Nachdem mich dieser Thread daran erinnert hat, dass ich „Briefe in die chinesische Vergangenheit“ schon seit langem lesen wollte, habe ich es nun getan - und keine Sekunde bereut! Dieses Buch bekommt einen Platz auf meiner BBL (= Beste Bücher-Liste). 
Der chinesische Mandarin Kao-tai landet - wie hier ja auch schon bemerkt wurde - nicht exakt im München der heutigen Zeit, denn das Buch wurde bereits vor ca. 20 Jahren geschrieben. Er trifft auf das Leben der 80er Jahre, dass sich – erstaunlicherweise – doch in vielen Alltäglichkeiten vom Leben im Jahre 2005 unterscheidet (aber auch das ist ein interessanter Aspekt!). Damals hatte das „Te-lei-fong“ noch eine Wählscheibe, die „Musikteller“ waren schwarz, die große Mauer stand noch und der kalte Krieg zwischen den großen Mächten im Osten und im Westen lag in der Luft. Das Waldsterben gibt es aber leider noch immer - nur, dass niemand mehr darüber spricht.
Dieser Roman ist sehr witzig, aber er ist auch ein wenig traurig und enthält bittere Wahrheiten. Zum Lachen sind Kao-tais Beschreibungen und Bewertungen von ihm bislang unbekannten Alltagsgegenständen wie „Zimmerquellen“, „Eisenwägen“ und „Fern-Blick-Maschinen“, seine Beobachtungen über Küche und Essgewohnheiten der „Großnasen“, über die Rolle der Frau in der Gesellschaft und in der Partnerschaft und über Freizeitbeschäftigungen wie Skifahren, um nur einige Beispiele zu nennen. Sehr komisch fand ich auch seinen Bericht vom Besuch des Münchner Oktoberfestes!
Sehr gefallen hat mir außerdem die Menschlichkeit von Kao-tai, seine Launen, die Spitzen an seinen Briefpartner, die Schwierigkeiten, in die er sich bringt, weil er mit zwei Frauen zur gleichen Zeit eine Affäre hat, seine Vorliebe für das Getränk „Mo-te Shang-dong“, der in seiner Kultur offenbar übliche rasche Wechsel zwischen Unterwerfung und Überheblichkeit und seine langen, komplizierten und für unsere Ohren sehr komisch klingenden Höflichkeitsformeln.
Leider wahr und im Jahre 2005 nach wie vor treffend sind seine Gedanken über die Sucht der Menschen „fortzuschreiten“, über ihren Wettlauf mit der Zeit, ihr Leben in Lärm und Gestank, ihre unaufhaltsame Zerstörung des eigenen Lebensraums, den verloren gegangenen Kontakt zu den Naturgesetzen, und dass die Menschen all das erkennen und wissen, es aber lieber verdrängen, als die eingeschlagene Richtung zu ändern.
Es ist ziemlich schwierig, unser Leben, das uns doch selbstverständlich und nur selten skurril erscheint, aus der Perspektive einer Person aus einer anderen Welt wahrzunehmen. Ich finde, Herbert Rosendorfer ist das hervorragend gelungen, und er hat sich offensichtlich mit dem Leben und der Kultur der Chinesen im zehnten Jahrhundert vertraut gemacht, ehe er dieses Buch geschrieben hat.
Alles in allem eine große Leistung und ein überaus unterhaltsames Buch, das ich nur empfehlen kann!!!
Die Waldfee
P.S. Die Fortsetzung würde mich auch interessieren. Werde mal bei Amazon nachlesen...