Schreibwettbewerb 01.09.2025 - 31.10.2025 Thema: "Staubsauger"

  • Thema 01.09.2025 - 31.10.2025:


    "Staubsauger"


    Vom 01.09.2025 bis 31.10.2025 23:59 Uhr könnt Ihr uns Eure Beiträge für den aktuellen Schreibwettbewerb zum Thema „Staubsauger“ per PN (Sprechblasensymbol, „Konversationen“) zukommen lassen. Euer Beitrag wird von uns dann anonym am 01.11.2025 eingestellt.


    Wer mitschreiben möchte, sendet bitte eine PN an den Account SchreibwettbewerbOrg. Wir schicken euch dann die Zugangsdaten für den Account Schreibwettbewerb. Das Passwort bitte vertraulich behandeln! Ihr meldet euch als Schreibwettbewerb an und sendet euren Beitrag an SchreibwettbewerbOrg. Dadurch sind alle Beiträge anonym. Nach der Veröffentlichung (nach dem 31.10.2025) sendet bitte eine zweite PN mit dem Titel eures Beitrags und eurem Namen an SchreibwettbewerbOrg, damit wir die Beiträge zuordnen können. Das Orga-Team wird erst nach der eigenen Punktevergabe in diese Beiträge schauen.


    Regeln:

    - Die Grenze für die Beiträge ist bei 600 Wörtern.

    - Abgabeschluss ist um Mitternacht.

    - Mitschreiben darf, wer mindestens 50 buchrelevante Beiträge hat oder seit mehr als 6 Monaten Mitglied ist.

    - Abstimmen darf, wer mindestens 25 buchrelevante Beiträge hat oder seit mehr als 3 Monaten Mitglied ist.

    - Als Thema vorgegeben werden kann ein Wort, ein Satz oder ein (selbstgeknipstes/gezeichnetes) Bild (ihr müsst das Urheberrecht haben).


    Bitte achtet darauf, nicht mehr als 600 Wörter zu verwenden. Wir behalten uns vor, Beiträge mit mehr als 600 Wörtern nicht zum Wettbewerb zuzulassen!


    Und bitte keine Kommentare hier reinschreiben. Bis zur Auflösung ist dieser Thread nur für die Beiträge gedacht.

  • Anleitung für Haus & Herz

    Anwendungsbereich

    Staubsaugen. Und alles, was dabei wichtig ist.

    Lieferumfang

    – 1× Hauptgerät mit Beziehungsmodus

    – 1× Ladekabel »Geduld«

    – 1× HEPA-Filter (»Höflichkeit, Empathie, Pausen, Anerkennung«)

    Sicherheitshinweise

    1. Nicht bei nassem Boden starten. Fragen Sie vorher: »Passt es dir jetzt?«
    2. Keine Betriebnahme im Zorn: Funkenflug reduziert Lebensdauer.
    3. Niemals über Hindernisse ziehen. Anheben, ansehen, verstehen.

    Inbetriebnahme

    1. Kontakt herstellen: Blickkontakt ist der Stecker. Erst hinschauen, dann einschalten.
    2. Selbsttest: »Bin ich heute Team Hilfe oder Team Hektik?« Bei Hektik: Akku laden (5 Minuten atmen).
    3. Zubehör wählen: Es gibt Aufsätze für alles. Für Gesprächsränder die Fugenbürste »Nachfragen«, für große Flächen »Zuwendung«.
    4. Leiser Anlauf: Starten Sie auf Stufe 1 (Zuhören). Wörter sind Partikel – erst sammeln, dann kommentieren. ²
    5. HEPA prüfen:
      Höflichkeit: »Danke, dass du das machst.«
      Empathie: »Klingt anstrengend. Magst du erzählen?«
      Pausen: Stille ist kein Fehlercode. ¹
      Anerkennung: Kleine Erfolge absaugen und zeigen: »Sieht super aus!«

    Betriebsmodi

    Parkett (gute Tage): Lange, ruhige Bahnen. Komplimente nicht nur randwischen, mittig legen.

    Teppich (harte Tage): Mehr Durchgänge. Nicht drücken. Langsam, geduldig und parallel zur Faser.

    Sofaritze (heikle Themen): Fugenaufsatz »Ich-Botschaft«. Kein »Du machst immer…«, eher »Ich fühle…«. ⁸

    Turbo (Konflikt): Nur kurz. Turbo ohne HEPA wirbelt Staub auf, kein Problem löst sich so. ⁴

    Nutzungshinweise

    1. Geräuschpegel: Senken Sie die Stimme, bevor Sie die Lautstärke des Geräts beurteilen.
    2. Beutellogik: Ärger sammelt sich. Rechtzeitig leeren – draußen, keinesfalls drinnen. ³
    3. Kabelmanagement: Lose Enden ordentlich aufrollen: »Was wünschst du dir von mir heute?« ⁵
    4. Kantenpflege: Skizzen von Plänen, Post-its, Blumenreste – alles mit Respekt behandeln. Nichts »aus Versehen« einsaugen, was dem anderen wichtig sein könnte. ⁶

    Wartung

    Tägliche Pflege: Ein Satz Lob pro Raum.

    Wöchentliche Pflege: Gemeinsame Runde »Was bleibt liegen – im Zimmer, im Kopf?«

    Monatlicher Check: Filter ausklopfen: Alte Vorwürfe raus, ohne Inventur der Schuld.

    Nachfüllen: Tee, Wasser, Ruhe. (»Magst du sitzen, ich mache den Rest?«)

    Fehlerbehebung

    Saugt nicht: Prüfen Sie den Kontakt. Frage: »Habe ich wirklich zugehört?«

    Blockiert: Fremdkörper Ego entfernen: »Du hast recht, das war unachtsam.«

    Zieht Fäden: Humor einschalten, aber sanft. Ironie ist kein Reinigungsmittel.

    Überhitzt: Parkposition. Eine Umarmung kühlt besser als Argumente. ⁷

    Sammelt Glitzer: Erinnerungen festhalten, nicht wegscheuern. »Erzähl mir davon.«

    Häufige Fragen (FAQ)

    F: Muss ich alles sehen, was am Boden liegt?

    A: Nein, aber alles Wichtige. Fragen hilft beim Sortieren.

    F: Und wer bedankt sich bei mir?

    A: Beginnen Sie. Dankbarkeit ist wie Strom: Wer einspeist, bekommt Licht.

    Entsorgung/Weitergabe

    Alte Muster bitte fachgerecht entsorgen (z. B. »Ich bin halt so«). Das Gerät läuft besser ohne.

    Garantie

    Ihr Gerät hat keine Herstellergarantie. Gekauft wie gesehen. Aber sie reagiert messbar auf regelmäßige Pflege, leises Arbeiten und warmen Luftzug beim Trocknen der Wäsche.

    Abschlussprüfung

    Einmal quer durchs Wohnzimmer:

    – »Danke, dass du daran gedacht hast.«

    – »Soll ich Küche übernehmen?«

    – »Ich hab dich gehört.«

    Fußnoten

    ¹ Blickkontakt nicht vergessen. Widerwilliger Blick = Wartung fällig.

    ² Wer rät, saugt daneben. Erst fragen, dann fahren.

    ³ Entleeren entwertet nicht. Ärger raus, Würde drin lassen.

    ⁴ Maximal 60 Sekunden Streit. Danach zurück auf Zuhören, Puls prüfen.

    ⁵ Enden aufrollen, nicht verheddern. Antworten nicht erzwingen.

    ⁶ Heilig sprechen, bevor man staubt. Respekt wirkt antistatisch.

    ⁷ Nicht verschwinden. Eine Hand auf der Schulter ist Strom.

    ⁸ Ich-Botschaften rein, Du-Düse aus. Auch wenn's juckt.


    Wenn jetzt alles ruhiger klingt: Das ist kein leeres Haus. Das ist ein sauberer Grund, zusammen zu wohnen.

  • Balthazar



    Die kleine Spinne Balthazar,

    Fidel und ganz besonders war,

    Macht sich es gern gemütlich,

    Tat sich an kleinen Tierchen gütlich,

    Fühl´t sich auf kulinarischem Bazar.


    Doch eines Tages, welch ein Graus,

    war´s damit plötzlich aus.

    In letzter Sekunde erst sie sah

    Sie kommen, die Gefahr.

    Sie hüpfte aus dem Netz heraus.


    Ein langes Rohr kam ihr in Sicht,

    Verdeckte nun auch noch das Licht.

    Es zog die Fäden in sich rein.

    Das kann doch jetzt nicht einfach sein,

    Ihr Netz war weg, das gibt’s doch nicht.

    ´

    Viel schlimmer aber kam es dann,

    ihr wurde jetzt ganz furchtbar klamm.

    Auch sie verschwand im langen Rohr,

    kam sich ganz furchtbar hilflos vor.

    Nach kurzer Zeit, sie sich besann.


    „Wo bin ich plötzlich hier denn hin?

    Der Staub macht doch so keinen Sinn.

    Ich muß hier raus, und zwar sofort,

    weg von diesem schlimmen Ort.

    Hier bleib ich nicht, hier drin.“


    So war sie dann so frank und frei,

    Begann sogleich die Kletterei.

    Schritt für Schritt schob sie sich vor,

    Bis endlich angekommen sie empor.

    Sah raus, vernahm nur einen lauten Schrei.

  • Das Geschenk der Ehe


    Der Geburtstag von Frieda Harms verlief an sich recht gediegen. Da es Sonntag war, schlief sie ein wenig länger und wurde erst wach, als der Duft von frischen Aufbackbrötchen durch ihre fast abbezahlte Doppelhaushälfte schwebte. Wenige Augenblicke später öffnete sich die Schlafzimmertür mit einem leisen Quietschen und ihr Gatte Heinz schlich auf Zehenspitzen herein. Einige Küsse und ein mit schiefer Stimme vorgetragenes Ständchen später liebten sie sich mit aller Hingabe, die nach dreißig Ehejahren noch aufzubringen war.

    Stellen Sie sich an dieser Stelle einfach vor, wie sie die Wäsche bügeln. Dann können sie das Maß der Hingabe erahnen.

    Es war also ein normaler, recht dröger Geburtstagsmorgen. So, wie ihn Frieda schon seit dreißig Jahren erlebte. Eingespielte Muster werden nun einmal nicht verändert. Vor allem, weil Heinz als Bürokrat eh nicht viel von Kreativität hielt.

    Frieda warf einen kurzen Blick in den Vorgarten. Die Gartenzwerge standen dort, wo sie immer standen. Einige hatten Papphütchen auf. Natürlich dieselben wie immer.

    Den Geburtstagstisch fand Frieda reich gedeckt vor. Kontinentales Frühstück, dazu ein frisches Rührei. Und natürlich Geschenke. Sie wusste bereits, was sie erwartete. Zumindest konnte Heinz die schwärmerischen Kommentare über diese karmesinrote Handtasche im Kaufhaus kaum missverstanden haben.

    Tatsächlich lag ein Geschenk auf ihrem Platz. Hübsch verpackt im selben Papier wie immer. Rosa Herzen auf weißem Grund.

    Mit geübten Griffen riss sie das Papier auf und wollte bereits erfreute Überraschung heucheln, als sie erstarrte.

    „Ein Staubsauger?“, fragte sie schließlich und blickte Heinz irritiert an.

    „Ja nun. Du hast andauernd erwähnt, dass wir einen neuen brauchen.“, sagte Heinz und lächelte. „Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Schatz!“


    Heinz schlief bereits, als Frieda innerlich brodelnd in die Küche schlich. Während es dunkel wurde, war ihr ein Licht aufgegangen. Das Maß war voll. Die Liebe erkaltet. Ihre Seele von Spießigkeit vergiftet. Selbst das Messer, das sie nun aus der Schublade holte, wirkte bieder. 1,99 Euro im Kaufhaus.

    Lautlos stieg sie die Treppe hinauf, öffnete die Schlafzimmertür und baute sich neben ihrem schlafenden Mann auf. Ein Staubsauger. Der würde sich wundern. Oder vielleicht auch nicht. Tote wundern sich selten.

    Heinz sah so unschuldig aus. Beinahe wirkte er im Schlaf wieder wie der adrette junge Mann, der ihr aufgeholfen hatte, als sie mit dem Fahrrad gestürzt war. Galant und charmant. Er hatte Pralinen und einen Blumenstrauß zum ersten Date mitgebracht, ihr einen Antrag im Italien-Urlaub gemacht und sein Auto verkauft, damit sie das Ferienhaus erwerben konnten, von dem Frieda so geschwärmt hatte.

    Staubsauger hin oder her... Er war ihr stets ein guter Ehemann gewesen. Bei allen Fehlern.

    Frieda verdrückte eine Träne und ließ das Messer sinken. Dann legte sie es auf den Nachttisch und kuschelte sich ins Bett. Sie stand eh früher auf und würde es dann wegräumen. Es war nichts passiert. Und die Handtasche würde sie dann eben zu Weihnachten bekommen.


    Nach einigen Minuten, als sie beinahe eingeschlafen war, schreckte sie auf.

    Heinz hatte angefangen zu schnarchen. So wie immer. Ein kehliges Brummen, irgendwo zwischen Braunbär und verstopftem Abfluss.

    Frieda atmete tief durch. Dann richtete sie sich auf und tastete nach dem Messer.

  • Erste Tage und andere Hürden


    Früher war alles besser.

    Im Kindergarten trifft man sich am Sandkasten, zieht dem anderen ein Schippchen über den Kopf und schwupps ist man befreundet.

    In der Grundschule geht man auf das coolste Kind zu und sagt: »Wir sind jetzt Freunde!« – Zack, geritzt!

    Aber in der Oberstufe ist das nicht mehr so einfach. Die meisten kennen sich schon ewig, die Linien sind gezogen und lebenslange Feindschaften beschlossen.

    Klar, alle sind neugierig auf den Eindringling, komplett in Schwarz, mit dem One-Piece-Rucksack und einem American Cheesecake in den Händen.

    Neues kann aufregend sein. Ich bin es definitiv nicht.

    »Klasse! Das hier ist Grit. Sagt hallo.«

    »Hallo, Grit«, brummt es im Chor zurück.

    Mein Kopf läuft rot an. Ich hasse so viel Aufmerksamkeit. »H-hi zusammen.«

    Der Lehrer zeigt auf einen leeren Sitz in der Mitte des Raums. »Setz dich. Fühl dich wie zu Hause.«

    Ich atme tief durch und gehe zum Tisch. 23 Augenpaare folgen mir erwartungsvoll. Mich überkommt der irre Drang, eine Steppeinlage hinzulegen, doch glücklicherweise kann ich ihn sofort ersticken und erreiche ereignislos den Platz.

    Grazil wie ein Gorilla lasse ich mich nieder und Herr Blank zieht alles Interesse wieder auf sich.

    »Kommen wir nun zum Anwesenheitscheck.«

    Er kramt das Klassenbuch hervor. »Achim?«

    Ein Mädchen vor mir hebt ihre manikürte Hand. »Barbados.«

    Der Lehrer nickt und fährt fort. »Berger?«

    »Jamaika«, ertönt es hinter mir.

    »Dittmann?«

    »Martinique.«

    »Dunkeljahn?«

    »Kuba.«

    »Eilfeld?«

    Oha. Ich spüre die Blicke wieder auf mir. Abschätzend, lauernd.

    Mein Orientierungssinn ist für die Tonne, in Erdkunde habe ich immer verkackt. Jetzt muss ich aus dem Nichts eine Insel hervorzaubern.

    Wo krieg ich die her? Muss es eine Bestimmte sein? Haben die bereits genannten irgendeinen Zusammenhang?

    Meine Gedanken rasen, mein ausgedörrter Mund öffnet sich in Zeitlupe, auf der Suche nach exotischen Urlaubsorten. »Rügen.«

    Herr Blank lächelt mich an, bevor er den nächsten Kandidaten abfragt.

    Ich seufze erleichtert. Die Hürde habe ich erfolgreich genommen.

    Bis morgen gehe ich den Atlas meiner Mutter durch, damit ich auf alles vorbereitet bin. Ha, so leicht kriegst du mich nicht klein, Geographie!


    Doch wie die meisten meiner wasserdichten Pläne ist auch dieser schnell hinfällig.

    Nach zwei Schulstunden wechseln wir das Klassenzimmer und ein neuer Lehrer betritt die Bühne. Das Anwesenheitsspielchen beginnt von Neuem.

    Dieses Mal geht es um Seen. Ich bin so froh, dass niemand vor mir den Dümmer nennt.

    Das Mädchen namens Achim scheint eine Vorliebe für schwierige Themen zu haben.

    Nach langen sechs Unterrichtsstunden habe ich neben Inseln und Seen noch über Entdecker und Sternbilder grübeln dürfen. Danke, Jessica.


    Die letzte Lehrkraft des Tages betritt das Klassenzimmer und ich harre der Dinge, die da kommen. Anscheinend hat Jessica keine Lust mehr auf nützliches Wissen. Sie grinst diabolisch und schaut sich ihre Klassenkameraden ganz genau an.

    »Dildo.«

    Kichern rollt durch den Raum. Von manchen Tischen ist ein empörtes Zischen zu hören.

    Gegen all meine Hoffnung ziehen die Bs und Ds mit.

    »Liebeskugeln.«

    »Vibrator.«

    »Peitsche.«

    »Handschellen.«

    Mist. Das war alles an Sex Toys, das ich – wenigstens vom Namen her – kenne.

    Hilfesuchend schaue ich zur Lehrerin, doch anstatt der Sache einen Riegel vorzuschieben, lächelt sie mich nur aufmunternd an.

    Na ja, als Bio-Lehrerin ist sie bestimmt einiges gewohnt. Aber was soll ich jetzt sagen?

    Nach einer gefühlten Ewigkeit flutscht das Erste, was mir in den Kopf kommt, direkt auf die Zunge. »Staubsauger.«

    Dafür ernte ich das Lachen meiner Mitschüler. Manche Jungs winden sich vor Phantomschmerzen. Ich versuche, im Stuhl zu versinken, was natürlich nicht klappt.

    Selbst mein sauleckerer Bestechungscheesecake wird mich nicht retten: Ich werde in die Klassengeschichte als die naivste Dorftrulla ever eingehen.

    Hoffentlich hat Jessica Achim viele Fehltage. Aber ich glaub nicht wirklich dran

  • Häuslich


    Ein Wort für einen Ort oder eine Verbindung.

    Ich war häuslich.

    Mein einziger Freund wohnte weit weg und wir sahen uns selten.

    Wenn wir telefonierten, erzählte ich meistens, dass ich zuhause Zeit mit Kim verbracht hatte.

    Langweilig fand er das.

    Als wäre ich ein Einsiedlerkrebs.

    Wenn er doch nur wüsste.

    Ich seufzte.

    Aber wie sagten die ganzen Internet-Hobby-Psychologen so schön:

    Aufstehen, Krone richten.

    Ich sah mich um, es gab immerhin noch genug zu tun.

    Die Wohnung sah aus wie ein Saustall.

    In der Küche Brotkrümel und Reste von Schokostreuseln auf dem Tisch und dem Fußboden.

    Ich zerrte den Staubsauger hinter mir her.

    Wenigstens etwas, was nach meinem Willen ging.

    Manchmal kam ich mir im Haushalt eingesperrt vor.

    Das Sauggeräusch und das stetige Ploppen je nach Größe des eingesaugten Materials klangen wie Musik.

    Autsch.

    Ich war mit dem Hämatom am Handgelenk zu stark gegen den Türrahmen gekommen, als ich mir saugend den Weg aus dem Küchenchaos hinein in den Flur bahnte.

    Lila-ocker.

    Das war die Farbe des Hämatoms.

    Obwohl hier niemand war, zog ich den Ärmel des Langarmshirts weiter nach unten über mein Handgelenk.

    Ich verbarg es nicht nur draußen.

    Auch hier.

    Vor mir selbst.

    Der andere Ärmel rutschte hoch und ich ließ den Staubsaugerrüssel los.

    Nein.

    Hektisch riss ich auch diesen Ärmel über das Handgelenk.

    Die kleinen Zähnchen der Handschellen wollte ich nicht sehen.

    Kim und ich mochten es durchaus härter im Bett.

    Ganz tief in mir wusste ich, dass das nur zu einem Teil die Wahrheit war.

    Mein Körper erinnerte sich jedenfalls.

    Ich würde heute viel im Stehen arbeiten, um nicht sitzen zu müssen.

    Aus…Gründen.

    Das sagte man ja jetzt so.

    Oder war es schon wieder out?

    Ich war mir nicht sicher, ich kam nicht mit Jugendlichen in Kontakt.

    Das half nichts.

    Nicht denken.

    Ich musste den Haushalt schmeißen.

    Es war noch so viel zu tun.

    Ich saugte weiter.

    Fusseln.

    Flusen.

    Eine Spinne im Bad.

    Unter dem Bett im Schlafzimmer.

    Klong.

    Scheiße.

    Das hatte nicht so geklungen als wäre es einfach Staub unter dem Bett gewesen.

    Panisch schaltete ich den Staubsauger ab.

    Ich musste rausfinden, was ich eingesaugt hatte.

    Schritte im Treppenhaus.

    Die Wohnungstür.

    „Schatz?!“

    Kims Stimme.

    Ich lugte aus dem Schlafzimmer.

    „Ja?“, fragte ich belegt.

    Kim kam zu mir.

    „Ich habe meinen Ohrring verloren, hast du ihn gesehen?“

    Das Geräusch.

    Ich wurde bleich.

    Kims Finger umgriffen mein Kinn.

    Bohrten sich unangenehm in die Haut um meinen Mund.

    „Wo?“

    „Ich glaube, ich habe…“

    Mein Stammeln verriet mich.

    Mein Blick auch, denn ich sah auf den Staubsauger.

    „Du Nichtsnutz! Du Miststück! Zu dumm zum staubsaugen, aber du bist ja auch zu dumm für alles! Wenn ich dich nicht durchfüttern würde, dann wärst du nichts!“

    Kims Wut fegte über mich.

    Ihre Ohrfeige war hart.

    Mein Kopf wirbelte zur Seite. Ich schmeckte Blut auf der Zunge.

    Sie schubste mich.

    Mit den Füßen blieb ich am Staubsauger hängen.

    Fiel nach hinten.

    Zum Glück halb auf das Bett.

    Einen Moment war ich benommen.

    Dann quiekte ich.

    Kims Hand steckte in meiner Hose.

    „Ja, du Schwein, aber du liebst es, wenn ich deinen Schwanz massiere.“

    „Nein, ja…“

    Es war beides falsch.

    Noch eine Ohrfeige.

    „Du wirst härter dabei, du Schwein.“

    Das wollte ich nicht, aber ich spürte es auch.

    Sie ließ mich los.

    „Scheiße.“

    Ich legte eine Hand an meine schmerzende Wange.

    Wollte aufstehen.

    Unvermittelt traf mich ihr Stiefel am Oberschenkel.

    Am Hämatom.

    Ich jaulte auf.

    Verlor das Gleichgewicht.

    Ungelenk fiel ich auf den Staubsauger.

    Ich schniefte.

    „Weinst du etwa?“

    Ich beeilte mich den Kopf zu schütteln.

    Hielt mich am Staubsauger fest.

    Ich war nicht mehr als das für Kim.

    Ein Gegenstand.

    Ein Gebrauchsgegenstand.

  • In Sachen Manfred


    Der Keller roch nach alten Kabeln und noch älterem Kaffee.

    In der Mitte: ein Stuhlkreis.

    Darauf: Staubsauger. Große, kleine, runde, kantige.


    »Willkommen zur heutigen Sitzung der anonymen Sauger«, brummte Mielo, ein beutelbetriebenes Modell von 1987, das bei jedem Wort knarzte. »Ich bin Mielo. Ich bin … staubsüchtig.«


    »Hallo Mielo«, surrte es im Chor.


    »Wie immer«, fuhr Mielo fort, »sprechen wir offen. Niemand wird verurteilt. Wir alle tragen Staub mit uns herum.«


    Ein zierlicher Handstaubsauger meldete sich.


    »Hallo, ich bin Rowentus. Ich … ich fühle mich klein.«


    Mitfühlendes Nicken im Kreis.


    "Immer heißt es: ›Nur für Krümel.‹ Ich will auch mal einen Teppich, verdammt! Einen richtigen! Mit Tiefenstruktur!

    Stattdessen lande ich zwischen Sofaritze und Autotür. Letzte Woche war der Fußraum des Kombis dran. Kaffeeflecken, Kekskrümel, Kaugummi.

    Ich träume nachts noch davon."


    Kärchon, ein riesiger Industriesauger, schnaubte.

    »Sei froh. Ich sauge Betonstaub. Drei Tonnen täglich. Niemand fragt, ob ich überhaupt Lust habe. Meine Schläuche sind chronisch entzündet! Letztens hat ein Bauarbeiter eine Bierdose in meinen Tank geworfen. Drei Wochen habe ich nach Hopfen gestunken.«


    Ein kleiner runder Roboter-Staubsauger jammerte ganz hinten aus der Ecke.


    »Entschuldigung! Sorry! Ich … ich finde nie die richtige Richtung. Mein Besitzer nennt mich ›dumm wie Brot‹. Ich glaube, mein Algorithmus hasst mich. Gestern bin ich unters Sofa gefahren. Bin steckengeblieben. Drei Stunden lang! Niemand hat mich befreit. Irgendwann kam die Katze und hat mich verhauen.«


    Mielo räusperte sich. »Wir sind übrigens hier drüben. Du sprichst gerade mit dem Boiler.«


    Der kleine Roboter drehte sich hektisch im Kreis, bis er sie endlich fand.


    »Na, wenigstens darfst du dich frei bewegen!«, entgegnete Rowentus empört. »Ich hänge den ganzen Tag an der Wandstation wie Jesus am Kreuz!«


    Ein kabelloser Akkusauger meldete sich nervös.

    »Hallo, ich bin Dysonna, und ich habe Burnout. Ich schaffe kaum zehn Minuten, dann brech ich zusammen. Neulich mitten im Saugvorgang – zack, tot. Einfach umgefallen. Und jedes Mal, wenn ich wieder aufgeladen werde, heißt es: ›Ach, wie praktisch!‹ Niemand ahnt, wie leer ich mich fühle, im wahrsten Sinne des Wortes.«


    Mielo nickte verständnisvoll. »Das klingt schwer, Dysonna. Aber denk dran: Du bist mehr als dein Akku.«


    »Danke, Mielo. Ich … ich fühl …«

    Dysonna blinkte zweimal, kippte nach hinten und war aus.


    »Tja«, grummelte Kärchon, »immer diese Akkugeneration. Keine Ausdauer mehr. Früher hatten wir Kabel! RICHTIGE Kabel!«


    Aus der Ecke ertönte ein beleidigtes Räuspern.

    »Du meinst, immer hinterhergeschleift werden, sei einfach?«, beschwerte sich das Stromkabel. »Durch Öl, Wasser, Lego! Niemand denkt an MICH! Letzten Winter wurde ich in der Kellertür eingeklemmt. Drei Tage lang! Ich habe heute noch einen Knick.«


    »Beruhigen wir uns«, sagte Mielo beschwichtigend. »Denkt daran: Wir alle saugen. Aber wir sind mehr als das.«


    In diesem Moment knallte oben eine Tür. Schritte kamen näher.


    »Oh nein«, flüsterte Mielo. »Deckung!«


    Alle Staubsauger erstarrten. Einer ließ sich fallen, als wäre er versehentlich umgekippt. Der Roboter stellte sich tot wie ein Opossum. Dysonna lag sowieso schon regungslos da.


    Ein Mensch kam herein, im Bademantel, mit einer Tasse Kaffee, und blinzelte ins Licht.

    »Komisch … ich war mir sicher, es hätte jemand gesprochen.«


    Schweigen. Nur das leise Ticken der Wanduhr.

    Der Mensch zuckte mit den Schultern und ging. Tür zu.


    Langsam erwachten die Sauger wieder zum Leben.


    »Puh«, seufzte Mielo. »Das war knapp.«


    »Wir müssen vorsichtiger sein«, murmelte Rowentus. »Wo ist eigentlich Manfred?«


    »Ich fürchte … Manfred haben wir an einen Messie verloren«, seufzte Mielo. »Seit fünf Jahren kein Wort.«


    Stille.

    Schliesslich brummte Kärchon, in andächtigem Ton: »Manfred … er war einer von den Guten.«


    Mit einer Schweigeminute für Manfred wurde das Meeting beendet.

    Niemand sprach. Nur irgendwo fiel ein Krümel zu Boden – und alle blickten kurz auf.

  • Schöne Bescherung


    „Könntest Du noch geschwind staubsaugen? Ich putze derweil das Bad.“

    „Muss das sein? Sieht doch alles noch ganz sauber aus.“

    „Und das soll es auch bleiben! Einmal die Woche durchzusaugen ist jetzt nicht zu viel verlangt. In drei Tagen ist Weihnachten!“

    „…“


    Jeden Samstag die gleiche Diskussion. Tanja hatte es so satt, dass Mark sich nicht an den Putzplan hielt. Ab und an alle fünfe gerade sein zu lassen war ja okay, aber doch bitte nicht jedes Wochenende!


    Heiligabend saßen sie zu zweit vor ihrem Bäumchen. Der Familienbesuch war erst für den nächsten Tag vorgesehen. Tanja schaute überrascht auf das große Paket, welches mit ihrem Namen versehen unterm Baum lag.

    Mark grinste sie an.

    „Ich habe etwas ganz Besonderes für dich. Mach schon auf!“

    Sie riss das Geschenkpapier auf und schaute dann ungläubig auf den Karton.

    „Ein … Staubsaugerroboter? Zu Weihnachten?“

    „Cool, oder? Dann müssen wir nie wieder diskutieren, wer staubsaugt. Nur ab und an den Roboter leeren!“ Breit grinsend strahlte er sie an, wie ein Kind, welches gelobt werden wollte.

    „Und das soll jetzt mein Geschenk sein?“

    Leicht verwirrt schaute Mark Tanja an. „Ich dachte, du würdest dich darüber freuen?“

    „Das ist ein Haushaltgerät! Für unseren gemeinsamen Haushalt! Du profitierst genauso davon wie ich. Sowas verschenkt man nur, wenn es sich jemand gewünscht hat! Das ist nicht nur total unromantisch, sondern in deinem Fall auch egoistisch. Und der ist nicht nur für mich, sondern für uns. Als ob ich dir einen Satz Winterreifen für das gemeinsame Auto schenken würde!“

    Mark war verwirrt. Tanja war eindeutig angefressen. Vorsichtig fragte er nach „Willst du ihn nicht?“

    Tanja stöhnte. „Doch. Und ich finde die Idee auch gar nicht schlecht. Aber das ist kein Weihnachtsgeschenk für mich. Den hätten wir zusammen kaufen können. Nachdem wir darüber geredet haben. Geschenke sollten persönlich sein! Nicht nur nützlich.“


    Mark wusste nicht, was er sagen sollte. Tanja versuchte, einen Kompromiss zu finden.

    „Wie wäre es, wenn wir uns die Kosten teilen. Und nach den Feiertagen findest du ein richtiges Geschenk für mich.“

    „Wenn das für dich okay ist?“

    „Ist es. Dann lass mal sehen, was dein Wunderwerk der Technik so alles kann. Schauen wir doch mal in die Bedienungsanleitung.“

    „Wir können ihn auch einfach mal einschalten.“

    Tanja hatte Bedenken, wurde aber überstimmt.


    Der Staubsauger flitzte los. Genau auf den Baum zu. Dabei verfing sich eine Ecke des Tischläufers am Gerät. Die Schälchen mit Plätzchen wurden heruntergerissen, der Adventskranz flog hinterher. Der Baumständer war nicht sonderlich stabil, und schon flogen Kugeln und Figürchen über den Boden. Hektisch klopfte Tanja auf das Feuer, welches der Adventskrank entfacht hatte, dann goss sie Wasser darüber. Der Staubsaugerroboter flitzte derweil munter und völlig planlos durch das Zimmer. Schließlich schaffte sie es, ihn abzuschalten.


    Sie schaute sich um und brach in schallendes Gelächter aus.

    „Jetzt hat er richtig was zu tun. Und du auch. Oder hast du noch einen Aufräumroboter?“

  • Top Gun – Remastered


    „Er ist eine Legende, sagt meine Mama!“ Die Ehrfurcht konnte man deutlich hören.

    „Die steht doch einfach nur auf den, dabei ist er voll alt!“ Die Antwort kam im Versuch cooler zu sein.

    Eine freundschaftliche Neckerei entbrannte zwischen den beiden Jungen, aber beide vergaßen dabei nicht um wen es eigentlich ging.

    Leider vergaßen sie aber etwas die Zeit.

    „Oh nein, wir kommen zu spät zu seinem Unterricht. Beeilung.“

    Sie huschten so eben noch in den Kursraum, auf die letzte Sekunde noch pünktlich, das sahen sie an der großen Uhr an der gegenüberliegenden Wand.

    Im Kursraum war es wie in einem aufgescheuchten Nest, alle wollten vorne sein – normalerweise uncool und undenkbar – und es war brechend voll.

    Als sich die Tür auf der anderen Seite des Raums öffnete, hielten auch die beiden Jungs gespannt den Atem an.

    Doch dann machte sich ein enttäuschtes Stöhnen breit.

    Das war nur die fettärschige Direktorin.

    Was wollte die denn hier?

    Sie trug eine Liste mit sich herum und las dann auch noch lautstark vor.

    Alle Namen, die nicht auf dem Zettel standen, würden von diesem Unterricht ausgeschlossen sein. Andersherum gesagt: man musste auf der Liste stehen.

    Die Jungs sahen sich fragend an, das war neu und anders. Sonst konnte man sich seine Kurse selbst aussuchen und hier gab es eine solche Liste?

    Woher kam sie?

    Warum?

    Die Fragen wurden zum Teil auch laut gestellt und die Stimmungslage heizte sich wieder auf.

    Die Direktorin schlug auf den Tisch.

    „Diese Liste hat Geschwaderführer Felix Sumsemann höchtspersönlich erstellt! Als Ihr hochdekorierter Lehrer im Umgang mit dem Ausweichflug zu Staubsaugern, elektrischen Fliegenklatschen und Spinnennetzen wird er sie in ebendieser Kunst unterweisen und er hat sich seine Schüler entsprechend erwählt – und Sie alle in Ihrem Alltag beobachtet!“

    „Scheiße.“

    „Wir sind am Arsch.“

    Die beiden Jungen sahen sich an.

    Wenig später dann trauten sie dennoch ihren Ohren kaum.

    Ihre Namen.

    Sie standen auf der Liste.

    Als die Direktorin ging, waren nur noch zehn Flugschüler – so nannte man die jungen Fliegenschüler – übrig.

    Gespannte Erwartung senkte sich über den Raum als sich die Tür wieder öffnete und diesmal ein lässig gekleideter Felix Sumsemann den Türrahmen ausfüllte.

    „Hey Leute! Ich erwarte von euch absoluten Gehorsam…ach, diese dämliche Rede hat die Direktorin geschrieben, wer braucht sowas schon, was ich brauche ist, dass ihr überleben wollt! Dass ihr unsere Art zu Rum führen wollt. Ruhm, meinte ich.“ Er schwankte.

    „Der ist besoffen.“

    „Hören kann ich Sie gut! Ich habe am Rum genascht und an der schwitzigen Haut einer sexy Hausfrau, die mit ihrem Staubsauger immer eine flotte Sohle zu Elvis hinlegt, man, die schmeckt wie eine junge Blüte, gerade aufgegangen, fruchtig und süß und sie liebt mich. Wollen Sie auch ein Mädchen in jedem Haus für sich alleine haben?! Dann lassen Sie die Gefahren des Alltags aus und seien Sie verschwunden, wenn die Ehemänner wieder nach Hause kommen!“ Er lachte. „Auf zu Ihrem ersten Trainingsflug.“

    Ohne Vorbereitungen sollten sie fliegen?

    Alle außer Felix hatten Angst davor, aber sie mussten ja wohl starten, wenn ihr Lehrer das wollte.

    „Immer eine Wischmopp-Länge Sicherheitsabstand zwischen jedem Partnergespann und dann – Attacke – ich meine, Abflug!“ Felix hob mühelos ab, drehte eine unbeabsichtigte Acht in der Luft und verschwand voran. „Aufpassen auf den Staubsauger, Jungs!“, schrie er gegen dessen windigen Lärm an, als sie durch ein geöffnetes Küchenfenster ins Haus gelangt waren. Man, roch das hier lecker. Die Jungs ließen sich bereits in der Küche ablenken. „Jungs, echte Männer lecken an einer Frau, nicht an einem Pfirsich!“, brüllte Felix und nahm Kurs auf die Frau.

    Plopp.

    „Felix ist tot!“

    „Rette sich wer kann!“

    Ein Moment konnte das Ende sein.

    Chaos.

  • Vom Regen in die Traufe


    Klaub hörte Schritte, die sich näherten. Klaub – den Spitznamen hatten sie ihm gegeben, als er bei ihnen eingezogen war. Sie fanden das witzig, er konnte nicht darüber lachen. Aber damit würde bald für immer Schluss sein!

    Für ihn war das ein kleiner Schritt. Er passte den richtigen Moment ab, eine kurze Bewegung nach links, fast lautlos. Er spürte einen Schlag, etwas segelte über ihn hinweg. Ein Schreckensschrei, ein Poltern, ein lauter Aufschlag, dann – Stille. Kopfüber die Treppe hinunter, unten mit dem Kopf voran auf die harten Dielen, entweder hatte sie sich den Schädel eingerannt oder das Genick gebrochen, vielleicht auch beides. Egal, man konnte nur einmal sterben, und ihr eines Mal war jetzt gewesen. Leise entfernte Klaub sich von der Kante oben an der Treppe, und ehe jemand mitbekam, was passiert war, war er weit weg. Alle würden an einen Unfall denken, und niemand würde ihn damit in Verbindung bringen. Teil eins seines Plans war geglückt.

    Aus dem hintersten Raum im oberen Stockwerk lauschte er. Zunächst blieb alles still, dann kam der Mann vom Einkaufen zurück. Klaub hörte, wie er aufschrie, etwas klatschte vernehmlich auf den Boden. Das mussten die Taschen mit den Einkäufen sein. Er rief den Namen der Frau, einmal, zweimal, dreimal, aber natürlich hörte sie ihn nicht. Sie würde nie wieder etwas hören. Der Rettungsdienst wurde gerufen, der nichts mehr tun konnte, außer den Tod der Frau festzustellen, dann die Polizei. Klaub hörte, wie der Mann befragt wurde, bestimmt würden sie später auch im Supermarkt fragen, ob sich jemand entsinnen konnte, ihn gesehen zu haben. Das gehörte zur Routine, aber niemand schien daran zu zweifeln, dass der Tod der Frau ein tragisches Unglück gewesen war.

    Für Klaub änderte sich zunächst nichts. Er zog weiter seine Runden, das musste er tun, um keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, die er nicht brauchen konnte. Schließlich war er noch nicht fertig, der Mann musste auch noch weg. Doch das musste so passieren, dass weiterhin kein Verdacht auf ihn fiel.

    Klaub ließ eine Woche ins Land ziehen, zwei. Auch das Chaos, das der Mann verursachte, als er die Sachen der Frau aussortierte und wegräumte, schluckte er klaglos. Niemand konnte ihm ansehen, dass er immer auf seine Chance lauerte.

    Am Ende ging es ganz leicht. Der Mann hatte sich aufgerafft, die Fenster zu putzen, und wie er auf dem Stuhl stand, um oben an den Rahmen zu kommen, war für sich genommen schon lebensgefährlich. Wahrscheinlich hätte ein Windstoß genügt, aber ein leichter Stoß gegen das Stuhlbein tat es auch. Der Mann wurde aus seinem wackeligen Stand gebracht, kippte dabei selbst den Stuhl um und verließ das Haus durchs Fenster. Er schrie nicht, der Aufschlag kam schneller, als die Schrecksekunde endete. Geschafft! Klaub hatte sie aus dem Weg geräumt, er war frei!

    Natürlich rückte abermals die Polizei an. Man war verwundert ob des zweiten Todesfalls in kurzer Zeit, stufte ihn aber wiederum als Unfall ein. Niemand kümmerte sich um Klaub, und er brauchte sich auch um nichts mehr zu kümmern.

    Zumindest glaubte er das, doch er hatte die Rechnung ohne die Erben gemacht. Die kamen irgendwann und diskutierten, wie es weitergehen sollte mit dem Haus. Ausräumen und vermieten? Oder selbst einziehen? Einziehen, entschieden sie, mehr Platz und schöner gelegen als die alte Wohnung.

    Damit war Klaub vom Regen in die Traufe gekommen. Das würde viel schlimmer werden als die beiden Alten, vor allem die sabbernde Monster von Kindern, und sollte er auf immer und ewig die Leute beseitigen? Er sah nur noch einen Weg, sich dem zu entziehen: Mit der höchsten Geschwindigkeit, zu der er fähig war, strebte Klaub der Treppe zu.

  • Zyklonbeutel des Schicksals


    (Ein Bericht aus den Archiven der magischen Hauswirtschaft)


    Missverständnisse


    Lord Voldemort – damals noch Tom Vorlost Riddle, geprüfter Fachberater für magische Haushaltsgeräte – hatte nie Weltherrschaft im Sinn. Nur Ordnung. Und die ist bekanntlich gefährlicher. Eigentlich wollte er nur den britischen Zaubereimarkt von überholten, ineffizienten Besenmodellen befreien. In Fachkreisen auch bekannt als die Große Reinigungsreform von 1979.

    Ihre Umsetzung scheiterte an einem Kurzschluss und mangelndem Interesse.


    Voldemorts Vision war eine Welt, in der kein Zauberer jemals wieder den Satz »Mist, noch ein Trollhaar unterm Sofa« sagen musste.

    Aber wie so oft verwandelte sich die Utopie, sobald Strom im Spiel war, in eine Tragödie.


    Unglücke


    Sein Meisterstück: Der Zyklonbeutel des Schicksals™.

    Ein Staubsauger von solcher Effizienz, dass er selbst metaphysische Rückstände beseitigen konnte. Flüche, Ektoplasma und Kaugummi – laut Prospekt. (Die Fußnote »Nicht geeignet für Kinder unter einem Jahr« wurde erst später hinzugefügt.)


    Die Demonstration in Godric's Hollow sollte der Durchbruch werden.

    Ein kurzer Funke, ein plärrendes Baby und eine unglückliche Verwechslung von Magie- und Muggelspannung später war Voldemort Geschichte, das Baby berühmt – und der Staubsauger ein Horcrux.


    Niemand fragte den Staubsauger. Niemand fragt je den Staubsauger. Historiker neigen dazu, ihre Quellen zu polieren, nicht zu befragen.


    Bürokratie


    Dumbledore nahm den unglücklichen Apparat an sich und ließ ihn im Großen Register für gefährliche Artefakte eintragen.


    »Kategorie C oder B?«, fragte die Registrarin, ohne aufzublicken.


    »Er … brummt gelegentlich«, erwiderte Dumbledore. »Und er … denkt.«


    Sie seufzte. »Denkt er gefährlich?«


    »Philosophisch.«


    »Dann Kategorie B.«


    So landete der Staubsauger in der Abteilung für Haushaltsgeräte, gleich neben einem experimentellen Teekessel und einem sehr beleidigten Toaster. Dort stand er jahrelang, brummte leise, philosophierte über Staub, Strom und Sinn – und wartete auf eine Steckdose, die ihn verstand. Aber die sind selten. Meist enden sie in der Abteilung für Mysterien.


    Heiligtümer


    Hauselfen sind bemerkenswert gründliche Geschöpfe.

    Sie erkannten das Potenzial des vergessenen Saugers sofort und gründeten die Gilde der Magischen Reinigungskräfte von Hogwarts.


    Ihr Motto: »Was sich bewegt, wird entstaubt.«


    Der Staubsauger wurde ihr Heiligtum.

    Man erzählt sich, Dobby selbst habe eines Tages ausgerufen:


    »Er ist der, der saugt!«


    Womit er, zum ersten Mal in der Geschichte der Zauberwelt, völlig recht hatte.


    Narben


    Als der Junge mit der Blitznarbe in Hogwarts ankam, wusste niemand, dass der eigentliche Schuldige bereits im Putzschrank stand – ein Gerät mit angesengtem Kabel und einem Beutel voller kosmischer Schuldgefühle.


    Wer nachts vorbeischlich, hörte manchmal ein leises Summen: »Ich wollte nur Sauberkeit …«


    Man hielt es für einen Geist.

    Man lag falsch.


    Technisch gesehen: ein Gerät mit 70 Prozent Restenergie und einem Funken Seele. Kommt in den besten Familien vor.


    Finale


    Der Kampf um Hogwarts war legendär: Zauberer gegen Zauberer, Feuer gegen Schatten.

    Mitten im Chaos: ein Hauself mit Verlängerungskabel.


    Niemand weiß, wer den Staubsauger eingeschaltet hat.

    Vielleicht war es Dobby.

    Vielleicht das Schicksal.

    Vielleicht ist auch einfach nur jemand über den Stecker gestolpert.


    Er sog alles ein: Zauber, Socken, Todesser, zwei Kapitel aus der Schulordnung und ein besonders lautes Portrait.


    Gleich danach: Stille.


    Aktenlage


    Heute befindet sich der Zyklonbeutel wieder in den Tiefen des Ministeriums für Magie.

    Eingetragen unter »Haushaltsgeräte, Kategorie B«.


    In stillen Nächten hört man angeblich ein leises Summen aus dem Kellerarchiv.

    Für die Beamten ist es dann wieder Zeit für Formular 17B. Überprüfung spukender Geräte. Dreifach auszufüllen: einmal für die Abteilung, einmal für den Beutel, einmal fürs Protokoll.


    Epilog


    So endete die Ära des Dunklen Lords. Nicht durch Heldenmut, sondern durch gründliches Staubsaugen.


    Die Welt blieb chaotisch, staubig – und voller Menschen, die ihre Missverständnisse wegräumen könnten.

    Aber wie so oft in der Magie gilt: Die höchste Stufe ist selten die sauberste.