Fatima Farheen Mirza las am 23.03.2019 in Leipzig

  • Im naTo in Leipzig habe ich schon oft interessante Schriftsteller entdeckt, so durfte eine Lesung dort nicht fehlen.


    Fatima Farheen Mirza stellte im bis auf den letzten Platz besetzten Raum ihren bereits in viele Sprachen übersetzten ersten Roman vor, dessen deutsche Übersetzung „Worauf wir hofften“ heißt. (engl. „A Place For Us“) Die Veranstaltung wurde moderiert von Shelly Kupferberg, Julia Nachtmann las mehrere Auszüge aus der deutschen Übersetzung. Im Mittelpunkt steht eine Familie in den USA, aus Indien stammende streng muslimische Eltern und deren drei in den USA geborene Kinder.


    Die Handlung sei nicht autobiographisch, auch wenn der 1991 in den USA geborenen Fatima Farheen Mirza die Lebenssituation ihrer Hauptfiguren vertraut ist. Ihr eigener Vater habe ihr erlaubt zu studieren, wenn es Medizin sei. Das Studienfach habe ihr jedoch nicht gelegen und die Idee zu „Worauf wir hofften“ sei ihr bereits früh gekommen. Die Figuren der Geschichte hätten sie eine immer größere magnetische Wirkung auf sie gehabt. Irgendwann hatte sie das Gefühl, sie sei den Figuren mehr verpflichtet als ihrem Vater und habe das Studienfach gewechselt.


    Als Fatima Farheen Mirza während ihres Studiums mehr Distanz zu ihrer Familie hatte, konnte sie die zwei Welten klarer trennen und sehen, wer sie selbst sein möchte. Die Figuren ihres Romans sind wie Magneten um diese Frage der Identität angeordnet. Das Spannungsfeld zwischen der traditionellen Familie und der säkularen Welt draußen steht im Mittelpunkt.


    Die drei Geschwister im Roman gehen sehr unterschiedlich mit den Erwartungen und der Religion der Eltern um. Während die ältere Schwester Hadia die Vorgaben der Eltern unreflektiert übernimmt, ist die Mittlere, Huda, nicht ganz so fügsam und Amar, der Jüngste, schert immer mehr aus und beginnt, sich für Autos und andere Dinge zu interessieren.


    Dann wurde Julia Nachtmann kurz vorgestellt, bekannt vom Theater und aus dem Fernsehen, als Sprecherin zahlreicher Hörbücher bereits mehrmals mit Preisen ausgezeichnet. Sie ist eine der Sprecherinnen des deutschen Hörbuchs. Bevor sie den Anfang des Buchs vorlas, betonte sie, dass dieses Buch sie besonders berührt habe.


    Die Zuhörer lernen die Familie aus Amars Perspektive kennen. Der Roman beginnt an Hadias Hochzeitstag. Die 27-jährige Hadia hat auch ihren Bruder Amar eingeladen, obwohl dieser seit Jahren den Kontakt zur Familie meidet. Seine Eltern und Geschwister gehen sehr unterschiedlich mit seinem Kontaktabbruch und seiner Entscheidung für ein anderes Leben um.


    Fatima Farheen Mirza erklärt, dass Amar es schwer in der tiefreligiösen Familie gehabt habe. Er habe sehr lange versucht, diesen Glauben auszuüben und damit gekämpft, dass sein Glaube nicht so tief und unkritisch ist wie der seiner Eltern und Geschwister. Eigentlich sei er der Einzige, der sich intensiv mit dem Islam beschäftige und gerade deshalb scheitere er, stelle immer wieder fest, dass es nicht danach leben könne.


    Seine Entscheidung, sich vom Glauben abzuwenden, bedeutet auch eine Abkehr von seiner Familie. In der vorgelesenen Textstelle sitzt Amar an der Hotelbar. Das sei bereits ein bewusstes Zeichen, denn als praktizierender Moslem dürfe er keinen Alkohol trinken.


    Obwohl alle drei Kinder die gleiche religiöse Erziehung von der Mutter erfahren, die gleichen Geschichten hören, nehmen die Kinder es völlig unterschiedlich auf. Als zum Beispiel die Geschichte von Joseph erzählt wird und es um Eifersucht geht, ist Amar der Einzige, der gründlich darüber nachdenkt und zaudert. Dieses Anderssein in einer Familie, in der Religion eine zentrale Rolle spielt schmerzt ihn immer wieder.


    Sowohl die Kinder als auch die Eltern befänden sich ständig im Dilemma, den Kindern wird modische Kleidung untersagt, die Teilnahme an Kindergeburtstagen ist nicht erlaubt. Fatima Farheen Mirza wollte sowohl das Dilemma der Kinder zeigen, die einerseits bei Gleichaltrigen dazugehören wollen, andererseits die Eltern nicht verletzen, als auch das der Eltern, die aus Indien mit bestimmten Traditionen und Werten in die USA einwanderten. Sie konnten vorher nicht wissen, wie das Leben am anderen Ende der Erde in einem anderen Wertesystem ist. Dort müssen sie dann feststellen, dass sie immer weniger Einfluss auf ihre heranwachsenden Kinder haben.


    Generationenkonflikte zwischen Eltern und Kinder seien normal, aber was passiert, wenn die Kinder ständig die traditionellen Werte aus der Heimat der Eltern in Frage stellen. Das sei doppelt verletzend, weil die Eltern es sowohl als Angriff auf ihre Heimat als auch sich selbst empfinden.


    Julia Nachtmann merkte an, dass die ersten zwei Drittel des Buchs aus der Perspektive der Kinder und der Mutter erzählt werden, das letzte Drittel aus der des Vaters, der bis dahin nicht besonders gut wegkomme. Dies sei für sie der emotionalste und intensivste Teil gewesen.


    Für Fatima Farheen Mirza ist es wichtig, dass Kinder reflektieren, woher ihre Eltern kommen und es sei falsch, Eltern einfach als zu streng abzutun. Es sei normal, dass Eltern Ängste haben, aber auch Eltern würden sich Gedanken über das Leben in der neuen Welt und Zeit machen und dazulernen. Das dauere, weil die Wurzeln der Eltern auf einem anderen Kontinent seien als die ihrer Kinder.
    Dann las Julia Nachtmann den Abschnitt, in dem die Situation zwischen Amar und seinem Vater eskaliert.


    Es wird deutlich, dass Amar das Gefühl hat, für ihn sei in der Familie kein Platz, egal wie sehr er sich wünscht, sich ändern zu können und so zu sein wie die anderen Familienmitglieder.
    Dann musste die interessante Veranstaltung leider beendet werden, weil direkt im Anschluss eine weitere Lesung dort stattfand.


    Fatima Farheen Mirza signierte noch und beantwortete zahlreiche Fragen. Worum es in ihrem nächsten Buch geht, weiß sie noch nicht, hat noch keine konkreten Pläne, möchte auf jeden Fall weiterhin schreiben.

    "It is our choices, Harry, that show what we truly are, far more than our abilities." Albus Dumbledore
    ("Vielmehr als unsere Fähigkeiten sind es unsere Entscheidungen, die zeigen, wer wir wirklich sind.")