Den Stein ins Rollen gebracht Teil 1

  • Den Stein ins Rollen gebracht


    Der Tag neigte sich dem Ende. Die Sonne war dem aufgegangenen Mond gewichen, der vergeblich versuchte sein kaltes Licht durch die Wolkendecke zu schicken. Somit lag die Domburg im Dunkel der Nacht eingehüllt.
    Ein geisterhaftes Zwielicht erhellte die Gänge der Burg. Schatten tanzten an den Wänden, verursacht durch den flackernden Lichtschein der Fackeln. Ich war auf dem Weg zu meinem Beobachtungsplatz. Zwei entgegenkommende Domherren grüßten mich kurz ohne ihren Weg zu unterbrechen. Sie waren auf dem Weg zur Abendmesse. Eigentlich sollte ich auch die Messe besuchen, doch war ich von dieser Pflicht bereits vor Jahren entbunden worden, damit ich Zeit für meine Sternbeobachtungen hatte. An diesen Abenden war ich allein mit dem Sternenhimmel und den Geheimnissen, die er barg.
    Ich trat ins Freie und fröstelte, als ein kalter Windstoß durch meine Kleider fuhr. Wolken bedeckten den Himmel. Es war keine gute Nacht zum Beobachten. Resigniert setzte ich mich. Gedankenverloren betrachtete ich die vorüberziehenden Wolken. Sie zogen nach Westen, in Richtung Nürnberg. Dort lagen nun meine „Revolutionen“, bereit zum Druck.
    Nach 30 Jahren war mein Werk endlich fertig geworden und konnte anderen Gelehrten zugänglich gemacht werden. Nun bekamen sie eine genaue Herleitung meines heliozentrischen Weltbildes. Doch würden alle die Wahrheit, die ich niedergeschrieben hatte, erkennen?
    Böse Zungen hatten die Heliozentrik als ketzerisch verhöhnt. Hatten sich über mich lustig gemacht, als sie den „Commentariolus“ mit meinen Thesen gelesen hatten. Hoffentlich erkannten sie nun ihre fehlerhafte Meinung. Denn nach meinen Berechnungen musste sich die Erde um die Sonne drehen.
    Die Stärke des Windes nahm zu, so dass ich meinen Umhang fester um mich wickelte. Es hatte keinen Sinn weiter über die Reaktionen der Gelehrten nachzudenken. Mühsam stand ich auf, streckte meine Glieder und machte mich auf den Rückweg zur Burg. In den Gängen war es nicht viel Wärmer als draußen. Der Wind heulte um die Burg und pfiff durch die Mauerritzen. Noch war die Abendmesse nicht zu Ende, so dass ich allein in den Gängen war. Die Fackeln flackerten und malten geisterhafte Schemen an die Wände. Bis auf das Heulen und Klagen des Windes begleitete mich nur das Geräusch meiner eigenen Schritte.
    Plötzlich überkam mich ein Schwindelgefühl. Ich blieb stehen, um mich für einen Moment an die Mauer zu lehnen. Der Wind gewann an Stärke und wuchs sich zu einem Sturm aus. Das Getöse drang immer lauter an meine Ohren. Bald war es das Einzige, was ich hörte. Ich schloss meine Augen, um meine Kräfte zu sammeln und den Weg fortzusetzen. Doch kaum hatte ich die Augen geschlossen, ertönte ein ohrenbetäubendes Krachen. Gleichzeitig durchzuckte ein grelles Licht meine Augenlider. Der Boden schwand unter meinen Füßen und ein endloser Abgrund erschien. Ich fiel in die Finsternis. Immer schneller fiel ich. Nichts bremste mich. Aus Angst hatte sich mein Körper versteift, so dass ich mich nicht mehr bewegen konnte. Dann verlor ich mein Bewusstsein.