Am Meer ist es schön - Barbara Leciejewski

  • Klappentext (Amazon):


    Sechs Wochen Kuraufenthalt an der Nordsee – ein toller Urlaub, versprechen ihr die Eltern. Doch die achtjährige Susanne und die übrigen Kinder verbringen im »Haus Morgentau« die schlimmste Zeit ihres Lebens. Wer den Teller nicht leer isst, die Regeln bricht oder sich anderweitig aufsässig zeigt, wird von den Erzieherinnen hart bestraft. Kein Hilferuf dringt zu den Eltern durch, denn die Briefe der Kinder werden kontrolliert. Doch immer wieder schlagen Susanne und ihre Freunde den »Tanten« ein Schnippchen. Dann kommt es zu einem Vorfall, der Susanne noch Jahrzehnte später in ihren Alpträumen verfolgt – bis sie beschließt, sich endlich dem Trauma ihrer Kindheit zu stellen.



    Meine Rezension:


    Kinderkurheim


    Susi ist zu schmächtig, sagt der Amtsarzt, und empfiehlt für die Achtjährige einen Aufenthalt an der Nordsee. Die Familie hat Glück, denn die Krankenkasse bewilligt eine mehrwöchige Kur im Kinderheim „Haus Morgentau“. Gleichaltrige Spielgefährten, kräftigende Mahlzeiten und gesunde Luft am Meer locken zu einem unvergesslichen Sommer. Unvergessen wird er bleiben, aber anders als erwartet.


    Im Jahre 2018 wird Susanne ins Pflegeheim Abendrot gerufen, die Mutter liegt im Sterben. Zufällig oder schicksalhaft, wer weiß das schon, entspinnt sich ein Gespräch über den Sommer 1969, jenen Sommer, in dem die erste Mondlandung stattgefunden hat, jenen Sommer, den Susanne in St. Peter-Ording im Haus Morgentau verbracht hat. Während ihr damals niemand geglaubt hat, der Arzt alles als rege Phantasie eines einfallsreichen Kindes abgetan hat, hören ihr ihre Mutter und ihre Tochter nun gebannt zu, denn was sich an der Nordsee zugetragen hat, lässt die beiden, ebenso wie den Leser, sprachlos zurück. Extrem reduziert und trotzdem unglaublich, schildert Barbara Leciejeweski die unfassbaren Zustände, wie sie sich leider tatsächlich von der Nachkriegszeit bis in die 1990er-Jahre zugetragen haben. Pädagogik, von der Nazizeit geprägt, mit lieblosen „Tanten“, die nichts außer blindem Gehorsam und der Einhaltung strenger Regeln erwarten, gibt hier den schroffen Ton an. Damit die Geschichte nicht nur trostlos daherkommt, erzählt Leciejewski auf einer zweiten Zeitebene, 2018, von der erwachsenen Susanne, die allerdings immer noch unter dieser Zeit leidet und gegen Alpträume kämpft. Jetzt aber ist der rechte Moment gekommen, um sich diesem Trauma zu stellen, der Familie die bleibenden Eindrücke von der schrecklichen Zeit im Kinderhaus zu berichten. Nach und nach kommen auch noch Susannes Geschwister dazu und ein herzlicher Austausch findet statt. Dass ein Verdrängen oft nicht weiterhilft, sondern ein Aufarbeiten notwendig ist, wird immer deutlicher. Den hoffnungsvollen Ausblick untermalt dann schlussendlich Udo Jürgens mit „Denn immer, immer wieder geht die Sonne auf“, ein überaus passendes Lied, dessen Melodie noch in mir nachhallt zum schönen Ende, das die Autorin für Susanne gefunden hat.


    Auch wenn Barbara Leciejewski den Alltag im Kinderkurheim nicht so drastisch und grausam beschreibt wie manch andere Autoren vor ihr und die Realität wohl noch viel schlimmer war, so trägt auch dieses Buch wesentlich dazu bei, dass das Thema „Kinderverschickung“ nicht in Vergessenheit gerät und die „schwarze Pädagogik“ hoffentlich nie wieder zur Anwendung kommt, um die grundsätzlich „bösen Kinder“ richtig zu „erziehen“. Gehört werden und ernst genommen werden – diesem Ziel für die Betroffenen rückt der bewegende Roman „Am Meer ist es schön“ ein Stückchen näher. Auch wenn ich mir am Anfang des Buches noch ein bisschen mehr an Emotionen gewünscht hätte, so ist es dennoch eine gelungene Geschichte, die ich gerne weiterempfehle.


    Titel Am Meer ist es schön

    Autor Barbara Leciejewski

    ASIN B0DK6MX9FK

    Sprache Deutsch

    Ausgabe ebook, ebenfalls erhältlich als Geb. Buch (352 Seiten) und Hörbuch

    Erscheinungsdatum 30. Mai 2025

    Verlag Ullstein / List


    ASIN/ISBN: B0DK6MX9FK

  • Verschickungskinder erleben Gewalt und Demütigungen – ein dunkles Kapitel


    Millionen "Verschickungskinder" wurden nach dem Zweiten Weltkrieg zum Aufpäppeln zur Kur geschickt. Gern ans Meer, die Zuhausegebliebenen beneideten das Kind. Die Wahrheit war oft anders - viele erlebten bei Kuren bis in die 1970er-Jahre Demütigungen und Gewalt und leiden noch als Erwachsene. Sie haben Angst-, Schlaf- und Essstörungen, kämpfen mit Depressionen. Lange war über das Leid der Verschickungskinder wenig bekannt. Allmählich kommt Licht in dieses dunkle Kapitel deutscher Geschichte und es findet Aufarbeitung statt. https://www.tagesschau.de/inla…schickungskinder-100.html


    Barbara Leciejewski widmet sich in ihrem aktuellen Roman dem wichtigen Thema.


    Susi soll es sechs Wochen an der Nordsee gut gehen. Die Krankenkasse kommt für die Kosten auf, Susis Eltern freuen sich, dass ihre Jüngste von drei Kindern diese Reise machen darf. Die Zugfahrt wird begleitet von Tanten, die bereits bei der Übergabe der Kinder an die Kureinrichtung, Hinweise an die Herbergseltern geben, wie sich die Kinder betragen haben. Erste Kontakte knüpft Susi schnell, besonders zu Moni und Matti, ein Jungen, dessen Kuraufenthalt immer weiter verlängert wird. Die Kinder werden eingeschüchtert. Spielzeug, Kuscheltiere und Puppen – das Tröstende wird ihnen weggenommen. Der Koffer mit der Kleidung wird unter Verwahrung genommen, frische Kleidung zugeteilt. Es gibt feste Zeiten für Waschen und Toilette und wer nicht aufisst, hat sitzenzubleiben, bis er aufgegessen hat. Es ist grausam, wie ein Aufenthalt am Meer im Handumdrehen zu einer unerträglichen Strafe wird. Tante Erna ist streng, ihre Praktikantinnen müssen auch spuren, sie lässt sich genau berichten und bestraft hart. Sperr ein Kind in einen finsteren Raum oder lass ihn auf einem Stuhl stehen…


    Mir war dieses Thema nicht fremd, denn meine Mutter war auch zweimal ein Verschickungskind. Sie war brav, erlebte aber auch angebunden an den Stuhl werden und Erbrochenes aufessen. Die Post nachhause wurde kontrolliert, dies wussten meine Großeltern und gaben ihr Briefmarken und Papier mit. Sie schmuggelte Briefe heraus, übergab sie dem Kaplan, er nahm Post für sie an. Diese Aufenthalte waren der Grund, dass meine Mutter nie wollte, dass wir als Kinder, dieses Fremden ausgeliefert sein, erleben müssen.

    Der Titel des Romanes „Am Meer ist es schön!“ ist ein beliebter Satz, den Tante Erna sehr gern auf den Grüßen der Kinder für Nachhause liest. Gefällt ihr bei der Briefkontrolle das Geschriebene nicht, wird das undankbare Kind gezwungen neutrale Grüße zu senden. Man droht ihm, sollte die Kur angebrochen werden, müssten die Eltern die gesamten Kosten des Aufenthaltes bezahlen. Die Kinder entwickeln Hass, manche schmieden Fluchtpläne.


    Der Roman von Barbara Leciejewski hat mir bestätigt, was meine Mutter mir als von ihren Aufenthalten erzählt hat. Es entsprang nicht ihrer Fantasie, sie war eine Betroffene der Zeit, wie Millionen anderer Kinder. Ihre Eltern glaubten ihren Berichten, da hatte sie Glück, denn vielen anderen Kindern glaubten die Eltern nicht, wenn sie davon erzählten.


    Der Roman ist in zwei Zeitebenen erzählt. Ausgehend von der Gegenwartshandlung, als Susi von ihrem Kuraufenthalt erzählt, sind wir in den Rückblenden dabei. Lange Zeit habe ich gedacht, dass ich die Gegenwartserzählung nicht benötige, jedoch um zu verstehen, welche Auswirkungen der Kuraufenthalt auf manche Kinder noch 40/50 Jahre später hat und mit welchen Dämonen sie zu kämpfen haben, ist es erforderlich.


    Dies war mein fünfter Roman der Autorin und wie ich empfinde, der für mich Persönlichste, der ein Thema hat, was noch nicht in anderen Roman beschrieben wurde. Ich mag sehr gern ihre Bücher und dieses werde ich sicher nicht so schnell vergessen. Wer bereit ist, sich mit diesem dunklen Kapitel zu befassen, dem empfehle ich diesen Roman.


    https://www.planet-wissen.de/s…schickungskinder-100.html

    Manche Bücher müssen gekostet werden, manche verschlingt man, und nur einige wenige kaut man und verdaut sie ganz.
    (Tintenherz - Cornelia Funke)