Alexander Roda Roda - Sein Werk und seine Zeit

  • Kürzlich wäre er hundertfünfzig geworden – gedenkt man seiner noch? Er war ein knappes halbes Jahrhundert lang ein sehr erfolgreicher Vielschreiber und Vortragskünstler seiner selbst gewesen, talentiert, sehr wach, umtriebig, weithin bekannt und anerkannt und manchmal auch geschmäht. Für Karl Kraus, der ihn bekämpfte, war er vor allem ein „Schnurrenfabrikant“. Roda Roda liebte als Anekdotenerzähler wie Satiriker die Knalleffekte und war zugleich gegenüber seinen Figuren milde gestimmt, nachsichtig. Die Handlungen sind krass und die Menschen in ihnen mit eher weichem Stift gezeichnet. Darin äußert sich ein sympathischer melancholischer Fatalismus. Wie viele unterschiedliche Milieus und Typen hat der Mann kennengelernt, studiert, porträtiert ... Das war seine Welt, seine Zeit: ganz Mittel- und Südosteuropa im letzten Viertel des 19. und im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts. Er war polyglott als Sprecher und hatte als Zuhörer das empfindsamste Ohr für Dialekte, Slangs, Nuancen. Tucholsky, der ihn sehr schätzte, schrieb ihm immer wieder Elogen, so z.B.: „Er kann alle Leute und alle Dialekte und alle Tiere nachmachen, auch Kommandierende Generale.“


    Zur Hand nehme ich wieder „Das Große Roda Roda Buch“, als rororo-Taschenbuch 1990 herausgekommen, und blättere. Da sind die „Geschichten vom Balkan“ und die vom Habsburger Militär, die Schnurren über altösterreichische Zivilpersonen, dann Reiseimpressionen (auch aus den USA), Amüsantes und Bissiges über Kunst und Literatur, über den Adel und das Familienleben; als Zugabe eine bunte Mischung Skurriles aus allen Lebenslagen. Es sind Hunderte von überwiegend kurzen und kürzesten Texten, die meisten auf erhellende Weise erheiternd. Im Durchschnitt etwas länger sind die achtzehn kleinen Erzählungen in „Die Kummerziege und andere Dienstbotengeschichten“, als Fischer Taschenbuch 1980 erschienen. Sie gelten als Gemeinschaftswerk des Autors und seiner Schwester Marie. Deren Anteil am Entstehen und vielleicht auch am Ausarbeiten mag der größere gewesen sein. Dafür spricht die genaue Kenntnis von Bürgerhaushalten und weiblichem Seelenleben.


    „Roda Rodas Roman“ von 1925 (div. Ausgaben und Auflagen) ist die leicht romanhafte Nachzeichnung des eigenen Lebens bis in dessen frühe dreißiger Jahre. Man darf nicht jedes Detail für verbürgt halten. So verlegt der Autor bereits seine Geburt im Jahr 1872 von Mähren nach Slawonien, wohin er tatsächlich erst als Kleinkind gebracht wurde. Dort war sein Vater Gutspächter und Alexander Roda Roda lernte von klein auf sowohl das traditionelle Landleben wie die ethnisch sehr gemischte Bevölkerung jenes damals ungarischen Landesteils kennen, unweit von Bosnien wie auch der serbischen Grenze. Nur gestreift werden die Oberschuljahre in Mähren, das abgebrochene Jurastudium, dann folgt in aller Breite das Jahrzehnt beim Militär. Roda Roda wurde Reiteroffizier, Reitlehrer dort und schrieb in der freien Zeit Texte für Zeitschriften. Über seine Beziehung zu Adele Sandrock (im Buch eine Tänzerin unter anderem Namen), die Differenzen mit Vorgesetzten und sein vorzeitiges Ausscheiden aus dem aktiven Dienst mündet die Darstellung in die Begegnung mit seiner späteren Frau. Die Ehe scheint glücklich gewesen zu sein, hielt bis zum Tod des Autors (New York 1945).


    Mich überrascht jetzt, aus sekundären Quellen zu erfahren, dass Roda Roda jüdischer Herkunft war und erst als junger Mann konvertierte, vielleicht wegen der angestrebten Militärkarriere. Juden kommen in seinem Werk gelegentlich vor und er behandelt sie wie andere gesellschaftliche Gruppen, mit liebevoll nachsichtigem Scharfblick. Seine persönliche Beziehung zum Judentum bleibt dabei im Dunkeln. Gab es gar kein Problem, war er einfach nur liberal aufgeklärt, emanzipiert? Oder thematisierte er ihn persönlich betreffenden Antisemitismus grundsätzlich nicht? In diesem autobiographischen Roman spielt der Autor paradoxerweise auch insgesamt nur eine Hauptnebenrolle. Er behandelt seine innere Entwicklung kaum, er selbst ist eher der Fluchtpunkt sehr vieler Einzelschicksale, die in momentanen Begegnungen kurz aufscheinen. Tatsächlich ist das Werk so ein Panorama-Panoptikum von Menschen in Alteuropa um 1900. Dass es die Erinnerung an sie auf diese Weise über die Zeit gerettet hat, das ist die große Leistung des Autors.


    Exemplarisch für Roda Rodas Arbeitsweise ist sein Porträt dessen, den er Nevery nennt, auch ein Reiteroffizier, ein steirischer Hüne mit etwas kindlichem Gemüt. Sie tun lange zusammen Dienst, Roda Roda bekundet im Buch seine durchgehende Sympathie für ihn. Bei der Schilderung einer absurd-komischen Fechtszene lässt er eine Wendung einfließen, dass der Leser sich fragen kann: Ist Nevery homosexuell? Das Thema spielt im ganzen Buch sonst keine Rolle. Dann ist Roda Roda entlassen und bereist als Journalist den Balkan. An der damals heißen montenegrinischen Grenze stößt er wieder auf Nevery, der jetzt unter elenden Bedingungen Kommandant eines Forts auf einer Felsenspitze ist. Roda Roda lässt Nevery über sein Verhältnis zur Mannschaft reden und lässt ihn mitten in einem Bekenntnis abbrechen. Es wird dennoch klar, dass Nevery ein Verhältnis mit einem Untergebenen hat. Roda Roda wirft einen letzten Blick voller Mitgefühl auf ihn. Das ist eine der Stellen in Roda Rodas Werk, in denen sein menschenfreundlicher Grundzug sich äußert. Nur nebenbei: Nevery bei Roda Roda hat als Typ wie bezüglich seiner Stellung im Buch Ähnlichkeit mit Flauberts Figur Dussardier in der “Éducation sentimentale“, beide Fragmente eines so literarisch unsterblich gewordenen 19. Jahrhunderts.


    Wer Roda Rodas Texte von ihm selbst vorgetragen anhören möchte: Im Netz sind leicht aufzufinden zwei youtube-Videos mit Tonaufnahmen aus der Zeit um 1930: „Generalmajor Johann Kiefer“ und „Die Gans von Podwolotschyska“ (hier hat sich im Titel das dritte „o“ versehentlich in ein „c“ verwandelt).