militärdienst einfach ein wesentlicher Bestandteil der Geschichte ist. :wave

    Andrej hat sich zu einer meiner Lieblingsfiguren entwickelt.


    Das freut mich. :wave


    Andrej und Natascha sind meine Lieblingscharaktere. Und ja, Pierre mag ich auch. Obwohl ich ihn im Moment am liebsten schütteln würde, damit er sich nicht immer wieder von seiner Frau bzw. seinem Schwiegervater zu etwas überreden lässt, das er im Grunde nicht will! :cry


    :write


    Mit ihren sechszehn Jahren ist Natascha noch sehr jung und unreif. So kann man ihr Verhalten erklären. Obwohl es auffällig war, wie sehr sie litt, als Andrej ohne Nachricht zu hinterlassen, zu seinem Vater fuhr, um sich dessen Erlaubnis zu holen. Dies ist aus heutiger Sicht schwer zu begreifen. Ein einunddreißigjähriger Mann muss seinen Vater um Erlaubnis bitten, die Frau seiner Wahl heiraten zu dürfen. Dass der Graf die Heirat zu verhindern sucht, mag mehrere Gründe haben. Ich hatte auch schon bei Lisa das Gefühl, dass ihm eine Schwiegertochter (generell) nicht genehm ist. Nun hat er einen Enkelsohn. Damit sind Erbe und Titel gesichert! Was braucht er mehr? Möglicherweise hat er auch nicht vergessen, wie unglücklich sein Sohn in seiner ersten Ehe war. Und zwischen Natascha und Andrej gibt es einen nicht unbedeutenden Altersunterschied. Er traut ihr nicht zu, dass ihre Liebe ein Jahr überdauert ...

    Hier wurde schon alles Wesentliche zu diesem Abschnitt geschrieben.


    Andrej krempelt sein Leben um. Im Gegensatz zu Pierre hat er ein Händchen für Reformen auf seinem Gut. Aus Überdruss ist Tatkraft geworden.

    Sein Lebensstil ähnelt jetzt dem seines Vaters. Der hatte sich auch von der Gesellschaft zurück gezogen, weil ihm die zuwider war, kümmerte sich um seine Güter und bildete sich fort. Zuletzt übernahm er dann doch wieder Verantwortung.

    Eigentlich hätte Andrej diesen Lebensweg schon früher einschlagen können. Aber er brauchte wohl die Kriegserlebnisse, um neu anzufangen.

    :write


    Was Andrejs neuen Lebensweg angeht, glaube ich, ist es nicht unwichtig, dass er erst nach seinen Kriegserfahrungen von seinem Vater das Gut Bogutscharowo als selbstständiges Eigentum überwiesen bekommt. (Bergengruen, dtv 19932, S.487.) Erst dies versetzt ihn in die Lage, frei schalten und walten zu können, wie er es tut. Und dies ohne viel Aufhebens! Das gefällt mir besonders gut an Andrejs Charakter. Er handelt, statt nur darüber zu reden.


    Endlich hat sich auch Vera verlobt. Sie ist 42 Jahre alt! Natascha hingegen ist 16 Jahre alt und hat somit 26 Jahre Altersunterschied zu ihrer Schwester.

    Wie der Heiratsmarkt funktioniert, wird hier sehr klar. Geld spielt eine große Rolle. Auch Boris ist auf eine Ehe aus, die ihm Geld bringt.


    Es handelt sich wohl um einen klassischen Zahlendreher in Deiner Ausgabe. Denn:


    „Wera war bereits vierundzwanzig Jahre alt, ...“ (Bergengruen, dtv 19932, S.589.) Ich habe diese Angabe auch noch in anderen Ausgaben gefunden. Somit beträgt der Altersunterschied zwischen Wera und Natascha acht Jahre. Für die damaligen Verhältnisse war vierundzwanzig Jahre für eine unverheiratete Frau schon ein beträchtliches Alter. Es war höchste Zeit, sie an den Mann zu bringen.


    Meine am Anfang des Buches gemachte Behauptung, ein Adeliger dürfte keiner Tätigkeit außer dem Militärdienst nachgehen, trifft offenbar nicht auf den russischen Adel zu. :bonk Denn: „Es lag klar zutage, daß für den alten Grafen eine Stellung im Staatsdienst allein noch Rettung bedeuten konnte, ...“ (Bergengruen, dtv 19932, S.588.)



    Nikolai hingegen stellt den Sinn des Krieges in Frage. "Dann dachte er wieder an diesen selbstzufriedenen Bonaparte mit seinen weißen Händchen, welcher jetzt Kaiser war, und vom Kaiser Alexander geliebt und verehrt wurde. Wozu nun die abgeschnittenen Arme und Beine und die Menge der getöteten Menschen? Dann fiel ihm ein, wie Basarew belohnt, Denissow aber bestraft wurde, und ertappte sich selbst auf so schrecklichen Gedanken, daß er davor erschrak."

    Was für Gedanken?

    Ich glaube nicht einmal, dass er ihnen Übles gewünscht hat. Allerdings kann ich mir vorstellen, dass Zweifel am Kaiser für Nikolai so etwas Unerhörtes ist, dass er tatsächlich erschrickt, wenn er sie bei sich entdecken sollte.

    Ich glaube, Du denkst hier zu kompliziert, made. Im Prinzip hast Du meiner Meinung nach die Antwort schon vor Deiner Frage selbst gegeben.


    "Nikolai hingegen stellt den Sinn des Krieges in Frage." "Wozu nun die abgeschnittenen Arme und Beine und die Menge der getöteten Menschen?"


    Das muss ihn als Soldaten erschrecken. Wofür das alles? Wieso setzt er sein eigenes Leben aufs Spiel?

    "In seiner Seele hatten sich quälende Zweifel herhoben." (Bergengruen, dtv 19932, S.548.)



    Das ist schon verrückt. Zuerst bringen sich Franzosen und Russen zu Zehntausenden gegenseitig um und dann verbrüdern sie sich. Napoleon verleiht dem tapfersten Russen einen Orden. Was ist das für eine Show!


    Die geschilderten Zustände im Krieg, in den Lagern und Krankenhäusern sind zutiefst unmenschlich.


    Wie Nikolai den Zaren verehrt, ja vergöttert, finde ich schrecklich. Vermutlich wäre es anders gewesen, wenn es damals Popstars gegeben hätte.


    :write


    Ich fand Nikolais "Liebe" zum Kaiser auch übertrieben. Dein Vergleich mit einem Popstar scheint mir eine passende Erklärung. Vielleicht muss man es so ähnlich sehen.


    Über die Zustände in den Lagern und Spitälern sagen die folgenden zwei Sätze alles:


    "Die Verluste des Pawlowgradschen Regiments hatten in den Gefechten, ..., nur zwei Verwundete betragen, aber infolge von Hunger und Krankheiten hatte es fasst die Hälfte seiner Mannschaft eingebüßt. Wer ins Spital eingeliefert wurde, dem war der Tod sicher, ..." (Bergengruen, dtv 19932, S.522.)



    Zuhause wird wohl niemand so genau wissen wollen, wie es an der Front wirklich zuging. Vor allem nicht jene Kreise, die munter Bälle feierten, während auf dem Feld gestorben wurde.


    Welche Gedanken Nikolai hatte, habe ich mich auch gefragt. Ob er die Autorität bzw. Urteilsfähigkeit des Kaisers infrage gestellt hat? Oder ob er beiden Kaisern Übles gewünscht hat?


    Ich denke, viele waren auch gar nicht in der Lage, über das Erlebte zu sprechen. Der Kontrast zwischen Kriegsschauplatz und dem "normalen" Leben war zu groß. Zudem würde dies das Bild vom Heldentum zerstören! ;)

    Bei Pierre habe ich das Gefühl, wenn ihm jemand sagt: "Spring!" Dann springt er. So kommt seine Antwort bei der Aufnahmezeremonie der Freimaurer auch nur stockend. Er scheint selbst nicht zu wissen, was er dort eigentlich soll. Immerhin schafft er es noch ganz unter dem Einfluss der Freimaurer, seinen Schwiegervater vor die Tür zu setzen. Endlich!


    Erschreckend fand ich, wie seine Bemühungen, die Situation seiner Bauern zu verbessern, kläglich scheitern. Dabei bekommt er dies noch nicht einmal mit. Und wie schnell fällt Pierre wieder in alte Verhaltensmuster zurück.


    Boris hat sich sehr zu seinem Nachteil verändert. „Verkehr pflegte und suchte er nur mit Leuten, die über ihm standen und ihm daher nützlich sein konnten. ... Die Erinnerung an das Rostowsche Haus und an seine Kinderliebe zu Natascha war ihm unangenehm, ...“ (Bergengruen, dtv 19932, S.482.)