Hans Pleschinski - Der Flakon

  • ASIN/ISBN: 3406806821

    Klappentext:


    Im August 1756 überfällt Friedrich der Große ohne Kriegserklärung Sachsen. Vor der hochgerüsteten preußischen Armee flüchtet Friedrich August, Herrscher über Sachsen und Polen, zusammen mit seinem Premierminister Heinrich von Brühl, nach Warschau. Aber die Reichsgräfin von Brühl bleibt in Dresden und kapituliert nicht, während das Land geplündert wird. Sie schmiedet einen Plan...
    Getarnt durch ein Pseudonym, macht sie sich mit ihrer Kammerzofe auf den mühevollen Weg nach Leipzig, wo Friedrich der Große seine Audienzen hält. Kann man durch eine beherzte Tat die Geschichte verändern, einen barbarischen Krieg beenden?
    In seinem neuen ebenso unterhaltsamen wie kenntnisreichen Roman erzählt Hans Pleschinski von einem wenig bekannten Ereignis der deutschen Geschichte und von heimlichen Heldinnen.


    Mein Lese-Eindruck:


    Ein Gift-Anschlag auf Friedrich den Großen? Davon erzählen die Geschichtsbücher nichts, aber das sagt nicht unbedingt etwas aus, da Geschichte bekanntlich von den Siegern geschrieben wird – und der ist in dieser Handlung König Friedrich II. von Preußen, der sicherlich dafür sorgte, dass kein Schatten auf den Glanz seiner Krone fiel.


    Pleschinski findet in der Hofchronik des Grafen Lehndorff eine kleine und zudem unklare Notiz, aber sie reicht, um seine Fabulierlust zu entfachen. So bleibt es also unklar, inwieweit das erzählte Geschehen der Realität entspricht, und der Leser ist damit zufrieden, dass es so hätte geschehen können.


    Die Handlung versetzt den Leser in die Zeit des 7jährigen Krieges, als Preußen 1756 ohne die übliche Kriegserklärung in Sachsen einfiel. Die sächsische Armee war zwar als einzige Armee Europas komplett mit Perücken ausgestattet, d. h. sie sah sicher fesch aus, hatte aber im Unterschied zur preußischen Armee wenig Ahnung von militärischem Drill, von Strategie und Taktik. Mit der Kapitulation dieser Armee beginnt der Roman.


    Pleschinski schart einige historische Personen um diesen Gift-Anschlag, allen voran die schöne und energische Reichsgräfin Brühl, deren verwöhntes Leben durch die preußische Besetzung in Trümmer gelegt wurde: ihr Mann flieht nach Polen, ihre Söhne stehen an der Front, ihre exorbitanten Kunstsammlungen werden geplündert, das Personal ist auf und davon, ihre vielen Schlösser sind zerstört. Sie will Sachsen retten und zur einstigen Größe zurückführen. Daher plant sie den Tyrannenmord und begibt sich auf eine beschwerliche Postkutschenreise von Dresden nach Leipzig.

    Streng genommen geht es in dem Buch weder um die Reise noch um den Giftanschlag, sondern es geht um den Zustand Sachsens nach dem preußischen Überfall. Sachsens Geschichte liegt dem Autor spürbar am Herzen. Er zeichnet das Bild eines Kulturstaates, in dessen Mittelpunkt ein glanzvoller Hof stand, offen für Theater, Musik und Literatur, mit prächtigen Gemäldesammlungen und Bibliotheken, mit repräsentativen Bauten und üppigen Festen. Und daher lässt Pleschinski auch einige Größen der Zeit auftreten wie Gottsched und die Gottschedin sowie Gellert, der sich in einer Sänfte behaglich durch den Park tragen lässt. Alles Geld Sachsens floss in Kultur und nicht wie in Preußen ins Militär.


    Pleschinski entwirft deutliche Bilder des Niedergangs, die die Gräfin Brühl in ihren Zobelpelzen auf ihrer Reise beobachten kann: die Zerstörungen und kriegsbedingten Wüstungen, Hunger, Verwahrlosung, Armut, Flüchtlingsströme, u. a. jüdische Emigranten aus Prag, Plünderungen und Übergriffe, zerstörte Herrensitze. Mit der Gräfin Brühl zeichnet Pleschinski damit zugleich die Vertreterin einer untergegangenen Zeit und markiert die Kapitulation von 1756 als einen Wendepunkt der sächsischen Geschichte, von dem sich Sachsen nicht mehr erholen wird.

    Pleschinski erzählt diese Geschichte multiperspektivisch. Alle kommen zu Wort, sei es der schöne Marwitz, der Friedrich II. und dessen Bruder als Lustknabe dient und offen auch bei den Damen über seine sexuelle Ausrichtung plaudert, sei es der intrigante Diener Glasow und sogar der Alte Fritz mit seinem ernüchternden Testament. Die historischen Recherchen sind beeindruckend, und das Einrücken von Original-Dokumenten macht den Roman noch authentischer. Trotz der zeitlichen Entfernung wirkt der Roman nicht verstaubt, die Figuren sprechen gewählt, aber nicht antiquiert. Aber ob die Leipziger tatsächlich schon damals auf dem Weg zur Nikolaikirche „Wir sind ein Volk“ skandiert haben? Und rutscht der vornehmen Reichsgräfin Brühl tatsächlich einmal ein „Fuck you“ heraus...? Und wenn nur die etwas hölzernen Reden nicht wäre... Historische Sachverhalte werden immer wieder nicht durch die Handlung transportiert, sondern im Dialog präsentiert, was gelegentlich recht steif wirkt.



    Trotzdem: ein vergnüglicher und kenntnisreicher Ausflug in die sächsische Geschichte.


    8/10 Pkt.