Der erste Roman von Tom Liehr, der nicht aus der Ich-Perspektive erzählt ist und kurz hatte ich das Gefühl einen anderen Autor zu lesen.
Dann war es aber wieder alles da: Die feinen Nuancen, die Infos, die heimlich durch die Hintertür reinschlüpfen, die kleinen Details, die unsere Zeit und unser Leben kommentieren.
Ein typischer Kommentar, den ich von Freunden bekomme, die ich mit einem Liehr beschenke, ist: Es passiert eigentlich die ganze Zeit nichts, aber ich konnte es trotzdem nicht aus der Hand legen.
Das stimmt einerseits gar nicht, andererseits schon, auch hier Freitags bei Paolo: Das erste Kapitel liest sich wie ein Prolog und endet dort, wo ein Liebesroman typischerweise endet: Sie kriegen sich.
Der Rest des ersten Teils erzählt danach von nicht weniger als den ersten 1000 Freitagen eines Traumpaars.
Das klingt in unserer heutigen Zeit der Superlative lapidar, ist es aber nicht: Gemeint ist hier wirklich die eine große Liebe des Lebens in ihrer Perfektion. Clemens und Marie sind diese eine unglaubliche, große - nie kitschige - Liebe und wir begleiten sie tatsächlich durch die ersten 20 Jahre ihrer Beziehung. Ich kann mich nicht daran erinnern, etwas vergleichbares gelesen zu haben.
Das muss doch langweilig sein, ist eine typische Reaktion, wenn ich von diesem Buch erzähle.
Sicher: Wer einen vordergründig konfliktreichen Roman lesen möchte, ist hier falsch.
Aber Nein: Dieses Buch ist alles andere als langweilig. Nicht nur, weil ein Roman von Tom Liehr - zumindest für mich - ohnehin alleine durch seine Erzählkunst bereits trägt. Und durchaus unterhält mit vielen beiläufigen Kommentaren auf aktuelle Gesellschaftsthemen: Häufig humorvoll, häufig bissig, häufig beides.
Aber dieser Roman kommt für mich vor allem daher wie ein Schleichmörder, mit seinen zunehmend bohrenden Fragen:
Wie geht man mit Chancen um, die einem im Leben begegnen und wie schafft man neue Chancen? Was ist einem wirklich wichtig?
Im Vordergrund von 'Freitags bei Paolo' steht dabei die eine wichtige aller Chancen: Die Liebe.
Sie wird in verschiedenen Beziehungen gespiegelt mit einer Spannbreite vom Traumpaar Clemens und Marie, bis zu einer äußerst toxischen Beziehung, die im Off passiert. Oder auch einem Menschen, der sich gegen die Abhängigkeit einer Beziehung entscheidet.
Ich habe Clemens und Marie und die vielen anderen Charaktere sehr gerne durch diesen Roman begleitet.