Frank Schulz: Amor gegen Goliath

  • Meister-Werk


    fuenfsterne.gif


    Jeder Roman von Frank Schulz ist ja sowieso ein Meister-Werk (okay, abgesehen von diesem blöden Kreuzfahrt-Ding), weil Schulz einfach der Meister ist, weil er wie niemand sonst schreibt, weil seine Sprachgewalt, sein Witz, seine Klugheit, seine Stilsicherheit, sein Wissen und sein Umgang mit Figuren und Dramaturgie alle ausnahmslos in den dunkelsten Schatten stellen, weil er bis in die feinste Nuance beobachtet und beschreibt und nacherlebbar macht, weil er die hohe Schriftsprache reitet wie ein unfassbar schönes, ungestümes Wildpferd, das nur ihn und sonst niemanden auf seinen Rücken lässt. Puh (und was für ein herrlich klebriger Vergleich!). Ja, ich bin ein Fan, das dürfte subtil zwischen diesen Zeilen hindurchscheinen, ein glühender Verehrer dieser Kunstfertigkeit, dieser Cleverness, dieser skalpellenen Präzision, das war und wurde ich schon, als ich vor nicht wenigen Jahren zum ersten Mal „Morbus Fonticuli“ lesen durfte, den zweiten Teil der Hagener Trilogie, ein Zufallsfund aus dem zweitausendeins-Merkheft, der mir schlicht den Stecker zog, um es mit Herrndorf zu sagen. Aber „Amor gegen Goliath“ lässt selbst das wie eine bemühte Erstlingsskizze erscheinen, wie eine Schreibübung.


    Dabei macht es einem der Einstieg wahrlich nicht leicht, und genau genommen wird es später auch nicht wesentlich einfacher. Während der Lektüre der ersten zwei-, dreihundert Seiten von immerhin 750 insgesamt habe ich deshalb nicht selten gezweifelt, mich gefragt, was das soll, warum Schulz einem das zumutet, dieses oft sehr anstrengende, unter einer dicken und nicht immer komfortablen Wörterdecke fast erstickende bisschen Geschichte, das einfach nicht aus den Puschen zu kommen scheint, während im Detail rätselhaft bleibt, worum es geht oder irgendwann gehen wird, wenn bitte bitte endlich Handlung einsetzt. Die Motive werden allerdings früh genug flächig ausgebreitet. Themen sind Liebe und Freundschaft, Depression und Angststörung, Sex und das Fehlen desselben, Kommunikation und Journalismus, aber diese Themen dekorieren lediglich das Hauptthema: Den Klimawandel und den Umgang der Gesellschaft mit ihm. Vor allem der Umgang jenes Teils der Gesellschaft, der wirtschaftliche Fragen oder gar fehlende mentale Kompetenz nicht als Ausrede für die Nichtbefassung nutzen kann. Dürfte. Sollte.


    Schulz erzählt von einem Hamburger Beau, der in den mittleren Fünfzigern angekommen ist, sich für ein Geschenk an die Weiblichkeit hält (die das ihrerseits zu einem Gutteil aber ebenso sieht oder zu sehen scheint) und der als freier Journalist für ein linkes Lifestyle-Magazin arbeitet: Dr. phil. Philip Büttner. Die zweite Figurenkonstellation lebt in Osnabrück und bildet den Kern der Schar: Der vierzig Jahre alte Musiker Richard „Ricky“ Köttenpeter mit seiner in jeder Hinsicht traumhaften Ehefrau Cathrin, der Psychologin, die bei E4F – Everydays for Future – extrem engagiert ist. Ricky hingegen zweifelt täglich ein bisschen mehr an ihrer Treue und eilt einer schweren Depression mit großen Schritten entgegen, während das Vorankommen im eigenen Leben immer kleinschrittiger wird – und dabei schließlich sogar die Richtung wechselt. Außerdem ist da noch Ilona Gamasch, eine achtundsechzig Jahre alte Achtundsechzigerin, die immer noch ein bisschen an ihrem ein bisschen berühmten Ex hängt, obwohl der inzwischen von wohlmeinend nach populistisch gewechselt ist. Wir befinden uns zunächst im frühen Jahr 2020, also am Beginn der Pandemie. Der Handlungszeitraum umspannt von dort beginnend im Wesentlichen zwei Jahre. Das nahezu gesamte Personal des Romans wird im letzten Drittel aufeinandertreffen, in Kalokairos auf Südkreta, was nicht nur dramaturgisch perfekt hergeleitet ist, sondern in einem Schulz-Roman (außer den Vietsen) nicht fehlen darf: Griechenland muss immer. Griechenland geht aber auch immer.


    Durchsetzt von Rückblenden, Auszügen aus Texten und Interviews, fantastischen Dialogen und brillanten Diskursen – alles perfekt eingebettet in das Geschehen – führt Schulz über diese immer spannender werdenden 750 Seiten hinweg nicht nur zu einem fulminanten Ende, sondern auch und vor allem zu einer Erkenntnis. Denn „Amor gegen Goliath“ ist, und daher rührt vermutlich die ansonsten unbegreifliche Zurückhaltung des Feuilletons, ein Haltungsroman. Er ist in dieser Hinsicht völlig eindeutig und lässt keine Zweifel zu, bietet keinen Raum zur Ausdeutung, erlaubt keine Gegenargumente. Das Buch ist ein Manifest.


    Und außerdem das mit Abstand beste, was ich in den letzten Jahren an deutschsprachiger Literatur in die Finger bekommen habe.

    ASIN/ISBN: 3869712376

  • Tom Hmm, nachdem ich mir bei Mitchell's 'Der dreizehnte Monat' zusätzlich noch das Original 'Black Swan Green' geholt habe, einfach weil eine Übersetzung - trotz der sicherlich hervorragenden Arbeit von Volker Oldenburg - eben nur eine Übersetzung ist und ich da doch über das ein oder andere tatsächlich gestolpert bin und auch die Erzählstimme im Original einfach noch besser finde, wäre es schön auch mal wieder was wirklich gut geschriebenes zu lesen, dass ich nicht durch den Schleier einer Übersetzung sehe (oder den einer Fremdsprache).

    Ich habe noch nie was von Frank Schulz gelesen, aber dann hole ich mir das mal in nächster Zeit (im Moment stecke ich noch im nächsten Mitchell, number9dream... und ich bin auch gespannt, wie Du 'Der dreizehnte Monat' findest, wenn's bei Dir dran ist...)

  • Über Amor gegen Goliath zu schreiben, vermutlich überhaupt über ein Buch von Frank Schulz zu schreiben, heißt zunächst über Sprachvirtuosität zu schreiben.

    Ich fühlte mich bei Amor gegen Goliath sehr schnell an die 10 rules for good writing von Elmore Leonard erinnert.


    Z.B. die 2. Avoid prologues

    Schulz bringt davon gleich eine Handvoll mit, netterweise auch hinten am Roman angehängt.


    Oder die 3. Never use a verb other than "said" to carry dialogue.
    Das ist so'n Lieblingsding von Lektoren, nur bestimmte Verben - Verben des Sagens - dürfen verwendet werden. Und weil das so 'ne einfache Regel ist, wird entsprechend lektoriert, egal ob der Text funktioniert oder auch nicht.
    Scholz setzt sich da nicht nur souverän drüber weg, sondern reibt es Lektoren geradezu ins Auge (dabei nebenbei auch noch der uns allen bekannte Regel, Wortwiederholungen zu vermeiden, eine Faust ins Auge donnernd):

    "Aber", aberte Büttner, ...

    Nehmen wir Leonards 10. Regel, Try to leave out the part that readers tend to skip.
    Würde man diese Regel befolgen, es bliebe wohl nichts aus Amor gegen Goliath übrig.
    Oder eben doch alles.


    Amor gegen Goliath und vermutlich auch andere Bücher von Frank Schulz, sind die Antithese zu Leonards Schreibregeln. Bzw. zu Schreibregeln überhaupt.
    Und genau das ist es, was Schulz so lesenswert macht: Hier ist ein Meister der Sprache unterwegs, für den vermutlich jede Regel ein Ansporn wäre, sie mit einem Gegenbeispiel zu widerlegen. Und er kann das ohne Zweifel nicht nur immer, sondern es wäre auch immer die bessere Lösung. Kann nur sonst keiner (naja kaum einer, Tom Robbins fällt mir da z.B. spontan ein).


    (Ich habe auch mal in die Leseprobe des ersten Onno Viets-Romans reingelesen, dort wird die Mutter aller Schreibregeln Show, don't tell auf die Schippe genommen, indem ein Rechtsanwalt erzählt, was er in einem Internetvideo sieht und hört inkl. der eingeblendeten Untertitel, die den Dialekt übersetzen [Achja und naturlich auch gegen Regel 7 Elmore Leonard verstoßend: Use regional dialect, patois, sparingly])


    Amor gegen Goliath strotzt vor sprachlicher Virtuosität mit intelligenten Wortspielen weitab von allen Klischees. In den besten Momenten ist es, als würde unsere Sprache neu erfunden. Es ist, als würde man einen neuen Kontinent mit neuen Möglichkeiten entdecken.

    Gleichzeitig, und das könnte man, wenn man möchte - ich sicherlich nicht - diesem Roman vorwerfen, ist Schulz diese Virtuosität häufig wichtiger als die Geschichte. Anders als z.B. bei David Mitchell, bei dem die Sprache in ihrer Virtuosität immer der erzählten Geschichte (und ihrer Metaebene) dient und sich immer stark der jeweiligen Perspektive anpasst, kommt es mir vor, als wäre hier die Geschichte vor allem die Bühne für diese Sprachvirtuosität.


    Dieser Eindruck liegt natürlich auch daran, dass es kaum eine Handlung gibt, die hier auf über 700 Seiten erzählt wird. Wer sich nicht an dieser Sprache erfreuen kann, wird mit Amor gegen Goliath nicht viel anfangen können.


    Inhaltlich bildet das Buch aus meiner Sicht gut unsere Gesellschaft in der (erlebnisarmen) Corona- und der (ihren Zielen nicht näherkommenden) Fridays for future-Zeit ab.

    Erschreckend war dabei für mich vor allem, das es mir angesichts der aktuellen Entwicklungen, also der Geschwindigkeit mit der die Welt überall in Richtung von nationalen Me First-Autokratien zu rutschen scheint, so vorkommt, als läge die Corona/Fridays For Future-Zeit etwa so lange zurück, wie die Datenschutz-Diskussion in den Achtzigern.


    Klimawandel ist vordergründig das zentrale Thema hier. Und die Polarisierung der Gesellschaft, der begegnet werden soll, entsprechend auch. Trumps erste Amtszeit wird angesprochen. Und die Superreichen. Und vieles andere auch.

    Aber es wirkt schon jetzt wie ein Blick von gestern auf diese Themen, nicht weil diese nicht aktuell sind, sondern weil sich durch Trumps zweite Amtszeit die Entwicklung nochmal unglaublich beschleunigt hat. Z.B. die kurze Episode über Wokeness war sicherlich vor 2 Jahren ein Thema, vielleicht auch letztes Jahr noch, aber dieses Jahr sind wir bereits in einer sehr heftigen Gegenbewegung. Das Harvard zerstört werden soll, weil es zu woke ist, war letztes Jahr einfach noch völlig undenkbar.


    Es ist eine schwere Zeit für Autoren, wenn sie auf aktuelle politische Entwicklungen in einem Roman eingehen wollen.
    Amor gegen Goliath ist einerseits hochaktuell, andererseits schon überholt. Das ist der Nachteil davon, dass dieser Roman in Teilen sehr konkret ist, statt hintergründiger auf einer Metaebene zu agieren.
    Die Welt scheint sich immer schneller zu drehen...