Beiträge von Lipperin

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    Original von Clare


    Also entweder ist mir da etwas entgangen oder ich habe es überlesen:
    Wie vermutet ihr so etwas. Für mich tauchte er mehr oder weniger plötzlich auf. Getroffen hat Jurij ihn vorher schon mal, aber dass ich gewusst hätte, wer das sein könnte, kann ich nun wirklich nicht sagen. :gruebel


    Schau mal auf der letzten Seite zu diesem Abschnitt, bei mir Seite 237: "Aber ja, dein Bruder aus Omsk ...".


    Danke Dir!
    Vor den Übersetzern habe ich eh einen großen Respekt. Mit dem schlichten Wort für Wort-Übersetzen ist es ja nicht allein getan, sich in den Text einzufühlen stelle ich mir schon ziemlich aufwendig vor. Und dann die passenden Worte dazu zu finden...

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    Original von SiCollier



    Na ja, so in mancher Hinsicht wäre ich ganz froh, dieses „elementare, grundlegende“ Gefühl einmal loszubekommen. Und ich meine jetzt nicht den für heute Nachmittag anstehenden Zahnarztbesuch. ;-)


    Es ist hoffentlich alles gut ausgegangen, der Zahnarztbesuch, meine ich?


    Ein Arzt sagte einst zu mir: "Wer keine Angst hat, ist ganz schnell tot." Da hat er nicht Unrecht.



    Zitat

    Zur Bemerkung Juras über die Juden: in einem Buch, es ist mir entfallen, in welchem, habe ich sinngemäß gelesen, daß man Judenverfolgung (im 20. Jhdt.) eigentlich eher iun Rußland oder Frankreich erwartet hätte, nicht aber in Deutschland.


    Das sagen mehrere Historiker, aber ich ahne, wen Du meinst. Ein eher ungewöhnlicher Name. Ich schaue noch einmal nach, das Buch habe ich hier.

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    Original von Clare
    Persönlich nicht nachvollziehbar war für mich, dass sich Larissa als Krankenpflegerin ins Kriegsgewimmel gestürzt hat auf der Suche nach ihrem Mann und ihren Sohn (edit) ihre Tochter zurückgelassen hat, so als hätte sie abgewogen, wer sie im Moment nötiger hätte.


    Auf mich machen Lara sowie auch Jurij den Eindruck von Menschen, in denen gewissermaßen ein Stück Einsamkeit "wohnt". Natürlich, sie haben Bekannte, Freunde, sie heiraten, bekommen Kinder und doch wirken sie auf mich, als wenn sie im Grunde sich selbst genügen.
    Dem widerspricht nicht ihr Engagement. Lara hat ja schon ziemlich früh gelernt, sich für andere einzusetzen, sie war ja, wenn ich es recht verstanden habe, von den Umwälzungen angetan, um nicht zu sagen begeistert, erwartete viel von ihnen. Auch Jurij engagiert sich als Arzt ein bisschen mehr, als er müsste. Als wenn sie davonlaufen, ausweichen wollen. Vielleicht vor der Frage, wer sie eigentlich sind?

    Zitat

    Original von SiCollier


    Daß allerdings Jurijs Reisegenosse (!) taub ist, damit habe ich nicht gerechnet.


    Und ich hatte in dem Moment damit gerechnet, als erwähnt wurde, dass er dem Sprechenden auf den Mund schaut.



    Zitat

    In diesem Großkapitel hatte ich zusehends mehr das Gefühl, als ob Pasternak mehr und mehr zugunsten des Systems (linientreu) schreibt; z. B. Kap. 7 (S. 225): „Allmählich stellte sich glücklicherweise heraus, daß die Arbeiter das Übergewicht hatten.“ (Hervorhebung von mir.)
    Oder etwas weiter die Voraussage Schiwagos, das „es Rußland bestimmt ist, das erste sozialistische Reich seit dem Bestehen der Welt zu werden.“ (S. 215)
    Es sind solche (kleinen) Formulierungen, manchmal - wie hier - nur ein Wort, die mir aufgefallen sind.


    Ja, aber ... ich mache mir ziemlich viele Gedanken darüber, welche Gedanken Jurijs die Gedanken Pasternaks widerspiegeln. Man muss vielleicht wissen, dass Pasternaks politische Ansichten der Idee des Sozialismus/Kommunismus nicht gerade zuwider lief. Stalin hat er zum Beispiel anfangs begrüßt. Vielleicht kann man das von Dir Zitierte einfach als Pasternaks ursprüngliche Ansicht ansehen?
    (Sh. auch weiter unten)


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    Abschied von der Vergangenheit


    Seite 150 beweist mir, dass Tonja ihren Jurij ziemlich gut kennt, vielleicht besser, als er sich kennen will – zumindest in mancher Hinsicht (ich meine ihre Antwort auf seinen Brief). Im Grunde waren es ja auch zwei Begebenheiten, die man der Vergessenheit hätte anheimfallen lassen können.


    Hat sich von euch auch jemand gefragt, ob die „romanischen Völker“ tatsächlich samt und sonders „einen Instinkt“ haben, „der tief in der Wesensart verwurzelt ist“ (Seite 153, 154), nämlich, man höre und staune, einen kupplerischen Instinkt? Wie kommt man nur auf solche Gedanken, außer natürlich, man nimmt die vermutlich auch in Russland erschienenen Romane, in denen solches Gebaren ja nun ab und an vorkommt, als Grundlage für die Charakteristika jener Menschen.


    Was ich mir zu Seite 159 notiert habe: Der Kommissar wird als im Grunde unfähig, die Offiziere als „perfide gerissen“ dargestellt. Sie sollten doch auch auf Seiten des Volkes stehen, Schulter an Schulter sozusagen den alten Verhältnissen den Kampf ansagen. Taten sie ja auch, aber nicht alle. Und wenn ich daran denke, wie viele Offiziere Stalin eleminieren ließ, was sich in den Jahren des deutschen Überfalls auf die UdSSR bekanntermaßen ziemlich negativ auswirkte, frage ich mich, ob dass eine der Stellen sein kann, die einen Zensoren aufmerken ließen. Was mir außerdem auffiel: Der Doktor wünscht sich abzusondern, statt daran mitzuwirken, gegen die erwähnte „eitle und lügenhafte Geschwätzigkeit“ anzugehen. Er, der ja nun unbestritten zur Intelligenzija gehört, will Freiraum für sich, statt alle Kraft für den Aufbau einer neuen Ordnung einzusetzen. Interpretiere ich diese Stellen im Sinne von Fedins und Simonovs ablehnenden Urteils, könnte man wohl ins Grübeln kommen. Dazu passt für mich auch ein klein wenig Jurijs Bemerkung Seite 167: „Die Revolution hat sich gegen unseren Willen durchgerungen...“. Mehrdeutig. Besser gesagt: Nicht eindeutig genug. Dass er die Umwälzungen letztlich begrüßte, widerspricht dem nicht unbedingt. Aber wenigstens deutet sich dort an, dass Tonja so unrecht nicht hatte.


    Seite 164 wird eines der großen russischen Probleme erwähnt, die Alkoholsucht. Aber was ist wohl mit „Landschaftsorganisationen“ gemeint? Landwirtschaft? Dörfliche Strukturen?


    Jurij jedenfalls ist auf Seite 165 ziemlich hellsichtig, er erwartet einen „unvorstellbaren Schlamassel“. Auch wenn er es zunächst einmal auf die Situation um die Rebellen vor Ort meint und Laras Antwort „Nichts wird passieren“ lautet, kann man es durchaus in einen größeren Zusammenhang stellen. Was haben die Leute erwartet? Dass die Gewalt eskalieren würde, war vermutlich der Gedanke vieler, die über die Gegebenheiten nachdachten. Aber gab es wohl Unbeteiligte (also nicht solche Menschen, die zu Lenings, Trotzkis oder Stalins engstem Umfeld gehörten), die eine derartige Gewaltanwendung, derartigen Terror erwarteten?


    Hattet ihr auch den Eindruck bei der „Kosakenszene“ ab Seite 173, das hätte auch im „Stillen Don“ stehen können?



    Das Moskauer Heerlager


    Zu Beginn: Russland befindet sich auf dem Weg in eine neue Ordnung, eine politische Lage, die noch nie dagewesen ist, der Sozialismus resp. der Kommunismus ist das erklärte Ziel, keiner wird mehr über dem anderen stehen, man begrüßt das durchaus … und erwartet von der mehr oder weniger treuen Dienerschaft, dass sie doch bitte weiter dient. Auch dazu gibt es im „Stillen Don“ eine Parallele, die Frauen sollten zwar mit kämpfen, durften aber weiterhin die Wäsche waschen etc. Nun ja, der Weg zum „neuen Menschen“ …


    Die Szene Vater/Sohn Seite 197 f.: Ähnliches durfte man wohl erwarten, man hat es auch schon anderenorts gelesen. Trotzdem macht man sich so seine Gedanken, dieser (sinngemäße) Satz „das Kind bedeutete ihm nichts“ aus dem vorherigen Abschnitt kann ich nicht so recht vergessen; zudem sieht es nicht so wie auf den Jurij geschickten Fotografien (was auch nicht unbedingt ein Wunder ist, den Vater aber doch irritert hat). Das „Gefühl eines schlechten Vorzeichens“ teile ich mit ihm (Seite 198).


    So wie schon zweimal Block erwähnt wurde, findet sich diesmal Seite 201 der Name Majakowskij. Was Jurij zum Besten gibt, wird wohl eine verbreitete Meinung über ihn gewesen sein.


    „... ich habe dein Buch schon gelesen. Ich habe nichts verstanden, aber es ist genial.“ Schura Schlesinger ist einfach eine meiner Lieblingsnebenfiguren. Nimmt kein Blatt vor den Mund, packt an, eine ehrlich Haut. Bekommt nur – für meinen Geschmack – zu wenig Raum.


    Jurijs Worte zu seinen Freunden (Seite 206 f.): Hellsichtig, beeindruckend. Und mit dem heutigen Wissen dessen, was geschah, ein Satz, der mich mit unendlicher Traurigkeit erfüllt: „Wenn das geschieht, werden wir lange Zeit wie betäubt sein, und wenn wir wieder zu uns kommen, werden wir unser Gedächtnis verloren haben. Wir werden einen Teil der Vergangenheit vergessen haben und nicht nach Erklärungen für das Unerklärbare suchen.“ Und hat dann wieder ein Ahnung von „maßlosem Unglück“ (Seite 208).
    Mir stellte sich hin und wieder die Frage, wie viel von Pasternaks Wissen und Wünschen in Jurij steckt, in seinen Gedanken, in seinen Äußerungen. Der Autor, so habe ich gelesen, erwartete, dass die schlimmen Verhältnisse, unter denen die Menschen in der UdSSR leben mussten, sich bessern würden. Darauf vertraute er. Angesichts dessen, was ihm geschah, was auch ihm angetan wurde, war das vielleicht auch eine der wenigen Hoffnungen, die er schlicht nicht aufgeben konnte.


    Die Beschreibungen der Entbehrungen im Winter, die Kälte das beengte Wohnen, die Straßenkämpfe, sie bilden den Hintergrund für die Krankheit des Kindes und des Vaters, für die Mühen und die kleinen Freuden. Ein Bruder Jurijs taucht auf und wird zum Helfer in der Not. Manchmal kann ich schon ein bisschen nachvollziehen, was Wenjamin Kawerin z. B. über die Personen in Pasternaks Roman sagt (in einem Artikel in der Zeitschrift Sinn und Form, Ausgabe 2/1988, Seite 269). Brutal gesagt, wenn jemand gebraucht wird, hat er seinen Auftritt. Aber das wäre unfreundlich. Es gibt ja durchaus so Situationen, in denen das Schicksal seine eigene Rechnung aufmacht. Manche nennen es auch Zufall.


    „Diese drei Winter verschmolzen miteinander, und es fällt schwer, sie zu unterscheiden“ (Seite 223). Das geht mir mittlerweile mit den Jahren, in denen die einzelnen Szenen spielen, so, ich komme mehr und mehr ins schwimmen, wenn ich eine zeitliche Einordnung geben sollte.

    Herangereifte Unvermeidlichkeiten


    Das über den reich gedeckten Tisch huschende Mäuschen hat mich ja doch fasziniert. Seltsam eigentlich, diese Gegensätze, einerseits dieser große, auch zur Schau gestellte Reichtum, andererseits so ein Tierchen, das ziemlich allgemein unter die Kategorie „Ungeziefer“ fällt, und dass sich der Weihnachtstafel annimmt. Als wäre es nicht das erste Mal, dass es solches tut. Ob die Damen, hätten sie es gesehen, auch kreischenderweise auf Stühle geklettert wären? (Seite 106 wird das Mäuschen erwähnt.)


    Der Herr Advokat wird mir jedenfalls immer unsympathischer. Nun geriert er sich als edler Ritter, nimmt sich völlig zurück, und dass alles, weil er nicht Gegenstand eines Skandals sein will. Nun gut, das ist nichts Neues und wird es auch in Zukunft geben, trotzdem muss ich mir doch Mühe geben, nicht meinen Stab über ihn zu brechen. Im Gegensatz dazu ihr ehemaliger Arbeitgeber. Tja, gut, dass es auch solche gibt und sie auch in diesem Buch vorkommen, man würde ja langsam verzweifeln, gäbe es sie nicht. Andererseits würden die „schlechten Menschen“ unsereiner dann nicht mehr so auffallen. Licht und Schatten, Schatten und Licht. Wer behält die Oberhand?


    Ein bisschen frage ich mich, ob ich mir Sorgen über Juras Gemütszustand machen muss. Da hat er einen Sohn, was, wie ich mir sagen ließ, jeden Vater erfreut, und empfindet nichts dabei. Aber es ist das, was ich befürchtet habe (sh. weiter oben). Wenigstens sorgt er sich um Tonja. Allerdings frage ich mich, wem dieses „sie ist gerettet“ eigentlich gilt – nur seiner Frau oder der Patientin? Dieses Bild übrigens, wie Tonja gesehen wird, als ein Schiff (Seite 121, in V), empfinde ich als ziemlich ungewöhnlich, aber bei näherer Betrachtung: Hat er nicht recht?


    Jura muss zum Militär, Pawel geht freiwillig. Bei ihm habe ich das Gefühl, er läuft weg, und was für ein „Glück“ für ihn, dass Krieg ist, da kann er sich vor der komplizierten Gefühlslage in seiner Ehe quasi „drücken“. Macht er sich eigentlich wirklich bewusst, was das heißt: „Krieg“?


    Diese ganzen Beobachtungen von der Front (Seite 127 ff.), aus den Lazaretten erinnern mich teilweise an ein erst kürzlich gelesenes Buch, nämlich „Im Westen nichts Neues“ von Erich Maria Remarque. Dazu gab es auch eine Leserunde, mich hatte das Buch dermaßen fertig gemacht, dass ich kaum etwas dazu sagen konnte. Es war dort und es ist auch hier: Dass, was von einem männlichen Vorfahren erzählt wurde, en detail und gewissermaßen erzählerisch verdichtet präsentiert zu bekommen, hat mich mitgenommen, anders kann und will ich dazu nichts sagen. Dazu passt im Grunde auch, dass man nicht genau weiß, was aus Antipov wurde. Verschüttet? Tot? Gefangen? Und noch eine Parallele zu Remarques Werk findet sich auf Seite 131: Peiniger und Gepeinigter aus „Friedenszeiten“ resp. dem zivilen Leben stehen sich unter umgekehrten Vorzeichen „im Feld“ gegenüber, man kann Rechnungen aufstellen und muss sie begleichen, man kann sich edelmütig zeigen oder – zwar menschlich gesehen nachvollziehbar, aber dennoch – sein Mütchen kühlen, Frust abbauen.


    Und eine Parallele zum „Stillen Don“: Die Erwähnung, dass die Juden Angriffen der widerlichsten Art ausgesetzt sind. Juras Statement dazu (Seite 138, in XI) nötigt mir angesichts der gesellschaftlichen Bedingungen und Denkart Respekt ab. Während ich über Gordons Worte aus dem Kopfschütteln nicht herauskomme.


    Mir ist noch so einiges aufgefallen, worüber etwas zu sagen wäre, Laras Bemerkungen über Juras Stupsnase zum Beispiel. Oder dieser Absatz auf Seite 146 in XIV, in dem es heißt: „Es ist, als wärst du dein Lebtag wie ein kleines Kind an der Hand geführt worden, und plötzlich lässt man dich los...“. Zustandsbeschreibung, nicht nur für Laras Situation. Sondern für viele Menschen, in vielen Ländern, in denen Diktaturen, egal, wie man sie nun nennt, überwunden werden konnten.



    Zitat

    Original von SiCollier
    Zum einen werden - zumindest bisher - deutlich weniger Kriegshandlungen und -schrecken beschrieben als im „Stillen Don“.


    Das ist mir nicht nur in Bezug auf die Kriegshandlungen aufgefallen, im Grunde gilt das für alle Gegebenheiten. Wie eine Leinwand im Hintergrund, vor der sich die Geschehnisse abspielen, ob nun in Moskau, bei Kriegshandlungen oder wo auch immer.



    Entschuldigung, wenn ich so viel sabbele, aber das Buch bewegt mich doch immer wieder. Anfangs hatte ich die Befürchtung, es sei zu wenig Zeit vergangen, seit ich es das letzte Mal gelesen habe, aber der Eindruck hat sich verflüchtigt.

    Entschuldigung, ich fürchte, ich muss meine Gedanken in zwei Beiträgen unterbringen:


    Weihnachten bei Swentizkijs


    Anna Iwanowna liegt offensichtlich im Sterben, sie wünscht Beruhigung – wer wohl nicht. Und Jura hält sozusagen eine kleine Privatvorlesung. Ein höchst interessante, nebenbei bemerkt. Ein Satz darin hat mich doch sehr nachdenklich gemacht: Er steht in meinem Exemplar auf Seite 81 (in III): „... sagt der Evangelist Johannes...: ¹Es wird keinen Tod geben, weil das Vergangene vergangen ist.¹ Das ist fast so, als hätte man gesagt, es gibt keinen Tod, weil wir das alles schon gesehen haben, es ist veraltet, und es langweilt uns.“ Ich habe mehr als einmal geschluckt, als ich diese „Interpretation“ Juras des Johannes-Wortes gelesen habe. Sie macht im Grunde nur Sinn, wenn man den nächsten Satz: „Uns verlangt nach Neuem, das Neue aber ist das ewige Leben.“ hinzunimmt. Ich habe den im Text eingefügten Absatz zwischen den beiden Sätzen als quasi Kunstpause Juras angesehen, denn eigentlich ist das, was er da (der erste Satz) sagt, ja eine Zumutung. Zwar haben wir schon „alles“ gesehen und langweilen soll es uns auch, also gibt es keinen Tod; aber das Sterben lässt sich nun eben doch nicht aus der Welt schaffen. Aber welch anderer Blickwinkel, wenn ich den Tod nicht als Tod, sondern als Übergang in ein anderes Leben, ein ewiges, verstehe. So jung an Jahren, und weiß schon genau, wessen die Patienten bedürfen. Mit Scharlatanerie hat das wohl wenig zu tun, auch wenn er diesen Schluss zieht, sondern mit einem bemerkenswerten Einfühlungsvermögen.


    Tonja und Jura werden verlobt. Ein bisschen lächeln musste ich ja doch bei der Beschreibung, wie sie sich nun mit neuen Augen sehen. Tja, daran wird man sich gewöhnen müssen, die Gefährtin, den Gefährten der Jugend als die Person präsentiert zu bekommen, mit der man den Rest des Lebens verbringen muss/soll. Aber gleichwohl könnte ich mir vorstellen, dass es die schlechteste Ehe nicht würde. Sie scheinen sich gut zu ergänzen, kennen sich ziemlich genau. Wenn denn das Schicksal gnädig sein würde und Frieden etwas wäre, was es tatsächlich auf Erden gibt … Aber dann würden wir auf einen der ganz großen Romane zu verzichten haben, denn schließlich, ohne in irgendeiner Richtung vorgreifen zu wollen, wird uns ja die Liebesgeschichte von Jura und Lara avisiert.


    Laras Bruder präsentiert sich ein wenig wie ein verwöhntes Adelssöhnchen. Es ist ihm egal, was und wie Lara Geld herschafft, Hauptsache, seine Ehre wird nicht angekratzt. Dass sie sich dafür unter Umständen zu prostituieren hat, was kümmert es ihn. Aus seinem Gestammel Seite 87 oben (in VI) darf man wohl schließen, dass er vollauf im Bilde ist über das „Verhältnis“ des Advokaten zu Lara.


    Interessant finde ich ja das Verhalten Laras gegenüber Pawel, freundschaftlich, mütterlich, ja gut, vermutlich auch liebevoll. Sie spricht ja selber einmal von dem „mütterlichen Gefühl“, „das ihrer Zärtlichkeit zu ihm beigemischt war“ (Seite126, in VII). Ich habe den Eindruck, dass sie sich für ihn verantwortlicher fühlt als letztlich er für sie. Aber insgesamt eine äußerst komplizierte Gemengelage. Und während ich bei Tonja und Jura das Gefühl hatte, diese Ehe sei „richtig“, habe ich hier das entgegengesetzte Gefühl.


    Das „Wiedersehen“ von Jura und Lara ist schon besonders. Das schießt sie auf einen Mann, trifft aber einen anderen. Bei ihrer Treffsicherheit nur mit der Auf- und Erregung zu erklären. Aber nur keinen Skandal, alles wird vertuscht. Mir schwirrten wieder so einige Fragen durchs Hirn, hauptsächlich die gesellschaftlichen Gepflogenheiten betreffend. Aus den bisherigen Bemerkungen bisher hätte ich nicht so unbedingt vermutet, dass Lara als „adelig“ durchgeht (sh. Seite 122, in VI, in Bezug dazu Seite 29), ich hatte sie eher als gutbürgerlich angesehen. Jedenfalls: Lara hat Jura sicherlich schon beeindruckt, betrachtet man seine Wortwahl (Seite 100), darf man wohl feststellen, dass sein Mitgefühl eher der stolzen und schönen Frau gilt als dem Opfer.


    Die nächste Beerdigung, an der wir teilnehmen müssen, diesmal wird Anna Iwanowna beigesetzt. Und wieder staune ich über Jura, Seite 102 in XV heißt es: „Jetzt fürchtete er sich vor nichts mehr, weder vor dem Leben noch vor dem Tode. Alle Dinge dieser Welt waren zu Vokabeln in seinem Wörterbuch geworden.“ Abgesehen davon, dass ich ihm das nicht so wirklich abnehme, sondern als eine Art Zustandsbeschreibung ansehe, würde ich diesen Zustand für einen überaus langweiligen halten. Keine Angst mehr zu haben, d. h. doch auch, eines der grundlegendsten, elementarsten Gefühle nicht mehr zu kennen. Man muss sich ja sorgen, ob er der anderen denn noch fähig ist.
    In Bezug auf die Trauerfeierlichkeiten steht auch der für mich schönste Satz dieses Abschnittes: „Der Gesang durchweht wie ein sanfter Windhauch die Gasse und bleibt zwischen den Dächern hängen, so als habe man die Luft mit einer weichen Straußenfeder gestreichelt.“ So möchte ich auch einmal empfinden können. Aber nein, unsereins bleibt ganz prosaisch auf dem Boden der Tatsachen und würde vermutlich sagen, dass der Gesang leise bis in die Gasse zu hören war. Angesichts solcher Sätze, solchen Könnens, wobei ich dem Übersetzer meinen großen Respekt zolle, gleichwohl aber nicht weiß, wie wörtlich das übersetzt ist, fühle ich mich jedenfalls fast demütig.

    Zitat

    Original von SiCollier


    Geht mir ähnlich, und ich habe mir die gleiche Frage auch schon gestellt.



    Das geht, glaube ich, vielen so. Selbst wenn man nicht weiß, von wem etwas ist, aus irgendeinem Grund erkennt man einen russischen - oder muss man sagen slawischen? - Autoren. In der Regel jedenfalls.



    Den Film habe ich übrigens nie gesehen. Ich glaube auch nicht, dass ich ihn mir anschauen würde, ich habe ein Bild von den handelnden Personen, das mag ich mir nicht wegnehmen bzw. überlagern lassen. Die Musik habe ich mir allerdings jetzt angehört, es ist ja ... nun ja ... ziemlich eingängig. Ich würde nicht sagen wollen, dass ich diese Melodie mit dem Roman in Verbindung bringen würde, eher ... da ich schon im zweiten Abschnitt bin ... ich musste hin und wieder an Strawinskys Sacre denken.


    Edit macht mich darauf aufmerksam, dass ich verstärkt darauf achte, mal Skrjabin-Anklänge zu "hören", fühlen. Jener war für Pasternak Vorbild, er begann seinetwegen Musik zu studieren. Daran muss ich immer wieder denken, wenn ich Bilder von Pasternak sehe, er hat wirklich Pianistenhände.

    Zitat

    Original von SiCollier


    Oh ja, das frage ich mich die ganze Zeit über, bisher konnte ich noch nichts entdecken, was den Zensor gestört haben könnte. Aber ich habe natürlich eine „sehr westliche“ Sichtweise. Dennoch, wenn ich an den „Stillen Don“ denke - noch verstehe ich es nicht.


    Vor Lesebeginn habe ich im Anhang der Fischer-Klassik Ausgabe den Artikel aus „Kindlers Literaturlexikon“ gelesen. Dort heißt es sinngemäß, daß das Problem dadurch entstand, daß der Roman parallel zur Einsendung an sowjetische Zeitschriften an Feltrinelli ging und der Roman im Westen veröffentlicht wurde. Damit drehte sich der Wind und das Buch war in der UdSSR nicht mehr publizierbar.


    Die Weitergabe des Manuskriptes nach Italien (wobei man ehrlicherweise sagen muss, dass eine gleichzeitige Veröffentlichung in der UdSSR und in Italien geplant war ursprünglich) und die dortige zunächst alleine Herausgabe des Romans spielte, so wie ich es gelesen habe, die vordergründige, besonders im westlichen Europa verbreitete Ansicht.
    Etwas interessantes habe ich noch gefunden: Falls jemand von euch die Zeitschrift Sinn und Form liest, in der Ausgabe 2/1988 gibt es einen Beitrag von Wenjamin Kawerin über Pasternak, in dem er auch auf den Schiwago und das Veröffentlichungselend darum eingeht. Er sagt dort, dass die Beschuldigung letztlich darauf hinauslief, dass "Pasternak in der Meinung, die Revolution sei misslungen, das Volk verleumdet und verraten und den Marxismus der "Unwissenschaftlichkeit" bezichtigt" habe (Zitat aus der genannten Ausgabe, Seite 270). Das deckt sich mit dem von Figes Erwähnten und ist, so meine ich, für einen Autor in der damaligen Lage fatal, hätte tödlich enden können. Kawerin bemerkt im Weiteren übrigens, dass der Schriftstellerverband nicht nur Pasternak ausschloss, sondern sogar forderte, man möge ihm die Staatsbürgerschaft aberkennen.
    Wenn man es so bedenkt, ist es ja doch ein Wunder, was er angesichts dessen geschaffen hat. Und wenn man außerdem bedenkt, dass auch er anfangs Stalin - ob nun freudig, weiß ich nicht, aber immer - begrüßte. Aber geschützt wurde er ja doch, von wem oder was auch immer.

    Was mir nicht zum ersten Mal auffällt: Die Eingangsszene, die beschriebene Kälte, der Trauergesang, der Junge – das alles erscheint mir gewissermaßen trostlos, es ist keine Szene, die mich gleich lockt. Eher das Gegenteil tritt ein: Den „Doktor Schiwago“ lese ich jetzt zum vierten oder fünften Mal, aber jedes Mal muss ich nach der ersten Seite, der ersten Szene innehalten. Es lockt zwar nicht, aber es nimmt doch gefangen. Das Kind, die beschriebene Haltung („... so hebt ein Wolf den Kopf in die Höhe, bevor er zu heulen beginnt...“), da schwingt für mich weniger ein prosaischer, sondern vielmehr ein poetischer, ja lyrischer Moment mit, da ist in wenigen Worten und für einen Moment die Einsamkeit personifiziert. Dieses Bild trage ich wieder lange mit mir, und es ist ein Seltsames, einerseit möchte ich den Jungen am liebsten trösten, andererseits würde ich es fast Scheu nennen, die mich daran hindern würde, wenn es denn möglich wäre. Versteht man, was ich meine? Es spielt auch keine Rolle, dass ein Mann kommt und ihn fortführt, in diesem einen Moment ist das Kind vollkommen einsam. Die Spannung, die Frage, die mich nach der Eingangsszene wieder weiterlesen lässt: Wird etwas von dieser Einsamkeit bleiben? Und wird er sich daran erinnern, wird sein Schöpfer – Pasternak – dulden oder darauf aufbauen, dass dieser Moment im Leben des heranwachsenden Kindes und späteren Erwachsenen beeinflussende Wirkung haben wird, haben kann? Ach je, ich wünschte, mir stünden bessere als meine mageren Mittel zur Verfügung, um auszudrücken, was ich meine.


    Wir befinden uns zunächst 1903 (steht in IV) und es gibt Hinweise auf Unruhen, von Seiten der Bauern, von Seiten der Arbeiter, erwähnt wird ein Millionär, der Sympathien für die Arbeiter hat und Streiks in seinem eigenen Betrieb organisiert, es ist ein nicht sehr friedliches Hintergrundbild, aber eben doch ein Bild, das den Hintergrund abbildet. Mehr ist es für mich in dieser Phase des Romans nicht.


    Was mich ja ziemlich erstaunt hat, waren die Folgen, die die Rückversetzung in den Laienstand von Nikolai Nikoláitsch hatten: Keine Anstellung im Staatsdienst für lange Zeit, darf nicht in Moskau oder in Petersburg wohnen (wird in V erwähnt). Erstaunlich. Erstaunlich auch, wie viele Fragen sich gleich auf den ersten Seiten wieder für mich auftun: Die Vorgeschichte der Aufstände, was und wie viel wussten eigentlich die russischen Leser Ende der 1950er Jahre, so der Roman in Russland hätte erscheinen können, über diese ihre Geschichte, wie war eigentlich das Verhältnis von Kirche und Staat, welche Einflussmöglichkeiten hatte die Kirche, wenn solches, wie beschrieben, möglich resp. nicht möglich war?


    Juras Vater also ein Selbstmörder. Der Anwalt, ein „dicker und anmaßender Advokat“ (in VII), der offensichtlich auf eigene Rechnung „spielt“. So wird er einem von Anfang an unsympathisch. Man ahnt natürlich gleich, dass er noch eine Rolle spielen wird.


    Mir gefällt sehr, wie Lara beschrieben wird. Ja, gut, in IV sagt Pasternak, sie sei sei „außergewöhnlich hübsch“. Aber zwischen hübsch und schön besteht doch ein Unterschied, und nach der weiteren Beschreibung ab „Sie bewegte sich..“ bis „...alles schien wunderbar aufeinander abgestimmt zu sein“ erscheint sie mir schlicht als Schönheit.


    Die Beschreibungen über die Arbeiter bei der Eisenbahn etc. müssten den russischen Zensoren doch eigentlich gefallen haben, besonders dieser eine Satz in VI, der mit „Diese Welt der Lüge und Niedertracht...“ beginnt. Das war ja fast eine Aufforderung, etwas zu ändern, auf die Barrikaden zu gehen.


    Pasternak ist schon ein unglaublicher Beobachter und er findet Worte für den Gegenstand seiner Beobachtung, die mir mehr als Respekt abnötigen. In X gibt es eine Beschreibung zu einem Mann, die einfach nur wunderbar ist, man muss gar nicht erst viel Äußerliches beschrieben bekommen, nein, was da steht, reicht voll und ganz (ich meine den Satz, der mit „Er war einer jener Tolstoijünger...“ beginnt). Und erst seine Beschreibung des Hundes (in XIII - „Er war auf Lara eifersüchtig ...“ - den wichtigeren Teil des Satzes erwähne ich nicht). Oder diese Szene zwischen Mädchen und Mann in XXI, sie sitzt schlafenderweise am Eßtisch und wacht vom Schein der Lampe auf und dann …! Mischa hat den Mann jedenfalls erkannt und – wie ich vermute – mit ihm auch der Leser. Aber wie passt das zusammen, der „gutaussehende Mann ...“ aus XIV mit dem in VII beschriebenen Advokaten? Außer, wenn man als Erklärung akzeptiert, dass Lara einen anderen Blick auf ihn hat als die Fahrgäste in dem Zug. Einen intimeren, sozusagen?


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    Habt ihr euch eigentlich auch schon einmal gefragt, was das eigentlich im Klartext heißt, dieses „ideologisch unhaltbar“, dessentwegen der Schiwago in der UdSSR nicht erscheinen durfte? In dieser Beziehung war ich mehr als neugierig und habe zwei Herren befragt, die mir auch in ihren Büchern bereitwillig Auskunft gaben:
    Reinhard Lauer hat in seiner – wie ich finde – großartigen „Geschichte der russischen Literatur“ darüber einiges zu sagen. Der Roman wurde vom Redaktionskollegium der Zeitschrift Novyj mir, der Pasternak sein Werk angeboten hatte, abgelehnt, die Namen der Herren lauten übrigens Fedin, Lavrenev und Simonov. Neid vermutet Lauer als einen der Gründe, auch die Tatsache, dass Pasternak die Wertigkeit vom Leben an sich, von den Verhältnissen, seien es die politischen, gesellschaftlichen, ideologischen, anders einordnet als von den Instanzen gewünscht.
    (Im Buch Seiten 795 – 798). In der Beziehung unterscheidet er sich meiner Meinung nach deutlich von Scholochow.
    Wikipedia erzählt zu Fedin und Simonov Interessantes.


    Übrigens nennt Lauer drei Werke als die eindringlichsten Bürgerkriegsromane: „Der stille Don“ - den haben wir gelesen; „Doktor Schiwago“ - den lesen wir jetzt; dazu zählt er auch die Trilogie „Der Leidensweg“ von Akesej Tolstoj. Nicht, dass ich jetzt irgendetwas andeuten wollte … :grin


    Noch deutlicher als Lauer wird übrigens Orlando Figes in seinem – für mich – grandiosen Buch „Die Flüsterer“ (Berlin Verlag, ich besitze ein Exemplar der 4. Auflage 2008). Dort erwähnt er unter anderem zu diesem Thema, dass Simonov der Meinung war, Pasternak habe die russische Intelligenzija in einer Art dargestellt, nach der sie sich der Pflichtverletzung gegenüber Volk, Kultur und außerdem der Humanität schuldig gemacht hätten. Das sei, so Simonov, „antisowjetisch“ und noch manches mehr. Diese Worte, dieses Urteil ist wahrlich ein tödliches. Der arme Pasternak – und dennoch ein kleines Wunder, dass er nicht mit dem Schlimmsten konfrontiert wurde.


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    Zitat

    Original von Clare
    Ich habe mich noch nicht eingehend mit Pasternak beschäftigt, aber das sollte ich wohl noch tun. :grin



    Falls jemand interessiert ist, könnte ich zwei besondere Tipps geben. Beide Bücher sind nur noch antiquarisch bzw. gebraucht zu bekommen:


    1986 erschien im Radius-Verlag ein kleines, feines Büchlein von Raissa Orlowa und Lew Kopelew über Boris Pasternak (so auch der schlichte Titel). Seine Werke (bis auf den Schiwago), so schreiben sie, seien in Russland immer wieder aufgelegt worden („jährlich“ - Seite 7), wobei die großen Auflagen binnen weniger Stunden bereits vergriffen gewesen seien. Sie auf dem Schwarzmarkt zu überhöhten Preisen angeboten zu bekommen, wird ebenfalls erwähnt. Sein Grab in Peredelkino gilt (oder galt, heutzutage weiß man ja nie) quasi als Pilgerstätte. Lange Jahre musste er sich sein Brot als Übersetzer verdienen, Rilke, Shakespeare und Goethe zum Beispiel übertrug er ins Russische. Bemerkenswert sind die Schilderungen der Verfasser über das, was ich einmal Pasternaks Anstand nennen möchte: 1936 weigerte er sich beispielsweise, der Verurteilung des Buches zuzustimmen, das André Gide über seine Reise in die Sowjetunion geschrieben hatte, weil er es nicht gelesen habe. 1937 weigerte er sich, einen Brief zu unterzeichnen, in dem Todesurteile gefordert wurden; seine Unterschrift wurde bei der Veröffentlichung des Briefes gefälscht, auch dagegen protestierte er, gab aber schließlich aufgrund der Interventionen seiner Freunde etc. auf. Er half, wo er konnte, vielen Verhafteten, unter anderem auch dem von mir so geschätzten Warlam Schalamow. Es nimmt ja eigentlich Wunder, dass er selbst nicht Repressalien unterworfen war angesichts des vorher Gesagten, auch weil seine Lyrik als „formalistisch und volksfremd“ von den maßgeblichen Stellen teilweise abgelehnt wurde. Orlowa und Kopelew erklären es damit, Stalin hätte von dem Ruhm und Ruf Pasternaks auch im Ausland gewusst; auch im Gespräch mit dem Diktator habe er keine Angst gezeigt, aber sich auch nicht der Lobhudelei oder Einschmeichelei hingegeben. Genutzt hat ihm das aber wohl nur so weit, als er nicht inhaftiert oder deportiert wurde.
    Doktor Schiwago wurde in der UdSSR erstmals 1954 angekündigt, 1957 erschien er in Italien in beiden Sprachen, nachdem er in seiner Heimat als „ideologisch unhaltbar“ (Seite 24) abgelehnt wurde. Pasternaks Wagnis, den Roman im Ausland veröffentlichen zu lassen, so die Verfasser, sei bahnbrechend gewesen. Die Veröffentlichung des Romans im Ausland und in vielen Sprachen, erst recht die Verleihung des Literaturnobelpreises haben Pasternak dann vermehrt Beschimpfungen und Hetzereien ausgesetzt von höchsten Stellen, von Kollegen, von „braven“ Bürgern. Auch in dieser Hinsicht sei Pasternak Vorreiter gewesen. Interessant finde ich in diesem Zusammenhang, dass Pasternak nicht im Mindesten auf Forderungen einging, sich von seinem Roman zu distanzieren, irgendwelche Vergehen einzugestehen, wie das immer verlangt wurde, oder sich demütig zu verhalten.
    Pasternak arbeitete übrigens gleichzeitig am Doktor Schiwago und an seiner Faust-Übersetzung. Warum ich das erwähne, wird sich vielleicht bei der Lektüre des Romans herausstellen.
    Orlowa und Kopelew haben Pasternak übrigens gekannt.


    Ein weiteres wunderbares, fast möchte ich es zärtlich nennen, Porträt des Lyrikers Pasternak zeichnet übrigens Andrej Wosnessenski. Es ist Teil des Bandes „Begegnung mit Pasternak“, zuerst erschienen 1984 beim Aufbau-Verlag Berlin und Weimar. Ich besitze die 2. Auflage von 1990, dass Änderungen vorgenommen worden seien, wird nicht erwähnt.
    Wosnessenski hat Pasternak sehr verehrt, ihn 14 Jahre lang gekannt, wie er sagt.


    Sehr lesenswert sind die Briefe Pasternaks, besonders die "Briefe nach Georgien" haben es mir angetan.

    Susannah : Alles Gute für die Prüfung, ich drücke die Daumen.



    Zitat

    Original von SiCollier
    Ich habe mir jetzt übrigens doch noch die Fischer-Klassik-Ausgabe besorgt, da das eine andere Übersetzung ist, als meine bisherige Ausgabe.


    Ist das die Übersetzung von Reinhold von Walter, die Gedichte in der Übertragung von Rolf-Dietrich Keil?
    Meine Fischer-TB-Ausgabe ist von 1964, die Seiten sind nicht gerade sorgfältig geklebt, manchmal verschwinden die letzten Buchstaben in der Reihe im Irgendwo. Aber ein paar Verluste hat man bekanntlich immer.


    Übrigens: Wenn es auch verschiedene Übersetzungen zu geben scheint, glaube ich beinahe nicht, dass wir wieder auf solch kleinen Diskrepanzen wie beim "Don" stoßen werden. Erinnert ihr euch an die Stalinerwähnungen, die bei manchen nicht (mehr) zu finden waren?



    Hallorin : Wie wäre es denn mit Bunin? Den zähle ich als Klassiker, hat wunderbare Erzählungen geschrieben und ist keineswegs langatmig. Ich weiß allerdings nicht, ob es den als E-Book gibt.

    Michael Maar widmet Herrndorfs (Tagebuch-)Blog in seinem höchst vergnüglichen Buch "Heute bedeckt und kühl" ein wenn auch kurzes, aber sehr empathisches Kapitel und resümiert, dass dieser Blog den Romanen Herrndorfs in literarischer Hinsicht in nichts nachstehe. Zum Zeitpunkt der Niederschrift des Kapitels lebte Herrndorf noch, Maar erwartete damals bereits, dass aus dem Blog ein Buch wird - was nun ja auch geschehen wird.

    „Du wirst einfach weg sein“
    (Seite 116)


    Linda Benedikt hat ein Buch über das Sterben eines geliebten Menschen, ihrer Mutter, geschrieben, wobei das „geliebte“ keineswegs bedeutet, ihr Leben ohne jede Kritik zu würdigen. Mich hat es zutiefst beeindruckt, vor allem wegen seiner mir unerschütterlich und schonungslos vorkommenden Ehrlichkeit. Ihre Auseinandersetzung mit diesem einen Tod, den sie „unnütz“ und „boshaft“ (Seite 116) nennt, kann ich in vielen Dingen – nicht allen, natürlich nicht, dazu ist unsere Vorstellung und Erwartung von Sterben und Tod vielleicht doch zu unterschiedlich – nur allzu gut nachvollziehen. Mir erscheint das, was Benedikt schreibt, mehr als „nur“ erdacht, sondern vielmehr er- und durchlebt, er- und durchlitten. Das „einfach weg sein“ akzeptieren zu lernen, den nahe stehenden Menschen in seinem Leiden und Sterben zu begleiten, all die ambivalenten Gefühle zuzulassen, sich ihrer klarzuwerden und sich mit ihnen auseinanderzusetzen – das alles ist beschrieben ohne jedes Pathos, ohne allzu große Sentimentalität, beobachtend und, indem aus der Ich-Perspektive erzählt, den Leser noch deutlicher in das Geschehen einbeziehend.


    Für mich steht die Erzählung (so steht es unter dem Titel) gleichberechtigt neben Arno Geigers „Der alte König in seinem Exil“. Beide Bücher setzen sich mit Themen auseinander, mit denen man doch lieber nicht allzu viel zu tun haben möchte, denen sich aber nicht ausweichen läst. „Eine kurze Geschichte vom Sterben“ ist aus meiner Sicht ein sehr empfehlenswertes Buch, auch wenn es Leser geben wird, denen so viel Ehrlichkeit ein wenig zu viel sein kann.


    ---

    Ist noch ein Plätzchen für mich frei, bitte?


    Ich habe den Roman zwar schon mehrfach gelesen, aber er ist einfach zu gut, um ihn danach im Regal verstauben zu lassen. Das Zitat mit den ersten 100 Seiten kann ich so überhaupt nicht nachvollziehen, aber wer Probleme mit Beschreibungen von Land und Leuten, von Landschaften, Vermögensverhältnissen, Wetter undsoweiterundsofort hat, der wird mit vielen Seiten im Buch Probleme bekommen. Aber es ist ja sowieso meine Meinung, dass "Action" schlicht überschätzt ist ... :grin

    Zitat

    Original von Herr Palomar
    Kafkas Leoparden ist ein kleiner, gediegener Roman aus Brasilien, den ich überaus amüsant fand.


    :write, obwohl ich bei der Szene mit der "Polizei" so meine Befürchtungen hatte, dass es schlimm werden könnte. Aber selbst die Tatsache, dass

    hat mich im Grunde nur kurz aufschrecken lassen, um dann doch weiter dieses Kammerspiel zu genießen. Man muss wohl sagen, dass es auch eine Kunst für sich ist, Schrecken so zu verpacken, dass man es als Leser ... hinnimmt, als zugehörig empfindet.

    Jörg Magenau; Christa Wolf – Eine Biografie; 1,5
    Hans Pleschinski; Leichtes Licht; 2,2
    Jutta Schubert; Zu blau der Himmel im Februar; 1,5
    Heide Koehne; Der Buchladen; 2,3
    Astrid Wenke; Eine Milliarde für Süderlenau; 3
    Devin O. Pendas; Der Auschwitz-Prozess - Völkermord vor Gericht; 2,2
    Sybille Sterzik (Hrsg.); Zweites Leben; 2
    Maxie Wander; Tagebücher und Briefe; 1,5
    Maarten 't Hart; Das Pferd, das den Bussard jagte; 1
    Moacyr Scliar; Kafkas Leoparden; 2
    Wolfgang Büscher; Berlin – Moskau; 1,5
    Walter Zwi Bacharach (Hrsg.); Dies sind meine letzten Worte … - Briefe aus der Shoah; 1; Monatshighlight
    Erich Maria Remarque; Im Westen nichts Neues; 1; Leserunde