Gary Shteyngart: Willkommen in Lake Success

  • Rohrkrepierer


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    “Super Sad True Love Story” (2010) hat mich seinerzeit schlicht vom Hocker gewischt, und auch die Autobiografie “Kleiner Versager” (2015) war ein originelles, beeindruckendes, vielschichtiges Lesevergnügen. Aber „Willkommen in Lake Success“ ist völlig missraten, um es noch nett zu sagen.


    Es erzählt die Geschichte von Barry Cohen, dem jüdischstämmigen Hedgefonds-Manager, der in den Vierzigern und mehrfacher Millionär ist, und der außerdem mit einer extrem attraktiven, extrem klugen und deutlich jüngeren Frau verheiratet ist, deren Familie aus Indien stammt. Die beiden bewohnen eine komplette Etage in einem Wolkenkratzer am Central Park. Doch es gibt ein paar dunkle Flecken in dieser Idylle. Barry hat sich - vor allem mit Investitionen in eine Pharmabude namens „Valupro“ - böse verspekuliert, Seema, die Gattin, langweilt sich in der Ehe und hadert damit, die Anwaltskarriere an den Nagel gehängt zu haben, und Shiva, der drei Jahre alte Sohn, liegt „im Spektrum“. Er ist Autist, er kann nicht sprechen, dafür fixiert er stundenlang den Buchstaben „W“, wenn er ihn irgendwo sieht, außerdem liebt das Sesamstraßenlied „K - wie Kekse“. Das allerdings verheimlicht das Ehepaar gegenüber anderen, und selbst die eigenen Verwandten wissen vorläufig nichts - ein gleichsam misslungenes Kind wäre in dieser Glitzerwelt eine Niederlage. Und irgendwie eskaliert das alles an einem Abend, woraufhin Barry seine Lieblingsuhren in einen Trolley packt und zum Busbahnhof marschiert, von wo aus er nach Texas fahren will, um seine Jugendliebe Layla zu finden. Unterwegs trennt er sich von Handy und Kreditkarten. Was für ein Held.


    Gary Shteyngart schreibt irgendwo, dass er diese Odyssee mit dem Greyhound-Bus selbst unternommen hat, und das ist glaubwürdig, denn von dieser ermüdenden, trashigen Fahrt erzählt er viele (überwiegend nicht sonderlich spannende) Details, die mit der Haupthandlung nichts zu tun haben. Diesen anderen Teil hat Shteyngart irgendwie um diese Busreise herumgebaut, aber das Gebäude ist wackelig, hässlich und alles andere als wohnlich. Das Hauptproblem ist der Protagonist, dieser Barry, der ein Händchen für Zahlen hat und teure mechanische Uhren liebt, aber über das Sozialverhalten einer gebrauchten Mülltüte verfügt. Barry ist allerdings nicht nur hochgradig unsympathisch, sondern außerdem so naiv, dass es einer mittleren Intelligenzminderung gemäß F71/ICD-10 zumindest nahekommt. Seine Gedanken und Reflexionen sind nahezu unerträglich, seine Entscheidungen absurd, sein Umgang mit anderen verursacht Fremdscham und Phantomschmerz. Das wäre ja alles in Ordnung, wenn die Figurenskizze stimmig(er) wäre. Ist sie aber nicht. Möglicherweise hat Shteyngart seinen Barry Cohen als Karikatur angelegt, als Persiflage auf die alten weißen Männer, die nach aktueller Vorurteilslage nichts können, aber aufgrund ihrer geburtsgegebenen Privilegien alles bekommen (und an Trumps Wahlsieg die Schuld tragen). Doch selbst das funktioniert nicht. Außerdem ist die Gattin ebenfalls völlig fremdbestimmt, moralfrei und höchstens gelegentlich ein bisschen klug. Es macht einfach keinen Spaß, etwas aus dem Leben dieser Knalltüten zu erfahren. Dazu ist es auch viel zu langweilig, zu beliebig - dieser Roman ist über weite Strecken nichts weiter als eine Sammlung von Wörtern.

    Womit es wenigstens noch die Möglichkeit gäbe, dass Shteyngart eine Milieu- oder Gesellschaftsstudie liefern wollte, eine Abhandlung über diese U.S. of A., in denen der White Trash im Greyhound sitzt, während die weiße Elite Millionen scheffelt und trotzdem den Irren ins Weiße (!) Haus wählt. Und irgendwo zwischendrin sind auch noch die P.O.C. und all die anderen Gruppen, die der Autor hier wie auf einer Feiertagsparade am Leser revuepassieren lässt, ohne sich irgendeiner Figur auf mehr als eine Yachtlänge Abstand zu nähern. Schlimmer noch, er führt sie vor.


    Ich sag’s ungerne, aber „Willkommen in Lake Success“ ist ein wirklich blödes Buch. Unangenehme Figuren in einer unangenehmen, langweiligen Handlung, die keinen Anfang und kein Ende hat, und zwischendrin so viel Interessantes bietet wie ein Blick in die Küche von McDonald’s. Mag sein, dass Gary Shteyngart was zu sagen hat, aber in diesem Buch hat er’s nicht gesagt.


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