Claire Deya - Eine Welt nur für uns

  • Die Liebe neu erfinden

    Bei allen Kriegshandlungen seit dem Krimkrieg Mitte des 19. Jahrhunderts kamen die todbringenden Minen zum Einsatz. Perfide Waffen, die nicht nur Soldaten, sondern auch Zivilisten gnadenlos töten. In Claire Deyas Buch begleiten wir eine Minenräumtruppe bei ihrer schrecklichen und gefährlichen Arbeit. Keiner von ihnen hat dafür je irgendeine Ausbildung erhalten. "Learning by doing” ist die Devise. Es sind lauter Laien, die aus diversen Gründen sich haben anheuern lassen, diesem Krieg nach dem Krieg beizutreten. Bessere Bezahlung, mehr Bezugsscheine, sind für diejenigen, die Familien mit Kindern oder die Eltern unterstützen, mit ein Grund, sich da anwerben zu lassen.

    Fabien ist der Anführer der Gruppe. Ein ehemaliger Résistancekämpfer, bemüht er sich nun aus den vereinzelten Mitgliedern seines Kommandos ein Team zu bilden, sie zu einer richtigen Truppe zusammenzuschweißen. Denn das Leben aller hängt davon ab, wie gut sie kooperieren können, wie gut sie aufeinander eingehen können. Wer im Alleingang Minen räumen will stirbt und reißt andere mit in den Tod. Er weiß, dass Odette, seine Frau von den Deutschen getötet wurde, er hat außer seinem Leben hier nichts mehr zu verlieren.

    Vincent, Arzt, deutscher Kriegsgefangener, bricht aus dem Lager aus und schafft es in den letzten Kriegstagen bis an die Cote d’Azur zu kommen. Er sucht verzweifelt nach der Frau, die er liebt, Ariane, die aber seit zwei Jahren verschollen ist. Um sie zu finden, bleibt er nicht in Marseille, sondern zieht nach Hyéres und beginnt Minen zu räumen, weil hier auch deutsche Häftlinge, ehemalige Besatzer, arbeiten. Es sind Häftlinge die vielleicht Ariane während des Krieges gekannt haben.

    Lukas ist Kriegsgefangener der Franzosen. Dabei liebt er Frankreich, die französische Sprache und die Kultur. Aber der Hass, der ihm und seinen Mithäftlingen seitens der Bevölkerung entgegen schlägt, ist enorm. Einen deutschen Gefangenen zu töten, ist “nachträgliche Notwehr” (S. 117). Den Deutschen soll nun das widerfahren, was sie so lange den Franzosen angetan hatten: “... so wie die Deutschen gelyncht hatten, wie sie massakriert, aufgehängt, niedergeschossen, vergewaltigt, abgefackelt, exekutiert, terrorisiert und gefoltert hatten. Endlich! Es war an der Zeit, dass sie dafür bezahlten” (S. 116 - 117)

    Vincent und Fabien sind die einzigen, die dazwischen gehen als ein französischer Bauer auf Lukkas einschlägt und ihn retten. Dabei sind die deutschen Kriegsgefangenen lebenswichtig. Sie müssen nach dem Räumen das Feld systematisch begehen, den sicheren Tod vor Augen, falls eine Mine doch übersehen wurde.

    Im Roman gibt es auch Frauengestalten, die in ihrer Art Licht ins desolate, dunkle Dasein der Männer bringen. Ariane, die Geliebte und Gesuchte, die verschollen bleibt, Odette, tot und unvergessen. Und da, in Hyéres gibt es Lena, die Café Besitzerin mit dem Herz am rechten Fleck, die sich Fabiens annimmt, und Saskia, aus einem deutschen Vernichtungslager zurückgekehrt, ihr Elternhaus von Fremden bewohnt, ihre Eltern und Schwester in Deutschland vergast und getötet, sie steht buchstäblich vor dem Nichts. Vincent rettet sie, bringt sie zu sich nach Hause, lässt sie da wohnen, ohne von ihr das Geringste zu verlangen oder erwarten.. Saskia fragt sich, wieso und wer ihre Familie bei den Deutschen denunziert haben könnte. Und was sind die Gründe dafür? “Aus Eifersucht, aus Rache oder um sich ein Geschäft unter den Nagel zu reißen? Vielleicht sogar aus keinem besonderen Grund, nur aus Gewissenlosigkeit, aus Freude am Verrat, um sich endlich einmal allmächtig zu fühlen?” (S. 162) Nicht einmal die Behörden wollen Saskia helfen. Die Familie, die ihr Haus besetzt hat, zählt zu den ehemaligen Kollaborateuren, es wurde ihr zwar der Prozess gemacht, aber es gelang ihr, die nötigen Persilscheine vorzuweisen und steht nun, nach dem Krieg, ebenso gut da wie während der deutschen Besatzung. Erst als Saskia und Vincent den Brief finden, der Saskias Familie denunziert hatte, findet sie heraus, wer so viel Leid und Not über Saskia heraufbeschworen hatte. Und auch, weshalb er dies getan hat. Er wollte nicht, dass sein Sohn Saskia heiratete, denn sie waren verlobt. Vincent stattet dem ehrenwerten Monsieur Jean-Robert Delambre-Rebattet einen Besuch ab und zwingt ihn, Saskias Haus von den unrechtmäßigen Besatzern zu befreien.

    Vincent findet Ariane, mit Hilfe Fabiens und Lukas’. Aber Ariane hat sich im Krieg verändert. Sie lebt in Italien, in einem Dorf, das nur aus Frauen zu bestehen scheint, ihre Liebe zu Vincent hat sich verändert und ist geschwisterlicher Zuneigung gewichen. “Sie beide [Ariane und Vincent] hatten nicht den Krieg überlebt, um der Tragödie weitere Akte hinzuzufügen. Das Chaos, das sie durchlebt hatten, musste wenigstens für eines gut sein: Größe zu zeigen, indem sie Rimbauds Aufforderung folgten und die Liebe neu erfanden” (S. 426)


    Wenn der Krieg nach dem Friedensschluss weitergeht, um den Frieden zu sichern, was dann?


    ASIN/ISBN: 3458644903