Natürlich müssen für Herrn zu Guttenberg die gleichen Maßstäbe gelten wie für jeden anderen auch. Der Doktortitel ist weg, in der akademischen Welt ist er erledigt. Was das mit einem Ministeramt zu tun hat, bleibt unklar.
Ich fände im Gegenzug gut, wenn auch für alle anderen die gleichen Maßstäbe gälten wie für Herrn zu Guttenberg. Ich glaube, dass sich gerade Nicht-Akademiker eine romantische Vorstellung davon machen, wie es an den Unis zugeht.
Eine Kommilitonin von mir, ein nettes Mädchen, baute ihre Diplomarbeit auf einer allgemein akzeptierten Hypothese auf. Sie entwickelte entsprechende Folgerungen und Anwendungsempfehlungen, was man eben in einer Diplomarbeit so macht. Dann führte sie ein Experiment durch, um die Hypothese zu belegen. Eigentlich sah sie das als Formalie an.
Leider zeigte das Experiment nicht das gewünschte Ergebnis. Sie prüfte ihre Stellung und so weiter, aber das Ergebnis blieb wie es war.
Was sollte sie jetzt tun? Dokumentieren, was sie gemessen hatte? Dann hätte sie die Diplomarbeit in erheblichen Teilen umschreiben müssen.
Was tat sie stattdessen? Das Experiment anpassen, die Parameter verändern, solange, bis das gewünschte Ergebnis herauskam.
Ist das akademisch redlich?
Die Prüfungsordnung in meinem Studienfach sah vor, dass fünf Examensklausuren zu schreiben seien. Man konnte entweder alle an einem Termin schreiben oder splitten, also 3 in einem Semester und 2 im Folgesemester oder umgekehrt. In jedem Fall war der Lerndruck massiv. Obwohl ich hinterher einen Beruf ergriffen habe, in dem Burnouts nicht eben selten sind, habe ich nie wieder so intensiv gearbeitet wie in diesem Jahr.
Einige Kommilitonen - keine Einzelfälle - sind die Sache aber anders angegangen. Sie haben erst 2, dann 1, und dann die verbleibenden 2 Klausuren geschrieben, hatten also ein halbes Jahr länger Zeit zum Lernen, als die Prüfungsordnung vorsah. Das hat die Sache erheblich entspannt. Das ging natürlich nur, indem man sich zum passenden Zeitpunkt krankschreiben ließ. Die entsprechenden "gelben Scheine" konnte man sich anscheinend problemlos holen, jedenfalls habe ich nie jemanden getroffen, der an dieser Hürde gescheitert wäre. Ausgestellt wurden sie selbstverständlich von Ärzten - also studierten Leuten, meist sogar mit Doktortitel. Diese Ärzte, selbst Akademiker, hatten offenbar kein Problem damit, den Wissenschaftsbetrieb zu sabotieren und Betrüger zu unterstützen, die sich den Titel erschleichen wollten.
Und Urheberrecht?
Da brauchen wir nicht in die Wolkentürme der akademischen Welt zu schauen. Die Musikindustrie steht vor dem Kollaps, weil die Menschen offenbar wenig Hemmungen verspüren, geistiges Eigentum zu stehlen. Ich besitze keine gebrannten CDs oder DVDs mit urheberrechtlich geschütztem Material, und es ist nicht leicht, Leuten zu erklären, dass ich darauf verzichten kann, dass sie mir Links zu irgendwelchen Downloadseiten schicken, auf denen man Kinofilme herunterziehen kann. Das Unrechtsbewusstsein scheint kaum vorhanden.
Von daher:
Es ist richtig, dass Herr zu Guttenberg den Doktortitel nicht mehr hat.
Alle Forderungen darüber hinaus waren von einer Scheinheiligkeit geprägt, die Übelkeit verursacht. Um sie glaubwürdig zu machen, müsste man großflächig ausmisten - und da sind unsere Politiker auch nur Spiegel unserer Gesellschaft.