Pressenotiz zu : Süddeutsche Zeitung, 02.09.2000
Gefallen findet die Rezensentin Manuela Reichart an diesem 1937 erstmals erschienen und jetzt neu aufgelegten Roman. Sie bezeichnet die Neuauflage als “die Wiederentdeckung eines (…) multikulturellen Liebesromans”. Es geht um die Liebesgeschichte zwischen dem Muslim Ali und der Christin Nino, die – obwohl sie religiöse und kulturelle Konventionen überwindet – am Lauf der “großen Geschichte”, an den Auswirkungen der russischen Revolution scheitert. Schauplatz ist Baku im Kaukasus. An diesem Ort findet Reichart “keine guten Europäer und schlechten Orientalen”, sondern verortet einen interkulturellen Ansatz: “Alles ist eine Frage des Standpunktes”. Dieses transkulturelle Element findet seine Entsprechung in der nur teilweise geklärten Autorenschaft: Der Name Kurban Said ist ein Pseudonym, erklärt Reichart, dahinter verbirgt sich die vom Orient begeisterte Baronin von Ehrenfels, und ein zum Islam übergetretener Jude – Lev Nussimbaum – gilt als Mitverfasser.
Zuerst eine Anmerkung zum Autor, denn die Mitteilung der SZ diesbezüglich ist falsch:
Lev Nussimbaum, auch bekannt als Essard Bey ist der Autor Kurban Said.
Essad Bey (eigentlich Lew Abramowitsch Nussimbaum, auch Noussimbaum russisch Лев * 20. Oktober 1905 in Baku, damals Russland; † 27. August 1942 in Positano, Italien) war ein deutschsprachiger Schriftsteller russisch-jüdischer Abstammung. Seine Werke veröffentlichte er auch unter den Pseudonymen Kurban Said, Mohammed Essad-Bey, Esad Bej und Qûrbân Saîd
Essad Bey wurde 1905 in Baku als einziges Kind des wohlhabenden georgisch-jüdischen Öl-Industriellen Abraham Nussimbaum und einer russisch-jüdischen Intellektuellen aus Revolutionskreisen geboren. Zur Ehe seines Vaters kam es möglicherweise nur, weil dieser das inhaftierte Mädchen aus dem Gefängnis in Baku freigekauft hatte und sie zur Heirat mit dem ‘Klassenfeind’ bewog. 1911 beging die Mutter Selbstmord, ab da kümmerte sich eine deutsche Kinderfrau, Alice Schulte, um das Kind. Bis 1918 besuchte Lev Nussimbaum das Bakuer Gymnasium. Im Zuge der Unabhängigkeitsbestrebungen der kaukasischen Staaten und den daraus entstandenen ethnischen Konflikte kam es in Baku zu Aufständen und Revolten. Mit Ausbruch der Oktoberrevolution und das Nahen der Bolschewisten entschied sich der Vater 1918 zu Flucht über das kaspische Meer. Als sich die Lage vorübergehend beruhigte, kehrte die Familie ein letztes Mal zurück in die Heimat. Doch mit der bolschewikischen Eroberung Bakus im Jahre 1920 floh der 15-jährige Lev ohne den Vater in die deutsche Kolonie Helenendorf. Von dort zog er weiter über Tiflis und Batumi nach Konstantinopel. Nach kurzen Zwischenstops in Paris und Rom erreichte er noch im selben Jahr Berlin, wo er auch seinen Vater wiedertraf und das ihm zur zweiten Heimat wurde. Die Familie ließ sich in Berlin-Wilmersdorf nieder und Lev schloss seine Schulzeit 1921 am Russischen Gymnasium Berlin mit dem Abitur ab.
Mit Erreichen der Volljährigkeit trat Lev Nussimbaum im August 1922 dem Islam bei, nannte sich ab nun Essad Bey und begann, sich verstärkt in der Berliner islamischen Gemeinde zu engagieren. Mit dem Wintersemester 1922 immatrikulierte er sich an der Friedrich-Wilhelms-Universität im Fach Orientalistik. Durch sein Interesse zu Kunst und Literatur pflegte er fortan enge Kontakte zur Berliner Literaten- und Journalistenszene, in denen er Else Lasker-Schüler, Vladimir Nabokov und Boris Leonidowitsch Pasternak kennenlernte. Er war als Journalist für verschiedene deutsche Zeitungen tätig, z. B. für die Deutsche Allgemeine Zeitung, mit den Themenschwerpunkten Orient und Islam. 1929 erscheint Essad Beys erster Roman, Öl und Blut im Orient (Neuausgabe 2008). Beys erfolgreicher Erstling wurde in sechs Sprachen übersetzt. Es folgen zwei weitere Bücher über den Kaukasus, dessen Veröffentlichungen den Autor definitiv zu einem der anerkanntesten Orient-Experten der Weimarere Republik machten.
(Weiteres auf Wikipedia).
Es hat einen bestimmten Grund, warum ich einen recht langen Teil der bewegten Biographie hierher kopiert habe: Der Roman folgt dem Muster seines Lebens. Ich hatte vor der Lektüre angefangen. die Biographie *Der Orientalist: Auf den Spuren des Essad Bey* von Tom Reiss zu lesen, in welcher im ersten Drittel die Wirren in Aserbaidschan und die Verstrickungen seiner Familie geschildert werden. Natürlich muß man für den Roman nicht die Biographie gelesen haben, aber ich empfand es als Freude, dass der Autor sein Leben mit mir teilte (Normalerweise bin ich dagegen, das Leben des Autors mit dem Roman, der für sich selbst sprechen soll, zu mischen. Aber hier drängt es sich einfach zu sehr auf.)
*Ali und Nino* istnicht einfach, sondern man kann es durchaus mit aktuellen Bezügen lesen: Die Zerrissenheit, ob das Land zu Europa oder Asien gehört (Stichwort: Türkei) durchzieht das ganze Buch. Während sich Nino als Europäerin sieht und in das eigentliche Kerneuropa ziehen möchte, bleibt Ali Asien verhaftet, welches für ihn durch die Wüste symbolisiert wird.
Der Kampf ums Öl, der eine Figur wünschen lässt, man möge doch alle Öltürme anzünden, denn *dann wären wir wieder arm und niemand würde sich um uns kümmern*. Wer denkt dabei nicht spontan an den Irak?
Oder das Leben im iranischen Exil, welches die Unterschiede der Lebenseinstellungen zwischen Ali und Nino deutlich macht. Man kann es auch einfach als Schilderung des untergegangenen Baku lesen, als Parabel über Verrat, den Alis bester Freund begeht, indem er Nino entführt und und und…nur eines wird dieser Roman nicht machen: Einen nicht in seinen Bann ziehen.
# Taschenbuch: 271 Seiten
# Verlag: List Tb. (März 2002)
# Sprache: Deutsch
# ISBN-10: 3548601316
# ISBN-13: 978-3548601311